IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 18/2000, Seite 94 ff.


REPORT


Handwerksmesse NRW 2000

Handwerk zeigt Flagge

Neue Märkte erschließen, Produkte einführen, Kundenkontakte pflegen - das waren die Ziele der Handwerksmesse 2000 in Köln, vom 21. bis 25. Juni, mit ihren rund 47.000 Besuchern (ein Plus von 10%) und 884 ausstellenden Unternehmen.

Über dies wurde die Handwerksmesse NRW wieder zur Schnittstelle zwischen Politik und Handwerk, Industrie und Handel sowie zwischen Fachbesuchern und Endverbrauchern - eine Stätte der Begegnung mit der Politik, wie sie in dieser Form in Deutschland im Handwerk ihresgleichen sucht.

Wir schreiben in der Tat nicht die besten Zahlen, wenn es um die Bewertung der konjunkturellen Situation geht. Für das Jahr 2000 rechnen wir bundesweit mit einer Umsatzsteigerung von 1,5%, bei den Beschäftigten soll der Anstieg bei ca. 60.000 Mitarbeitern liegen, erklärte Uwe Nehrhoff, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln, auf der Vorpressekonferenz. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass nach den Informationen der Bundesregierung der Aufschwung bereits deutlich spürbar ist. Bis zum Handwerk sei das noch nicht im vollen Umfang durchgedrungen, so Nehrhoff. Das Handwerk sei es aber langsam leid, dass ständig über den Meisterbrief und die Änderungen der Handwerksordnung spekuliert werde, wenn in der Steuer- und Rentenreform die bisher auf dem Tisch liegenden Vorschläge am Mittelstand vorbeigingen und Kommunen immer stärker dazu übergingen, sich auf mittelständischen Märkten profilieren zu wollen.

Die Bundesregierung habe, wie ihre Vorgängerin, bei ihrem Antritt eindeutige Bekenntnisse zum Meisterbrief abgelegt. Dies sollte auch der Tenor der praktizierten Politik sein. Es müsse endlich Ruhe in das Handwerk und die Handwerksorganisation kommen und hierzu müsse die Bundesregierung stärker als bisher beitragen, erklärte Nerhoff. Immerhin sei das Handwerk der stärkste Ausbilder und verfüge über deutlich mehr Beschäftigte als die Industrie insgesamt. Ein Knackpunkt in den politischen Gesprächen auf Bundes- und Landesebene sei die Finanzierung der überbetrieblichen Unterweisung. Ausbildung sei teuer geworden und die Zahl der Ausbildungsbetriebe - nicht der Auszubildenden - sei ja in den vergangenen 15 Jahren deutlich zurückgegangen. Hier müsse der Staat wieder investieren. Man müsse zu der alten Form der Finanzierung zurückfinden, die da lautete: Ein Drittel der Kosten trägt der Betrieb, ein Drittel das Land, ein Drittel der Bund. Hiervon sind wir weit entfernt, erklärte Nerhoff; zur Zeit zahle der Betrieb 80% und das ist einfach nicht verkraftbar.

Messeeingang: Vielschichtige Besuchergruppen machten deutlich, dass diese Messe angenommen wurde und das Handwerk Zukunft hat.

Treffpunkt des rheinischen Handwerks

Über 200 Innungen und Betriebe benutzten intensiv die Gelegenheit, sich einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren und unterstrichen so die Leistungsfähigkeit des heimischen Handwerks.

Die SHK-Innungen Köln, Bonn/Rhein-Sieg, Euskirchen, Rhein-Berg/Leverkusen, Rhein-Erft präsentieren sich auf einem ca. 400 m2 umfassenden Gemeinschaftsstand.

Der Westdeutsche Handwerkskammertag präsentierte gemeinsam mit der Energieberatungsagentur NRW das Energieberatungsmobil des Landes NRW. Rationelle Energienutzung, Energieeinsparung, innovative energieeffiziente Technologien und regenerative Energien standen im Mittelpunkt der Verbrauchergespräche.

Besonders vor dem Hintergrund der neuen Energieeinsparverordnung die vorsehe, alle vor 1978 gebauten Heizanlagen zu erneuern, bestand für die Fachleute der Installateur- und Heizungsbranche ein enormer Beratungsbedarf.

Nach Angaben der Bundesregierung stehen in Deutschland rund 3 Millionen veraltete Heizkessel. Die Modernisierung sollte dazu beitragen, dass bis 2005 der Kohlendioxidausstoß in Deutschland um rund 50 Millionen Tonnen verringert wird. Durch die Modernisierung erfolge eine deutliche Kostenersparnis durch den Betreiber. Außerdem erleichtere eine elektronische Überwachung die Wartung der Systeme.

Handwerk in Aktion: Immer wieder waren Praxisvorführungen Anlaufpunkte und fanden unter den Besuchern großes Interesse.

Wachstum bei der Altbaumodernisierung

Auf dem Podium informierten und diskutierten Fachleute der Baugewerblichen Verbände, der Handwerkskammern, des Bauministeriums NRW, öffentliche Bauträger sowie Architekten über den gegenwärtigen Stand der Altbaumodernisierung.

Vom derzeitigen Wohnungsbestand in Deutschland sind über 70% vor 1970 errichtet worden. Neueste Untersuchungen belegen, dass der Wohnungsbau aufgrund des kräftigen Wachstums bei der Altbaumodernisierung wieder zunimmt. Während im Vergleich das Neubauvolumen von 1995 bis 1999 nur um 0,6% gewachsen ist, gab es bei der Altbausanierung im gleichen Zeitraum ein Plus von über 8% mit derzeit steigender Tendenz. Im Jahr 2002 dürfte der Altbausektor mit Investitionen von ca. 400 Milliarden DM erstmals umfangreicher als der Neubausektor sein. Dem Bau- und Ausbaugewerbe eröffnet sich hier ein breites Betätigungsfeld mit neuen Marktpotenzialen, die bisher nur zum Teil ausgenutzt werden.

Politische Großkundgebung

"Flagge" zeigte das Handwerk in eindrucksvoller Weise im Juni dieses Jahres in Köln. Unter der Überschrift "Das Handwerk zeigt Flagge" führte der nordrhein-westfälische Handwerkstag mit Unterstützung der KölnMesse eine politische Großkundgebung zum Thema "Das Handwerk vor Existenzentscheidungen" durch. Im Vordergrund der Veranstaltung stand der Dialog mit der Politik. Diskutiert wurden die für die Zukunft des Handwerks essentiellen Fragen des Meisterbriefes, der Steuerreform und gerechter Wettbewerbsbedingungen für den Mittelstand. Mit dieser Großkundgebung erreichte das handwerkspolitische Aktionsforum "Handwerk zeigt Flagge" 152 Tage nach dem Beginn dieser Aktion seinen Höhepunkt.

Als Redner waren neben Hansheinz Hauser, Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Handwerkstages (NWHT, Dr. Barbara Hendricks MdB, Parl. Staatssekretärin im Bundesministerium der Finanzen, Hartmut Schauerte MdB, Mitglied des Vorstandes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, stv. Vorsitzender der FDP, Edith Müller, Landtagsvizepräsidentin NRW (Bündnis 90/Die Grünen) eingeladen.

Ministerpräsident Prof. Dr. Kurt Biedenkopf ist neunter Träger des Europäischen Handwerkspreises

Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, erhielt den Europäischen Handwerkspreis 2000. Dies beschlossen die Spitzengremien des NRW Handwerks in Verbindung mit der Messegesellschaft Handwerk NRW GmbH. Der Preis wurde bei der Eröffnungsveranstaltung der Handwerks-Messe NRW in Köln am 21. Juni 2000 überreicht.

Der Europäische Handwerkspreis des nordrhein-westfälischen Handwerks wird an Persönlichkeiten verliehen, die durch eine freiheitliche Wirtschaftspolitik dem Zusammenwachsen Europas in besonderer Weise Impulse gegeben haben und sich dabei für die Förderung von Betrieben des Mittelstandes und des Handwerks eingesetzt haben.

Prof. Dr. Kurt Biedenkopf hat sich in seiner jahrzehntelangen Arbeit für eine faire Wettbewerbsordnung in herausragender Weise um die soziale Marktwirtschaft verdient gemacht.

Zentralistische Denkstrukturen sind ihm genauso fremd wie dem Mittelstand, erklärte Präsident Hauser. Fast schon mit Penetranz haben Sie auch deshalb immer wieder die Behauptung in Frage gestellt, dass Besitzstände unveränderlich seien. Sie halten dem Menschen den Spiegel der Wirklichkeit vor, einer Wirklichkeit vor der viele nur allzu gerne die Augen verschließen, erklärte Hauser in seiner Laudatio.

Das Handwerk ehrte in Ministerpräsident Biedenkopf einen Mittelstandspolitiker, der sich an den Idealen der sozialen Marktwirtschaft orientiert, der eintritt für die Interessen des Mittelstandes, für ein Klima der Eigenverantwortung und der Risikobereitschaft.

Flagge gezeigt: Der Kölner SHK-Innungsstand fesselte mit der "lebendigen Werkstatt" und setzte sich mit offensiven Themen auseinander.

9. Europäischer Aus- und Weiterbildungskongress

In Zusammenarbeit mit der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. stellte der Westdeutsche Handwerkskammertag (WHKT) anlässlich der Handwerks-Messe NRW auf dem 9. Europäischen Aus- und Weiterbildungskongress am 23. Juni 2000 Lösungsansätze vor. Unter dem Titel "Handwerk und Wissenschaft" - Wege der Kooperation - präsentierten internationale Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik neue Wege der Zusammenarbeit von Hochschulen und kleinen und mittelständischen Unternehmen. Schwerpunktmäßig werden die Themen KMU und Handwerk als Gegenstand von Forschung und Lehre, Wissens- und Technologietransfer und die gemeinsame Personalentwicklung behandelt.

Für die Fachverbände des Handwerks NRW diskutierte der Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes Sanitär-Heizung-Klima NRW, Dr. Hans-Georg Geißdörfer, in dem Arbeitskreis "Professor trifft Meister".

Geißdörfer betonte, dass das Handwerk zunehmend darauf angewiesen sei, auch akademische Mitarbeiter zu beschäftigen. Es werde in dem Arbeitskreis zu diskutieren sein, wie Akademiker bereits während des Studiums für mittelständische Unternehmen gewonnen werden können.

Geißdörfer widersprach der These von Prof. Staudt, Leiter des Instituts für angewandte Innovationsforschung, Ruhruniversität Bochum, der in seinem Eröffnungsvortrag "Kleine und mittlere Unternehmen und Wissenschaft - ohne Zusammenarbeit keine Zukunft" davon gesprochen hatte, dass Handwerk und Wissenschaft in isolierten Welten lebten, eine normale Zusammenarbeit scheitere bereits an Gegensätzen, das Handwerk werde seine Berührungsängste im akademischen Bereich einfach nicht los.

Handwerk und Wissenschaft, so Staudt, seien im übrigen auseinanderverlaufende Systeme, die nur in Grenzfällen funktionieren.

Für den weiteren Verlauf der Debatte formulierte Geißdörfer vier Thesen:

Die Wissenschaft habe das Handwerk bisher sträflich vernachlässigt. Die Abwehr- und Verdrängungshaltung müsse aufhören. Geißdörfer verwies auf das Beispiel der Kooperation des Fachverbandes mit den Fachhochschulen in NRW, insbesondere mit der Fachhochschule Gelsenkirchen.

Es gäbe heute bereits sektorale Ansätze. Das reiche aber für die Zukunft nicht aus. Das Handwerk sei generell langfristig darauf angewiesen, mehr akademische Mitarbeiter zu beschäftigen.

Eine institutionelle Verankerung sei erforderlich. Die wissenschaftliche Forschung; mehr Lehrstühle, mehr Institute.

Die jüngst gegründete Fachhochschule des Mittelstandes NRW in Bielefeld, die bereits in einigen Monaten ihren Betrieb aufnehme, sei hier ein erster Versuch.

Geißdörfer sprach sich für eine Initiative "Handwerk pro Wissenschaft" in NRW aus. Es fehle in NRW im Übrigen das mentale Akademikerpotenzial für die mittelständischen Betriebe. Ziel einer mittelstandsorientierten Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik müsse es sein, Akademikern in mittelständischen Betrieben des Handwerks, des Handels und der Industrie ein praxisbegleitendes Studium an allen Universitäten und Fachhochschulen des Landes zu ermöglichen.


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