IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 18/2002, Seite 62 f.


RECHT-ECK


Die Unkultur im deutschen Bauwesen

RA Friedrich-W. Stohlmann

Aufgrund der jahrelang angespannten Marktlage im Bauwesen hat sich zwischen der Auftraggeberseite und den die Leistung erbringenden Unternehmern bei der Abwicklung größerer Bauvorhaben eine Situation wechselseitiger wirtschaftlicher Untugenden entwickelt.

Während der Auftraggeber versucht, im Rahmen der Vergabe durch das Ausspielen der verschiedenen Anbieter untereinander einen möglichst geringen Preis zu erzielen, wohl wissend, dass er mit diesem Ausspielen der verschiedenen Anbieter eine ordnungsgemäße Erstellung der Baumaßnahme kaum erwarten kann. Der Auftraggeber begründet seine taktische Vorgehensweise mit unabsehbaren Risiken der Projektentwicklung, für die er ggf. projektbezogene Rücklagen benötigt.

Andererseits weiß der Auftragnehmer schon bei Vertragsabschluss, dass Änderungen und Erweiterungen seines Leistungsumfanges unabdingbar sein werden, weil sich der Auftraggeber aufgrund der Marktsituation bedingungslos den Sonderwünschen späterer Nutzer unterwerfen muss. Daraus resultieren zwangsläufig Nachträge im Hinblick auf Änderungen und Zusatzleistungen sowie zum Ende des Bauvorhabens ein meist nicht unbeträchtlicher Nachtrag aus Behinderungen.

Auf der Auftragnehmerseite ist daher die Strategie festzustellen, bei den Interessenvertretern des Auftraggebers durch Nachträge und Behinderungsanmeldungen ein größt mögliches Maß an Verwirrung zu stiften, um daraus zum gegebenen Zeitpunkt wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen. Nur auf diese Art und Weise kann er seinen schlecht kalkulierten Ursprungspreis ggf. noch der Marktsituation einigermaßen anpassen.

Die größere Problematik liegt dann für die Bauvertragsparteien darin, festzustellen, ob die Nachträge dem Grunde und der Höhe nach berechtigt sind, da teilweise aus den Ursprungsangeboten nicht abzuleiten ist, ob auch der Nachtrag bzw. die geänderte Leistung auf der Grundlage der Ursprungskalkulation preislich festgelegt wurde. Ggf. wird der Unternehmer dem Auftraggeber androhen, die Arbeiten einzustellen, soweit keine Einigung über den Umfang und die Vergütung der Leistung erfolgen. Dabei muss aber eingeräumt werden, dass die wirtschaftliche Position des Auftragnehmers heutzutage denkbar schlecht ist. Um den Auftrag tatsächlich zu erlangen, kann in aller Regel von einer Gewinnspanne von 0 – 2 % ausgegangen werden. Es sind allerdings auch Fälle bekannt geworden, dass schon im Ursprungsangebot, das dann zum Vertragsabschluss führt, mit roten Zahlen jongliert wird. Diese schlechte kaufmännische Kalkulationsgrundlage gilt es später im Rahmen der Bauabwicklung durch Nachträge, Behinderungsanzeigen, gesonderte Stundenlohnabrechnungen etc. auszugleichen.

Der Auftraggeber dagegen versucht sich mit seinen Mitteln zu wehren. Zunächst geschieht dies im Wege des Abschlusses eines Knebelvertrages mit Inhalten, die oft deutlich außerhalb des früheren AGB-Gesetzes, heute außerhalb der §§ 305 ff. BGB, angesiedelt sind.

Darüber hinaus versucht der Auftraggeber, durch die Geltendmachung umfassender Mängel Geld einzubehalten, indem er mindestens die dreifache Höhe etwaiger Mängelbeseitigungskosten von vornherein zurückhält und dies selbst dann, wenn gar keine Mängel vorliegen und diese nur vorgespiegelt werden. Die finanzielle Situation verschlechtert sich für den Unternehmer auch dadurch, dass die Abnahme aus strategischen Gründen weit hinausgeschoben wird oder aber die Behauptung aufgestellt wird, die Schlussrechnung sei nicht prüfbar. Insofern erlebt der juristische Beobachter derartiger Szenarien, dass ein erhebliches Druckpotenzial von Seiten beider Bauvertragspartner aufgebaut wird.

Es ist unstreitig schon vorgekommen, dass aus der Luft gegriffene Mängel, die an der Baustelle gar nicht vorhanden waren, im Nachhinein "produziert" wurden. Alle taktischen Maßnahmen geschehen in der Absicht, der jeweiligen Gegenseite zum eigenen Nutzen größtmöglichen Schaden zuzufügen. Es entsteht häufig eine Situation, die aus volks- wie auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht als unsinnig angesehen werden muss. Selbst eine etwa obsiegende Partei muss sich zu einem späteren Zeitpunkt eingestehen, dass sie einen Pyrrhussieg errungen hat.

Bei genauer Analyse eines langjährigen Bauprozesses mit erheblichen Gerichts-, Anwalts- und Sachverständigenkosten ist festzustellen, dass letztendlich am Schluss beide Parteien verloren haben. Es darf dabei nicht unbeachtet gelassen werden, dass bei der Abwicklung von Baumaßnahmen für beide Parteien erhebliche Risiken vorhanden sind.

Für den Auftraggeber realisieren sich in aller Regel folgende Risiken ganz oder teilweise:

Selbst bei Obsiegen nach jahrelangem Rechtsstreit tritt oft Insolvenz auf Seiten der Auftraggeberseite ein, teilweise gezielt gesteuert, teilweise aufgrund erheblicher wirtschaftlicher Risiken zwangsläufig herbeigeführt.

Aus diesem Grunde scheint es vernünftig, sich aufgrund der wechselseitigen Risikolage Gedanken über neue Abwicklungsmodelle zu machen. So wird in der Literatur in letzter Zeit sehr häufig darüber diskutiert, ob nicht so genannte Schlichtungsmodelle eingeführt werden sollten, die dahin ausgerichtet sind, einen aufkommenden Streit in Kürze zu beenden und sachgerecht aufzuarbeiten. Ebenso beabsichtigen solche Schlichtungsmodelle, den Parteien auch für die zukünftige weitere Abwicklung der Bauleistung eine durch wechselseitige Vernunft geprägte Vorgehensweise vorzugeben. Solche Schlichtungsmodelle sind aber nur dann sinnvoll, wenn sich die Parteien auf folgende Grundsätze festlegen lassen:

Recht der Parteien zur Anrufung des Schiedsgerichtes in begründeten Einzelfällen:

In der Baurechtsliteratur werden in letzter Zeit verschiedene Schlichtungsmodelle aufgrund der Unkultur, die sich im Baubereich eingeschlichen hat, diskutiert. Es bleibt zu hoffen, dass ggf. auch von staatlicher Seite bezüglich der komplexen Abwicklung von Bauleistungen entsprechende Hilfestellungen angeboten werden.

Die konventionell kontroverse Abwicklung von Baumaßnahmen führt nicht selten zu einer regelrechten Verfeindung beider Vertragsparteien.

Beide Bauvertragsparteien müssten einsehen, dass eine solche Haltung sowohl volks- als auch betriebswirtschaftlicher Unsinn ist und sich zu einer neuen Baukultur und gegenseitigem Respekt verpflichten. Allerdings besteht noch völlige Unklarheit darüber, wie man aus dem jetzt bestehenden Teufelskreis herauskommt, ohne irgendwelche unabwägbaren Risiken eingehen zu müssen. Es bleibt zu hoffen, dass öffentliche Appelle in nächster Zeit diesem Verhalten entgegenwirken und dass die beiden Bauvertragsparteien sich am Ende einer durchgeführten Baumaßnahme wieder die Hand schütteln, anstatt sich vor Gericht zu bekämpfen.


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