Gestaltung von Sanitärräumen in Notunterkünften
Einfluss ethischer Unterschiede auf die Installationsgewohnheiten
Rund 5 Mio. Menschen mit moslemischem Glauben leben Schätzungen zufolge in Deutschland. Sie bewohnen mehr als 1 Mio. Wohnungen und Häuser und arbeiten in einer Vielzahl von Geschäften und Betrieben. 2660 Gebetshäuser und 143 Moscheen führt „Statista“ auf, wobei andere Quellen höhere Zahlen nennen. Dazu kommt nun der Zustrom an vielen Hundertausenden Flüchtlingen, die zum großen Teil ebenfalls moslemischen Glaubens sind. Trotz des wachsenden Anteils sind die speziellen Anforderungen dieser Ethnie an ihre Sanitärräume in der Fachöffentlichkeit nur wenig bekannt. Dies hat mitunter erhebliche Konsequenzen. So weigern sich beispielsweise Flüchtlinge mit moslemischem Glauben regelmäßig, die in den Notunterkünften installierten „herkömmlichen“ Toiletten zu benutzen. Über die Gründe dafür, über Anforderungen und Lösungen sprachen wir mit Dr. Peter Arens, Leiter Produktmanagement beim Armaturenhersteller Schell.
IKZ-HAUSTECHNIK: Dass sich Flüchtlinge weigern, die für uns normalen Toiletten zu benutzen, stößt bei vielen erst einmal auf Unverständnis. Nennen Sie uns den Grund dafür?
Peter Arens: Nun, in der Tat fand ich es zunächst ebenfalls befremdlich, dass Menschen, die mit Glück und unter unglaublichen Strapazen ihr Land verlassen konnten, sich an dem stillen Örtchen hierzulande stören und dort konkret Waschmöglichkeiten für die Intimreinigung wie Hygieneduschen fordern. Aus unserer Sicht ist das ja ein Luxusprodukt. Doch der Grund ist nachvollziehbar: Es ist seit Jahrhunderten eine religiöse Pflicht für Gläubige, sich vor dem Gebet umfassend zu waschen.
Einfache Hygieneduschen, wie man sie aus orientalischen oder fernöstlichen Ländern kennt, wären eine Lösung. Die Gesundheitsämter lehnen aber einen direkten Anschluss von Hygieneduschen an die Trinkwasser-Installation mit Recht ab, wenn sie lediglich über einen Systemtrenner abgesichert würden und verweisen dabei auf die DIN EN 1717.
IKZ-HAUSTECHNIK: Muss es denn gleich eine Hygienedusche sein – geht es nicht einfacher?
Peter Arens: Sie haben Recht. Ein Gefäß oder eine Schale mit einer Schöpfkelle wären tendenziell durchaus ausreichend. Zumindest im privaten Bereich. Aber in einer Massenunterkunft? Ich möchte mir gar nicht vorstellen, welche Möglichkeiten der gegenseitigen Ansteckung über Fäkalkeime entstehen könnten.
IKZ-HAUSTECHNIK: Demnach wäre aus hygienischer Sicht eine DIN EN 1717-gerechte Lösung notwendig. Was muss sie denn leisten?
Peter Arens: Gemäß DIN EN 1717 gilt es, eine Hygienedusche nach Kategorie 5 abzusichern. Kategorie 5 beschreibt „Flüssigkeit, die eine Gesundheitsgefährdung für Menschen durch die Anwesenheit von mikrobiellen oder viruellen Erregern übertragbarer Krankheiten darstellt“. Erreicht wird dies gängiger Weise über einen freien Auslauf AA, AB oder AD, also über einen Vorlagebehälter mit Pumpe für die nachgelagerte Installation. Wir kennen dies beispielsweise von Zahnarztstühlen. Dies erschien uns jedoch als zu aufwendig und zu teuer für Notunterkünfte, die ja von den Kommunen bezahlt werden müssen.
Gleiches gilt für die von einigen Herstellern angebotenen professionellen Dusch-WCs. Eine hygienische wie komfortable Lösung, aber gerade für Flüchtlingsunterkünfte aufgrund der hohen Preise und erforderlichen Stückzahlen einfach nicht bezahlbar.
IKZ-HAUSTECHNIK: Welche bezahlbare Lösung schlagen Sie vor?
Peter Arens: Die Verwendung eines handelsüblichen Spülkastens, der ja alle Anforderungen an die Absicherung nach Kategorie 5 bereits erfüllt. Daraus entwickelten wir die Idee, diesen ohnehin benötigten Spülkasten wie früher deckenhoch zu hängen, mit einem zweiten Abgang zu versehen und an diesen eine Hygienedusche direkt oder indirekt anzuschließen. Wir wussten nur nicht, ob der geodätische Druck von 0,2 bar ausreichen würde für die Druckverluste der Hygienedusche und den Reinigungsvorgang. Also haben wir bei einem Großhandel die Komponenten zusammengetragen und erste Versuche gestartet. Wie sich zeigte, reicht der Druck aus. Im weiteren Versuchsverlauf wurden wir von Moslems sogar gebeten, den so anstehenden Wasserdruck noch zu reduzieren und einstellbar zu gestalten – das geht am einfachsten über ein handelsübliches Eckregulierventil.
Diese Grundidee erfüllt alle Anforderungen an eine technisch einwandfreie und gleichzeitig kostengünstige Lösung. Sicherlich wäre auch eine Unterputzversion problemlos realisierbar statt der gerade skizzierten Aufputzversion mit der altbekannten Zugkette. Aber es sollte ja einfach und kostengünstig bleiben – eine Unterputzversion benötigte eine Fernauslösung, einen raumhohen Montagerahmen etc., was die Aufwände deutlich erhöhen würde. Dennoch haben wir auch auf diese Variante ein Schutzrecht angemeldet.
IKZ-HAUSTECHNIK: Das klingt ein wenig nach der Renaissance des Aufputzspülkastens. Angesichts der Vielzahl an technischen Lösungen mit Designanspruch gerade im Vor-der-Wand-Bereich bekommt die von Ihnen skizzierte Lösung lediglich das Prädikat funktionell mit dem Beigeschmack einer Übergangslösung. Glauben Sie, dass diese Lösung abseits von Massenunterkünften tatsächlich Akzeptanz finden kann?
Peter Arens: Ja und nein. In der Fachpresse sieht man natürlich wunderbare Bäder für den Privatbereich und den gehobenen Wohnungsbau. In diesem Segment würde sich nur eine Unterputzlösung mit hochwertigen Armaturen, Hygieneduschen und Design-Eckventilen durchsetzen. Im unteren und mittleren Wohnungsbau sehen die Realitäten jedoch anders aus. Hier hat der Aufputzspülkasten abseits aller Hochglanzfotos noch immer eine hohe Bedeutung. Und genau in diesem Segment benötigen wir schnell und kostengünstig neuen Wohnraum. Denn nur so kann Integration gelingen und die Notunterkünfte bleiben Übergangsstationen. Wir werden daher zum Ende des ersten Quartals 2016 über den Großhandel unsere Lösung anbieten. Und wer es etwas schicker möchte, legt zusätzlich eine verchromte Leitung vom Spülkasten in die Nähe der Toilette… Diese einfachen Lösungen sind hygienisch einwandfrei, nachrüstbar, kostengünstig und erfüllen die religiösen Bedürfnisse der Zielgruppe. Die Alternative wären „Bastellösungen“ der Betroffenen, die ja von ihren mehreren Hundert Jahre alten, religiös bedingten Traditionen nicht abweichen dürfen. Letztendlich geht es also weniger um die Ästhetik, als um eine auf die Situation und Anforderungen abgestimmte Lösung. Aber natürlich verkaufen wir gern auch „High-End“-Lösungen, was Technik und Design angeht!
IKZ-HAUSTECHNIK: Ist der freie Auslauf die einzige regelkonforme Möglichkeit der Absicherung einer Trinkwasseranlage? Es gibt in der DIN EN 1717 doch noch den Rohrunterbrecher Typ DC mit ständiger Verbindung zur Atmosphäre. Ließe sich daraus nicht eine Absicherung für Hygieneduschen generieren?
Peter Arens: Generell ist dieser ebenfalls zur Absicherung der Kategorie 5 geeignet, wenn p = atm. Es darf also hinter dem Rohrunterbecher keine Absperrung vorhanden sein – die DIN EN 1717 und die Hersteller weisen darauf auch deutlich hin! Weiterhin muss die Absicherung mindestens 150 mm über dem maximalen Flüssigkeitsspiegel liegen. Dadurch wird das Ganze nicht mehr praktikabel, wenn man sich vorstellt, Sie hätten eine Hygienedusche ohne endständige Betätigung in der rechten Hand und müssten gleichzeitig mit der rechten Hand das Eckventil aufdrehen. Das geht nicht wirklich. Daher könnte ich mir einen solchen Rohrunterbrecher DC höchstens übergangsweise in Wohnungen mit einfachem Dusch-WC vorstellen, die heute über keine Absicherung verfügen. Man müsste dann aber noch im Einzelfall prüfen, wie die notwendige Anschlusshöhe sicherzustellen und möglicherweise die Nachrüstung einer Hygienedusche mit Absperrung zu verhindern sind.
IKZ-HAUSTECHNIK: Zurück zur Hygienedusche: Jeder der beiden Hände wird religiös eine klare Aufgabe zugewiesen, die auch die Anordnung der Hygienedusche im Bad bestimmt.
Peter Arens: Das stimmt. Die rechte Hand ist die saubere Hand, die linke ist die reinigende Hand. Daher muss die Hygienedusche in Sitzrichtung rechts von der Toilette angeordnet sein, um sie mit der rechten Hand bedienen zu können.
IKZ-HAUSTECHNIK: Gibt es noch weitere ethnisch bedingte Wünsche an die Gestaltung der Sanitärräume?
Peter Arens: Ja. Auf Urinale kann weitgehend verzichtet werden, da Steh- und Sitztoiletten deutlich bevorzugt werden. Auch Bidets sind kaum geeignet. Zum einen benötigen sie viel Platz, zum anderen sind sie in Summe teurer als die Lösung mit der Hygienedusche. In den Herkunftsländern der Moslems sind Bidets ohnehin nahezu unbekannt.
Waschtische sollten nicht auf den üblichen 85 cm Höhe befestigt werden, sondern ungefähr auf 60 cm. Grund dafür sind die rituellen Waschungen, die ebenfalls vor dem Gebet vorgenommen werden müssen und in die auch die Füße einbezogen werden. Bei der üblichen Befestigungshöhe erfordert eine Fußwaschung eine hohe Gelenkigkeit und gute Befestigung der Waschtische. Diese Unfall- und Verletzungsgefahr lässt sich durch eine niedrigere Höhe minimieren!
IKZ-HAUSTECHNIK: Was bedeuten diese Anforderungen für den Fachplaner und Handwerker?
Peter Arens: Wenn dem Fachmann diese wenigen Unterschiede bewusst sind, ist die Umsetzung einfach, kostengünstig und mit den bekannten Techniken realisierbar. Dass Fachhandwerker oder Vermieter bislang nur sehr selten mit diesen Anforderungen konfrontiert gewesen sind, liegt an dem hohen Anteil an Eigeninitiative. Daher haben sich viele der hier lebenden Moslems ihre Hygienedusche oder auch ein einfaches Dusch-WC aus der Heimat mitgebracht. Dort sind diese Produkte üblich und daher problemlos verfügbar. Ich habe bei meinen Recherchen in den letzten Monaten den Eindruck gewonnen, dass in sehr vielen Wohnungen und Häusern solche Einrichtungen installiert, aber natürlich nicht fachgerecht abgesichert sind. Daraus kann man aber niemandem einen Vorwurf machen – denn auch der Normaldeutsche kennt die DIN EN 1717 nicht.
IKZ-HAUSTECHNIK: Wie sieht denn so ein einfaches Dusch-WC aus?
Peter Arens: Es handelt sich um eine handelsübliche WC-Keramik mit einer Wasser-Durchführung durch den hinteren Spülrand und einer offenen Düse ins WC. Es gibt aber auch Toilettensitze mit dieser einfachen Technik im Sitz. Gemeinsam ist beiden Varianten, dass sie über ein Eckventil mittels Schlauch direkt an das Kaltwasser angeschlossen sind. Davon sind Hunderttausende in Deutschland bereits installiert. Ich glaube daher, dass dieses Thema die Wohnungswirtschaft noch über längere Zeit beschäftigen wird. Denn zum einen sind sie für die Trinkwasserbeschaffenheit in ihren Gebäuden verantwortlich, zum anderen sind Moslems eine wichtige Mietergruppe. Bietet man ihnen eine entsprechend ausgestattete bzw. vorgerüstete Wohnung an, kann dies der ausschlaggebende Mietgrund sein…
Bilder: Schell, Olpe