Fluktuation: Wenn Mitarbeiter kündigen
Wie es gar nicht so weit kommen muss
Der Arbeitgeber ist meist überrascht, wenn ein Mitarbeiter eine Eigenkündigung vornimmt. Für das Team kommt es zu Mehrarbeit und höherem Arbeitstempo, wenn die freie Stelle nicht gleich besetzt werden kann. Weil sich qualifiziertes Personal nicht schnell rekrutieren lässt, kommt es darauf an, die bestehenden Arbeitsverhältnisse zu halten.
Zufriedenheit mit dem Gehalt (Good Pay) ist für die meisten sehr wichtig. Wenn die Unzufriedenheit mit dem Gehalt zum Stellenwechsel führt, muss die Differenz spürbar sein. Nicht immer treibt das Gehalt Mitarbeiter zum Stellenwechsel an. Für viele muss das, was man mit dem Begriff „Arbeitszufriedenheit“ bezeichnet, weitgehend stimmen: Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes, Stimmung im Team, die neueste Technik, Flexibilität der Arbeitszeiten, bezahlte Überstunden, Entgegenkommen bei persönlichen Wünschen. Ein erstklassiges Betriebsklima und ein eingespieltes Team können Gehaltswünsche teilweise kompensieren.
Kasten 1: Typische Kündigungsgründe
- Arbeitszeiten und Überstunden
- Veraltete Technik und Werkzeuge
- Schlechtes Betriebsklima
- Unzufriedenheit mit dem Gehalt
- Mangelnde Entwicklungschancen
- Stellenangebote einer anderen Firma
- Ungerechte Aufgabenverteilung
- Unzufriedenheit mit der Führung
- Ständiger Termindruck
- Wenig Selbstständigkeit
- Probleme mit Kollegen
- Permanenter Stress mit Terminen
Vor der offiziellen Eigenkündigung steht die „innere Kündigung“ des Mitarbeiters, die erkennbar ist, wenn er plötzlich viel kritisiert und sich dem Team gegenüber verschließt. Von der ersten Überlegung bis zur Kündigung ist es für ihn ein langer Weg, wer genau hinsieht, erkennt seine Unzufriedenheit. Nachlassende Zufriedenheit wirkt gruppendynamisch und kann ausstrahlen, es kann zur „Kettenreaktion“ kommen. Wenn jemand kündigt, könnte auch ein Kollege seine Kündigung einreichen: Fluktuation fördert Fluktuation.
Ist die Kündigung ausgesprochen, gibt es meist keinen Weg mehr zurück, denn man kündigt erst, wenn man schon woanders unterschrieben hat. Wenn der Arbeitgeber sein Team beobachtet, müsste es auffallen, wenn sich jemand mit der „Inneren Kündigung“ befasst. Kritische Äußerungen können schon ein erstes „Warnzeichen“ sein und sollten nicht überhört werden. Ein Gewitter kommt nur selten aus heiterem Himmel, es bahnt sich an.
Bei Eigenkündigung eines Mitarbeiters betreibt man Selbstreflexion (Kasten 1): Was ist die Ursache der Kündigung? Was kann man präventiv tun? Andererseits lässt man sich durch Forderungen eines Mitarbeiters nicht erpressen. Jemanden mit „Gewalt und Überredung“ festhalten, funktioniert nur kurzfristig. Wer Zugeständnisse macht, um ihn zu halten, verliert an Autorität, und wird „ausgenutzt“. Mitarbeiter lassen sich halten durch die Wertschätzung des Vorgesetzten, durch die Bestätigung, dass jeder durch seine Arbeit Werte schafft und zum Betriebserfolg beiträgt. Erfreulich, dass dies in vielen Betrieben erfolgreich realisiert wird.
Bei neuen Mitarbeitern ist die Gefahr der Eigenkündigung besonders hoch. Auch bei Azubis ist die Fluktuation in oder gleich nach der Probezeit unverhältnismäßig hoch. Wer sich dauerhaft unwohl fühlt, reduziert sein Engagement und sucht sich eine neue Stelle. Daher gilt: Sorgfältiges „On Boarding“ vermeidet meist schnelles „Off Boarding“.
Mitarbeiterbindung verhindert Off Boarding
Unter dem Begriff „Retention“ (to retain: festhalten, bewahren) werden Bindungsfaktoren verstanden, mit denen der Arbeitgeber die Fluktuation der Mitarbeiter verringert und diese zum Verbleib in der Firma motiviert. Werden die Bindungsfaktoren verstärkt, sinken die Kündigungsgründe im gleichen Umfang. Die Fähigkeit, gutes Personal auch emotional zu binden, reduziert Fluktuation. Auch die Gleichbehandlung aller Mitarbeiter zählt dazu.
Die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist das Mindestziel, das Maxi-Ziel wäre die Begeisterung einzelner Mitarbeiter, die damit auch ihre Kollegen beeinflussen. Auch wenn Kritiker meinen, der Betrieb sei kein Streichelzoo: Besonders motivierend sind Lob und Anerkennung bei besonderen Leistungen, die zu den klassischen Bindungsfaktoren gehören. Ein ausgeprägtes Wir-Gefühl im Team reduziert Kündigungen. Gelegentlich kann auch Mobbing durch Kollegen eine Kündigung auslösen. Hat der Arbeitgeber ein Auge auf die Zusammenarbeit und kennt die Stimmung in seinem Team, erfasst er kritische Situationen und schreitet ein.
Kasten 2: Top-Bindungsfaktoren
- Einflussnahme der Mitarbeiter auf den betrieblichen Alltag
- Work-Life-Balance, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
- Wahrnehmung und Wertschätzung des Einzelnen
- Gemeinsame Besuche eines Konzerts, oder der Grillabend im Sommer
- Zufriedenheitserlebnisse durch Erfüllung kleinerer Privatwünsche
- Moderne Arbeitsplätze, neueste Technik
- Wohlfühlatmosphäre durch erstklassiges Betriebsklima
- Kooperative Führung des Personals
- Vermeiden von permanenter Überforderung
- Die innere positive Einstellung zu allen Mitarbeitern
Kleine und mittelständische Unternehmen haben keinesfalls schlechte Karten, wenn es um die Attraktivität des Arbeitsplatzes geht. Arbeitsatmosphäre, Gestaltungsfreiheit und zeitgemäße Führung tragen zur Bindung der Mitarbeiter bei. Die Einflussnahme des Einzelnen auf den Betriebsalltag wird von Mitarbeitern sehr geschätzt. Aspekte wie „Work Life Balance“, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gehören zu den zehn Top-Bindungsfaktoren (Kasten 2).
Zufriedenheit im Team und Employer Branding
Mitarbeiter sind immer so gut, wie sie geführt werden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen neu eingestellte Mitarbeiter und Praktikanten, für die eine Integration in den Betrieb nicht so leicht ist. Kunden werden wie Könige behandelt, genießen oberste Priorität. Die Einstellung „Meine Mitarbeiterinnen sind mir genauso wichtig wie meine Kunden“ muss für das Personal erkennbar sein. Hierzu bieten sich zahlreiche Möglichkeiten an, von der Gratulation zum Geburtstag über den gemeinsamen Besuch eines Open-Air-Konzerts, bis zum Grillfest im Sommer oder der Weihnachtsfeier.
So wie ein Produkt zur Marke wird, kann auch die Firma mit ihrem Image zur Marke (Employer Branding) werden. Der Ruf als beliebter Arbeitgeber entscheidet auch über die Ausbildungsbewerbungen. Die „Arbeitgebermarke“ sorgt für eine nachhaltige und kostenlose Werbung. Image ist kein Zufallsprodukt, es entsteht durch aktive Bemühungen. Imageträger der Firma sind nicht nur zufriedene und begeisterte Kunden, auch die Zufriedenheit im Team prägt das Erscheinungsbild.
Autor: Dipl. Betriebswirt Rolf Leicher