IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 10/2000, Seite 96 ff.


HEIZUNGSTECHNIK


Heizflächenauslegung unter den Aspekten der thermischen Behaglichkeit

Dipl.-Ing. Frank Mattioli*

Die Auslegung von Heizungsanlagen wird nach DIN 4701 auf Basis einer genormten Berechnung des Wärmebedarfs durchgeführt. Die Raumheizflächen werden nach DIN 4701 Teil 3 in ihrer Leistung dimensioniert. Unterschiedliche Kriterien wie Verhältnis von Strahlungs- und Konvektionswärmeanteil, Transmissions- und Lüftungswärmeverluste, Fremdlasten, Anordnung der Heizflächen im Raum usw. werden bei dieser Heizflächenauslegung kaum berücksichtigt.

Der Nutzer verlässt sich auf die berechnete Energiebilanz eines Raumes und damit den ermittelten Wärmebedarf, definiert aber letztendlich den Komfort und die Qualität der Beheizung über sein persönliches Empfinden. Daher ist neben der Deckung des Wärmebedarfs die thermische Behaglichkeit zu berücksichtigen. Und für diese ist es nicht ausreichend, nur die Norm-Innentemperatur eines Raumes sicherzustellen oder eine bestimmte Lufttemperatur im Raum einzuhalten.

Die Ansprüche bezüglich der thermischen Behaglichkeit sind in den letzten Jahren gestiegen und wurden sehr genau quantifiziert (Bilder 1a und 1b).

Tabelle 1: Entwicklung des spezifischen Wärmebedarfs in Gebäuden

 Baujahr des Gebäudes

Spezifischer Wärmebedarf

Reduzierung

 

[W/m2]

[%]

 

bis 1977

140 - 180

100

--

1977 - 1983

100 - 130

70

- 30%

1984 - 1994

70 - 90

50

- 30%

seit 1995

50 - 60

35

- 30%

EnEV

35 - 40

25

- 30%

Randbedingungen

Die Heizflächenauslegung wird vom Wärmebedürfnis des Nutzers bestimmt. Diese Wärmebedürfnisse werden im ersten Ansatz rechnerisch über die Wärmebedarfsberechnung ermittelt. Stetig verbesserte Wärmedämmungen der Gebäudehülle reduzieren den Wärmebedarf neu zu errichtender Gebäude derart, dass spezifische Werte von ca. 30 bis 50 W/m2 erreicht werden (Tabelle 1). Unter diesen Randbedingungen ergeben sich für die Auslegung der Heizflächen wichtige Aspekte, die weit über die einfache Auslegung der Heizflächen nach DIN 4701 Teil 3 hinausgehen.

Bild 1a: Behaglichkeitsfeld in Abhängigkeit von der Oberflächen- und Lufttemperatur.

  

Bild 1b: Behaglichkeitsfeld in Abhängigkeit von der Luftgeschwindigkeit und -temperatur.

  

Bild 2: Anteile des spezifischen Wärmebedarfs (Anhaltswerte für jeweiligen Gebäudestandard).

Im Gegensatz zum sinkenden Wärmebedarf haben sich die Fremdlasten und internen Wärmegewinne im Raum, z. B. Sonneneinstrahlung und elektrische Geräte, kaum verändert. Analog verhält es sich mit dem Lüftungswärmebedarf. Die Größenordnung hat sich - absolut betrachtet - kaum verändert, im Vergleich zum Gesamtwärmebedarf hat er allerdings Anteile von 70% und mehr erreicht (Bild 2). Daher kann man bei der Heizflächenauslegung nicht mehr von einem statischen Heizbetrieb ausgehen, sondern muss vielmehr die dynamischen Laständerungen berücksichtigen.

Empfindungstemperatur - Wärmephysiologie des Menschen

Bei aller Technik steht immer der Mensch als Nutzer im Vordergrund. Wir Menschen sind selbst nicht in der Lage, die Temperatur unserer Umgebung wahrzunehmen. Der Mensch bewertet jedoch unbewusst den Wärmestrom, der ihm aufgrund der Temperaturdifferenzen zwischen der eigenen Körpertemperatur und den Oberflächentemperaturen der ihn umschließenden Flächen sowie der Umgebungstemperatur (Lufttemperatur) entzogen wird.

Dies geschieht durch:

Strahlungseinfluss und -ausgleich

Von besonderem Interesse ist die Körperwärmeabgabe durch Strahlung. Der Mensch steht prinzipiell im Strahlungsaustausch mit seiner Umgebung. Aus diesem Grund kommt der Temperatur der Umschließungsfläche eines Raumes eine große Bedeutung zu. Um thermische Behaglichkeit in einem Raum zu schaffen, ist eine möglichst gleiche Temperatur aller Umschließungsflächen zu erreichen.

Bild 3: Anteile der Wärmeabgabe eines Menschen bei einer Umgebungstemperatur 20°C.

  

Bild 4: Oberflächenuntertemperaturen für verschiedene Wärmedurchgangskoeffizienten und Außentemperaturen.

Stellt man einen Menschen zwischen zwei Wandflächen unterschiedlicher Temperatur, so wird zwangsläufig die Abstrahlung zur kälteren Oberfläche hin größer sein als die Abstrahlung zur wärmeren. Man spricht von einer Strahlungsasymmetrie. Diesen unterschiedlichen Wärmeentzug durch Strahlung empfinden Menschen als unangenehm, sobald die Temperaturen zweier gegenüber liegender Flächen um mehr als 5 bis 7 Kelvin voneinander abweichen. Ziel muss es sein, möglichst gleiche Oberflächentemperaturen an allen Umschließungsflächen zu haben. Von besonderem Interesse sind somit die Außenwände und vor allem die Außenfenster eines Raumes bzw. Gebäudes. Die Oberflächentemperaturen lassen sich in Abhängigkeit vom Wärmedurchgangskoeffizienten für verschiedene Außentemperaturen über die Wärmeleitung berechnen. Um verschiedene Raum-Innentemperaturen abbilden zu können, werden die Oberflächenuntertemperaturen als Differenz zur Raumlufttemperatur dargestellt (Bild 4).

Damit kein Unbehaglichkeitsgefühl durch zu starkes Abstrahlen der menschlichen Wärme an die kalte Außenwand oder die kalten Fensterflächen entsteht, wird der Heizkörper an Außenwänden unter den Fenstern angeordnet. Dadurch wird dem Menschen Wärme durch Strahlung aus der selben Richtung zugeführt, in welche er Wärme an die kalte Fensterfläche abstrahlt (Bild 5).

Bild 5: Strahlungsausgleich durch die richtige Positionierung der Heizfläche.

Einfluss der Konvektion

Die warme Raumluft kühlt sich an kalten Flächen ab und strömt durch den entstehenden Dichteunterschied als Kaltluft mit definierbaren Geschwindigkeiten und definierbarem Volumenstrom (Bilder 6 a, b) in den Raum. Der unter dem Fenster positionierte Heizkörper hat also eine zweite Aufgabe: die sich am Außenfenster abkühlende Raumluft am Einströmen in den Raum zu hindern. Dem Kaltlufteinfall wirkt die konvektive Wärmeübertragung des Heizkörpers entgegen - es wird die gewünschte Raumluftwalze erzeugt (Bild 7), Zugerscheinungen werden vermieden. Dies setzt voraus, dass die Heizkörperbaulänge mindestens gleich der Fensterbreite ist.

Bild 6a: Fallluftgeschwindigkeit der Raumluft bei unterschiedlichen Fensterhöhen.

  

Bild 6b: Volumen der kalten Raumluftströmung.

Bild 7: Gewünschte Raumluftwalze im Raum durch Positionierung des Heizkörpers.

Bedeutung der VDI 6030 "Auslegung von freien Raumheizflächen"

Zukünftig wird der Wärmeübergabe im Raum gegenüber der Wärmeverteilung bzw. der Wärmeerzeuger eine wesentlichere Rolle zugewiesen. Dies hat seine Ursache unter anderem darin, dass der Nutzereinfluss auf den Energieverbrauch einer Heizanlage steigt. Dem Nutzer einer Heizung sind normative, technische Parameter einer Heizanlage relativ egal. Ihm ist wichtig, dass seinen Vorstellungen über das Raumklima entsprochen wird - und er wird sich seine Wünsche erfüllen! Für die Heizungsfachleute ist es daher in der Konzeptionsphase und bei der Installation einer Heizanlage wichtig, die Nutzervorstellungen und -wünsche zu kennen und zu berücksichtigen. Man wird künftig keine Heizungsanlagen ausschließlich nach technischen Wirkungsgraden errichten, sondern auch nach Aspekten der Nutzenübergabe.

Dieser Entwicklung trägt die VDI Richtlinie 6030 Rechnung. War es in der Vergangenheit vor allem notwendig, den Wärmebedarf gemäß DIN 4701 unter minimalem Energieeinsatz zu decken, so wird künftig der Komfortanspruch des Nutzers eines Raumes wesentlich größere Bedeutung einnehmen. Bezieht man die VDI-Richtlinie in die Überlegungen zur Anlagenerstellung ein, kann man mit relativ einfachen rechnerischen Ansätzen diesem Komfortanspruch gerecht werden. Diese Ansätze gehen von statischen Zuständen im Raum aus. Die Bedeutung dieser Richtlinie liegt in der Einfachheit des rechnerischen Ansatzes und damit der möglichen praxisnahen Umsetzung.

(DJAW * AAW) + (DJFe + AFe) < (DJHzk * AHzk)

mit:

DJAW Untertemperatur der Außenwand in K

AAW wirksame Fläche der Außenwand in m2

DJFe Untertemperatur des Außenfensters in K

AFe Fläche des Außenfensters in m2

DJHzk Übertemperatur des Heizkörpers in K

AHzk Ansichtsfläche des Heizkörpers in m2

Die Ansichtsfläche des Heizkörpers ergibt sich aus der Baulänge (gleich Fensterbreite) und der Bauhöhe des Heizkörpers (Brüstungshöhe minus Boden- und Fensterbank-Abstand). Da somit alle Flächen bekannt sind und die Untertemperaturen aus den diversen Diagrammen abgelesen werden können, lässt sich die notwendige Übertemperatur des Heizkörpers einfach berechnen. Zusammen mit der gewünschten Raum-Innentemperatur und der geplanten Spreizung kann man daraus die Systemtemperaturpaarung (Vorlauf/Rücklauf) bestimmen. Somit ist eine Heizflächenauslegung nach den Kriterien der thermischen Behaglichkeit erstmals möglich. Der Abgleich mit der Wärmebedarfsberechnung nach DIN 4701 erfolgt dann über die zu wählende Bautiefe des Heizkörpers. Allerdings wird in Zukunft den dynamischen Lastverhältnissen im Raum - zum Beispiel nach Lüftungsphasen oder Temperaturabsenkungen - wesentlich mehr Beachtung zu schenken sein. Die steigende Bedeutung der Lüftungsverluste am Gesamtwärmebedarf eines Raumes bzw. Gebäudes verlangt zwangsläufig eine stärkere Beachtung des Luftwechsels. Insbesondere die Reaktionsfähigkeit künftiger Heizflächen wird durch entsprechende Anlagenkonzepte abzusichern sein. Dabei ist es für den Nutzer von untergeordneter Bedeutung, ob die dynamischen Einflüsse über zusätzliche Aufheizreserven in der Heizfläche selbst, über Regelstrategien bezüglich der Vorlauftemperatur oder über variable Wasserströme kompensiert werden. Für ihn ist allein wichtig: er fühlt sich zu jeder Zeit wohl.

Bild 8: Rechenansatz nach VDI 6030.

Zusammenfassung und Ausblick

Geht man künftig von wesentlich verbesserten Wärmedämmstandards aus, kann man für die Zukunft folgende Feststellungen formulieren:

1. Beim Niedrigenergiehaus werden die Einflüsse der Strahlungsasymmetrie und die Strömungsgeschwindigkeiten an Außenwänden und -fenstern durch abkühlende Raumluft von untergeordneter Bedeutung sein.

2. Schließt man die dynamischen Lastverhältnisse durch notwendige Luftwechsel in die Betrachtungen ein, so ist eine Anordnung der Heizkörper unter dem Fenster zwingend erforderlich. Eine Anpassung der Heizkörperlänge an die Fenstergeometrie ist zwingend. Dabei müssen Strahlungs- und Konvektionswärmeabgabe aufeinander abgestimmt werden.

Der Komfortgedanke wird ein wesentliches Entscheidungskriterium für die Heizkörperauswahl und -dimensionierung, für die Heizkörperanordnung im Raum sowie für die Größe der Heizkörper(ansichts)fläche. Im Ergebnis zeigen sich für die moderne Heizflächenauslegung folgende Schlussfolgerungen:

- Heizkörper gehören an Außenwände,

- Heizkörper müssen unters Fenster,

- Heizkörper müssen ausreichend groß sein.

Durch Heizkörper mit großer Ansichts- und Heizflächen lassen sich zudem niedrige Vor- und Rücklauftemperaturen realisieren. Der zusätzliche Nutzen: Durch niedrige Systemtemperaturen können neben Niedertemperatur- und Brennwerttechnik auch alternative Wärmeerzeuger, wie Solaranlagen, Wärmepumpen u. a. eingesetzt werden. 


*) Dipl.-Ing. Frank Mattioli, Produktmanagement Buderus Heiztechnik GmbH, Wetzlar


L i t e r a t u r :

Fanger, O.: Thermal Comfort, Kopenhagen, Danish Technical Press, 1970
Mattioli, F.: Thermische Behaglichkeit und Heizkörperauslegung, Heizungsjournal, Ausgabe März 1995
BDH/VdZ: Neue Chancen der Behaglichkeit, Köln 1995
Steimle, F.: Der Mensch und das Raumklima, Installation dkz 05/92
Bach, H.; Bauer, M.: Heizflächen richtig auslegen, sbz 10/1995
VDI 6030: Auslegung von freien Raumheizflächen, Entwurf April 1999


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