IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 17/2000, Seite 22 ff.
VERBÄNDE AKTUELL |
Nordrhein-Westfalen
Strom im liberalisierten MarktDas Energieunternehmen der Zukunft |
Dr. Hans-Georg Geißdörfer Teil 2
Die Zukunft kann heute niemand mit Sicherheit voraussagen, allenfalls kann man über wahrscheinliche Entwicklungen und Trends nachdenken. Deshalb ist eine solide Positionsbestimmung vonnöten. Die europäische Binnenmarktrichtlinie Elektrizität hat 1996 den Grundstein für den Richtungswechsel in Europa gelegt. Bis Februar 1999 war sie in den Mitgliedsländern der Gemeinschaft in nationales Recht umzusetzen. Bis dahin war also die Elektrizitätswirtschaft ein reguliertes, nationales Geschäft, der Cash-flow der Unternehmer sicher, hoch und stetig.
Im April 1998 trat das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts in Deutschland in Kraft. Über die Anforderungen der Binnenmarktrichtlinie geht es weit hinaus. Deutschland ist - wie kann es anders sein - das einzige Land, das den Strommarkt vollständig auf einen Schlag für alle Kunden geöffnet hat. Diese "deutsche Gründlichkeit" hat uns im Ausland viel Anerkennung eingebracht. Für deutsche Energieunternehmen bedeutet dies eine enorme Anpassung und Veränderung, wobei die Geschwindigkeit über Erfolg und Misserfolg entscheidet.
Kennzeichen des alten Ordnungsrahmens war die hohe vertikale Integration. Sie reichte von der Primärenergiebeschaffung über die Stromerzeugung, über Transport und Verteilung, bis hin zum Verkauf an Endkunden. Durch die Liberalisierung kommt es nun auf jeder einzelnen Stufe zum Wettbewerb. Anders gewendet: Es kommt zu einer Auflösung der bislang vertikal integrierten Wertschöpfungskette.
Am deutlichsten sichtbar ist der Wettbewerb auf der Vertriebsebene. Der Wettbewerb um den Endkunden ist in allen Marktsegmenten voll entbrannt. Für Weiterverteiler und große Gewerbe- und Industriekunden sind die Preise nicht erst seit der Liberalisierung rückläufig. Aggregatoren bündeln die Nachfrage vieler Kunden. So erreichen sie erheblich bessere Konditionen.
Auf der Erzeugerstufe treten Independent Power Producer in den Markt ein. Die zusätzlichen Stromerzeugungskapazitäten drücken die Erzeugungspreise. Der Netzbereich ist weiterhin überwiegend ein natürliches Monopol. Die kürzlich novellierte Verbändevereinigung Durchleitung gewährleistet aber auch auf dieser Wertschöpfungsstufe effizienten "Als-ob-Wettbewerb".
Zwischen den einzelnen Stufen sorgen Großhändler und Strombroker für die nötige Markttransparenz und verstärken durch eigenes Geschäft den Preisdruck. Neue Ableger von Unternehmen aus dem liberalisierten Ausland, z.B. USA, Großbritannien und den skandinavischen Ländern, treten nicht nur im Handel, sondern auch auf der Erzeugerstufe auf den Markt. Die etablierten Unternehmen in Deutschland machen sich bundesweit Konkurrenz.
Vom gesamten Nettostromverbrauch in Deutschland von ca. 490 TWh wird inzwischen mehr als 10% von neuen Marktteilnehmern abgewickelt. In der Industrie, auf die rd. 48% des Nettoverbrauchs entfallen, beträgt der Anteil von Newcomern 20%. Im Bereich der privaten Haushalte werden zwar erst 3% des Stromabsatzes von neuen Anbietern abgedeckt, aber mit deutlich steigender Tendenz.
Die Folge: Auf breiter Front kommt es zu einem drastischen Rückgang der Strompreise.
Für große Industriekunden sowie für Weiterverteiler sind die Netto-Durchschnittserlöse im Laufe des vergangenen Jahres im Bundesdurchschnitt um etwa 20%, teilweise um bis zu 30% gesunken. Im Massenkundenmarkt mit Privatkunden sind die Netto-Durchschnittserlöse im Laufe des Jahres 1999 bundesweit um 5 bis 7% zurückgegangen. Die Nettoerlöse dürften im Privatkundenmarkt jetzt sogar um mehr als 10% unter denen von Anfang 1999 liegen. Die Energieunternehmen reagieren auch im Haushaltskundenbereich mit erheblichen Preissenkungen auf den Druck neuer Wettbewerber.
Wir beobachten gegenwärtig eine Entwicklung wie im Telekommunikationsmarkt im ersten Jahr nach Marktöffnung im Festnetz - aggressiver Preiskampf, Marktanteilsgewinne um jeden Preis. Der wesentliche Unterschied: Die Liberalisierung in der Energiewirtschaft findet in einem fast stagnierenden Marktumfeld statt. Wer hier wachsen will, muss es zu Lasten der Konkurrenz tun. Ein zweites kommt hinzu: Erhebliche Überkapazitäten in Europa drücken auf den Markt.
In einem solchen Umfeld besteht nur der, der die beste Preisposition hat. Ein striktes Kostenmanagement auf allen Ebenen ist für alle Energieversorgungsunternehmen deshalb das Gebot der Stunde.
Aber Verschlankung allein reicht nicht aus. So verfolgen die EU, wie beispielsweise RWE - parallel weitere Strategien. Dazu gehört die Ausweitung des Geschäfts durch neue energienahe Dienstleistungen und neue Partnerschaften, bis zur Verschmelzung mit anderen Unternehmungen.
Die Branche befindet sich in einem tiefgreifenden Konsolidierungsprozess, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Fusionen und Übernahmen einerseits und Desinvestments von strategisch nicht erforderlichen Aktivitäten andererseits prägen zunehmend das Tagesgeschäft in den Konzernen.
Einsparpotentiale gibt es vor allem in den Energiebereichen der Konzerne, beispielsweise bei der Reduzierung der Reserveleistung, der Einsatzoptimierung und gemeinsamen Betriebsführung, einem gemeinsamen Netzmanagement und der Zentralisierung von Billing, Call Centern und Marketing.
Alle Fusionen in der Elektrizitätswirtschaft bedürfen der kartellrechtlichen Genehmigung. Im neuen liberalisierten Umfeld ist die bisher gültige Philosophie der Marktabgrenzung anhand von Versorgungsanbietern hinfällig. Es gibt nur noch Kunden.
Die Verbändevereinigung Durchleitung und ihre jüngste Novellierung lassen auch für ausländische Anbieter einen Deutschland-weiten-Markt entstehen. So sehen sich die Energieunternehmen mit dem europäischen Binnenmarkt zunehmend auch internationalem Wettbewerb gegenüber. Dies muss bei kartellrechtlichen Entscheidungen berücksichtigt werden.
Großfusionen sind nicht von vornherein abzulehnen. Sie müssen zu mehr Effizienz führen, zu kostengünstigen Angeboten und damit zu Vorteilen für den Verbraucher. Der relevante Markt ist nicht mehr die Region, nicht mehr nur Deutschland, er ist Europa. Deshalb brauchen wir auch ein europäisches Denken beim Kartellrecht.
Multi Utility bietet neuen Kundennutzen
Die Ausrichtung auf den Wettbewerb bleibt aber nicht auf Kostensenkungen und Größeneffekte durch Fusionen beschränkt. Es werden weitreichende Antworten verlangt. Kundenorientierung, Marketing und Vertriebsoptimierung lauten die Stichworte.
Energieprodukte wie Strom, Gas, Öl, Fernwärme und Versorgungsleistungen wie Wasser/Abwasser oder Abfall und Recycling sind für sich genommen homogene Güter. Sie sind "commodities", die nur wenig Differenzierung über ihre Produkteigenschaften erlauben. Daran hat auch die bizarre Diskussion über die Farbe des Stroms - ob gelb oder blau -, die vor kurzem durch das Land geisterte, nichts geändert.
Einen echten Kundennutzen verspricht dagegen eine Kombination von Energieangebot und energienahen Dienstleistungen. Die Antwort lautet deshalb: Multi Utility. Das bedeutet die umfassende Versorgung von Kunden mit Energie und energienahen Dienstleistungen aus einer Hand. Multi Utility erlaubt eine unverwechselbare Positionierung gegenüber dem Wettbewerb. Die ökonomische Logik des Multi Utility-Ansatzes ergibt sich durch die Integration einzelner Angebote an den Kundenschnittstellen. Der Markt verlangt solche integrierten Angebote.
|
Ergebnisse der Befragung von Industriekunden zeigen:
- 80% wollen Strom und Gas von einem Anbieter.
- 64% können sich aber auch die zusätzliche Wasserversorgung durch diesen Anbieter vorstellen.
Auch in anderen Kundensegmenten - kleine und mittlere Unternehmen, Privatkunden - bestätigt sich der Trend zu Bündelangeboten von Utility-Dienstleistungen.
Die Attraktivität von Multi Utility für den Kunden besteht im Komfort, indem er nur noch einen kompetenten Ansprechpartner für seine Versorgungs- und Entsorgungsfragen hat. Natürlich muss jede einzelne Leistung, verglichen mit einem anderen Anbieter, auch die preislich günstigste sein. Das führt zu höchsten Anforderungen an die gesamte Angebotspalette.
Für die EU besteht die Attraktivität durch das Aufsetzen auf bestehende Kundenverbindungen, z.B. im Strombereich, aber auch im Mineralölgeschäft. So entstehen erhebliche Kostensynergien im Vertrieb gebündelter Utility-Produkte und damit auch Preisspielräume. Durch eine Kundenverbindung lässt sich mehr Umsatz als im bisherigen eindimensionalen Ansatz erzielen, in dem Utility-Produkte unverbunden nebeneinander standen.
Energienahe Dienstleistungen als Wachstumsträger
Gerade energienahe Dienstleistungen werden zukünftig an Bedeutung gewinnen. Bis 2010 rechnet man nach Meinung der RWE mit einem europaweiten Marktpotenzial von ca. 90 Mrd. Euro. Das Spektrum der energienahen Dienstleistungen ist vielfältig. Es eröffnet im Privatkundenbereich und im gewerblichen Bereich neue Geschäftsperspektiven.
Die "Steckdose als Auffahrt zur Datenautobahn" ist eine Vision, die greifbar nahe liegt. Nicht nur Telefonieren und Surfen im Internet sind künftig über die Stromleitung denkbar.
Jede Steckdose kann zum Übergabepunkt für Sicherheitsmodule, wie z.B. Bewegungsmelder und Überwachungskameras, werden. "Home Automation" lautet das Stichwort. Derartige Dienstleistungen bieten für den Kunden eine echte "value proposition".
Auch bei anderen energiebezogenen Dienstleistungen können leistungsfähige Energiedienstleister spezifische Stärken ausspielen. Beispiel: Das stromwirtschaftliche Know-how stärker für Industriekunden nutzbar machen, etwa unter Einsatz des Internets.
Die Liberalisierung des Strommarktes setzt Kreativität frei - auf beiden Seiten des Marktes, bei Anbietern und bei Kunden - Change Management ist gefragt.
Nachruf
Dipl.-Ing. Otto Stenger verstorben
Im Alter von 87 Jahren verstarb der langjährige Obermeister, Ehrenobermeister der Innung für Sanitär und Heizungstechnik Düsseldorf sowie Ehrenmitglied des Fachverbandes Dipl.-Ing. Otto Stenger.
In zahlreichen ehrenamtlichen Funktionen hat sich Otto Stenger um das SHK-Handwerk auf Bundes- und Landesebene verdient gemacht.
Das Jahr 1963 markierte den Beginn einer beispielhaften Karriere in der Handwerksorganisation. Otto Stenger wurde damals zum Obermeister der Innung und zugleich in den Vorstand der Kreishandwerkerschaft Düsseldorf gewählt. Von 1963 bis 1987 war Stenger überdies Vorsitzender des tarifpolitischen Ausschusses des Fachverbandes Sanitär Heizung Klima NRW. Von 1965 bis 1987 war er Vorstandsmitglied des Verbandes; 1975 wurde er zum stv. Vorsitzenden des Landesverbandes gewählt. Dieses Amt bekleidete er ebenfalls bis 1987.
In den fast 25 Jahren seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Verband hat sich Otto Stenger für die Förderung der fachlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interessen der Mitgliedsbetriebe in NRW eingesetzt.
Dipl.-Ing. Otto Stenger, Ehrenobermeister Innung Düsseldorf und Ehrenmitglied des Fachverbandes SHK NRW. |
Besonders hervorzuheben ist sein berufsbildungs- und politisches Engagement sowie seine Arbeit auf sozialem und tarifpolitischem Gebiet.
Ausgehend von den Grundlagen des dualen Systems, hat Otto Stenger frühzeitig die Notwendigkeit erkannt, dem handwerklichen Nachwuchs die Möglichkeit zu öffnen, neben der Ausbildung im Betrieb, die überbetriebliche Ausbildung in eigens errichteten Ausbildungsstätten des Handwerks zu forcieren. Das Düsseldorfer ÜBL-Zentrum Am Tetelberg - die heutige Otto-Stenger-Schule - mit seinem Einzugsgebiet vom Niederrhein über Düsseldorf bis hin nach Solingen, Wuppertal und Leverkusen, gibt mit seinen beispielhaften Ausbildungseinrichtungen für dieses Engagement ein beredtes Zeugnis ab. Hier werden jährlich über 1000 Auszubildende - vier bis fünf Wochen lang im Jahr - geschult.
Das Bildungskonzept des SHK-Handwerks, auf Initiative von Stenger beschlossen, sah überdies vor, in den Innungen zusätzliche Sprechtage einzurichten, um die Schulabgänger vom Angebot des SHK-Handwerks zu überzeugen und die Berufsausbildung in diesen Handwerksberufen zu beginnen. Dass seine Bemühungen nicht ohne Erfolg geblieben sind, zeigt die Tatsache, dass die Betriebe insbesondere in den 70er-Jahren Steigerungsraten bis zu zehn Prozent erzielen konnten.
In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des tarifpolitischen Ausschusses des Fachverbandes oblag Stenger die Verhandlungs- und Beratungsführung bei den Tarifgesprächen. Wenn der Fachverband SHK NRW als Arbeitgeberverband in all diesen Gesprächen seiner gesamtwirtschaftlichen Verantwortung gerecht wurde, so ist dies nicht zuletzt ein Verdienst von Otto Stenger gewesen, der die Glaubwürdigkeit des Tarifpartners Fachverband gegenüber den Gewerkschaften vertreten hat.
Stenger bekannte freimütig, dass Tarifpolitik keine mathematische Disziplin ist, wo Zahlen gesetzt und das Ergebnis schnell errechnet werden kann. Bei tarifpolitischen Sitzungen braucht man in der Regel Überzeugungskraft, ein praktisches Gespür für das Machbare, ein besonderes Einfühlungs- und auch Durchstehvermögen, letztlich Tugenden die Stenger beherrschte.
Dabei betonte er stets, dass die Arbeit in einem überschaubaren Betrieb erlebnisreicher ist als in der Anonymität der Massenproduktion. Das Verhältnis zum Betriebsinhaber, der ja in der Regel selbst Mitarbeiter ist, ist oft enger und persönlich strukturiert. Die Anerkennung für die Leistung des Anderen und der Respekt vor der Würde seiner Person, kommen so auch in der täglichen Arbeit unmittelbarer zum Ausdruck. Dafür stand Stenger mit Idealismus und großer, persönlicher Einsatzbereitschaft ein.
In Anerkennung seines jahrzehntelangen handwerkspolitischen Engagements, hat Otto Stenger zu Recht höchste Auszeichnungen des Bundes und des Handwerks erhalten.
[Zurück] [Übersicht] [www.ikz.de]