IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 13/2004, Seite 21 f.


VERBÄNDE AKTUELL 


 Nordrhein-Westfalen


 

Diskussionsforum:

"Handwerk NRW vor der Europawahl"

Über 80% der Verordnungen und Gesetze in Deutschland kommen heute bereits aus Brüssel. Trotzdem ist für viele Handwerker die Europäische Union (EU) nach wie vor das große unbekannte Wesen. Sie fragen sich: Wie funktioniert die EU? Wie ist das Handwerk in Brüssel vertreten? Kollabiert der Arbeitsmarkt in Deutschland durch die EU-Osterweiterung? Ist das deutsche Handwerk durch die hohen Lohnzusatzkosten auf Dauer noch wettbewerbsfähig? Diesen und weiteren Fragen stellte sich das nordrhein-westfälische Handwerk in dem Diskussionsforum "Handwerk NRW vor der Europawahl", das mit zahlreichen EU-Abgeordneten hoch besetzt war.

10 Thesen wurden herausgearbeitet, die als Leitlinien für die zukünftige europäische Arbeit des Handwerks anzusehen sind.

(1) Nichts ist schlechter als fehlende Lobbyarbeit und Kommunikation.

(2) Dem Handwerk und den handwerklichen Organisationen wird empfohlen, neue Wege zu gehen und unverzüglich Kontakte zu den neu gewählten Abgeordneten in der Region nach der Wahl zum Europaparlament zu knüpfen und die Abgeordneten möglichst regelmäßig zum Dialog einzuladen.

Verbinden sollte man diese Kontaktaufnahme mit einem spezifischen Forderungskatalog. So wird die Lobbyarbeit des Mittelstandes auch wahrnehmbar.

(3) Rahmenbedingungen für Handwerksbetriebe nachhaltig verbessern.

Im Fokus einer handwerksgerechten europäischen Wirtschaftspolitik muss eine neue und damit bessere Form der Gesetzgebung stehen: Die Gesetzgebung muss sich an den Bedürfnissen der klaren Mehrheit der Unternehmen im Binnenmarkt orientieren; das sind KMU (kleine und mittlere Unternehmen) und damit vor allem auch die Handwerksbetriebe. Gesetze müssen einfacher und verständlicher werden, sie müssen auf den Mittelstand zugeschnitten sein. Das Europäische Parlament muss überdies seine Kontrollmöglichkeiten wahrnehmen und darf Gesetzesvorschlägen der Europäischen Kommission nur dann zustimmen, wenn ihre Mittelstandsverträglichkeit auch gewährleistet ist. Damit wird der Weg frei für Bürokratieabbau und ein besseres Unternehmensumfeld.

Neue Rechtsakte der Europäischen Union sollen, sofern sich diese Maßnahme eignet, befristet erlassen werden. Nach Ablauf einer solchen Frist muss die Weitergeltung, nicht die Abschaffung der entsprechenden Regelung begründet werden. Auch dies trägt zur Entbürokratisierung und Befreiung von überflüssigen Bestimmungen bei.

(4) Mittelstandsgerechte Finanzierungsmodelle und Steuervereinfachung voranbringen

Die hohe Steuerbelastung gerade von kleinen und mittleren Betrieben des Handwerks behindert Existenzgründungen und bremst Wachstum und Beschäftigung. Die europäische Politik muss dazu beitragen, die Steuerbelastung der Handwerksbetriebe deutlich zu senken und gleichzeitig Impulse geben, um den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern. Auch die überfällige Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts muss voranschreiten.

Die europäische Politik ist gefordert, ein innovatives und umfassendes Finanzierungskonzept für Mittelstand und Handwerk zu erarbeiten. Bewährte Systeme, wie das der Bürgschaftsbanken, müssen mit neuen Maßnahmen, wie die Förderung von Beteiligungsfinanzierungen, kombiniert werden. Auch Betriebe mit geringer Eigenkapitalausstattung müssen die Möglichkeit haben, Beteiligungskapital zum Zwecke der Verbesserung der Finanzstruktur zu beantragen.

(5) Förderung des Handwerks: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit über die Grenzen hinweg

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas muss dem internationalen Vergleich standhalten. Deshalb sind der Austausch innovativer Ideen und Best Praktice-Lösungen sowie Kooperationen über die Grenzen hinweg besonders wichtig.

Handwerksbetriebe müssen leichter als bisher aktiv am und im Binnenmarkt teilnehmen können. Ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsleistung ist verbunden mit der Entwicklung der Region, in der sie angesiedelt sind. Die Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Unternehmen muss daher zunächst auf regionaler Ebene ansetzen. Die Betriebe wollen transnational kooperieren. Für eine bessere Beteiligung am Binnenmarkt ist eine zielgerichtete und effiziente personalisierte Unterstützung nötig.

Ein weiterer Erfolg versprechender Weg ist die Förderung von Unternehmenskontakten über die Grenzen hinweg, der Auf- bzw. Ausbau von Kooperationsbörsen einschließlich der Messeförderung. Netzwerke, die als Plattform dienen, Wissen bündeln und verfügbar machen, die bedarfsgerechte Beratung anbieten, erhöhen nicht nur die Chancen, dem Wettbewerbsdruck standzuhalten, sondern ermöglichen Wachstum in der Region und den Betrieben.

 

Mit zahlreichen EU-Abgeordneten war das Diskussionsforum "Handwerk NRW vor der Europawahl" hoch besetzt.

(6) Gesetze in Europa sollten mit Endzeitdatum beschlossen werden

Die Deutschen sollten sich mehr Zeit nehmen bei der Umsetzung in nationales Recht; die Deutschen setzen Gesetze schneller um, als die Niederländer, Italiener oder Griechen. Jedes Jahr kommen bekanntlich 50 bis 100 neue Regelungsvorschläge nach Europa, wobei deutlich unterschieden werden muss zwischen Normenvorschlägen (Normungen) und Gesetzesinitiativen. Für Normungen ist bekanntlich nicht das EU-Parlament zuständig, sondern andere europäische Institutionen, in denen die Industrie in der Regel das Sagen hat.

 

Blick in den Tagungssaal.

(7) Vollendung des Binnenmarktes - Hemmnisse gezielt abbauen

Gerade für Handwerksbetriebe sind die Vorteile des Binnenmarktes vielfach kaum spürbar, grenzüberschreitende Kooperationen noch zu aufwendig. Der Binnenmarkt leidet unter bürokratischen und verwaltungstechnischen Hindernissen, die gezielt abgebaut werden müssen.

Das neu gewählte Parlament wird sich mit dem Abbau von Hindernissen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen befassen. Hierbei ist sicherzustellen, dass zwar einerseits Bürokratie abgebaut wird, andererseits aber Lohn- und Sozialdumping und Schattenwirtschaft keine Chance haben. Dies wird nur über entsprechende Kontrollen vor Ort in den Mitgliedsstaaten zu erreichen sein.

Ein wesentliches Hindernis für grenzüberschreitende Aktivitäten der Handwerksbetriebe sind die unterschiedlichen, mit hohem Verwaltungsaufwand verbundenen Steuersysteme in der EU: In den Diskussionen über ein EU-weites Pilotprojekt zur Sitzland-Besteuerung muss auch Personalgesellschaften die Option eröffnet werden, eine solche Regelung anzuwenden. Rund 80% der Handwerksbetriebe sind Personalgesellschaften, ein genereller Ausschluss von diesem Projekt wäre eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung und zusätzliche Belastung.

(8) Berufsbildungssystem

Das Berufsbildungssystem muss europafest werden, z.B. indem bei Berufen mit internationalem Bezug auch "internationale Bausteine" in die Ausbildungs- und Fortbildungsordnungen eingefügt werden und das Berufsbildungsrecht entsprechend angepasst wird.

(9) Mittelstandsgerechte EU-Politik

Handwerk und Mittelstand müssen im Blickpunkt europäischer Politik stehen, wenn es um Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in der EU geht.

Konkreter Handlungsbedarf besteht im Bereich der Lohnnebenkosten, unumgänglich ist auch die Verlängerung der Arbeitszeit.

(10) Die Abgeordneten des EU-Parlaments bestimmen maßgeblich über die Zukunftsgestaltung einer handwerksgerechten Unternehmenspolitik

Fast 99% der Unternehmen in Europa sind mittelständische Unternehmen, die 75% der Arbeitnehmer und die meisten Ausbildungsplätze stellen. Das selbst gesteckte Ziel der EU, bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden, kann nur erreicht werden, wenn sich in Europa eine Wirtschaftspolitik an den Bedürfnissen des Handwerks und Mittelstandes durchsetzt. Das heißt: Transparenz, Bündelung, Koordinierung und Vereinfachung der Politik und ihrer Maßnahmen zum Wohle des Mittelstandes.

Internetinformationen:
www.fvshk-nrw.de

 


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