IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 19/2002, Seite 70 ff.


 


Mit Salz und Wasser unterwegs

Neues Konzept für Brennstoffzellenantriebe: Natriumborhydrid als Energiespeicher

 Mit dem Minivan "Chrysler Town & Country Natrium" hat die DaimlerChrysler-Forschung ein völlig neues Konzept für Brennstoffzellenfahrzeuge vorgestellt - das Auto fährt mit Salz und Wasser. Seine Fahrleistungen sind mit denen des Serienfahrzeugs vergleichbar, und auch im Innenraum gibt es für die Fahrgäste keine Einschränkungen.

Gut in Fahrt: Das Brennstoffzellenfahrzeug "Chrysler Town & Country Natrium" erzielt eine Reichweite von annähernd 500 Kilometern.

Bernard I. Robertson, Senior Vice President bei DaimlerChrysler, ist sich sicher: "Brennstoffzellen sind das Erfolg versprechendste alternative Antriebssystem." Die Gründe dafür nennt der Chef von Engineering Technologies and Regulatory Affairs im gleichen Atemzug: "Sie erreichen einen sehr hohen Wirkungsgrad und verursachen keine oder nur sehr wenige Emissionen." Mit seiner optimistischen Einschätzung steht Robertson nicht alleine. Weltweit arbeiten Automobilhersteller an alternativen Antriebskonzepten, die nicht nur umweltfreundlich sind, sondern auch die Abhängigkeit vom Erdöl beenden sollen.

DaimlerChrysler hat mit dem NECAR I bereits 1994 das erste Brennstoffzellenauto der Welt präsentiert und seither eine Reihe von Versuchsträgern folgen lassen. Als weltweit erste Serienfahrzeuge werden ab dem kommenden Jahr Brennstoffzellenbusse an Kunden ausgeliefert und dann in mehreren westeuropäischen Großstädten im Liniendienst eingesetzt. Ab 2004 will der Konzern auch die ersten Serien-Pkw mit Brennstoffzellenantrieb auf den Markt bringen. Ob Omnibus oder Pkw - gemeinsam ist diesen Fahrzeugen, dass sie als Antrieb einen Elektromotor besitzen, der seinen Strom von bordeigenen Brennstoffzellen bezieht. In den Brennstoffzellen reagiert Wasserstoff unter kontrollierten Bedingungen mit dem Sauerstoff der Luft - ein chemischer Prozess, der elektrische Energie freisetzt. Normalerweise verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff unter einem lauten Knall miteinander, doch in den Brennstoffzellen verhindert eine spezielle Membran (Protone Exchange Membran, PEM) die Knallgasreaktion, indem sie dafür sorgt, dass nur Protonen (H+) statt elementarem Wasserstoff (H2) mit Sauerstoff reagieren.

Die heutigen PEM-Brennstoffzellensysteme sind technisch hoch entwickelt und deshalb auch sehr leistungsstark. Die erzielbaren Fahrleistungen lassen sich inzwischen durchaus mit denen von Verbrennungsantrieben vergleichen. Die größten Herausforderungen für Ingenieure liegen mittlerweile in einem anderen Bereich. "Die wichtigste ungelöste Frage bei Brennstoffzellenfahrzeugen ist nicht die Brennstoffzelle selbst, sondern das Bereitstellen des Energieträgers für die Brennstoffzellen," betont Thomas Moore, Vice President der DaimlerChrysler-Forschungsgruppe Liberty & Technical Affairs.

Der Blick von unten zeigt die kompakte Bauweise des Antriebsstrangs. Ganz vorne (im Bild oben) sitzen die Lithium-Ionenbatterien, dahinter der Gleichstromkonverter sowie die Brennstoffzellenstacks von Ballard. Das neuartige Katalysatorsystem liegt über der Hinterachse (im Bild unten).

Um Wasserstoff als Energieträger für Brennstoffzellen zu nutzen, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Sie reichen von gekühltem Flüssigwasserstoff über komprimierten Wasserstoff bis zu Systemen, die den Wasserstoff an Bord des Fahrzeugs aus Benzin oder Methanol gewinnen. "Wir haben jedes dieser Konzepte in unterschiedlichen Forschungsfahrzeugen verwirklicht," erklärt Robertson, "und jedes hat seine Vor- und Nachteile."

Mit dem Minivan "Chrysler Town & Country Natrium" haben die Ingenieure und Wissenschaftler von DaimlerChrysler Liberty & Technical Affairs nun ein Versuchsfahrzeug vorgestellt, das auf ein völlig neues Konzept der Wasserstoffversorgung setzt. Der innerhalb von nur 18 Monaten entwickelte "Natrium" fährt - vereinfacht ausgedrückt - mit einer Mischung aus Salz und Wasser. Dabei erreicht der weiße Minivan eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde und eine Reichweite von fast 500 Kilometern - und ist damit dem Serienfahrzeug mit Verbrennungsmotor vergleichbar. Und in Sachen Abgasemissionen ist der Natrium - wie alle Brennstoffzellenfahrzeuge - den Benzin- und Dieselmotoren überlegen. In den USA gilt er als Null-Emissions-Fahrzeug (Zero Emission Vehicle, ZEV), da er weder Stickoxide noch Kohlenwasserstoffe ausstößt. Bei dem Salz, das für solche respektablen Fahr- und Umweltleistungen sorgt, handelt es sich freilich nicht um gewöhnliches Kochsalz (Natriumchlorid, NaCl) sondern um pulverförmiges Natriumborhydrid (NaBH4), ein weißes Salz, in dessen Molekülen relativ viel Wasserstoff steckt. Reagiert das Natriumborhydrid mit Hilfe eines chemischen Katalysators mit Wasser (H2O), so entsteht elementarer Wasserstoff (H2), der die Energie für die Brennstoffzelle liefert.

Im Innenraum des Forschungsfahrzeugs steht den Passagieren genau der gleiche großzügige Sitz- und Stauraum zur Verfügung wie in den Serienmodellen des Chrysler Town & Country Minivans.

Zugleich bildet sich bei dieser Reaktion ein wässriger Schlamm aus Natriumperborat (NaBO2). Diese Verbindung ist chemisch verwandt mit Borax, das als Bleichmittel in handelsüblichen Waschpulvern steckt. Die Wissenschaftler von DaimlerChrysler verbrauchen das entstandene Natriumperborat aber nicht als Waschmittel, sondern sie recyceln es. Der entstandene wässrige Schlamm, der in einem speziellen Tank an Bord des Natriums gesammelt wird, lässt sich chemisch gut wiederaufbereiten. Bei dieser Umkehrreaktion entsteht aus Natriumperborat wieder das wasserstoffreiche Natriumborhydrid, das erneut als Energieträger dienen kann.

Kernstücke des Antriebstrangs im Natrium sind die Brennstoffzellen und ein spezieller Katalysator. Das Brennstoffzellenmodul kommt von Ballard Power Systems, dem kanadischen Partner von DaimlerChrysler. Dabei handelt es sich um den gleichen Typ, den die Ingenieure bereits im Forschungsfahrzeug NECAR 5 eingebaut haben. Eine völlig neue Komponente in einem Brennstoffzellenauto ist dagegen das Katalysatorsystem "Hydrogen on DemandTM," das vom US-amerikanischen Unternehmen Millenium Cell entwickelt wurde. Sobald der Fahrer des Minivans aufs "Gaspedal" tritt, wird der Kraftstoff Natriumborhydrid in den Katalysator gepumpt, der augenblicklich Wasserstoff liefert. Dieser dynamische Prozess verlangsamt sich sofort oder hört ganz auf, sobald die Kraftstoffpumpe gedrosselt oder ganz abgeschaltet wird. Beschleunigt der Fahrer erneut, wird sofort wieder Wasserstoff erzeugt, aus dem die Brennstoffzellen Strom gewinnen, sodass der Minivan innerhalb von 16 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer beschleunigt.

Obwohl es sich noch um ein Versuchsfahrzeug handelt, konnten die Ingenieure den gesamten Antriebsstrang des "Natrium" in die Bodengruppe und den Motorraum integrieren. Leistungsstarke Batterien machen den Minivan zudem zu einem Hybridfahrzeug.

Angetrieben wird das weiße Forschungsfahrzeug von einem Wechselstrommotor mit einer Leistung von 35 kW. Als Speicher für elektrische Energie dient eine 55 kW-Lithium-Ionenbatterie. Diese wird übrigens nicht nur von der Brennstoffzelleneinheit aufgeladen, sondern auch von den Bremsen. Der Natrium nutzt nämlich das Prinzip der Rekuperation: Dabei wird die beim Bremsen frei werdende Energie nicht einfach als Wärme an die Luft abgegeben, sondern zur Stromerzeugung genutzt. Sollte das Brennstoffzellensystem einmal ausfallen, reicht die kräftige Batterie auch alleine aus, um den Elektromotor anzutreiben und das Fahrzeug vorwärts zu bewegen. Der Natrium-Minivan ist also genau genommen kein reines Brennstoffzellenauto, sondern ein Brennstoffzellen-Hybridfahrzeug.

Mit den bisher erzielten Leistungen geben sich die Ingenieure aber nicht zufrieden. Robertson sieht beim Einsatz von Natriumborhydrid vor allem zwei technische Herausforderungen. So ist zum einen die verwendete wässrige Natriumborhydrid-Lösung stark alkalisch. Dies ist notwendig, um den chemischen Prozess im Katalysator zu stabilisieren. Als Stabilisator dient derzeit Natronlauge. Doch weil diese ätzend ist, suchen die Forscher nach einer anderen Stabilisatorflüssigkeit, die sich leichter und gefahrlos handhaben lässt.

Kernstück des neuen Antriebsstrangs ist das Katalysatorsystem "Hydrogen on DemandTM". In einem Reaktor spaltet es vom Natriumborhydrid, dem eigentlichen Energieträger, den Wasserstoff ab, den die Brennstoffzellen zur Stromerzeugung benötigen.

Die zweite Herausforderung liegt im Bereich des Recyclings, bei dem das im Katalysatorsystem entstandene Natriumperborat wieder mit Wasserstoff aufgefrischt und in energiereiches Natriumborhydrid umgewandelt wird. Die Wissenschaftler untersuchen verschiedene Wiederaufbereitungsprozesse, wobei ihr Augenmerk insbesondere den Kosten und der eingesetzten Energie gilt. "Die Effektivität des Recyclingprozesses," so Robertson, "ist wahrscheinlich die größte Hürde für die Natriumborhydrid-Brennstoffzellen, weil dieser Prozess den größten Einfluss auf den Treibstoffpreis hat." Beim Chrysler Town & Country Natrium ist es auf Anhieb gelungen, das komplette Antriebssystem unter den Fahrzeugboden zu packen. Weder die Tanks noch der Katalysator oder die Brennstoffzelleneinheit beanspruchen Platz im Innenraum. "Den Passagieren steht genau der gleiche Sitz- und Stauraum zur Verfügung wie in den Serienmodellen auch," betont Thomas Moore von der Forschungsgruppe Liberty & Technical Affairs. Der Unterschied zwischen dem Forschungs- und einem Standardfahrzeug wird erst sichtbar, wenn man unter die Motorhaube oder unter das Fahrzeug schaut.

Natriumborhydrid-Fahrzeuge versprechen viele Vorteile: Sie sind umweltfreundlich, emittieren keine Treibhausgase, könnten regenerative Energiequellen nutzen und vom Erdöl unabhängig machen. Die technischen Herausforderungen bei diesem Antriebssystem sind weitgehend gelöst. Doch dies gilt auch für die anderen Brennstoffzellensysteme, die auf Wasserstoff, Methanol oder Benzin beruhen. "Im Rennen um den besten Energieträger für Brennstoffzellen ist noch kein Sieger erkennbar," konstatiert Bernard Robertson. Wegen der diversen Vor- und Nachteile und der verschiedenen Anforderungen auf unterschiedlichen Märkten kann es gut sein, dass mehr als nur ein Brennstoffzellentyp zum Einsatz kommen wird. Dies muss kein Nachteil sein. "Ein solcher Kompromiss," so Robertson, "würde nur den Pragmatismus widerspiegeln, der auch zum Einsatz zweier Kraftstoffe geführt hat - nämlich Benzin und Diesel."

Nachdruck aus: DaimlerChrysler HightechReport

Internetinformationen:
www.daimlerchrysler.com


[Zurück]   [Übersicht]   [www.ikz.de]