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Wenn Theorie und Praxis sich unterscheiden

Der richtige Umgang mit Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen

Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen.

Beispiel Einbausituation Abkastung: „Curaflam Manschette XS Pro“ muss gemäß allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung beidseitig der Wand montiert werden. Die Wand muss eine Mindestdicke von 10 cm aufweisen. Zugelassen sind leichte Trennwände nach DIN 4102-4. Hier hat der Monteur versucht, alle Kriterien der Zulassung einzuhalten. Es bleibt allerdings eine Abweichung, da die aufgedoppelte Abkastung keine Wand nach DIN 4102 werden kann.

Beispiel Einbausituation Holzbalkendecke: „Curaflam Manschette XS Pro“ muss gemäß ihrer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung unter eine 15 cm dicke Massivdecke geschraubt werden. Hier hat der Monteur versucht, dieses Kriterium einzuhalten, indem er einen umlaufenden, mind. 10 cm großen Ausschnitt in die Holzbalkendecke geschnitten und diesen mit Beton ausgefüllt hat. Es bleibt allerdings eine Abweichung, da die richtigen Abstände zu den umliegenden Leitungen nicht eingehalten werden konnten.

Formular für Übereinstimmungs­bestätigung.

 

Brandschutzprodukte sind in der Praxis nur dann voll funktionstüchtig, wenn sie Regelkonform verbaut werden. Die dafür nötigen Details stehen in den jeweiligen Verwendbarkeitsnachweisen. Darin ist klar definiert, wo das Produkt zum Einsatz kommen darf und wie die Installation auszusehen hat. Oftmals zeigen die Bedingungen vor Ort allerdings ein anderes Bild, denn nicht jede Praxis-Situation spiegelt die geprüfte Verwendung wider. Der nachstehende Beitrag beantwortet häufig gestellte Fragen zu diesem Bereich und zeigt auf, was in solchen Situationen beachtet werden muss.

Was sind Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen? Wer benötigt einen sicheren Umgang mit Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen? Wie beurteilt man, ob eine Abweichung „wesentlich“ oder „nicht wesentlich“ ist? Was macht den Umgang mit Abweichungen sicher? Um diese Fragen beantworten zu können, muss zunächst die Begriffsbestimmung und die rechtliche Situation geklärt werden.
Die Bauordnungen der Bundesländer unterscheiden zwischen „Bauprodukt“ und „Bauart“. Setzt man zwei oder mehrere Bauprodukte zu einer baulichen Anlage oder zu einem Teil einer baulichen Anlage zusammen, entsteht eine Bauart. Geschieht dies mit Bauprodukten, die mit veröffent­lichten, technischen Regeln (z.B. einer DIN oder EN Norm) übereinstimmen, wird von „geregelten Bauprodukten“ gesprochen. Gibt es allerdings für ein Bauprodukt keine technischen Regeln oder wird von einer technischen Regel abgewichen, dann handelt es sich um „nicht geregelte Bauprodukte“.
Für Bauarten trifft diese Vorgehensweise auch zu. Der Einsatzbereich der nicht geregelten Bauprodukte und Bauarten wird in den Verwendbarkeitsnachweisen genau festgehalten. Die Bauordnung der Länder unterscheidet drei verschiedene Verwendbarkeitsnachweise für nicht geregelte Bauarten / Bauprodukte:

  • Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ).
  • Das allgemeine bauaufsichtliche Prüfzeugnis (abP).
  • Die Zustimmung im Einzelfall (ZIE).

Fast alle im vorbeugenden baulichen Brandschutz verwendeten Bauarten / Bauprodukte sind nicht geregelte Bauprodukte, wie Abschottungen für Leitungsdurchführungen, leichte Trennwände, Unterdeckenkonstruktionen, etc.
Die Bauregelliste kategorisiert alle Bauprodukte und Bauarten und ordnet ihnen einen Verwendbarkeitsnachweis zu. So wird in der Bauregelliste A Teil 3 genau unterschieden, welches Bauprodukt ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis (abP) oder eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) benötigt.
Bei Abschottungen für Leitungsdurchführungen wird zwischen Abschottungen unterschieden, die mithilfe von Strecken­isolierung ihre Feuerwiderstandsfähigkeit erreichen – hier wird eine abP als Verwendbarkeitsnachweis verlangt und Abschottungen, die mithilfe von intumeszierenden Stoffen den Querschnitt des Rohres im Brandfall verschließen. Hier wird eine abZ als Verwendbarkeitsnachweis verlangt. (BRL A Teil 3)

Wie funktioniert eine „Zustimmung im Einzelfall (ZIE)“?
Eine Zustimmung im Einzelfall (ZIE) wird benötigt, wenn bei der Verwendung von geregelten Bauprodukten/Bauarten, die in der Bauregelliste A Teil 1 stehen und gemäß den dort vorhandenen technischen Regeln erstellt worden sind, abgewichen wird. Oder wenn bei dem Einsatz eines nicht geregelten Bauprodukts aus der Bauregelliste A Teil 3 von dem Verwendbarkeitsnachweis wesentlich abgewichen wird.
Eine ZIE kann sowohl eine Bauart als auch ein Bauprodukt betreffen. Sie wird von der obersten Bauaufsicht des jeweiligen Landes ausgestellt und betrifft immer ein spezielles Bauvorhaben. Ein ZIE ist nicht auf andere Bauvorhaben übertragbar. Ist die Abweichung von dem Verwendbarkeitsnachweis allerdings nicht wesentlich, reicht für die Ausstellung der Übereinstimmungserklärung ein Hinweis der Abweichung aus. Mit der Übereinstimmungserklärung und dem Verwendbarkeitsnachweis oder mit der Zustimmung im Einzelfall und dem Verwendbarkeitsnachweis übergibt der Anwender die notwendige Dokumentation an den Bauherrn oder leitet sie an die zuständige Bauaufsichtsbehörde weiter.

Zur eigentlichen Fragestellung
Was ist eine Abweichung von einem Verwendbarkeitsnachweis, einer Bauart oder einem Bauprodukt? Und wie unterscheidet man eine wesentliche Abweichung von einer nicht wesentlichen Abweichung?
Liest man einen Verwendbarkeitsnachweis – z. B. eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung – so liegt es auf der Hand, dass eine Vielzahl an Vorgaben eingehalten werden muss, damit es zu keiner Abweichung kommt. Kann eine der Vorgaben lediglich aus einem Grund (oder mehreren) nicht eingehalten werden, besteht bereits eine Abweichung von dem Verwendbarkeitsnachweis. Schwieriger ist die Frage zu klären, ob es sich dann um eine wesentliche oder um eine nicht wesentliche Abweichung handelt.
Um dies einzuschätzen, bedarf es viel Erfahrung: Insbesondere im Umgang mit Brandschutzprodukten und mit dem Brandverhalten von Bauprodukten. Bei einer nicht wesentlichen Abweichung sollte sich die Konstruktion der Bauart nie so verändern, dass die geprüfte und festgelegte Feuerwiderstandsklasse nicht mehr gewährleistet werden kann.

Wer bestätigt die „nicht wesentliche Abweichung“?
Die Bauordnungen der Länder sehen als Nachweis die Übereinstimmungserklärung des Bauproduktes mit der Einbausituation vor und erkennen bei einer nicht wesentlichen Abweichung auch die Dokumentation der nicht wesentlichen Abweichung als Übereinstimmungserklärung an (Abs 1. § 22 MBO). Es wird danach unterschieden, ob die Abweichung durch eine Veränderung der technischen Regeln oder den Verwendbarkeitsnachweis erfolgte oder ob eine konstruktive Veränderung am Bauprodukt damit an der Bauart eine Abweichung zur Folge hatte.
Der Nachweis der Übereinstimmung mit den technischen Regeln oder dem Verwendbarkeitsnachweis wird in der Regel mit einem Ü-Zeichen dokumentiert. Sollte eine nicht wesentliche Abweichung von diesem Nachweis vorliegen und die Ab­weichung das konstruktive Bauprodukt betreffen, kann der Hersteller des Bauproduktes diese Abweichung beurteilen und ggf. die nicht wesentliche Abweichung bestätigen.
Alle Bauarten/Bauprodukte nach Bauregelliste A, Teil 3 fordern einen Übereinstimmungsnachweis, diesen überreicht der Anwender mit der Übereinstimmungserklärung. Der Anwender bestätigt, dass er die Bauart/ das Bauprodukt gemäß dem Verwendbarkeitsnachweis montiert hat. Er dokumentiert die vollständige Umsetzung der Vorgaben aus dem abZ oder abP. Kommt es hier zu nicht wesentlichen Abweichungen, dokumentiert der Anwender diese mithilfe der Übereinstimmungserklärung.
Abschottungssysteme von Leitungsanlagen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit, da hier aus verschieden Bauprodukten eine Bauart zusammengesetzt wird. Die Hersteller der Bauprodukte dokumentieren mit ihren Ü-Zeichen bereits die Verwendung des Bauproduktes, z. B.: dass eine Plattenkonstruktion für die leichte Trennwand verwendet werden darf. Der Anwender des Abschottungssystems bestätigt anschließend die Einhaltung aller Verwendbarkeitsnachweise der einzelnen Bauprodukte und bestätigt mit der Übereinstimmungserklärung des Verwendbarkeitsnachweises der Bauart, alle Vorgaben eingehalten zu haben.
Der sichere Umgang mit Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen ist daher für Anwender von Bauprodukten des vorbeugenden baulichen Brandschutzes ein „notwendiges Übel“. Zunächst muss festgelegt werden, ob die Abweichung vom Verwendbarkeitsnachweis des Bauproduktes in den Bereich des Herstellers oder ob die Abweichung in den Bereich des Erstellers der Bauart fällt. Der Nachweis über die Abweichung ist vom jeweiligen Verantwortlichen zu erbringen.
Anschließend ist zu klären, ob die Abweichung „wesentlich“ oder „nicht wesentlich“ ist. Die Festlegung trifft gemäß der oben genannten Definition der Hersteller des Bauproduktes oder der Ersteller der Bauart.
Ob der Ersteller der Bauart mit seinem Kow-how immer dazu in der Lage ist, zeigt sich im Einzelfall. Hilfestellung durch Hersteller des Bauproduktes bzw. Einschätzung durch den zuständigen Brandschutzsachverständigen vor Ort können helfen und sollten möglichst frühzeitig zurate gezogen werden.

Was macht den Umgang mit Abweichungen sicher?
Planerisch sollte der Brandschutz bzw. die Auswahl der Brandschutzprodukte im Vorfeld geklärt und festgelegt werden, damit ein zulassungskonformer Einbau möglich ist. Fazit: Eine exakte und vorausschauende Planung der notwendigen Brandschutzmaßnahmen reduziert die oben dargestellten Probleme. Besonders die Vielzahl der Abschottungssysteme und der immer kleiner werdende Platz, der für die haustechnischen Anlagen vorgesehen werden soll, macht eine Planung ohne Abweichung kaum mehr möglich.
Aktuell vernachlässigen viele Anwender das wichtige Thema der Verwendbarkeitsnachweise: Denn die Anforderungen an das Leistungsspektrum von Abschottungen von Leitungsanlagen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) bzw. das allgemeine bauaufsichtliche Prüfzeugnis (abP) werden immer umfangreicher und detaillierter. Um das Studium der Verwendbarkeitsnachweise zu umgehen, wird sich immer häufiger auf Produktinformationen der Hersteller verlassen; nicht tragfähige Informationen aus Katalogen oder Preislis­ten können eine fundierte Auseinandersetzung mit abZ / abP jedoch nicht ersetzen.
Eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung oder ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis ist mittlerweile so kompliziert, dass selbst Profis auf eine harte Probe gestellt werden. Immer mehr Zeit ist notwendig, um die abZ / abP zu durchdringen, eventuelle Vergleiche anzustellen und für die jeweilige Situation das Optimum herauszuholen.
Die Fehleranfälligkeit (bzw. die Abweichungsanfälligkeit) ist selbstverständlich abhängig vom jeweiligen Brandschutzprodukt. Je umfangreicher und vorausschauender ein Abschottungssystem bereits mögliche Bausituationen erfasst (insbesondere wenn unterschiedliche Rohrarten, Isolierungen oder Wand- und Deckensiuationen miteinbezogen werden sollen), desto sicherer ist die Anwendung des Systems. Die Abweichungen vom Verwendbarkeitsnachweis verringern sich damit.
Bei Unklarheiten sollte der Anwender immer den Hersteller des Systems und damit den Inhaber des Verwendbarkeitsnachweises kontaktieren. Dieser kennt sein System und hat Erfahrungen mit dem Verhalten im Brandfalle. So können eventuelle Leistungsreserven einen Hinweis auf die Einschätzung der Abweichung geben. Besteht weiterhin Zweifel an der Art der Ausführung, sollte ein Sachverständiger oder eine anerkannte Prüfstelle zurate gezogen werden.

Übereinstimmungs­bestätigung und Verwendbarkeitsnachweis
Der richtige Umgang mit Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen verlangt auf jeden Fall:

  • eingehende Auseinandersetzung mit den Nachweisverfahren,
  • ein „Studium“ der Verwendbarkeitsnachweise,
  • rechtzeitige Diskussion mit Planer und Bauherrn zur Auswahl der Bauprodukte,
  • eine gute Kommunikation mit dem Inhaber der Verwendbarkeitsnachweise und damit mit dem Hersteller des Bauproduktes.

Die oben genannten Stichpunkte helfen dabei, die Fülle der Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen zu reduzieren und schaffen mehr Sicherheit. Um den formalen Weg zur Verwendbarkeit einer Bauart (z. B. bei ggf. vorliegender nicht wesentlicher Abweichung) etwas zu erleichtern, ist im Textkasten ein Beispiel einer entsprechenden Übereinstimmungsbestätigung beigefügt.

Autorin: Sonja Friedel – Diplom-Ingenieurin, Fach­planerin für gebäudetechnischen Brandschutz (EIPOS) und Key-Account Brandschutz bei Doyma

Bilder: Doyma GmbH & Co

www.doyma.com

 

Übereinstimmungsbestätigung richtig erstellen

Es ist wichtig, eventuelle Abweichungen klar zu beschreiben:
1)    Welche Produkte, Systeme werden eingesetzt und nach welchen Verwendbarkeitsnachweisen (abZ, abP) wurde gearbeitet?
2)    Welche genauen Abweichungen liegen an welchen Stellen vor?
3)    Welche Kompensationen sind ggf. vorhanden und verbessern das Brandschutzniveau (z. B. dickere Bauteilstärke, dickere nichtbrennbare Dämmungen)?
4)    Wie kann begründet werden, dass die notwendigen Schutzziele nach Bauordnung trotz Abweichung erreicht werden? Gab es evtl. positive Brandversuche, die mit der vorliegenden Situation auf der Baustelle vergleichbar sind (z. B. Versuche der gleichen Rohrsysteme im Nullabstand)? Hat der Hersteller der Bauprodukte bzw. der Inhaber der Zulassung oder des Prüfzeugnisses hierzu etwas veröffentlicht?
Wenn auf der Baustelle abzusehen ist, dass nicht nach den Anforderungen des Verwendbarkeitsnachweises gebaut werden kann, sollte in jedem Falle der Auftraggeber vor der Errichtung einer Bauart oder der Verwendung eines Bauproduktes mit Abweichungen kontaktiert werden. Die nicht wesentliche Abweichung gilt zwar als Übereinstimmung, es kann aber im Bauvertrag eine Klausel (privatrechtliche Vereinbarung) geben, dass keine Abweichungen (egal ob wesentlich oder nicht wesentlich) zulässig sind.

 


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