IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 24/1999, Seite 48 ff.
ARBEITSSCHUTZ
Neue Regelungen für die Beförderung kleiner Mengen gefährlicher Güter in der Bauwirtschaft
GGVS und kein Ende
Dr. rer. nat. Klaus Kersting und Dipl.-Ing. Kurt Kaphun* Teil 2
Die Bauwirtschaft transportiert im großen Umfang Gefahrgüter. Durch die Neufassung der GGVS sind die Höchstmengen der Kleinmengenregelung (Rn. 10011) zum Teil deutlich erhöht worden, so daß viele Transporte unter erleichterten Bedingungen durchgeführt werden können. Allerdings sind einige grundsätzliche Dinge zu beachten, um Gefahrgüter sicher zur Baustelle transportieren zu können.
Kleinmengenregelung
Wird bei einem Transport ausschließlich ein Stoff oder ein Produkt befördert, so ist die Höchstmenge für die Beförderung kleiner Mengen der Tabelle aus Rn. 10011 des Anhanges B zum ADR direkt zu entnehmen. In Anlehnung an diese Tabelle ist in der (Abb. 1) eine Aufzählung von Stoffen dargestellt, die für die Bauwirtschaft von Bedeutung sein können. Dabei ist zu beachten, daß für die einzelnen Gefahrgüter unterschiedliche Maßeinheiten verwendet werden. So wird die Höchstmenge für flüssige Stoffe in Liter, für feste Stoffe und verflüssigte Gase in kg Nettomasse und für verdichtete Gase in dem Fassungsvolumen der Gasflaschen in Liter angegeben.
Bild 5: Ladungssicherung für Flüssiggasflaschen auf einem Klein-Lkw. |
Werden die in der Tabelle angegebenen Mengen bei der Beförderung eines Stoffes auf einem Fahrzeug unterschritten oder gerade erreicht, so kann eine "erleichterte Beförderung" durchgeführt werden, bei der nur folgende Bestimmungen zu beachten sind:
- Baumusterprüfung der Behälter ist vorgeschrieben.
- Aufschrift und Gefahrzettel müssen angebracht sein.
- Die Ladung ist so zu sichern, daß sich die Lage zueinander und zum Fahrzeug nur geringfügig verändern kann (Bild 5).
- Güter der Klasse 1 (Sprengstoffe und Zündmittel) dürfen mit anderen Gefahrgütern nicht zusammen auf einem Fahrzeug geladen werden.
- Werden brennbare Gase der Klasse 2 in einem Fahrzeug mit geschlossenem Aufbau befördert, ist für ausreichende Belüftung des Laderaumes zu sorgen.
- Bei Ladearbeiten ist das Rauchen in der Nähe von Fahrzeugen sowie in den Fahrzeugen untersagt.
- Während des Be- und Entladens muß der Motor abgestellt werden.
Gefährliche Güter dürfen in Versandstücken ohne Beförderungspapier befördert werden, wenn die höchstzulässige Gesamtbruttomasse je Beförderungseinheit nach Rn. 10011 der Anlage B zur GGVS nicht überschritten ist. Das ist in der Ausnahme Nr. 55 (S) der Gefahrgut-Ausnahmeverordnung geregelt.
Abbildung 1: Aufzählung von Stoffen bzw. Zubereitungen mit Angabe der Klassen, Ziffern und Buchstaben sowie der Höchstmengen und der Faktoren für die Berechnung kleiner Mengen zusammengesetzter Ladungen.
Auf das Mitführen eines tragbaren Feuerlöschgerätes zum Löschen eines Motorbrandes mit mind. 2 kg Pulver darf unter Anwendung der Ausnahme Nr. 85 (S) verzichtet werden.
Leere, ungereinigte Verpackungen dürfen mit der Bezeichnung des zuletzt darin enthaltenen Gutes beschriftet werden.
Für die Bauwirtschaft müssen häufig Transporte unterschiedlicher Gefahrgüter auf einem Fahrzeug oder Anhänger durchgeführt werden. Dabei ist die Grenze der erleichterten Beförderung rechnerisch aus der Summe der Produkte der transportierten Mengen mit den stoffspezifischen Faktoren zu ermitteln. Diese Faktoren sind in Abbildung 1 kursiv gedruckt.
Die errechnete Summe der Produkte unterschiedlicher Gefahrgüter wird mit der Zahl 1000 verglichen. Ist das Ergebnis nicht größer als 1000, liegt eine Kleinmengenbeförderung vor; wird 1000 überschritten, ist es ein Gefahrguttransport, bei dem alle Vorschriften der GGVS einzuhalten sind.
Abbildung 2: Berechnung eines Transportes mit Einhaltung der Höchstmengen der Rn. 10011. |
Rechenbeispiel 1:
In einem Werkstattwagen werden z.B. eine Flasche Sauerstoff (50 l Fassungsvolumen), eine Flasche Acetylen (10 kg Nettomasse) und drei Kanister Benzin (60 l Füllung) und Kanister Batteriesäure (10 l Füllung) befördert.
Sauerstoff (Klasse 2, Ziff. 1O) hat den Faktor 1, Acetylen (Klasse 2, Ziff. 2F) Benzin (Klasse 3, Ziff. 3b) und Batteriesäure (Klasse 8, Ziff. 1b)) haben den Faktor 3.
Die untenstehende Rechnung (Abb. 2) hat das Ergebnis 290 < 1000; die zulässige Höchstmenge der Kleinmengenregelung ist deutlich unterschritten. Es sind bei der Beförderung nur die Vorschriften für die erleichterte Beförderung einzuhalten.
Rechenbeispiel 2:
Ein Dachdecker transportiert zwei Fässer Diesel (400 l), sechs Flaschen Flüssiggas (6 x 33 = 198 kg) und zwei vollgefüllte Kanister Benzin (2 x 20 = 40 l).
Diesel (Klasse 3, Ziff. 31c)) hat den Faktor 1, Flüssiggas (Klasse 2, Ziff. 2F) und Benzin (Klasse 3, Ziff. 3b)) haben den Faktor 3. Die untenstehende Darstellung des Rechenganges hat als Ergebnis 1114 > 1000; mit diesem Ergebnis ist ein Transport entsprechend den Kleinmengenregelungen nicht mehr möglich (Abb. 3).
Soll trotzdem ein Kleinmengentransport durchgeführt werden, muß z.B.: das Benzin mit einem anderen Fahrzeug zur Baustelle befördert werden.
Dann wäre das Ergebnis 400 + 594 = 994 < 1000.
Abbildung 4 stellt ein Muster für einen Rechen- und Nachweiszettel dar, der in den Betrieben von Nutzen sein kann.
Abbildung 3: Berechnung eines Versorgungstransportes bei dem die Höchstmengen der Rn. 10011 überschritten werden. |
Die Art der Versandstücke, die Bezeichnung der Gefahrgüter, die einzelnen Klassen sowie Ziffern und Buchstaben, Nummern der Gefahrzettel auf den Versandstücken, die üblichen Höchstmengen und die Faktoren werden entsprechend den üblichen Ladungen im Unternehmen eingetragen. Die tatsächlich geladenen Mengen beachte: Bei Flüssigkeiten sind es die Nettoinhalte (Liter) in den Gefäßen sowie Stückzahl und Einzelmenge werden eingetragen. Danach können die Einzelmengen mit den Faktoren multipliziert werden. Die Ergebnisse der einzelnen Multiplikationen werden aufaddiert und die Summe ("Indexsumme") wird mit dem Wert 1000 verglichen. Das Ausfüllen eines Nachweises nach dem Muster in Abbildung 4 ist bei zusammengesetzten Kleinmengenladungen aus mehreren Gründen anzuraten:
- Die verantwortlichen Personen können auf einfache Weise (formularmäßig) die Einhaltung der Rn 10011 überprüfen.
- Wird der Nachweiszettel bei der Beförderung mitgeführt, ist bei Gefahrgutkontrollen eine schnelle Abwicklung möglich.
- Das einmal erstellte Formblatt kann dann im Betrieb immer wieder mit den zur Beförderung passenden Eintragungen verwendet werden.
Diese Rechen- und Nachweiszettel sind allerdings kein Beförderungspapier nach gefahrgutrechtlichen Vorschriften, das bei Überschreitung der Kleinmenge mitzuführen wäre.
Weitere Erleichterungen für Betriebe der Bauwirtschaft
Bei Einhaltung der kleinen Mengen sind für zwei Beförderungsarten weitgehende Freistellungen von den Vorschriften der Anlagen A und B zum ADR zulässig. So entfällt unter anderem die Verpflichtung, baumustergeprüfte Verpackungen verwenden zu müssen.
- Bei Beförderungen von Maschinen und Geräten, die in ihrem inneren Aufbau oder in ihren Funktionselementen gefährliche Güter enthalten;
- bei Beförderungen in Verbindung mit der Haupttätigkeit der Betriebe oder die in Zusammenhang mit Messungen, Reparaturen und Wartungsarbeiten stehen.
Für den zweiten Fall gilt allerdings die Einschränkung, daß flüssige Gefahrstoffe nur bis zu einer Höchstmenge von 450 l je Verpackung befördert werden dürfen.
Diese Erleichterungen sind Gegenstand der Rn. 2009 Anlage A und Rn. 10603 der Anlage B ADR. Die Anlage 2 zur GGVS beinhaltet die nationalen Vorschriften hierzu. In dieser Anlage ist vorgeschrieben, daß die Versandstücke den allgemeinen Verpackungsvorschriften entsprechen und mit den richtigen Aufschriften und Gefahrzetteln versehen sein müssen. Die allgemeinen Verpackungsvorschriften fordern, daß die Verpackungen für das Gut, das in ihnen befördert wird, geeignet sind: Z.B. müssen sie dicht, hinreichend stabil und bei der Beförderung verschlossen sein. Eine Baumusterprüfung ist für diese Verpackungen nicht vorgeschrieben.
Die Ladungssicherung und die Belüftung für geschlossene Fahrzeuge, in denen brennbare Gase der Klasse 2 befördert werden, sind jedoch nach allgemeinen verkehrsrechtlichen und gewerberechtlichen Vorschriften zu gewährleisten.
Abbildung 4: Muster eines Rechen- und Nachweiszettels zur Einhaltung der kleinen Mengen nach Rn. 10011.
Freistellung kleinster Mengen bestimmter Güter
Die Ausnahme Nr. 9 (S) stellt Kleinstmengen einiger Stoffe von den Vorschriften der GGVS frei. Bei Einhaltung der nachstehend angegebenen Mengenbegrenzungen sind überhaupt keine Vorschriften der GGVS zu beachten. Dabei entfällt u.a. auch die Vorschriften für Aufschriften und Gefahrzettel. Dadurch können nicht oder nicht vollständig gekennzeichnete Innenverpackungen (beispielsweise Spraydosen), die einem Karton entnommen wurden, in begrenzter Menge transportiert werden.
Einige Beispiele für die Kleinstmengen:
- Klasse 1, Ziff. 47 z.B. Kartuschen für Bolzensetzgeräte oder Termitanzünder bis 5 kg brutto
- Klasse 2, Ziff. 10 Druckgaspackungen bis zu 30 kg brutto; damit können
z.B. Farbspraydosen ohne weiteres befördert werden.
- Klasse 3, 6.1 und 8 alle Ziffern mit b)
z.B. Benzin bis zu 25 l; abgefüllt in zulässigen Innenverpackungen mit einem Inhalt von höchstens 10 l.
- Klasse 3, 6.1 und 8 alle Ziffern mit c)
z.B. Diesel bis zu 50 l; abgefüllt in zulässigen Innenverpackungen mit einem Inhalt von höchstens 20 l.
- Klasse 9, Ziff. 11c)
z.B. Epoxidharze bis zu 50 l.
Die Gesamtmenge gefährlicher Güter darf jedoch 50 kg Bruttomasse je Fahrzeug nicht überschreiten. Das bedeutet z.B. bei Mitnahme von 5 kg Farbspraydosen dürfen nur noch 45 kg Diesel zugeladen werden.
Weitere gefährliche Güter dürfen nicht zugeladen werden, weil diese Ausnahme dann nicht mehr angewendet werden kann.
Zusammenfassung
Die Höchstmengen der erleichterten Beförderung für die sog. Kleinmengenregelungen haben sich durch veränderte Maßeinheiten und Bemessungsgrundlagen zum Teil erheblich verändert. So sind z.B. anstelle der bisher anzusetzenden Bruttomassen nun Nettomassen bzw. Inhalte in Litern maßgebend.
Das bedeutet für die meisten gefährlichen Güter eine Vergrößerung der begrenzten Mengen gegenüber denen der alten Vorschriften. Dadurch wird den Betrieben der Bauwirtschaft die Einhaltung der Kleinmengenregelungen sicherlich erleichtert.
Bild 6: StVO-Zeichen Nr. 261: Verbot für kennzeichnungspflichtige Kraftfahrzeuge (Kennzeichnung mit Warntafeln). |
Versorgungstransporte, bei denen erleichterte Beförderungen wegen Überschreitung der Höchstmengen nicht mehr möglich sind, sollten Lieferanten und Speditionen durchführen. Das gilt z.B. für größere Mengen gefährlicher Güter, die auf Werkplätzen oder Baustellen zwischengelagert werden sollen.
Die novellierte Gefahrgutbeauftragtenverordnung verpflichtet die Unternehmer von Betrieben, in denen gefährliche Güter auch in kleinen Mengen befördert werden, dafür zu sorgen, daß Mitarbeiter/innen ausreichende Kenntnisse über die für ihren Aufgabenbereich maßgebenden gefahrgutrechtlichen Vorschriften haben. Diese Kenntnisse müssen in Schulungen vermittelt werden. Den Teilnehmern sind Bescheinigungen über die absolvierten Schulungen auszustellen. Bei Kontrollen sind derartige Nachweise vorzulegen.
Vorschriften:
- Neufassung der Gefahrgutverordnung Straße (GGVS) vom 22. 12. 1998
- Anlagen A und B zum ADR vom 22. 10. 1998
- Gefahrgut-Ausnahmeverordnung (GGAV) vom 22. 6. 1997
- Gefahrgutbeauftragtenverordnung (GbV) vom 26. März 1998
* Dr. rer. nat. Klaus Kersting, GISBAU, Frankfurt
Dipl.-Ing. Kurt Kaphun, Tiefbau-Berufsgenossenschaft, Stuttgart
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