IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 9/2004, Seite 56 ff.


EDV/TELEKOMMUNIKATION


Neuer Anschluss unter alter Nummer

Telefonieren über das unternehmenseigene Computernetz

Nach den großen entdecken jetzt auch kleine Unternehmen eine Alternative zur klassischen Telefonanlage: Statt über separate Telefonleitungen telefonieren die Mitarbeiter bei der so genannten IP-Telefonie über das unternehmenseigene Computernetz.

Ob im Internet oder im Firmeneigenen Datennetz, dem so genannten Intra-Net: Überall in der Computerwelt werden Daten inzwischen nach dem gleichen Prinzip übertragen. In kleine Päckchen zerhackt, wandern elektronische Informationen durch die Leitungen und dank einer Art Identifikationsnummer, die zu jedem Datenpäckchen gehört, sucht sich jeder PC die Informationen aus dem Datenstrom heraus, die für ihn bestimmt sind. Fachleute bezeichnen diese Art der Datenübertragung als "Internet-Protokoll", kurz: IP. Längst haben Anbieter erkannt, dass sich so nicht nur abstrakte Daten, sondern auch in Datenpäckchen verpackte Sprache übertragen lässt. Die Grundlage für die so genannte IP-Telefonie.

In der Anschaffung nur halb so teuer

Auf die setzt zum Beispiel die KTN Kunststofftechnik Nobitz GmbH. Das mittelständische Unternehmen aus Thüringen produziert u.a. Klima-Rohre und hat inzwischen rund 70 Mitarbeiter. Statt auf eine herkömmliche Telefonanlage setzte Geschäftsführer Hans-Jürgen Henneke von Anfang an auf die IP-Telefonlösung Swyxware der Dortmunder Swyx Solutions GmbH. Aus ganz handfesten Gründen: "Die IP-Telefonanlage war in der Anschaffung nur etwa halb so teuer wie eine herkömmliche", beschreibt Geschäftsführer Henneke den Hauptvorteil der Datentelefonie. Außerdem gebe es in einem modernen Unternehmen keinen Grund mehr, getrennte Daten- und Telefonsysteme zu installieren: "Bei uns steht doch an jedem Arbeitsplatz ein PC - den kann ich doch gleich zum Telefonieren benutzen!". Einen Monat lang dauerte die Einführungsphase der IP-Telefonlösung. In dieser Zeit mussten die Swyx-Techniker nur kleinere Probleme lösen. Am Anfang habe es gelegentlich eine Art Nachhall beim Telefonieren gegeben, erinnert sich Hans-Jürgen Henneke. Das habe man allerdings durch das Verändern einiger Softwareeinstellungen in den Griff bekommen. Seit dem funktioniere die IP-Telefonanlage mit inzwischen 25 Anschlüssen zuverlässig und unauffällig. "Die Sprachqualität ist genauso gut wie bei jeder anderen Anlage", resümmiert Henneke. Nur Kunden oder Lieferanten, die das Unternehmen in der Nähe von Chemnitz vor Ort besuchen, würden gelegentlich interessiert nachfragen, wie sich denn ein Unternehmen so ganz ohne klassische Telefonanlage betreiben lasse.

Modernes IP-Telefon mit Farbdisplay für das hauseigene WLAN

Zurückhaltung trotz optimistischer Prognosen

Mit der Entscheidung für eine IP-Telefonanlage steht das thüringische Unternehmen noch recht allein da. IP-Telefonie scheint sich trotz optimistischer Prognosen nicht recht zu etablieren. Noch vor zwei Jahren schätzten mehrere Marktforschungsinstitute, der Markt für die Datentelefonie werde bis zum Jahr 2005 auf fünf Milliarden US-Dollar anwachsen. Im gleichen Jahr aber befragten die Analysten der META Group Deutschland GmbH mehr als 1700 deutsche Unternehmen, ob sie bereits IP-Telefonie-Lösungen einsetzen oder den Einsatz in den nächsten zwei Jahren planen. Das eindeutige Ergebnis: 80 Prozent der Firmen lehnten damals Sprache über IP generell ab. Inzwischen sind deutsche Unternehmen der Technologie gegenüber aufgeschlossener: Das Beratungsunternehmen TechConsult GmbH aus Kassel hat herausgefunden, dass 9 Prozent aller deutschen Unternehmen IP-Telefonie einsetzen. Weitere 14 Prozent wollen die Technologie bis Ende 2004 einführen.

IP-Telefonie für Kleinbetriebe

Auch kleine Mittelständler sollen beim Telefonieren per Internet-Protokoll sparen können. Eine Düsseldorfer Firma will’s möglich machen.

Unter dem Produktnamen "Sipgate" vermarktet die Indigo Networks GmbH eine IP-Telefonlösung für Privatleute und kleine Unternehmen. Voraussetzung ist ein schneller DSL-Internetanschluss. An einen vorhandenen DSL-Router kann der Nutzer dann spezielle IP-Telefone anschließen, die das Unternehmen für 99 Euro pro Stück bereit stellt und über die der Nutzer ganz normal telefonieren kann. Telefonate zwischen Sipgate-Telefonen sind zur Zeit kostenlos. Telefonate ins öffentliche Telefonfestnetz kosten 1,79 Cent pro Minute, in eines der Handynetze 22,90 Cent pro Minute. Der Nachteil: Wer an seinem IP-Telefon auch Anrufe annehmen will, bekommt zur Zeit noch eine Rufnummer mit Düsseldorfer Vorwahl, die dann - für den Anrufer unsichtbar - auf das IP-Telefon umgeleitet wird. Weitere Vorwahlbereiche sollen in den kommenden Wochen zur Verfügung stehen. Weitere Informationen: www.sipgate.de

IP-Telefonie ist nicht gleich Internet-Telefonie

Vor allem zwei Gründe gibt es nach Ansicht von TechConsult-Berater Andreas Zilch für die immer noch zögerliche Haltung deutscher Unternehmen: Erstens sei in Deutschland durch die Verbreitung von ISDN schon ein sehr gutes Telefonnetz mit entsprechenden Services installiert. Im Gegensatz zu den USA, wo die Basisinfrastruktur sehr schlecht war und mittlerweile IP-Telefonie schon verbreiteter sei, hätten Unternehmen also kaum Argumente, um der bisherigen Telefonie-Lösung den Rücken zu kehren. Zweitens gebe es eine unglückliche Begriffsverwirrung: "IP-Telefonie wird bisweilen mit Internet-Telefonie verwechselt", erklärt der Managing Director Consulting. Und die ist nun alles andere als ein Aushängeschild für die Sprachübertragung über Datennetze: Beim Telefonieren über das öffentliche Internet kommt es immer wieder zu langen Verzögerungen und zur kompletten Unterbrechung der Datenübertragung. Der so genannte Quality of Service, wie ihn Telefongesellschaften garantieren, ist hier nicht zu realisieren. Der Grund: Obwohl Sprachdaten eigentlich Vorrang haben müssten, um ein kontinuierliches Telefonat zu ermöglichen, werden sie im WWW so behandelt wie andere Daten auch. Im Gegensatz dazu die IP-Telefonie in einem Unternehmensnetz: "Spätestens seit Anfang 2003 ist Telefonieren über IP aus den Kinderschuhen raus", weiß Berater Zilch. IP-Telefonie sei reif für den Einsatz in Unternehmen.

Ersparnis bis zu 30 Prozent

Bernd Janke, Senior Manager Telecommunications bei der Hamburger Mummert Consulting AG rät darum auch mittelständischen Unternehmen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. "Durch IP-Telefonie können Firmen zwischen 10 und 30 Prozent der Kosten einsparen", schätzt der Unternehmensberater. Allerdings weniger durch die günstigen Gespräche selbst. Seit der Liberalisierung des deutschen Telefonmarktes böten sich Telefonanbieter da schon genug ruinöse Konkurrenz. Wichtiger sei, dass nur noch ein Netzwerk verwaltet werden müsse sowie die Möglichkeit, IP-Telefonanlagen ohne Hilfe von Experten und spezieller Software zu managen. Unternehmer wissen: Wenn ein Mitarbeiter im Unternehmen umzieht, kann das schnell ein paar hundert Euro kosten. Schließlich müssen Nebenstellen neu konfiguriert und unterschiedliche Einstellungen neu eingerichtet werden. Im Regelfall können oder dürfen das nur die Hersteller der Telefonanlagen selbst. Ganz anders bei IP-Telefonanlagen: "Hausinterne Umzüge sind meist per Knopfdruck erledigt", beschreibt Janke die Vorteile der neuen Technik. Dabei nehme der Mitarbeiter sogar alle persönlichen Einstellungen zum neuen Arbeitsplatz mit.

Nicht für jeden

Telefonieren per Datenleitung lohnt sich für Unternehmen nur unter gewissen Voraussetzungen. So stellen Sie fest, ob IP-Telefonie für Sie Vorteile bringt:

Mehrere Standorte: Hat Ihre Firma verschiedene Niederlassungen bzw. sind Verwaltung und Produktion räumlich getrennt? Dann kann IP-Telefonie Gesprächskosten zwischen den Standorten sparen. Separate Telefonstandleitungen müssen nicht mehr angemietet werden, es reicht das schon vorhandene Virtual Private Network.
Flexible Mitarbeiter-Teams: Wechseln in Ihrem Unternehmen Mitarbeiter häufig das Büro wenn neue Teams zusammen gestellt werden? Dann ist IP-Telefonie für Sie ideal. Die IT-Abteilung kann den Umzug alleine managen, der Mitarbeiter nimmt alle Einstellungen seines Telefons an den neuen Arbeitsplatz mit.
Neuinvestition fällig: Planen Sie ohnehin eine neue Telefonanlage zu kaufen? Dann greifen Sie zu IP-Telefon-Lösungen. Wer gerade erst investiert hat, sollte nach Ansicht von Unternehmensberatern nicht wechseln.

Teure Wartungs- und Konfigurationsbesuche entfallen

Für Michael Röhr von der Gelsenkirchener RAG INFORMATIK GmbH ist besonders diese einfache Administrierbarkeit einer IP-Telefonie-Lösung viel wichtiger als die preiswerten Telefongespräche selbst. Seit 2001 hat man bei dem IT-Dienstleister der RAG AG nach und nach auf das Telefonieren per Datenleitung umgestellt. Inzwischen sind an den Standorten Gelsenkirchen und Herne etwa 650 Telefone angeschlossen und hausinterne Umzüge von Mitarbeitern produzieren jetzt keine hohen Kosten mehr. "Im Gegensatz zur bisherigen Telefonanlage können wir jetzt alles selbst machen", betont Röhr als Bereichsleiter Access und Communication Services. Das IP-Telefon werde einfach zusammen mit dem PC neu angeschlossen. Teure Wartungs- und Konfigurationsbesuche von Telefonanlagenherstellern entfallen. Und noch etwas anderes begeistert die Gelsenkirchener: In einem Pilot-Versuch testen sie zur Zeit fünf Wireless-IP-Phones der Cisco Systems, Inc. - ein IP-Mobiltelefon für das hauseigene WLAN. Überall im Haus erreichbar, einfach zu verwalten, kostengünstig zu administrieren - nach Ansicht von Röhr ist das die Zukunft: "Wir wollen nie wieder zur herkömmlichen Telefonanlage zurück".

Allerdings: manchmal hat IP-Telefonie noch ihre Tücken. Das weiß man auch am Multimedia-Lab der Technischen Universität Darmstatt. Nach Ansicht von Hannes Birck, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich IP-Telefonie, seien viele Produkte technisch zwar ausgereift, in gewissen Aspekten dem klassischen Telefon aber weiterhin unterlegen. Birck kritisiert vor allem das Fehlen einiger von der ISDN-Telefonie gewohnter Leistungsmerkmale. Gruppenfunktionen wie Konferenzgespräche seien immer noch nicht bei allen Herstellern vorhanden. Als Zwischenlösung böten viele Hersteller dann proprietäre Erweiterungen an, die den Ursprungsgedanken der IP-Telefonie zunichte machten. "Viele IP-Features funktionieren eben genau wie in der klassischen TK-Welt nur mit ganz speziellem Equipment", beschreibt Hannes Birck die Misere. Dass jedes Endgerät mit jeder IP-Telefonie-Software zusammen arbeitet, ist - zumindest zur Zeit - eben doch noch ein frommer Wunsch. Eine engere Zusammenarbeit der Hersteller sei also dringend gefragt.


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