Mehr Luft im Effizienzhaus
Verschiebung von Heiz- zu Kühlbedarf macht Anpassungen der Haustechnik notwendig
Die Bautechnik ist im Umbruch: Immer schärfere Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) zum Primärenergiebedarf und den Dämmwerten der Gebäudehülle reduzieren den Heizwärmebedarf. Angemessene solare Gewinne sind daher wünschenswert, denn sie verbessern in Heizperioden die Energieeffizienz. Im Sommer aber sind sie oft des Guten zu viel. Es gilt also, technisch wie wirtschaftlich sinnvolle Antworten zu finden, die den sinkenden Heizbedarf im Winter und den steigenden Kühlbedarf im Sommer vereinen können – einschließlich einer angenehmen Raumluftqualität. Als Lösung kommt das Heizen und Kühlen mit Luft infrage.
Das Planen komfortablen Wohnraums steht vor drei Paradigmenwechseln: Zum einen wird bald nicht mehr nur die Heizlast für die Wahl der Anlagentechnik entscheidend sein, sondern auch der Kühlbedarf. Zweitens ist die mechanische Wohnungslüftung nicht mehr eine optionale Wunschausstattung, sondern ein Muss für die Wohnqualität und den Bautenschutz. Und drittens muss die Anlagentechnik vereinfacht werden. Denn spätestens mit der vorgeschriebenen Einkopplung Regenerativer Energie wird die Haustechnik so komplex in der Regelung und komponentenreich in der Hardware. Speziell in Einfamilienhäusern wird sich künftig ein tiefgreifender Wandel vollziehen, wie in energieeffizienten Häusern geheizt, gekühlt und gelüftet wird. Dazu einige Fakten.
Kühlbedarf rückt in den Vordergrund
Fest steht: In ganz Europa sollen demnächst nur noch Niedrigstenergiehäuser gebaut werden. Welche konkreten Kennwerte dann für Neubauten gelten, wird derzeit am Tisch der EU-Kommission verhandelt. Eine Richtung gibt es allerdings schon. Die „Empfehlung (EU) 2016/1318 der Kommission“ vom 29. Juli 2016 lautet für Einfamilienhäuser: ein Bedarf an Nettoprimärenergie zwischen 20 und 40 kWh/(m2 · a). Dabei soll der Primärenergieverbrauch von 50 bis 70 kWh/(m² · a) nicht überschritten werden und i. d. R. mit 30 kWh/(m² · a) durch vor Ort gewonnene Energie aus erneuerbaren Quellen gedeckt sein.
Der Anteil des Energiebedarfs für Heizwärme wird somit noch unter dem für die Trinkwassererwärmung liegen. Die Leistung der aktuell auf dem Markt dominierenden Heizgeräte ist hier mehrfach überdimensioniert. „Die Heizung in einem Einfamilienhaus gemäß den tatsächlichen Anforderungen zu dimensionieren, kann Geldmittel freigeben, die der Bauherr für neue Systeme benötigt, beispielsweise für eine Photovoltaikanlage, die den Strom für eine Wärmepumpe oder die E-Mobilität erzeugt“, meint Dipl.-Ing. Sven Haustein. Der Architekt im Büro der Haalarchitekten aus Schwäbisch Hall hat sich auf den Bau hochwertiger Häuser in effizienter Bauweise spezialisiert.
Eine Wärmepumpe leistungsgerecht auf einen sinkenden Heizwärmebedarf anzupassen und aus eigener Stromgewinnung zu betreiben, kann aber nur zum Teil die künftigen Herausforderungen lösen. Denn durch solare Gewinne in Kombination mit einer dichten, hochwärmegedämmten Gebäudehülle kann es zu einer Überhitzung der Räume in der Sommerzeit kommen – selbst bei einer fachgerechten Planung des sommerlichen Wärmeschutzes. Ohne aktive Kühlung lässt sich die Wärme nicht mehr abtransportieren. Kühlsysteme, die den Primärenergiebedarf des Hauses nicht unzulässig in die Höhe treiben, sind allerdings noch Mangelware. Die passive Kühlung über eine Wärmepumpe und Wohnungslüftung reicht in Gebäuden von hoher energieeffizienter Güte oft nicht aus.
Daraus folgt der erste Paradigmenwechsel: In der Haustechnik für Niedrigenergiehäuser wird ein effizientes Kühlsystem mindestens genauso wichtig wie die zuverlässige Wärmeerzeugung für Räume und Trinkwasser.
Luftqualität relevant wie Komfort-Raumtemperatur
Die Vorgaben für den Primärenergieverbrauch sind nur mit gut gedämmten, nahezu luftdichten Gebäudehüllen zu erreichen. Das erfordert zwingend eine kontrollierte Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung. Außerdem weisen Niedrigenergiehäuser praktisch keine Leckagen mehr auf, sodass der geforderte Luftaustausch nach DIN 1946-6 ohne eine kontrollierte Wohnungslüftung nicht möglich ist.
Generell steigt die Luftqualität im Gebäude, wenn eine Anlage den kontinuierlichen Luftaustausch gewährleistet. Doch die Zufriedenheit der Bewohner mit der Raumluft ist von weiteren Faktoren abhängig. Dazu zählt eine bedarfsabhängige Lüftung, gesteuert durch einen CO2-Sensor. Je nach Personenanzahl im Raum tauscht die Lüftungsanlage die „verbrauchte“ Luft dann schneller aus.
In Wintermonaten kommt noch ein zweites Wohlfühlkriterium hinzu: die Rückgewinnung der Luftfeuchtigkeit aus der Abluft. Denn wird die zu dieser Jahreszeit kalte und damit trockene Außenluft lediglich durch den Abluftstrom vorgewärmt, kann die relative Luftfeuchtigkeit in den Wohnräumen unter 30 % fallen.
Daraus folgt ein weiterer Paradigmenwechsel: Die Raumluftqualität ist in dicht gebauten Häusern ebenso entscheidend für den Komfort wie eine behagliche Raumtemperatur. Doch der normative Luftaustausch ist nicht allein bestimmend für ein angenehmes Raumklima. Die Feuchterückgewinnung und eine CO2-abhänigige Bedarfssteuerung sind ebenso wichtig für komfortables Wohnen.
Anlagentechnik durch Kombigeräte vereinfachen
Nach den Vorstellungen der EU-Kommission sollen in einigen Jahren etwa 40 bis 60 % des Primärenergieverbrauchs in einem Einfamilienhaus über vor Ort gewonnene Erneuerbare Energie gedeckt werden. Um diese Vorgabe nicht nur ökologisch sondern auch ökonomisch zu erfüllen, ist ein Umdenken bei der Entwicklung von Wärmeerzeugern notwendig.
Ein vergleichsweise neues System, das mit dem Energieträger Luft arbeitet, ist eine zukunftsfähige Lösung: ein Kombigerät, das eine aktive Kühlleistung von bis zu 3 kW liefert und bereits in 190 m² großen Effizienzhäusern nach dem KfW-55-Standard erfolgreich installiert wurde. Die Heizleistung von 5 kW reicht aus, um Raumwärme und Trinkwassererwärmung sicherzustellen. Dieses Gerät („Genius“, Hersteller Systemair) enthält eine Kombination aus Ab- und Außenluftwärmepumpe. Integriert sind in dem Gerät die Raumwärmeerzeugung, die Trinkwassererwärmung, die aktive Kühlung und die kontrollierte Wohnungslüftung mit Feuchterückgewinnung. Nach Ansicht von Architekt Sven Haustein gehört solchen Systemen mit reduziertem Installationsaufwand die Zukunft.
Bilder: Systemair GmbH