IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 24/2001, Seite 50 f
REPORT
Frischluft durch die Decke
In Ulm entsteht derzeit das weltweit größte Bürogebäude im Passivhaus-Standard. Bauherr ist die Software AG-Stiftung, Darmstadt, Nutzer die Entire Software AG aus Ulm. Der solaroptimierte Baukörper wird durch thermisch aktivierte Betondecken temperiert, die Zuluftversorgung der außenliegenden Büros erfolgt über ebenfalls in die Betondecken verlegte ovale Lüftungsrohre. Ein Fernwärmeanschluss an das Heizkraftwerk Ulm liefert die minimale Restwärme, den Kältebedarf decken 40 je 100 m tiefe Erdsonden. Die jährlichen Verbrauchskosten für Heizung, Kühlung und Lüftung des 7000 m2 Nutzfläche umfassenden Gebäudes sollen gerade mal bei einem Euro pro Quadratmeter liegen.
Auf dem Eselsberg in Ulm entsteht derzeit das weltweit größte Bürogebäude im Passivhaus-Standard. (Bild: oehler + arch kom). |
Rund zehn Jahre nach dem Bau des ersten Passivhauses in Darmstadt und den überwiegend positiven Erfahrungen mit inzwischen rund 2000 Wohnhäusern im Passivhaus-Standard entsteht derzeit im Science Park II auf dem Eselsberg in Ulm nach dem Entwurf der Architekten oehler + arch kom (Bretten) das weltweit größte Bürogebäude im Passivhaus-Standard mit einem Heizenergieverbrauch von weniger als 15 kWh/(m2 a). Erreicht wird dieser extrem niedrige Wert durch solare Energienutzung über die Fassade, eine sehr gute Wärmedämmung, ein ausgeklügeltes Lüftungssystem mit Vorwärmung bzw. Vorkühlung durch einen Erdreich-Wärmeübertrager sowie durch das vom Gebäude vollständig umschlossene Atrium, dessen Dach als Photovoltaikanlage ausgeführt ist.
Montage der ovalen Lüftungskanäle Quadrofix von Westaflex. Zum Schutz vor Korrosion werden die Rohre mit einer vier Millimeter starken PE-Folie ummantelt. (Bild: Westaflex). |
Um das fünfgeschossige Gebäude von temperaturerhöhenden inneren Wärmeentwicklungen zu entlasten, legte das Tübinger Ingenieurbüro für Energieberatung, Haustechnik und ökologische Konzepte (ebök) allergrößten Wert auf eine besonders stromsparende Installations- und Bürotechnik. So ist für die Software-Firma ein um fast 50 Prozent niedrigerer Strombedarf ausgewiesen als in einem konventionell ausgerüsteten Bürogebäude. Der Energieverbrauch für Heizung und Kühlung sowie Hilfsstrom für Pumpen und Ventilatoren soll sogar um rund 75 Prozent unter dem heute üblichen Standard liegen.
Durch die erhöhte Scheitelfestigkeit, kombiniert mit der PE-Folie, halten die Kanäle auch dem rauhen Betoniervorgang stand. (Bild: Westaflex) |
Klimakonzept
Damit sich in dem hochwärmegedämmten und solaroptimierten Bürogebäude stabile und komfortable Raumklimabedingungen einstellen, wird folgendes Energie- und Raumklimakonzept realisiert:
- Fernwärme aus Kraft-Wärme-Kopplung, Anschlussleistung 120 kW
- Kälteversorgung durch etwa 40 Erdsonden, jeweils 100 m tief, tagesmittlere Leistung ca. 120 kW
- Außenluftansaugung über einen rund 30 m langen Erdreich-Wärmeübertrager zur Zuluftvorwärmung im Winter bzw. Zuluftvorkühlung im Sommer
- Einbau eines Wärmerückgewinners in die Lüftungsanlage (Rückwärmzahl 75 Prozent)
- Lichtlenkjalousien, wahlweise als Blendschutz, zur Tageslichtnutzung und zur Minderung der Strahlungswärme im Sommer
- Einbau wasserdurchströmter Rohrregister in die Betondecken zur thermischen Aktivierung von Decken, dadurch Verzicht auf Heizkörper bzw. konventionelle Raumkühleinrichtungen
Abdichtung des an die Schalung fixierten Luftkanals. (Bild: Westaflex) |
Zur gleichmäßigen Durchströmung des Gebäudes mit aufbereiteter Zuluft sind die Büroräume der Obergeschosse bzw. die Funktionsräume mechanisch entlüftet. Der dadurch entstehende Unterdruck bewirkt, dass Luft aus dem Atrium über Nachströmöffnungen in der Fassade in die innenliegenden Büros einfließen kann. Die außenliegenden Räume werden ebenfalls mit Luft aus dem Atrium versorgt, die über einbetonierte Luftkanäle nachströmt. Bei den in den Betondecken eingegossenen Quadrofix-Lüftungskanälen mit einer Gesamtlänge von etwa 1650 m handelt es sich um ein ovales Lüftungsrohr aus verzinktem Stahlblech mit dem Innenmaß 192 x 80 mm, ausgelegt auf eine erhöhte Scheiteldruckfestigkeit. Es ist nicht brennbar nach DIN 4102 A1 und bis 200 °C temperaturbeständig. Um die im Gebäude entstehende Wärme optimal zu nutzen, wird die verbrauchte Luft in der Abluftzentrale zunächst über die Wärmerückgewinnung geführt und dann über Dach ausgeblasen.
Zusammenarbeit notwendig
Die Kombination von Betonkerntemperierung und Lüftungstechnik erforderte vor allem im Stadium des Rohbaus eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bauunternehmer, der Fa. Trucksäss-Bau aus Neu-Ulm und dem SHK-Fachbetrieb, der Fa. Scheffler aus Ulm. Zur Absicherung der Einbausituation wurde der Deckenaufbau mit den eingelegten Lüftungskanälen der Materialprüfungs- und Versuchsanstalt Neuwied zur Begutachtung vorgelegt. Wichtig bei dieser Art von Betonkernaktivierung mit integrierter Lüftung ist die verrückungs- und aufschwimmsichere Montage der Lüftungsrohre mittig zwischen den Bewehrungsebenen. Damit kein Beton in die Lüftungsrohre eindringen kann, wurden alle Stöße mit Textilband verklebt. Die Anschlüsse an die seitliche und untere Schalung erfolgt über Bundkragen, die direkt auf die Schaltafel aufgeklebt werden.
Das Passiv-Bürogebäude wird gefördert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie sowie durch die Stadt Ulm. Es soll voraussichtlich Ende 2002 bezogen werden.
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