IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 5/2000, Seite 19 ff.


VERBÄNDE AKTUELL 


Nordrhein-Westfalen


10. Raesfelder Schlossgespräche

SHK-Branchentreff mit Politik, Industrie, Fachhandel und Fachhandwerk

Welche Herausforderung stellt das neue Jahrtausend an die SHK-Branche? Welches sind die Erfolgsstrategien, die das Handwerk, den Großhandel und die deutsche Sanitärindustrie befähigen, diese Herausforderung erfolgreich zu meistern?

Bereits zum zehnten Mal war Schloss Raesfeld auf Einladung des FSI - des Fördervereins der Sanitärindustrie, des Sanitärhandels und des Sanitärhandwerks - der Ort, an dem solch spannende und für alle Marktpartner existenzielle Fragen erörtert wurden. Ein kleines Jubiläum also. Mit Mut und manchmal auch ein wenig Übermut habe der FSI die Raesfelder Schlossgespräche zu einem Forum des Gedanken- und Wissensaustausches gemacht, das in der ganzen Branche bekannt ist und seine Anerkennung findet, erklärte der Vorsitzende des FSI, Klaus Bahne, in seiner Begrüßung.

Und weil nichts schlimmer ist, als nur im eigenen Saft zu schmoren, so fügte Bahne hinzu, ist es schon eine gute Tradition für die Raesfelder Schlossgespräche, dass neben den Persönlichkeiten aus der Branche auch führende Wissenschaftler oder Politiker in den letzten Jahren ihren Beitrag zur Diskussion geleistet haben.

New Marketing: Als Referentin konnte Dr. Geißdörfer Prof. Dr. Stark gewinnen.

New-Marketing im Sanitär-Handwerk

Situation, Probleme, Chancen

Der erste Nachmittag stand ganz im Zeichen des Marketing. Und das nicht ohne Grund. Schließlich bietet das SHK-Handwerk seinen Kunden eine anerkannt gute Gebrauchsqualität unserer Leistung. Sie setzt sich im bewährten professionellen Vertriebsweg zusammen aus

In der Diskussion wurde deutlich, dass das SHK-Handwerk nur dann eine echte Chance habe, wenn diese hohe Qualität, die auch ihren Preis hat, erfolgreich vermarktet wird.

Wir haben dann die Chance, dass das, was wir täglich tun, auch Spaß macht und richtig Spaß macht es nur, wenn wir damit auch noch etwas Geld verdienen können, erläuterte ein Diskussionsteilnehmer.

Und so wurde deutlich: Beobachtungen des Marktes, strategische Preisgestaltung, das Finden des richtigen Weges zum Kunden und das optimale Leistungsspektrum sind weitere wichtige Felder, auf denen die Erkenntnisse des Marketings den SHK-Handwerksunternehmer unterstützen.

Prof. Dr. Susanne Stark, Fachhochschule Bochum, überraschte die Teilnehmer der 10. Raesfelder Schlossgespräche mit bemerkenswerten Ergebnissen einer Untersuchung, die sie kürzlich für den Fachverband Elektrotechnische Handwerke NRW durchgeführt hatte:

So stecke bei vielen Betrieben des Elektrohandwerks das Marketing noch in den Kinderschuhen. Maßgeblich dafür seien:

Sie forderte: Die Unternehmen müssten sich mehr Zeit nehmen. Marketing koste im Übrigen auch Geld; sie verwies auf die Firma Nestlé, die 15% ihres Umsatzes für Marketing ausgebe. Bei den Elektrohandwerken handelt es sich im Durchschnitt um ca.1 - 2% des Nettojahresumsatzes, der jährlich für Marketingaufgaben ausgegeben werde. Im Übrigen würden bei den Elektroinstallateuren nur ca. 60% der Firmen über ein geplantes jährliches Werbebudget verfügen.

Marktforschung sei jedoch - trotz der geringen personellen und finanziellen Ressourcen - auch für kleine Betriebe des Handwerks notwendig und möglich, so Prof. Susanne Stark. Zentrale Marktforschungsaufgaben sind die Durchführung von Kunden- und Konkurrenzanalysen sowie die Messung von Marktreaktionen auf betriebliche Aktivitäten.

Sie könnten von den eigenen Mitarbeitern oder von dem Betriebsleiter durchgeführt werden. Zentrale Methoden sind die Aufbereitung vorliegender interner Daten und die Durchführung begrenzter Befragungen beim Kunden. Ergänzend sind, so Stark, Sekundärmaterialien zu sammeln, um langfristige Trends im Auge zu behalten.

Küthe Dynamik: Vermittlung von Visionen, Hintergründen und Praxisbeispielen.

Das Handwerk im Umbruch

Welche Faktoren bestimmen nun die aktuelle Situation des Handwerks? Folgende Entwicklungen können, so Stark, als zentral bestimmend eingeschätzt werden:

Wettbewerbsverschärfung durch EU-Konkurrenz: Durch die Öffnung der EU-Grenzen sehen sich die deutschen Handwerksbetriebe neuen Mitbewerbern aus dem Ausland gegenübergestellt. Diese arbeiten zum Teil mit erheblich günstigeren Lohnstrukturen und bieten entsprechend ihre Leistungen zu günstigeren Preisen an.

Wettbewerbsverschärfung durch neue inländische Konkurrenz: Zunehmend brechen Großanbieter in traditionell dem Handwerk vorbehaltene Aufgabengebiete ein. Industrieunternehmen betreiben Outsourcing, gründen Profi-Center mit (ehemaligen) Mitarbeitern, die als direkte Konkurrenz des Handwerks auftreten.

Änderung der Handwerksordnung: Ehemals stark voneinander abgegrenzte Gewerbe mit klar definierten Aufgabengebieten verzahnen sich zunehmend. Unter dem Stichwort "Gebäudetechnik" wünschen Kunden Komplettlösungen aus einer Hand und nicht Einzellösungen von X unterschiedlichen Handwerksbetrieben. Die Handwerksordnung, die traditionell die Arbeitsbereiche der einzelnen Gewerbe vor Übergriffen untereinander schützte, greife durch Änderung ihrer Bestimmungen diesen Trend auf, um zeitgemäßes Anbieten möglich zu machen. Für die einzelnen Betriebe bedeute dies sowohl neue Absatzmöglichkeiten als auch neue Konkurrenz und gestiegene Ansprüche an ihre Fähigkeiten.

Generell gestiegene Kundenforderungen: Der Kunde - aus dem privaten wie aus dem gewerblichen Bereich - ist zunehmend kritischer und anspruchsvoller. Er wünscht sachkundige Beratung und individuelle, genau auf ihn zugeschnittene Angebote. Die Erfüllung handwerklicher Tugenden wie Sauberkeit, Pünktlichkeit und technisch gute Leistungen allein reichen nicht mehr aus - sie werden vorausgesetzt.

Strengere Normierungsvorschriften: Eine Vielzahl verschärfter und neuer Vorschriften aus Bereichen der Arbeitssicherheit, Umweltbestimmungen, schaffen weitere Anforderungen.

Integration von Managementwissen: Die sich ändernden Strukturen verlangen eine Integration kaufmännischen Denkens, gezielter Personalführung und Marktorientierung in die Leitung des Handwerksbetriebs. Neben technischer Fortbildung wird auch die steigende Professionalität der Betriebsführung in diesen Bereichen von entscheidender Bedeutung sein.

Vorträge: Nahezu 80 Teilnehmer konnten in entspannter Atmosphäre den Ausführungen folgen.

Um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, müsse das Handwerk zu einer Marketingorientierung gelangen, denn dies bedeutete die Orientierung des Betriebs an Umfeldgegebenheiten. Eine Integration von Marketing würde zwangsläufig eine Integration von Marktforschung als betriebliche Aktivität bedeuten.

Abschließend betonte Prof. Susanne Stark, dass die hier skizzierten Ansätze aufgezeigt hätten, dass Marktforschung auch für kleine und mittelständische Betriebe des Handwerks möglich und sinnvoll ist. Auch mit wenig Marketing-Know-how und geringen finanziellen und personellen Kapazitäten sei es möglich, einen Grundstock an Marktforschung zu realisieren, der betriebliche Entscheidungen auf eine fundierte Basis stelle.

Führungsentscheidungen müssten nicht mehr nach Gefühl, sondern könnten nach Abwägen objektiver Tatsachen gefällt werden.

Wie immer sei der erste Schritt schwierig - ein Blick auf die Chancen gezielter Marktbearbeitung, die durch Marktforschung eröffnet werden, sollte Mut zu diesem Schritt machen.

Dr. Erich Küthe, Universität Köln, ein sinnlicher Mann mit dem Spürsinn für einen Impulsvortrag, ein "wilder Dozent" der Universität Köln im gereiften Alter, mit einem sicheren Sinn für das Visionäre aber auch für dekonstruktivistische Vorstellungen brachte es auf den Punkt: Wer als Unternehmer keine Visionen hat, kriegt auch kein Marketing zustande!

"Verwöhnen Sie Ihre Kunden so, dass sie verdorben sind für die Konkurrenz", riet Küthe den ca. 80 Teilnehmern der Raesfelder Schlossgespräche. Sie müssen als Unternehmer nur das den Kunden bieten, was die anderen nicht haben.

Das SHK-Handwerk an der Jahrtausendschwelle

"Never change a winning team", heißt es im Sport, erklärte Dr. Hans-Georg Geißdörfer, Geschäftsführer des FSI. Damit das Team aus Markenherstellern, Fachgroßhandel und SHK-Handwerk auch in Zukunft gewinnen kann, müsse noch gearbeitet werden. Alle im Team müssten hart trainieren, um sich immer auf Ballhöhe halten zu können, d.h. immer die Belange des Kunden im Auge behalten. Wir müssen dem Gegner geschickt Paroli bieten und ihn mit Strategie und Spielwitz im Zaume halten, erläuterte Geißdörfer. Wenn es der Branche gelinge, das Handwerk und damit auch die Kunden zu stärken, dann werde es auch der gesamten Branche gut gehen. Oder, um im Bild zu bleiben, ergänzte Geißdörfer: Das gesamte Team müsse den Sturm unterstützen, ihn mit guten Vorlagen versorgen und gemeinsam die richtigen Strategien finden, um als Gewinner vom Platz zu gehen und auch langfristig die Tabelle anzuführen.

Über die Themen "Einzelhandel im Vertriebsweg", "Handwerkermarke", "Handelsmarke", "Zweitmarke", "Gemeinschaftswerbung", "Nachfolgende Generationen" und "E-Commerce", diskutierten Rechtsanwalt Michael von Bock und Polach, Hauptgeschäftsführer des ZVSHK und Karl-Heinz Peikert, Mitglied der Geschäftsleitung der Schulte GmbH & Co. KG, unter Leitung von Geschäftsführer Dr. Hans-Georg Geißdörfer.

Von Bock und Polach gab eine Standortbeschreibung des SHK-Handwerks an der Schwelle zum neuen Jahrtausend und forderte gesicherte Rahmenbedingungen für das SHK-Handwerk.

Der Vertriebsweg sei ein zweckgebundenes Leistungsbündnis, eine Baupolitik finde derzeit nicht mehr erkennbar statt. Die Schwarzarbeit im Handwerk habe einen (geschätzten) Umfang von über 650 Milliarden DM erreicht.

Fakten, Informationen und Standpunkte: Eine Standortbestimmung zum "SHK-Handwerk an der Schwelle zum neuen Jahrtausend" gab RA von Bock und Polach, rechts. Moderator der Diskussionsrunde war Dr. Geißdörfer, Mitte. Als Großhandelsvertreter nannte Karl-Heinz Peikert sechs Eckpfeiler als Basis für die Zukunft.

Die Menschen sehnen sich nach einem beschaulichen Lebensumfeld. Je anonymer sich die Gesellschaft präsentiere, desto anspruchsvoller seien die Menschen in ihrem häuslichen Umfeld. Diese Chancen kämen dem SHK-Handwerk direkt entgegen.

Bei 30 Millionen Wohnungen in Deutschland und einem geschätzten Neubauvolumen von jährlich 350.000,- bis 400.000 Wohnungen sei ein Verhältnis von 100 : 1 erkennbar. Von Bock und Polach betonte, dass die Firmen längst dazu übergegangen seien, sich vom Neubau zu verabschieden und statt dessen engagiert die Altbaumodernisierung/-sanierung betreiben würden.

Der ZVSHK habe im Übrigen die Initiative "Handwerkermarke" ins Leben gerufen. Das Zeichen der Handwerkermarke sollen Markenprodukte tragen, die Kriterien erfüllen, wie Nachkauf- und Ersatzteilgarantie, Gewährleistungsgarantie usw., die aber exklusiv über den professionellen Vertriebsweg gingen.

Geißdörfer bemerkte, dass fast alle deutschen Hersteller beteuerten, dass ihre Markenprodukte ausschließlich diesen Weg gingen. Wenn diese Produkte im Baumarkt auftauchten, seien das Reimporte oder undichte Stellen im Großhandel. Soll das Label bewirken, dass sich hier etwas ändert? RA von Bock und Pollach bekräftigte, dass der ZVSHK an der Handwerkermarke festhalte und dass sich bisher neun Unternehmen aus den Bereichen Heizung und Sanitär diesem Konzept angeschlossen hätten. Bei den Unternehmen handele es sich um Duravit, D + S, Hansa, Hoesch, Hüppe, Oras, Oventrop, Reflex und Sanipa.

Nach den Worten von Michael von Bock und Polach stehe die Handwerkermarke für eingeführte Industriemarken, die wichtige Anforderungen des Handwerks als Verarbeiter und des Kunden als Nutzer erfüllen und durch den qualifizierten Fachbetrieb an den Endkunden gelangen.

Das Zeichen Handwerkermarke sichere den Beteiligten zusätzlich eine ganze Reihe von Vorteilen. Dazu gehören neben einer Gewährleistungsvereinbarung mit dem Zentralverband eine langfristige Nachkauf-Garantie auch nach Auslaufen der Serie und eine schnelle Ersatzteilversorgung. Diese Vorteile könne der Betrieb auch dem Endkunden deutlich machen und damit verstärkt für seine handwerklichen Leistungen werben.

Das Herausstellen handwerklicher Leistungen mit Qualitätsprodukten gegenüber dem Wettbewerb gehöre zunehmend zu den Grundanliegen gemeinschaftlicher Aktivitäten im professionellen Vertriebsweg, ergänzte der Hauptgeschäftsführer des ZVSHK.

Themen: Hier ging’s ans "Eingemachte". Diskussionsrunde zu Handwerkermarke, Vertriebsweg, Handelsmarke, Gemeinschaftswerbung und E-Commerce.

Karl-Heinz Peikert, Mitglied der Geschäftsleitung der Schulte GmbH & Co. KG, nannte sechs Eckpfeiler eines Großhandelsunternehmens an der Schwelle zum neuen Jahrtausend:

Peikert erläuterte, dass die hohen Investitionen im Personal, Lager, Logistik und Kommunikation zu großen Einheiten direkt herausfordern. Er befürchte, dass es langfristig eine deutlich kleinere Zahl von Großhändlern geben werde.

Zum Thema "Moderne Kommunikation" sieht er die Zeitachse etwas langfristiger. Mit Interesse werde registriert, dass die Zahl der Internetnutzer auch im Handwerk sehr schnell wachse.

Lieferprogramm, Service und Logistik, zwinge den Handel im Übrigen zu entsprechenden Rationalisierungsinvestitionen. Die Zeiten der örtlichen Vollsortimentläger sind lange vorbei, erläuterte Peikert.

Alle Warenbewegungen in modernen Lägern sollten heute DV-gesteuert sein; dies gelte auch für die Disposition des Fuhrparks. Er gehe davon aus, dass in diesem Bereich zunehmend Outsourcing, also die Einschaltung von Profi-Unternehmen erfolge.

Der Verkäufer entwickle sich bereits seit längerem vom reinen Auftragsabwickler zum Partner und Berater des Handwerks. Die Entwicklung sei hier erst am Anfang einer sich explosionsartig verändernden Händler/Handwerker-Beziehung.

Ein besonderes Lob erteilte Peikert der Kooperationsform "badwelt" in Nordrhein-Westfalen, die beratend und fördernd vom Fachhandel und der Industrie begleitet würde.

Nach Meinung von Dr. Geißdörfer ist das elektronische Shopping - E-Commerce - auch kein zusätzlicher Vertriebskanal, sondern ein völlig neuer Geschäftsansatz, bei dem möglicherweise Branchengrenzen aufgelöst würden. Bisherige Erfolgsfaktoren und Stärken wie beste Lage der Geschäfte, Inneneinrichtung, ausgefeilte Sortimentsgestaltung oder Warenwirtschaftssysteme zählten im Internet nicht mehr. Für Deutschland werde für 2002 ein Volumen von insgesamt rd. 10 Mrd. DM vorausgesagt.

Per Saldo: Die Raesfelder Schlossgespräche haben sich im Grundsatz behauptet und bewährt. Mit Mut, aber nicht mit Übermut, werden aktuelle Themenbereiche angeschnitten, die zum Teil ans Eingemachte gehen, die aber auch so sensibel angeschnitten werden, dass Politiker, Wissenschaftler und Experten immer wieder den Mut finden, in Raesfeld zu diskutieren. Die 10. Raesfelder Schlossgespräche waren ein Erfolg, die Diskussionen liefen auf hohem Niveau.


Wer abseits steht, schießt keine Tore

Handwerkskammer Münster

Zur Verabschiedung von Paul Schnitker, Ehrenpräsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) und Ehrenpräsident der Handwerkskammer Münster.

Die "große Lebensleistung" seines persönlichen Freundes Paul Schnitker nahm der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Prof. Kurt Biedenkopf, bei der Festveranstaltung in der Halle Münsterland als Stichwort für ein nachdrückliches Plädoyer für das Ehrenamt.

Die Arbeit und das Engagement Schnitkers in den 32 Jahren als Kammerpräsident würdigte Dieter Philipp, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) in seiner Laudatio. "Handwerkliches Urgestein", "Ausnahmeerscheinung", "leidenschaftlicher Verfechter der sozialen Marktwirtschaft", Paul Schnitker verkörpere in einzigartiger Weise diese These von Kopf, Hand und Herz im Handwerk.

Schnitker habe sein Engagement über die Handwerksorganisation hinaus auf die Politik ausgedehnt, erinnerte Philipp auch an die Zeit des 73-jährigen als Europa-Abgeordneter. Schnitker habe die Wertvorstellungen von Marktwirtschaft, Eigeninitiative, Selbstständigkeit und Leistungsbereitschaft stets mit Nachdruck vertreten und dabei immer das Gemeinwohl im Auge behalten. Er habe daran mitgewirkt, "dass das Handwerk heute die kraftvolle Mitte des Mittelstandes ist", sagte der ZDH-Präsident.

Plädoyer für das Ehrenamt

Ohne Ehrenamt gibt es keine freie Gesellschaft und kein freies Land, sagte der sächsische Ministerpräsident. Immer noch werde viel zu oft und zu laut nach "Vater Staat" gerufen. Ein Musterbeispiel für Ehrenarbeit und Eigenverantwortung böten die Kammern als Selbsthilfeeinrichtung, in denen kleine, selbstständige Einheiten zu großen vernetzt würden, ohne dass die kleinen ihre Autonomie verlören. Wie sollten die kommunale Selbstverwaltung, das Vereinsleben, die Selbstverwaltung im Handwerk, die Bürgerinitiativen und die Elternbeiräte eigentlich funktionieren, fragte er an, wenn es die vielen Millionen Menschen in ihren Ämtern nicht gäbe.

Parallel zur Bedeutung des Ehrenamtes hob Biedenkopf den Vorteil kleinerer Einheiten auch im Wirtschaftsleben hervor. "Ihnen gehört die Zukunft", merkte er an. Seine These, daß kleine, mittelständische Unternehmen dank der modernen Datenkommunikation und der daraus resultierenden Möglichkeit, weltweit Wissen abzurufen, den Wettbewerb der Organisationsstrukturen erfolgreich bestehen können, untermauerte er mit Beispielen. Die großen Unternehmen, die von "Fusionitis befallen" seien und ihre Größe immer häufiger durch Zukäufe anderer Firmen erreichten, seien oft viel zu unbeweglich. "Natürlich kann man alle Topleute kaufen", betonte Biedenkopf, aber wenn diese Topleute in hierarchische Strukturen eingebunden werden, fällt ihnen nichts mehr ein.

Mehr helfen - weniger verwalten

Der heutige Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes Sanitär-Heizung-Klima NRW, Dr. Hans-Georg Geißdörfer, Schnitkers Referent in den Jahren von 1969 bis 1979, erinnert sich: Die erste "Amtshandlung" des neuen Präsidenten der Handwerkskammer Münster ist bezeichnend für dessen Gradlinigkeit und Zielgenauigkeit. In klassischen Lettern schreibt der Malermeister mit geübter Hand an die kahle Wand der Treppenhalle des Kammergebäudes den Grundsatz, der für die nächsten Jahrzehnte im Hause der Handwerkskammer Münster gilt: Mehr helfen - weniger verwalten.

Pragmatismus, Entscheidungsfreude und ein Teamgeist, der verantwortungsvolle Kollegen und Mitarbeiter stets schätzt und einbezieht, prägen Schnitkers Führungsstil.

Offizielle Verabschiedung durch: v.l. Peer Steinbrück, Paul Schnitker (Ehrenpräsident HwK Münster), Hans Rath (Präsident der HwK Münster), Prof. Dr. Biedenkopf, Dieter Philipp (Präsident des ZDH) und Willi Scharün.

Offensichtlich besitzt dieser Mann das richtige Händchen fürs Handwerk. Aus Paul Schnitkers Sicht bedeutet es nicht nur Broterwerb, Unternehmensgeist, Standesbewusstsein, so schreibt der Autor der Jubiläumsschrift der Handwerkskammer Münster "Handwerk - ein Jahrhundertwerk, der Kammerbezirk Münster - Aufbruch und Aufgabe 1900/2000, Dr. Ralf Richard Koerner, vielmehr die gesellschaftliche Herausforderung, in der Wirtschaft menschliches Maß zu setzen".

Als wichtige Säule im Mittelbau der Wirtschaft soll gerade das Handwerk Selbstständigkeit in Deutschland und persönliche Verantwortung für Deutschland demonstrieren.

Schnitkers energischer Einsatz wirkt bald über die Region hinaus, schnell kommt er in Spitzenpositionen. Nationale wie internationale Gremien vertrauen dem wortgewandten, zupackenden Sachwalter des Handwerks immer größere Aufgaben an:

1969 - ein Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten der HK Münster - wählt der Westdeutsche Handwerkskammertag, die Dachorganisation der sieben nordrhein-westfälischen Handwerkskammern, Paul Schnitker zum Vorsitzenden.

1973 tritt er - jünger als all seine Vorgänger - an die Spitze des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.

1974 führte er die Internationale Förderation des Handwerks.

1975 übernimmt er außerdem die Präsidentschaft im Hauptverband des Deutschen Maler- und Lackiererhandwerks.

1983 beruft ihn die internationale Gewerbeunion zu ihrem Präsidenten.

"Selbstständigkeit muss sich lohnen, nicht nur brutto, sondern auch netto", selbstbewusst bezeichnet Schnitker das Handwerk als "größte Lehrwerkstatt der Nation". Wenn Schnitker auch politisch Klartext spricht, ohne zu verletzen, kann er Angriffe leicht parieren, Türen öffnen und offenhalten, standhaft sein.

Sein politisches Profil: "Wir haben nur dann eine Chance, uns im Beruf und als selbstständige freie Menschen zu behaupten, wenn es uns gelingt, die Richtung der großen politischen Ströme mitzubestimmen".

Präsident Schnitker profiliert sich lokal wie global - von der Ortsunion bis ins europäische Parlament. Nach der ersten Europawahl 1979 wirkt er hier als Abgeordneter. Im Auftrag des Parlaments entwirft Schnitker eine Magna Charta des Mittelstands, die in eine Reihe internationaler Wirtschaftsprogramme einfließt.

Staatspräsident Mitterand ernannte Paul Schnitker 1980 zum Honorarkonsul der Republik Frankreich in Münster. 1986 entsendet die Europäische Gemeinschaft den versierten Verbindungsmann in ihren Wirtschafts- und Sozialausschuss.

Und der Chronist Dr. Koerner: So sehr die Fülle hoher Ämter für Paul Schnitker zum Lebensinhalt wird, so wenig hat er sie je als unverzichtbar betrachtet. Sie waren, sie sind für ihn Aufgabe auf Zeit, fürwahr eine lange Zeit. Die klingt aus mit der Jahrhundertwende. Schnitkers lange Amtszeit - auch sie hat ihre Pointe: Die letzte Stunde im Amt darf ruhig die beste sein.

Hans Rath, Landesinnungsmeister des Schornsteinfegerhandwerks NRW, ein guter Partner des Fachverbandes, wurde einstimmig zum Nachfolger Paul Schnitkers gewählt. Was alles in allem hat der Handwerkspräsident Paul Schnitker in über drei Jahrzehnten vollbracht? - so die Fragestellung von Präsident Hans Rath. Rath selbst gab die Antwort: Sie lässt sich in zwei Worte fassen: Eine Meisterleistung.


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