IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 4/2003, Seite 50 ff.
Gerontotechnik
Wie sieht der Markt der Senioren aus?
Ist die Zielgruppe der älteren Menschen überhaupt interessant? So viele gibt es ja gar nicht, sie haben kein Geld, wollen keine größeren Investitionen mehr tätigen und wohnen irgendwann sowieso im Heim - das sind einige der Vorurteile, die allgemein über die Zielgruppe der älteren Menschen verbreitet werden. Dass es sich bei den älteren Menschen sehr wohl um eine große kaufkräftige Zielgruppe handelt, die nur nach passenden Angeboten sucht, soll im Folgenden dargestellt werden.
Ältere Menschen sehen ihre Zukunft ganz eindeutig im Verbleiben in der bisherigen Wohnung - meist im Eigentum. Immerhin verfügen über 40% der über 65-Jährigen über Wohneigentum. Das Problem: Der Bezug der Wohnung oder der Bau bzw. Erwerb des Eigenheimes hat in einer Zeit stattgefunden, in der die jetzigen Senioren im Alter zwischen 25 und 40 Jahren waren. So befinden sich selbst die neueren Wohnungen in der Mehrheit der Fälle auf einem Bautenstand von vor rund 20 Jahren. Damit ist klar, dass die Wohnungen einen zum Teil gravierenden Renovierungsstau bergen.
Ältere Menschen verbringen pro Tag im Durchschnitt 1,5 Stunden im Badezimmer. Das Bad gewinnt somit im Alter erheblich an Bedeutung. Und gerade im Badezimmer gibt es die meisten Veränderungsmöglichkeiten.
Ziel muss es sein, die Selbstständigkeit in der eigenen Wohnung langfristig zu erhalten. Hier ist vor allem eine auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmte und vorausschauende Gestaltung des Badbereiches erforderlich.
Der Renovierungsstau macht es notwendig, dass viele "junge Alte" ihr in die Jahre gekommenes Bad im Eigenheim noch einmal sanieren. Diese Kunden denken nicht in erster Linie an Barrierefreiheit und Stützgriffe. Vielmehr wollen sie ein vorzeigbares Bad bekommen, in dem Ansprüche an Wellness, Komfort und Qualität erfüllt werden. Das Bad entwickelt sich von der Nasszelle der 70er-Jahre zur Wohlfühlzone.
Für den Sanitärfachbetrieb ist es wichtig, in einem solchen Fall vorausschauend zu planen und bereits jetzt spätere körperliche Einschränkungen zu berücksichtigen. So sind beispielsweise schon jetzt Vorwandinstallationen in den Wänden vorzusehen, an die sich später bei Bedarf ganz einfach Stützgriffe anbringen lassen.
Die Zielgruppe wächst
Die Entwicklungen in Wissenschaft und Technik - insbesondere auch in der Medizintechnik - haben dazu geführt, dass Menschen immer älter werden, dabei länger vital bleiben und somit auch viel länger in ihren eigenen vier Wänden wohnen bleiben wollen und können.
Deutlich wird die Entwicklung der Gesellschaft an der Bevölkerungspyramide, die schon lange keine Pyramide mehr ist, sondern auf dem Kopf steht: Immer weniger jüngere Menschen stützen immer mehr ältere. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die 60 Jahre und älter sind, wird von 22 Prozent im Jahr 1999 auf 36 Prozent im Jahr 2040 ansteigen - auf mehr als zwei Drittel der Bevölkerung.
Die Lebenserwartung hat sich seit dem Mittelalter - damals betrug sie gerade mal 35 Jahre - mehr als verdoppelt. Männer werden heute im Durchschnitt 74 Jahre alt, Frauen sogar 80 Jahre. Parallel dazu scheiden die Menschen immer früher aus dem Arbeitsleben aus, sodass für das Alter noch ein Lebensabschnitt von 15 oder 25 Jahren bleibt.
Bei den jüngeren Menschen geht die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung: Statistiker gehen von einem Rückgang des Anteils jüngerer Menschen von derzeit 21 Prozent heute auf 16 Prozent im Jahr 2040 aus. Zwei Angehörigen der mittleren Altersgruppe steht dann ein älterer Mensch gegenüber. Diese Zahlen machen deutlich, dass die Gruppe der älteren Menschen schon allein wegen ihrer zahlenmäßigen Größe längst keine Randgruppe mehr ist.
Gerontotechnik im Überblick |
Senioren als Verbraucher
Die demographischen Daten zeigen, dass der Markt für seniorenfreundliche Güter und Dienstleistungen ein Wachstumsmarkt ist. Trotzdem trauen sich noch nicht viele Hersteller und Handwerker, in diesem Markt aktiv zu werden. Der Grund könnten die Vorurteile sein, die in vielen Köpfen vorherrschen: Ältere Menschen haben kein Geld oder geben es zumindest nicht aus. Sie nörgeln gerne und bis sie eine Entscheidung getroffen haben, vergeht viel Zeit.
Zumindest das Vorurteil, ältere Menschen hätten kein Geld, lässt sich statistisch widerlegen: Den über 60-jährigen in Deutschland steht ein gewaltiges Potenzial an Kaufkraft zur Verfügung. Erhebungen gehen von 7,5 Milliarden Euro monatlich aus. Haushalte mit einem Haushaltsvorstand im Alter von über 55 Jahren verfügen über 2/5 des Geldvermögens aller Haushalte in Deutschland.
Hinzu kommt ein großer Anteil an Grundbesitz sowie Vermögen aus Vererbung. Außerdem werden mit Eintritt in den Ruhestand in vielen Fällen auch Lebensversicherungen fällig.
Altersverteilung in Deutschland 1995 und 2040 in Prozent. |
Die heutige Generation der älteren Menschen ist damit die reichste Generation aller Zeiten. Sie hat nur ein Problem: Sie kann das Geld nicht ausgeben, weil entsprechende Angebote - insbesondere im Dienstleistungssektor - fehlen. Nur Produkte und Dienstleistungen, die sich den Anforderungen und Bedürfnissen älterer Menschen stellen, werden die sensible Käufergruppe auch erreichen. Der Handwerker muss sich auf die älteren Menschen einstellen und von Anfang an einplanen, dass ein Vertragsabschluss länger dauern kann, mehr Diskussion und vor allem mehr fundierte Information erfordert. Es reicht nicht, ein Produkt oder eine Dienstleistung mit dem Label "Seniorenfreundlich" zu versehen. Vielmehr müssen Komfort und Qualität stimmen. Benutzerfreundlichkeit und Service sind entscheidende Faktoren. Der ältere Kunde muss von der Leistung, die er erwirbt, überzeugt sein. Dabei nimmt die Preissensibilität deutlich ab. Es wird nicht mehr das preiswerteste Produkt gekauft, sondern das Produkt, dessen Preis-Leistungsverhältnis den älteren Menschen überzeugt.
Bevölkerungspyramide: links typische Struktur, rechts prognostizierter Stand im Jahr 2040. |
Altersklassen und ihre Bedürfnisse
- Die 60 - 70-Jährigen: "Junge Alte". Diese Gruppe ist in der Regel zu alt, um noch zu arbeiten, aber noch zu jung, um sich mit der klassischen Rolle des älteren Menschen abzufinden. Hier zeigt sich eine aktive Phase des Alters. Es herrscht der Wunsch nach Selbstverwirklichung. Die "Jungen Alten" besitzen häufig genügend Kaufkraft, um verstärkt Konsumgüter nachfragen zu können. Sie haben aber auch - bedingt durch eine lange Konsumerfahrung - erhöhte Ansprüche an Qualität und Service.
- Die 70 - 85-Jährigen: "Alte". In dieser Phase wird der ältere Mensch zunehmend mit altersbedingten Einschränkungen konfrontiert. Menschen in dieser Lebensphase suchen verstärkt Beratung zum Umgang mit Altersfragen.
- Die über 85-Jährigen: "Hochbetagte" oder "Alte Alte". In dieser Phase ist die Notwendigkeit von Betreuung am ehesten gegeben. Die körperlichen und geistigen Fähigkeiten nehmen oftmals rapide ab und führen so zu einer Abhängigkeit von professioneller Pflege. Diese Gruppe alter Menschen fragt weniger Konsumgüter nach, sondern vielmehr zielgerichtete Dienstleistungen.
Bevölkerung in Deutschland nach Altersgruppen; Angaben in 1000
Altersklasse | Jahr | ||
2000 | 2020 | 2040 | |
unter 20 | 17.000 | 14.000 | 13.000 |
20 - 65 | 51.000 | 49.000 | 41.000 |
> 65 | 13.000 | 17.000 | 21.000 |
Insgesamt | 81.000 | 80.000 | 75.000 |
Eine weitere Klasse bilden die Menschen, die plötzlich mit Pflegebedürftigkeit konfrontiert werden, sei es durch einen plötzlichen Schlaganfall oder andere unerwartete Krankheitsbilder. Hier lässt sich kein Altersspektrum festlegen, immer häufiger sind sogar Menschen im Alter deutlich unter 60 Jahren betroffen. Diese stehen dann zusammen mit ihren Angehörigen vor dem Problem, die Wohnung schnellstmöglich an die neue Lebenssituation anpassen zu müssen.
Von qualifizierten Fachbetrieben ist hier nicht nur zu erwarten, dass sie für die individuellen Probleme schnell eine Lösung schaffen können, sondern sich zusätzlich in Fragen der Finanzierung auskennen. Immerhin gewähren die Pflegekassen Zuschüsse in Höhe von bis zu 2557 Euro.
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