Spülen gegen Stagnation
Hygienespülsysteme für Trinkwasser-Installationen
Hygienespülsysteme bewirken einen kontrollierten Wasserwechsel, der sowohl auf die Installation als auch auf die Nutzung des Gebäudes abgestimmt werden kann. Diese Automatisierung ermöglicht dem Betreiber eine wirtschaftliche und rechtssichere Durchführung von Hygienespülungen. Je nach Anforderung stehen Hygienespülsysteme für die Integration in die gesamte Trinkwasser-Installation, für einzelne Entnahmestellen sowie auch für die Umrüstung vorhandener Sammelsicherungen zur Auswahl.
Die Vermeidung von Stagnation und kritischen Temperaturbereichen gilt als oberstes Prinzip für einen bestimmungsgemäßen Betrieb der Trinkwasser-Installation. Ein nicht bestimmungsgemäßer Betrieb ist nach der Definition der VDI-Richtlinie 6023 [1] eine „geänderte Betriebsweise einer Trinkwasser-Installation, die zu Beeinträchtigungen oder Gefährdungen für Anlagenteile führt und die Trinkwasserbeschaffenheit verändert.“ Hierzu zählt nach dem Wortlaut der Richtlinie auch „die längere Nichtnutzung einer Trinkwasser-Installation“.
Unerheblich ist bei der „Nichtnutzung“, ob die gesamte Installation oder nur Teile davon nicht oder kaum in Gebrauch bzw. Betrieb sind. Beides wirkt sich nachteilig auf die Trinkwasserhygiene aus, weil zum Beispiel eine mikrobiologische Belastung aus einem Stagnationsbereich auch in die Teile der Trinkwasser-Installation zurückwirken kann, die ausreichend durchströmt werden.
Nutzungsunterbrechungen und Erwärmung des Kaltwassers
Zu den Hauptursachen für Stagnation und unzulässige Erwärmung zählen nicht oder selten genutzte Entnahmestellen, zu geringe Fließgeschwindigkeiten in zu groß dimensionierten Rohrnetzen und unzureichende Rohrdämmungen. Weitere Einflussfaktoren für mögliche Beeinträchtigungen der Trinkwasserhygiene sind die Nutzung des Gebäudes und die Beschaffenheit der Trinkwasser-Installation. So muss in Gebäuden wie Schulen, Sportstätten, Hotels oder Krankenhäusern mit zeitweisen Nutzungsunterbrechungen gerechnet werden. Besonderes Augenmerk gilt es auf Trinkwasser-Installationen in Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeeinrichtungen zu richten. Nach einer aktuellen Umfrage der Partner für Wasser e. V. (PfW) sind gut 30 % der Trinkwasser-Installationen in Krankenhäusern und Pflegeheimen zwischen 25 und 100 Jahre alt [2]. Anhand dieses Ergebnisses kann darüber hinaus davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der Installationen aus veraltetem Material besteht und überdimensioniert sein dürfte. „Die Auswertung der Umfrageergebnisse zeigt, dass der Bereich Trinkwasserhygiene viel mehr Aufmerksamkeit verdient, weil er maßgeblichen Einfluss auf die Gesundheit der Patienten hat“, sagt der PfW-Vorsitzende Joachim Stücke über die Ergebnisse der Umfrage unter 1500 Einrichtungen.
Die Trinkwasserverordnung (TrinkwV) verfolgt den Zweck, dass vom Lebensmittel Trinkwasser keine Gefährdung für die Allgemeinheit oder für einzelne Personen ausgehen darf. Die Verantwortung für einen bestimmungsgemäßen Betrieb liegt im Sinne der Trinkwasserverordnung beim „Unternehmer oder sonstigen Inhaber der Trinkwasser-Installation“.
Es gilt der Grundsatz, dass Wasser fließen muss, um einer hygienischen Beeinträchtigung wirksam vorzubeugen. Kann ein bestimmungsgemäßer Betrieb nicht gewährleistet werden, muss der Erhalt der Trinkwassergüte durch regelmäßige Zwangsspülungen sichergestellt werden. Erfolgen diese Spülungen manuell, muss genau bekannt sein, welche Entnahmestellen wie lange zu spülen sind, um den nötigen Wasseraustausch sicherzustellen. Manuelle Spülungen erfordern jedoch personellen Einsatz, werden meist in zu großen oder zu kurzen Zeitabständen durchgeführt und können eine zuverlässige Spülung aller betreffenden Entnahmestellen nicht gewährleisten.
Um den notwendigen regelmäßigen Wasseraustausch sicherzustellen, können auch Hygienespülsysteme mit automatisch gesteuerten Spülungen eingesetzt werden. Ihr Hauptanwendungsbereich ist die Absicherung von stagnationsgefährdeten Teilen der Trinkwasser-Installation.
Erhalt der Trinkwassergüte hat Vorrang vor Wassersparen
Bei der Verwendung von Trinkwasser stehen zwei wesentliche Aspekte im Fokus: Die Einhaltung der Trinkwasserhygiene und der sparsame Umgang mit der Ressource Trinkwasser. Weil bei der Hygienespülung aber wertvolles Trinkwasser ungenutzt in das Entwässerungssystem abgeleitet wird, stehen Hygieneanforderung und Sparsamkeitsgebot im Widerspruch zueinander. Zudem wurden die Verbraucher in den vergangenen Jahrzehnten für einen möglichst sparsamen Umgang mit Wasser sensibilisiert. Der Effekt lässt sich mit Zahlen des Bundesumweltamtes belegen, wonach der Trinkwasserverbrauch seit 1991 von 144 auf 121 Liter pro Person und Tag gesunken ist. Mit daran beteiligt sind zum Beispiel auch wassersparende Spülarmaturen und Haushaltsgeräte.
Für die Trinkwasser-Installation gilt insbesondere, dass Stagnation und kritische Temperaturen zu vermeiden sind. Daraus ergeben sich folgende Aufgabenstellungen:
Temperaturerhöhung in Rohrleitungen für Trinkwasser kalt vermeiden
Von der öffentlichen Trinkwasserversorgung bis zum Hausanschluss fließt das Trinkwasser durch unterirdisch verlaufende Rohrleitungen, wo in den meisten Fällen sowie jahreszeitlich bedingt eine Temperatur unterhalb 20 °C herrscht. Innerhalb der Hausinstallation darf sich das kalte Trinkwasser auf nicht mehr als 25 °C erwärmen. Kritisch wirken sich hierbei vor allem die parallel zu Leitungen für Trinkwasser kalt verlaufenden Rohrleitungen für Heizung und Trinkwasser warm.
Schnellen und regelmäßigen Austausch des Trinkwassers kalt und warm sicherstellen
Anzustreben sind möglichst geringe Leitungsinhalte, ausreichend hohe Fließgeschwindigkeiten und die Vermeidung von überdimensionierten Trinkwassererwärmungsanlagen.
Teilstrecken und Einzelzuleitungen zu wenig genutzten Entnahmestellen vermeiden oder als durchströmte „Schleife“ führen
Als kritisch sind zum Beispiel die Leitungen zu bewerten, wie sie in den meisten Heizräumen und Sanitärverteilungen vorzufinden sind: Entleerleitungen am Verteiler, Anschlussleitungen für Ausgussbecken und Gartenbewässerung oder für die Nachfüllung der Heizungsanlage.
Durchströmung in Stockwerksinstallationen sicherstellen
Reihen- und Ringleitungssysteme für die Objektanschlüsse in Bädern und Sanitärräumen unterstützen durch Zwangsdurchströmung den bestimmungsgemäßen Betrieb. Bei Ringleitungssystemen sollte ein Hauptverbraucher am Ende der Stockwerksleitung angeordnet sein – also zum Beispiel WC oder Handwaschbecken.
Netzwerkfähige Spülsysteme
Zeit-, Intervall- oder temperaturgesteuert: Automatische Hygienespülsysteme sorgen abhängig von den Parametern Verweildauer oder Temperatur für den nötigen Wasseraustausch. Im Neubau oder bei Sanierungen lässt sich so auch bereits während der Bauphase die Einhaltung der Trinkwasserhygiene sicherstellen, wenn sowohl Trinkwasser- als auch Abwasserinstallation sowie die Hygienespülstation betriebsbereit sind. Dadurch lässt sich vermeiden, dass über die oft langen Bauzeiten erhebliche hygienische Beeinträchtigungen eingetreten sind, noch bevor die Trinkwasser-Installation überhaupt in Betrieb genommen wurde.
Mittels Temperatursensoren können auch Zirkulationsleitungen und Leitungsabschnitte, die zum Beispiel in Deckenabhängungen oder Schächten nahe an warmgehenden Trinkwasser- oder Heizungsleitungen liegen, sollwertabhängig in die Überwachung mit einbezogen werden.
Installateure und Anlagenbetreiber können bei einigen der am Markt verfügbaren Systeme über eine Smartphone-App auf die Funktionen zugreifen und Einstellungen individuell vornehmen oder ändern. Für die lückenlose Dokumentation von Spülvorgängen sind Statistiken über sämtliche Vorgänge abrufbar. Ausgelöste Spülvorgänge oder Störungen werden über die Gebäudeleittechnik oder über das Internet per E-Mail übermittelt. Automatische Hygienespülsysteme vermeiden Stagnation in den Leitungen und stellen die Einhaltung der vorgeschriebenen Temperaturbereiche für kaltes und warmes Trinkwasser sicher.
Literatur:
[1] VDI 6023 Blatt 1, Hygiene in Trinkwasser-Installationen – Anforderungen an Planung, Ausführung, Betrieb und Instandhaltung
[2] Partner für Wasser e.V., Interessengemeinschaft für den Erhalt und die Verbesserung der Trinkwasserqualität; Umfrage Trinkwasserhygiene in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen; www.partnerfuerwasser.de
Hygienespülsysteme für weitere Anwendungsbreiche
Wasseraustausch bis unmittelbar vor der Armatur
Reihen- und Ringleitungen ermöglichen ein Durchströmen bis zu den Armaturenanschlüssen, wenn an der letzten Entnahmestelle der Etagenverteilung eine regelmäßige Nutzung gegeben ist. Jedoch wird auch bei dieser Installationsform die Anschlussleitung zwischen Eckventil und Entnahmearmatur vom Wasserwechsel ausgeschlossen, sodass sich Bakterien und Keime in der Anschlussleitung zwischen Eckventil und Armatur vermehren konnten. In einem Kooperationsprojekt haben die in Olpe ansässigen Armaturenhersteller Schell und Kemper das Hygiene-System „HyTwin“ zur Vermeidung von Stagnation an Waschtischarmaturen entwickelt, um diese Sicherheitslücke zu schließen. Das Hygiene-System besteht aus mehreren Komponenten, die einen kontinuierlichen Wasseraustausch bis unmittelbar vor die Armaturen gewährleisten. Bereits bei kleinsten Volumenströmen sorgt der Strömungsverteiler für einen kontinuierlichen Wasseraustausch, indem ein Teilstrom des Wassers von der Wandeinbaubox über das „HyTwin“ Eckventil, über einen Anschlussschlauch zum Umlenk-T-Stück und von dort aus wieder zur Wandscheibenbox geführt wird.
Spülung direkt an der Entnahmearmatur
Entnahmestellen, die heute ausreichend genutzt werden, können schon morgen ein erhebliches Risiko durch unzureichende oder gar keine Wasserentnahme darstellen. Typische Beispiele für Gebäude mit Nutzungsunterbrechungen sind Tourismusbetriebe, Sportstätten, Bildungseinrichtungen, aber auch Ferienhäuser oder die schwankende Zimmerbelegung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
Der Armaturenhersteller WimTec hat ein Gesamtkonzept zur Sicherstellung der Trinkwasserhygiene entwickelt, das Armaturen für alle Wasserabgabestellen umfasst. Automatische WimTec HyPlus-Armaturen können einfach auf bestehende Wasserabgabestellen nachgerüstet und als Spülstationen im Bestand genutzt werden. Häufigkeit und Menge der Freispülung können durch die Vorgabe von Spülintervall (0,5 bis 24 Stunden) und Mindestspüldauer (10 bis 180 Sekunden) exakt eingestellt werden. Dabei erkennt die intelligente Elektronik an jeder Zapfstelle, ob eine Benutzung stattgefunden hat. Darüber hinaus erfasst sie die Entnahmedauer, die sie über das eingestellte Spülintervall aufsummiert. Wird die Wasserabgabestelle im festgelegten Spülintervall zu wenig benutzt, spült die intelligente Freispül-Automatik nur die erforderliche Restmenge laut eingestellter Mindestspüldauer aus. Bei ausreichender Benutzung innerhalb des festgelegten Spülintervalls findet keine zusätzliche Spülung statt.
Umrüstung von Rohrbelüftern zu Hygienespülungen
In vielen bestehenden Gebäuden sind Trinkwasser-Installationen in Betrieb, die nach der früheren Fassung der DIN 1988 mit Sammelsicherungen ausgerüstet sind. So existieren noch in zahllosen Mehrfamilienhäusern Strang-Rohrbelüfter, deren Anbindestrecken nicht durchströmt werden. Gemessen ab dem letzten Steigleitungsabgang handelt es sich dabei um nicht durchströmte Rohrlängen mit Längen von mindestens
30 cm bis über 1 m. Ein Rückbau dieser Rohrleitungen wäre in den meisten Fällen nicht ohne Abbrucharbeiten möglich. Seppelfricke bietet hierfür einen Spül-Nachrüstsatz an, der gegen einen vorhandenen Rohrbelüfter getauscht wird. Mit einem batteriebetriebenen Magnetventil wird der bisherige Rohrbelüfter damit zur automatischen Hygienespülstation. Zur Ableitung des Spülwassers dienen die bei Rohrbelüftern der Bauform E vorhandenen Ablauftrichter. Seppelfricke hat insgesamt neun Ausführungen konzipiert, um den unterschiedlichen Einbauweisen Rechnung zu tragen. So gibt es beispielsweise eine Aufputz- oder Unterputzlösung sowie einen doppelten Nachrüstsatz für Kalt- und Warmwasser.
Trinkwasserhygiene 2017
Eine zu diesem Artikel gehörende Marktübersicht stellt aktuelle Entwicklungen bei Hygienespülstationen vor. Der gesamte Artikel und die Marktübersicht sind Bestandteil des IKZ-Sonderheftes Trinkwasserhygiene 2017. Auf 100 Seiten informieren 20 Artikel zu den Themen Planung, Praxiswissen, Gefährdungsanalyse und Recht. Es ist zu einem Preis von 10,- Euro inkl. MwSt. und Versand gegen Rechnung bequem per E-Mail zu bestellen:
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