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Heizen und kühlen mit Abwasser: Wärmerückgewinnung aus dem Kanal

Abwasserkanäle, als Energiequellen bislang weitgehend ungenutzt, bergen an zahlreichen Standorten ein ständig verfügbares Wärmepotenzial mit Temperaturen von rund 12 bis 20°C. Entsprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt, sind Anlagen zur Abwasserwärmenutzung im Vergleich zu fossilen Heizanlagen schon heute betriebswirtschaftlich wettbewerbsfähig. Bei richtiger Planung und Ausführung entstehen weder für das Entwässerungssystem noch für die Abwasserreinigung Nachteile [1].

Bild: Uhrig Kanaltechnik

Der Kanal als Wärmenetz. Überschüssige Energie aus gewerblichen Prozessen wird durch Wärmeübertrager in das Kanalnetz eingeleitet, transportiert und stromabwärts wieder zum Heizen von Gebäuden entnommen. Bilder: Uhrig Kanaltechnik

Bei nachträglichem Einbau werden die Wärmeübertrager als Einzelelemente im Kanal zusammengesteckt. Bild: Uhrig Kanaltechnik

Externe Wärmegewinnung außerhalb des Kanals. Dazu wird dem Schacht mit Siebanlage ein Abwasserteilstrom per Förderpumpe entnommen und ins Gebäude zum Wärmeübertrager geleitet. Bild: Huber SE

Zwei externe Bypass-Wärmeübertrager, mit deren Hilfe die Wärme aus Abwasser für eine weitere Nutzung gewonnen wird. Bild: Huber SE

Prozessschema der Abwasserwärmenutzung mit BHKW-Unterstützung. Bild: HST Systemtechnik

 

Die EU-Gebäuderichtlinie von 2010 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, ab 2021 nur noch Niedrigstenergiegebäude als Neubauten zuzulassen. Als Niedrigstenergiegebäude definiert die EU „ein Gebäude, das eine sehr hohe (…) Gesamtenergieeffizienz aufweist. Der fast bei null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen (…) gedeckt werden“ [2]. Für öffentliche Gebäude soll dies bereits ab 2019 gelten.

Aktivitäten des Bundes
Seit dem 1. Mai 2011 ist das novellierte Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Ener­gien-Wärmegesetz, kurz EEWärmeG) in Kraft. Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klimaschutzes, der Schonung fossiler Ressourcen und der Minderung der Abhängigkeit von Ener­gieimporten eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Wärme aus Erneuerbaren Energien zu fördern. Laut
EEWärmeG wird Abwasserwärme nicht als erneuerbare Energie eingestuft (§2 Abs.1), sondern als Abwärme (§2 Abs. 2). Die Nutzung von Abwärme ist aber eine Ersatzmaßnahme, wenn der Wärmeenergiebedarf zu mindestens 50% aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme gedeckt wird (§7). Dabei ist eine Mindest-Jahresarbeitszahl (gemäß Anlage Abschnitt III und IV) von 4,0 bei Nutzung der Wärmepumpe nur für Heizung und von 3,8 bei Nutzung für Heizung und Warmwasser zu erreichen [1].
Aus Abwasser zurückgewonnene Wärme kann helfen, die Anforderungen der kommenden Energieeinsparverordnung (EnEV 2013) sowie der dann bevorstehenden EnEV 2020 zu erfüllen, Klimaziele zu unterstützen und Betriebskosten zu sparen. Der Blick in die Zukunft reicht bei den Verantwortlichen in Berlin aber noch weiter: Die Bundesregierung will mit ihrem Energiekonzept den Wärmebedarf auch im Bestand langfristig senken, mit dem Ziel „bis 2050 nahezu einen klimaneutralen Gebäudebestand zu haben“ [3].

Kindertagesstätte verzichtet auf Heizkessel
Mit dem Kinderhaus Märzwiesen ist die Stadt Rauenberg (Rhein-Neckar-Kreis, im Norden Baden-Württembergs) Vorkämpfer dieser Initiative und zeigt, was im Einzelfall für öffentliche Gebäude schon heute möglich ist. Seit Januar 2010 werden dort 45 kW Heizbedarf ausschließlich durch die Abwärme aus dem Kanal gedeckt – monovalent, ohne zusätzliche Heiztechnik. Die Wärmeübertrager wurden nachträglich auf einer Strecke von 10m Länge in den vor dem Gebäude unter der Straße liegenden Mischwasserkanal eingebaut. Ein geschlossener Kreislauf gibt die gewonnenen 4K Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauf an die elektrisch betriebene Wärmepumpe im Gebäude ab. Laut Planung können so rund 47% der Energie eingespart werden [4]. Thomas Glasbrenner, Leiter des Bauamts Rauenberg, ist noch dabei, die erste vollständige Heizperiode 2011/2012 auszuwerten.
Was aus privaten Haushalten nach dem Duschen, Baden, Waschen den Abfluss hinunter gespült wird oder als Kühlwasser aus Industriebetrieben in die Kanalisation gelangt, ist wohltemperiert. Demnach besteht flächendeckend Bedarf für Abwasserwärmepumpen. Ihre Anwendung rechnet sich laut e.qua, dem Netzwerk Energierückgewinnung und Ressourcenmanagement Wasser/Abwasser, für jede Gemeinde mit mehr als 10.000 Einwohnern und entsprechendem Abwasserfluss. Besonders wirtschaftlich ist die Nutzung für Wärmegroßabnehmer wie Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser, Hallenbäder, Schulen und Wohnsiedlungen, aber auch für Industrie und Gewerbe sowie zur Versorgung von Nahwärmenetzen.

Fachverbund und Kompetenzzentrum
„Ging man bisher davon aus, dass 5 bis 10% aller Gebäude mit Abwasserwärme beheizt werden können, so weiß man heute, dass dieser Wert aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten und der veränderten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen höher liegt“, informiert Andreas Koschorreck. Er ist Geschäftsführer des Netzwerks e.qua. „Wärmegewinnung aus Abwasser erzielt eine CO2-Reduktion bis 60% und eine Einsparung an Primärenergie bis 40%.“
Das Unternehmensnetzwerk e.qua hat seinen Sitz in Berlin-Brandenburg und ist mittlerweile national agierender Fachverbund und Kompetenzzentrum für wasserwirtschaftliche Energierückgewinnung und Ressourcenmanagement. E.qua kooperiert eng mit Patentinhabern und Herstellern geeigneter Wärmerückgewinnungsanlagen und treibt eigene sowie in Partnerschaft entwickelte technische Lösungen und Produkte voran, um jeder Zielgruppe bedarfsgerechte Verfahren und Systeme zur Nutzung von Abwasserwärme anbieten zu können.

Methoden des Wärmeentzugs
Energie aus Abwasser kann im Gebäude, in der Kanalisation oder der Kläranlage gewonnen werden. Ideal ist eine Abwassertemperatur von mehr als 10°C. Dazu bieten sich vier Varianten der Wärmeentnahme aus dem Kanal an:
Nachträglich eingebaut: Auf der Kanalsohle befestigte, in der Regel aus Edelstahl gefertigte Elemente, mit geschlossenem Leitungskreis zur Wärmepumpe im Gebäude. Aufgrund des manuellen Einbaus erst ab DN 400.
Integriert: Bei Kanalneubauten direkt mit dem speziell dafür gefertigten Beton- oder Kunststoffrohr verbunden bzw. darin eingelassen, ab DN 300.
Extern: Wärmegewinnung außerhalb des Kanals durch einen Abwasserteilstrom, der zu einem oberirdischen Wärmetauscher und zurück geleitet wird. Die Entnahmetechnik hängt vom Kanaldurchmesser ab.
Inline: Bei der Sanierung von Kanalabschnitten werden sogenannte Inliner mit eingebauten Wärmetauschermatten eingezogen. Aufgrund ihres Materials ist der Wärmeübergang nicht optimal, doch eignet sich die Methode bereits ab DN 200.

Technik und Regelwerk
Durch die aus dem Abwasser entzogene Wärme kann mittels einer Wärmepumpe eine Vorlauftemperatur von maximal 70°C ereicht werden. Dies ist ausreichend für Heizung und Warmwasserbereitung. Wirtschaftlicher ist die Versorung einer Niedertemperaturheizung mit ca. 45 °C, denn je tiefer das Temperaturniveau der Wärmenutzung liegt, desto effizienter arbeiten die Anlagen.
In Verbindung mit einem Heizkessel ist die Versorgungssicherheit selbst bei Spitzenlasten gewährleistet. Die Kopplung mit einem Blockheizkraftwerk, das neben Wärme auch Strom für die Wärmepumpe erzeugt, ist ebenfalls möglich. Wird die Wärmepumpe im Sommer als Kältemaschine betrieben, kann das Kanalwasser auch zum Kühlen verwendet werden.
Im Juni 2009 wurde das DWA-Merkblatt 114 „Energie aus Abwasser – Wärme- und Lageenergie“ veröffentlicht [1]. Inhalt des Regelwerkes sind u.a. Grundlagen, Einsatzgebiete, Dimensionierung einer Wärmegewinnungsanlage, Wirtschaftlichkeit sowie der Bau und Betrieb einer Anlage. Enthalten sind auch Musterverträge für Vereinbarungen zwischen Bauherrschaft und Kanalbetreiber. Etwa 30 Anlagen sind derzeit hierzulande in Betrieb. Ein Dutzend Verfahren bzw. Hersteller aus Deutschland und der Schweiz stehen miteinander im Wettbewerb.
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Schutz vor Schmutz
Fouling, das Entstehen von Ablagerung und Biofilm als Sielhaut auf den vom Abwasser überströmten Wärmeübertragern, kann durch die unerwünscht dämmende Wirkung bis zu 50% des Wärmeertrags kosten. Beim Kinderhaus in Rauenberg wurde diese Wirkung bei der Bemessung der Anlagengröße vom Hersteller berücksichtigt. Das heißt, die zu erwartende Verschmutzung der nachträglich auf der Kanalsohle eingesetzten Edelstahlelemente wurde durch Überdimensionierung kompensiert, sodass keine Wartung für Reinigung nötig ist [4]. Eine andere Methode eines Herstellers, um Ablagerungen auf den Wärmeübertragern zu verhindern, sieht die Montage von Kupferstreifen zwischen den wärmeübertragenden Edelstahlelemente vor. Kupferionen sollen dabei die Oberfläche frei von Bewuchs halten, belas-ten allerdings das Abwasser mit Schwermetallen. Erfahrungen damit sind nicht bekannt.
Externe Systeme mit oberirdischem Wärmetauscher kommen bislang nicht ohne Wartung aus. Je nach Fabrikat laufen unterschiedliche Reinigungsintervalle und -methoden ab.

Politisches Interesse
Rund 15% der Wärmeenergie eines Hauses älterer Bauart fließen mit dem Abwasser durch den Kanalanschluss. Bezogen auf zukünftige Niedrigstenergiehäuser kann sich der Wert leicht verdreifachen. Diese Situation weckt auch das politische Interesse. So sagte Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der CDU-Bundestagsfraktion, in einem Interview zum Thema Innovationen in der Wasserwirtschaft: „…Optimierungspotenzial sehe ich insbesondere bei der Verbesserung der Energieeffizienz im Wassersektor, bei der Nutzung von Abwasser als Ressource für die Energiegewinnung. Auch die Rückgewinnung von Nährstoffen und Rohstoffen wird bei absehbar steigenden Preisen wirtschaftlich interessant. Ich begrüße es deshalb, dass die Bundesregierung die Entwicklung und Erprobung entsprechender Lösungen durch Forschungs- und Demonstrationsvorhaben fördert.“ Beispielhaft nannte die Sprecherin dazu die Forschungsvorhaben des Bundesumweltminis­teriums zu Möglichkeiten der Steigerung der Energieeffizienz bei kommunalen Kläranlagen und die Untersuchungen der Voraussetzungen für Projekte zur Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser [5].
Für eine steigende Anzahl von Projekten werden auch Energiepreissteigerungen, finanzielle Förderungen sowie verschärfte Energieeinsparverordnungen sorgen, die letztlich die Wärme aus Abwasser zunehmend attraktiv machen.

Literatur:
[1]    DWA-Regelwerk: Merkblatt DWA-M 114.
Energie aus Abwasser, Wärme und Lage­energie. (Hrsg.:) DWA, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. Hennef, Juni 2009
[2]    EU-Gebäuderichtlinie: Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung), verkündet am 16. Juni 2010 im Amtsblatt der Europäischen Union, Seite L 153/13 bis 153/35, gilt seit 1. Juli 2010. www.enev-online.de/epbd/2010
[3]    Energiekonzept der Bundesregierung: Deutscher Bundestag: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung und 10-Punkte-Sofortprogramm – Monitoring und Zwischenbericht der Bundesregierung, Drucksache 17/3049, vom 28.09.2010, www.bundestag.de
[4]    König, K. W.: Abwasser als Wertstoff. In: Wasserwirtschaft Wassertechnik, Heft 5, Huss Medien, Berlin, 2012
[5]    Interview „Vier Fragen …“. In: fbr-wasserspiegel 2/12, Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e.V. (fbr), Darm­stadt, 2012.
[6]    Energie aus Abwasser. gwf Praxiswissen, (Hrsg.:) Christine Ziegler, Band III. Oldenbourg Industrieverlag, München, 2011.
[7]    Stemplewski, J.: Deutschlands Abwassernetz – Der verborgene Schatz im Untergrund. In: bi Umweltbau Kongressausgabe, Verlag bi medien, Kiel, 2012.
[8]    Kleist, I.: Rohrleitungen in Zeiten neuer Energiekonzepte. In: Wasser und Abfall, Heft 12, Verlag Vieweg + Teubner, Wiesbaden,
2012.

Autor: Klaus W. König, Überlingen

www.e-qua.de
www.enev-online.de

 


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