Wenn der große Regen kommt
Flachdach-Notentwässerung: Was gilt es zu beachten?
Überflutete und eingestürzte Flachdächer, Regenwasser, das über Anschlüsse in Gebäude eindringt, Rückstau von überlasteten Kanalisationen. Die Folgen der Extremwetter werden immer häufiger traurige Realität. Dadurch hat auch die Notentwässerung flacher Dächer in den letzten Jahren einen neuen Stellenwert erhalten. Das Gebot der Stunde lautet: Das Wasser muss vom Dach – und zwar bevor es Schaden anrichten kann. Notentwässerung ist keine Ermessensfrage mehr, sondern ein Muss.
Da man das Wetter nicht ändern kann, gilt es die Vorsorge auszubauen. Nur so lassen sich Folgeschäden verhindern, bzw. eingrenzen. Daher gilt: Bei Neubauten ist die Installation einer Notentwässerung ein Muss. Die energetische Sanierung des Flachdachs stellt eine ideale Gelegenheit dar, die Entwässerung gleich mit zu sanieren. Laut DIN 1986-100, 12-2016 heißt es in Pkt. 5.8.4: „Wenn die Dachfläche eines Gebäudes saniert wird, muss das Abflussvermögen der vorhandenen Entwässerungsanlage überprüft werden. Gleichfalls ist zu kontrollieren, ob Notentwässerungen vorhanden, richtig angeordnet und auch ausreichend bemessen sind.“
70 Pkws auf dem Dach
Wasser hat ein oft unterschätztes Gewicht. Ohne eine regelgerecht ausgelegte Notentwässerung laufen bei Sturzregen innerhalb von Sekunden tonnenschweren Lasten auf. Ein Rechenbeispiel soll dies verdeutlichen: Ein zur Sanierung anstehendes Flachdach mit 4000 m² war nach der damals gültigen DIN 1986 für den Standort Rheda-Wiedenbrück regelkonform ausgelegt. Notentwässerungseinrichtungen waren allerdings nicht vorhanden. Im Falle eines Jahrhundertregens r(5,100), also einem fünfminütigen Starkregenereignis, der hier mit 686 l/(s · ha) angegeben ist, würden sich innerhalb von 5 Min. 82 320 l Wasser ansammeln, also 82,3 t Gewicht. Wenn bei dem besagten Jahrhundertregen das Entwässerungssystem komplett versagt, würde auf diesem Flachdach die Last von ca. 70 Pkws ruhen. Was dies für die Statik des Daches bedeutet, das kann man sich leicht ausrechnen.
Sträfliche Fahrlässigkeit vermeiden
Die DIN EN 12056, Teil 3 und die DIN 1986-100 fordern bei Neubauten und Sanierungen von Dächern daher neben einer Hauptentwässerung auch eine ausreichend dimensionierte Notentwässerung. Dabei sind die Regenentwässerungsanlagen so zu gestalten, dass bei Auftreten von Starkregen eine Gefährdung von Leben und Gesundheit ausgeschlossen ist und keine Schäden an der Gebäudesubstanz auftreten können.
Der Gesetzgeber fordert ganz klar, Menschenleben zu schützen. Maßgeblich gestützt werden die Forderungen u. a. durch die Musterbauordnungen, die auch den anerkannten Regeln der Technik zugrunde liegen. Für die Planung und Ausführung von Flachdachentwässerungen sind hier vor allen Dingen die DIN EN 12 056 Teil 3 und die DIN 1986-100 von Bedeutung. Demnach sind Bauherren verpflichtet, Gebäude nach der MBO §3 „so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden.“
Zur Erfüllung des Gesetzes sind dabei nach VOB/B § 4, Absatz 2 die „anerkannten Regeln der Technik (wie die DIN 1986-100) und die gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen zu beachten.“ Erhöhte Sorgfalt ist bei besonders schützenswerten Gebäuden gefordert: „Bei besonders schützenswerten Gebäuden (z. B. Krankenhäuser, Museen, Gefahrgutlager, Gebäude mit hoher Besucheranzahl, Schulen und Kindergärten etc.) sollte die Notentwässerung nach DIN 1986-100 Punkt 14.2.6 in der Lage sein, den Jahrhundertregen allein abzuführen.“ Insbesondere bei der Sanierung eines Flachdaches sind die wirtschaftliche Nachrüstung des Entwässerungssystems und die Anpassung an die DIN 1986-100 erforderlich.
Fraglicher Deckungsschutz
Sich eine Notentwässerung zu sparen, kann sich auch wirtschaftlich fatal auswirken. Bauherren, die bei Schäden durch extreme Regenereignisse auf Wiedergutmachung durch ihre Elementarversicherung vertrauen, sollten ihre Verträge noch einmal genau prüfen. Bei unzureichender oder fehlender Entwässerung und Notentwässerung ist die Rechtslage eindeutig. Das OLG Karlsruhe fällte am 20. September 2011 ein Urteil (OLG Karlsruhe, Urteil 12 U 92/11), das nachdenklich stimmt: „Abdeckung der Schäden durch die Elementarversicherung …. …wurde der Schaden durch unzureichende Entwässerung verursacht. Eine Anstauung von Wassermassen auf Flachdächern, Terrassen oder Balkonen aufgrund mangelnder Entwässerung ist davon nicht mit umfasst. Dabei handelt es sich vielmehr um das Ergebnis einer unzureichenden Errichtung oder Unterhaltung des Gebäudes, für welches der Versicherungsnehmer keinen Deckungsschutz aus der Elementarversicherung erwartet.“
Die Richtlinien für die Notentwässerung sind in den letzten Jahren an die veränderten klimatischen Bedingungen angepasst worden. Daher schreiben die DIN EN 12056-3 und die DIN 1986-100 den Einbau von Notabläufen verbindlich vor. Das bedeutet auch: Planer und Ausführende haften für ihre Arbeit.
Verantwortung übernehmen
Eine Entwässerungsanlage wird stets als Ganzes betrachtet, also aus der Zusammenarbeit von Haupt- und Notentwässerung berechnet. Das Notentwässerungssystem ist so zu planen, dass es mindestens die Differenz zwischen der Jahrhundert- und der Berechnungsregegenspende sicher entwässert. Zur Erinnerung: der Berechnungsregen r(5,5) ist ein Fünfminutenereignis, das einmal in 100 Jahren am Gebäudestandort zu erwarten ist. Als Jahrhundertregen r(5,100), wird ein fünfminütiges Extremregenereignis definiert, das statistisch über 1000 l/(s · ha) am Gebäudestandort bringen kann. Zu berücksichtigen ist, dass diese Regenereignisse regional sehr unterschiedlich ausfallen. Bei der Berechnung sind daher die am Gebäudestandort zu erwartenden Regenmengen einzusetzen. Basisdaten dazu liefern der Anhang zur DIN 1986-100 und der KOSTRA-DVD 2010, ein Starkregenkatalog des Deutschen Wetterdienstes.
Der große Vorteil der Notentwässerung ist, dass sie frei auf schadlos überflutbare Flächen entwässert, ohne die Kanalisation – die bei Starkregen sowieso überfordert ist – zusätzlich zu belasten. Die Notentwässerung läuft an, wenn die Hauptentwässerung überlastet ist und die für die Notentwässerung definierte Anstauhöhe erreicht ist. So wacht das Notentwässerungssystem darüber, dass die maximal verfügbare Stauhöhe des Daches nicht überschritten wird, da sonst eine übermäßig statische Belastung und Einsturz des Daches drohen.
Keine Qual der Wahl
Es stellt sich also nicht die Frage, ob eine Notentwässerung einzubauen ist, sondern wie sie einzubauen ist. Ob das Regenwasser frei über die Fassade oder über zusätzliche Leitungssysteme abgeführt wird, das entscheidet sich anhand der konstruktiven Merkmale des Gebäudes und seiner Platzierung auf dem Grundstück. Keinesfalls darf die Notentwässerung an die Rohre der Hauptentwässerung angeschlossen werden, die bei Starkregen meistens schon überlastet sind. Prinzipiell stehen drei Systeme zur Verfügung.
1. Entwässerung durch die Attika: Die einfachste Variante. Ein System, dass sich bei kleineren Dachflächen empfiehlt. Hier reichen in der Regel kleinere Wasserspeier, die den Stauregen frei durch die Attika entwässern, bzw. speien.
2. Verrohrte Entwässerung durch die Attika: Dieses System empfiehlt sich für etwas größere Dachflächen, bei denen eine gezielte Ableitung der Regenspende gewünscht wird. Das Regenwasser läuft hier durch den Gully und angeschlossene Fallrohre zum Übergabepunkt. Dieses System, das auch Edelstahlrohre umfasst, bedient ebenfalls optisch anspruchsvollere Objekte, die keine Speier und keine Wasserspuren an der Fassade wollen.
Der Hersteller Sita stellt hierzu beispielsweise zwei Produktlinien zur Wahl. Zum einen die flachen „SitaIndra“-Gullys, die im Freispiegelsystem durch die Attika entwässern und bei Druckströmungssystemen mit dem „SitaMore“-Anstauelement ausgerüstet werden. Und zum anderen der „SitaTurbo“, ein Edelstahlgully mit hoher Ablaufleistung, der allerdings nur im Freispiegelbereich verbaut werden kann. Angeschlossen an ein 4 m langes 125 DN-Fallrohr schafft ein Turbogully im Extremfall bis 22 l/Sek. vom Dach. Damit empfiehlt sich diese leistungsstarke Variante auch für Bauherren, die die Anzahl der Kernbohrungen in der Attika gering halten wollen.
3. Innenliegendes, verrohrtes Notentwässerungssystem: Dieses verrohrte System kommt zum Einsatz, wenn eine Notentwässerung durch die Attika nicht mehr praktikabel ist, das heißt, die bei Starkregen anfallenden Wassermengen zu hoch sind. Wir sprechen hier von weitläufigen Industriedächern mit ausgeprägter Tiefpunktentwässerung, die in der Regel dann auch gleich als Druckströmungssystem ausgelegt werden. Die Notentwässerung übernehmen hier leistungsstarke Druckströmungsgullys mit Anstauelementen. Druckströmungssysteme haben den Vorteil, dass sie das Regenwasser bereits unter der Dachkonstruktion sammeln und es über wenige Fallleitungen abführen – bei der Notentwässerung frei auf schadlos überflutbare Flächen. Dies und die gefällelose Verlegung der Sammelleitungen direkt unter der Hallendecke ermöglicht eine optimale Raum- und Hallennutzung mit einem Minimum an Fallleitungen. Die Berechnung dieser dritten Variante einer Notentwässerung ist nicht ohne. In der Regel wird in der Planungsphase daher gern auf Berechnungsservices der Hersteller zurückgegriffen.
Autor:
Rainer Pieper, Prokurist und Technischer
Leiter bei der Sita Bauelemente
Bilder: Sita Bauelemente GmbH
www.sita-bauelemente.de
Wissenssupport auf allen Ebenen
Notentwässerung ist zu einem hoch aktuellen Thema avanciert. Auf youtube findet sich unter dem Suchwort „Sita Notentwässerung“ ein Video, das das Prinzip veranschaulicht. Einen kurzen Überblick liefern zudem die „SitaTipps 011“, die auf der Unternehmens-Website unter dem Menüpunkt Service als PDF herunter geladen werden können. Tiefere Einblicke in die Thematik gibt die Technikinfo „Regen- und Notentwässerung von Flachdächern“, die ebenfalls auf der Homepage unter Downloads/Sonstiges verfügbar ist.