IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 23/1999, Seite 32 ff.


INTERVIEW


Infektionsrisiken in öffentlichen Sanitäranlagen

Hygienerisiken im öffentlichen Bereich sind in den letzten Monaten verstärkt in den Blickpunkt weiter Bevölkerungskreise gerückt. Hierzu haben Berichte über die Bildung von Multiresistenzen bei weit verbreiteten Bakterien wie Staphylococcus aureus genauso beigetragen, wie die Berichterstattung über Todesfälle durch Legionellen in den Niederlanden. Grund genug für den unter anderem auf die Ausstattung öffentlich-gewerblicher Sanitäranlagen spezialisierten Sanitärarmaturen-Hersteller DAL das Thema "Hygienerisiken in öffentlichen Toiletten" umfassend anzugehen. Über die Ergebnisse einer in dieser Form erstmals durchgeführten wissenschaftlichen Studie zur Abschätzung des Infektionspotentials in öffentlichen Sanitäranlagen sprachen die Untersuchungsleiter Prof. Dr. Harald Platen von der Fachhochschule Gießen-Friedberg und Dr. Heino Steinmetz von der BIO-DATA GmbH in Linden mit der Redaktion der IKZ-HAUSTECHNIK.

IKZ-HAUSTECHNIK: Sie haben in über 200 öffentlichen Sanitäranlagen hygienische Untersuchungen durchgeführt und in 53 Prozent aller Sanitäranlagen Fäkalkeime nachgewiesen. Besteht ein erhöhtes gesundheitliches Risiko für die Benutzer der Anlagen?

Prof. Platen: Es ist zwar richtig, daß wir in der genannten Größenordnung Fäkalkeime vorgefunden haben, doch läßt diese Tatsache allein noch keinen Rückschluß auf die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung zu. Will man aus unseren Untersuchungsergebnissen eine Interpretation in bezug auf gefährliche Krankheiten wagen, so muß man auch statistische Untersuchungen zur Bewertung heranziehen. Wirkliche Krankheitserreger machen zwischen einem hundertstel und einem tausendstel der Befunde aus.

IKZ-HAUSTECHNIK: Um welche Krankheitserreger handelt es sich im wesentlichen?

Prof. Platen: Betrachtet man die meldepflichtigen Infektionskrankheiten, so handelt es sich in erster Linie um Salmonellen. In Deutschland gibt es ca. 200.000 bis 250.000 Erkrankungen mit Salmonellen pro Jahr. Das macht deutlich, daß die Infektionsgefahr auf öffentlichen Toiletten vergleichsweise gering ist. Allerdings gibt es bei den Salmonellosen auch Krankheitsbilder, bei denen sich die betroffenen Personen gesund fühlen, und dennoch die Erreger ausscheiden. Dieser Problematik ist man sich durchaus bewußt und untersucht daher Mitarbeiter in lebensmittelverarbeitenden Betrieben auf Dauerausscheider, die dort nicht arbeiten dürfen. Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Reihe nicht meldepflichtiger Infektionskrankheiten, über die es auch keine Statistik gibt. Man schätzt, daß sich etwa 40 Millionen Deutsche im Jahr mit solchen allgemeinen Magen-/Darmerkrankungen infizieren. Das ist schon eine ganz andere Quote, über die man so gut wie nichts weiß. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema gibt es nicht.

Die vorbereitende Literaturrecherche ergab einen deutlichen Anstieg verschiedener meldepflichtiger Magen- und Darminfektionen.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie steht es um Wurmerkrankungen?

Prof. Platen: Weltweit betrachtet ein riesiges Thema, in Deutschland eher ein Randgebiet. Dennoch sei allen Lesern angeraten, z.B. bei der Urlaubsreise in wärmere Gegenden erhöhte Vorsicht walten zu lassen. Wurmerkrankungen sind die weltweit am häufigsten auftretenden Erkrankungen und die Erreger gelten als sehr resistent. Mit einfachen Desinfektionsmitteln ist da kaum etwas auszurichten.

IKZ-HAUSTECHNIK: Und bei Hepatitis?

Prof. Platen: Hepatitis-Erreger haben wir nicht nachweisen können. Auch Hepatitis gehört zu den meldepflichtigen Krankheiten, die in Deutschland kaum verbreitet sind. Daran läßt sich auch erkennen, daß der allgemeine Hygiene-Standard in Deutschland schon als recht gut bezeichnet werden kann.

IKZ-HAUSTECHNIK: Nach Ihren Ausführungen hat man die meldepflichtigen Infektionskrankheiten in Deutschland recht gut im Griff. Weniger risikoreich eingestufte Infektionserkrankungen scheinen aber im Verborgenen gut zu gedeihen.

Der mögliche Verteilungsweg und damit die zentralen Kontaktstellen im öffentlichen Sanitärraum.

Prof. Platen: So ist es. Das mag daran liegen, weil zuvor einzig 1976 in den USA eine mit klassischen Methoden durchgeführte Untersuchung erfolgte, nachdem in einem Krankheitsfall der Nachweis einer Infektion auf einer Toilettenanlage erbracht war. Man konnte seinerzeit nur Bakterien nachweisen und erhielt Ergebnisse, die im wesentlichen mit unseren Resultaten deckungsgleich waren. Unsere Untersuchungen sind etwas weitreichender, da wir auch nach Viren geforscht haben. Die Folge dieser bisher mangelhaften Forschung: Heutige medizinisch/hygienische Lehrbücher, nach denen ja auch Mediziner und Hygienepersonal ausgebildet werden, enthalten keinerlei Angaben zu Übertragungsrisiken auf Sanitäranlagen.

IKZ-HAUSTECHNIK: Bleiben wir bei der Reinigung: Wenn es keine Literatur gibt, nach welchen Kriterien erfolgt denn dann die Reinigung öffentlicher Sanitäranlagen?

Über die Probenahmen an den untersuchten Kontaktstellen mittels Tupfertechnik wurden exakte Protokolle erstellt.

Dr. Steinmetz: Die Hygiene bleibt weitestgehend auf der Strecke. Dabei ist aber dem Reinigungspersonal, das mit handelsüblichen Werkzeugen und Reinigungsmitteln zu Werke geht, noch der geringste Vorwurf zu machen. Nehmen wir z. B. diese Flasche mit Desinfektionsmittel, so finden Sie keinen Hinweis auf die Einwirkzeit. Die Nachfrage bei der Herstellerfirma ergab als Antwort: "Der Hinweis wurde bei der letzten Umgestaltung des Etiketts vergessen". Diese Flasche ist aber schon über zwei Jahre alt, und es hat sich nichts geändert, obwohl gerade die Einwirkzeit von fundamentaler Bedeutung ist. Diese Tatsache läßt den Schluß zu, daß wir auf ein wichtiges Problemfeld gestoßen sind, das allgemein nicht wahrgenommen wird.

IKZ-HAUSTECHNIK: Was bedeutet das konkret für die hygienische Situation in öffentlichen Sanitäranlagen?

Dr. Steinmetz: Bei unserer Untersuchung wurde auch festgehalten, ob Reinigungspersonal anwesend ist und welchen Eindruck die rein subjektive, optische Reinigung hinterläßt. Wir haben mit Erschütterung feststellen müssen, daß weder die Anwesenheit von Reinigungspersonal, noch die rein optisch sauberen Anlagen einen Einfluß auf das Untersuchungsergebnis hatten. Im Grunde sind optisch unsaubere öffentliche Sanitäranlagen ebenso mit Keimen belastet, wie sauber wirkende Anlagen bei denen Reinigungspersonal permanent anwesend ist. Die derzeit angewandten Reinigungstechniken und -mittel haben demzufolge auf die Hygiene leider keinen, oder nur einen verschwindend geringen Einfluß.

Die Absicherung der PCR-Methodik, um mit Sicherheit sagen zu können, lebende Organismen beprobt zu haben, erfolgte mittels klassischer Mikrobiologie.

IKZ-HAUSTECHNIK: Sie haben Ihre Untersuchungen in verschiedene Bereiche wie Rastanlagen, Sportstätten oder Bahnhöfe geordnet. Gibt es besonders kritische Einsatzorte?

Dr. Steinmetz: Schwimmbäder sind besonders auffällig. Das ist aber auch kein Wunder, weil es hier dauerfeucht ist und damit die Überlebenschance der Keime besonders günstig ist. Daneben fallen Bahnhofstoiletten und sanitäre Anlagen in Unternehmen negativ aus der Rolle. Mit Keimen weniger belastet sind dagegen öffentliche Sanitäranlagen in Stadtzentren oder Sportstätten.

Gesamtnachweis der Keimbelastung der untersuchten Sanitäranlagen.

IKZ-HAUSTECHNIK: Das deckt sich mit Ihrer Aussage, daß der optische Eindruck auf die Keimbelastung keinen Einfluß hat. Kann man sich daraus folgend die herkömmliche Putzvariante mit Lappen, Wasser und Reinigungsmittel schenken?

Dr. Steinmetz: Ja, denn das ist die beste Art und Weise Keime zu verteilen. Unsere Ergebnisse zeigen, daß gerade in den optisch sauberen Sanitäranlagen die Verkeimung besonders verbreitet ist. Dort wo mit dem herkömmlichen Putzverhalten optisch saubere Sanitäranlagen bereitgehalten werden, lassen sich identische Keime vom Toilettensitz bis zum Türknauf lückenlos nachweisen.

Belastung der unterschiedlichen Typen bzw. Kategorien von Sanitäranlagen mit Keimen im Überblick.

IKZ-HAUSTECHNIK: Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht erforderlich um die Situation zu verbessern?

Prof. Platen: Um die hygienischen Rahmenbedingungen in öffentlichen Sanitäranlagen nachhaltig zu verbessern, müßte zunächst das Reinigungspersonal umfassend geschult werden. Darüber hinaus ist es zwingend erforderlich, geeignete Reinigungsmittel mit allen wichtigen Daten, wie etwa der Einwirkzeit, deutlich zu kennzeichnen. Ein sinnvoller "Putzweg" ist unbedingt einzuhalten, nämlich vom Türknauf zum Toilettensitz bzw. von den sauberen Bereichen zu den verkeimten, und nicht umgekehrt. Zusammengefaßt heißt das: Putzen muß geplant werden!

IKZ-HAUSTECHNIK: Putzen ist die eine Sache. Welchen Einfluß haben Installationsvarianten auf das hygienische Umfeld in öffentlichen Sanitäranlagen?

Prof. Platen: Nehmen wir als Beispiel die Armaturen, so ist das einer der Kontaktpunkte, an denen der Benutzer mit Keimen in Berührung kommen kann. Durch den Einsatz berührungsloser Armaturen wird dieser Kontaktpunkt weitgehend ausgeschlossen. Doch ist das bei weitem nicht alles, was auf technischer Seite getan werden kann oder müßte.

Prof. Dr. Harald Platen (links) und Dr. Heino Steinmetz untersuchten über 200 öffentliche Sanitäranlagen und stießen auf bedenkliche Zustände.

Dr. Steinmetz: Betrachtet man eine öffentliche Sanitäranlage in der Gesamtheit, so gibt es eine Vielzahl möglicher Kontaktpunkte. Ob Toilettensitz oder Spülknopf, Kabinentürgriff oder Waschtischarmatur, Händetrockner oder Haupttürgriff. Mit geeigneter Technik läßt sich hier einiges verbessern.

IKZ-HAUSTECHNIK: Und wie steht es um die verwendeten Materialien und Oberflächen?

Prof. Platen: Ob verchromt, Edelstahl, Keramik oder Kunststoff: In der Praxis konnten wir keine Unterschiede feststellen. Wir haben daraufhin hier im Labor verschiedene Materialien und Oberflächenstrukturen mit Keimen geimpft. Dabei zeigte sich, daß auf rauhen Oberflächen, z. B. Holz, weniger Keime gefunden wurden als auf glatten Oberflächen, wie z. B. Metall. Im Grunde ist das nicht verwunderlich, führt aber auch zu dem Schluß, daß eine reinigungsfreundliche, glatte Oberfläche nur dann Sinn macht, wenn die Reinigung ordnungsgemäß erfolgt.

Die Studie

Zur Entwicklung eines aktuellen und in jeder Beziehung abgesicherten Forschungsdesigns wurde der praktischen Untersuchung eine weltweite Literaturrecherche vorangestellt. Deren Auswertung legte den Forschungsansatz fest und bestimmte die Vorgehensweise sowie die Auswahl der zu untersuchenden Bakterien und Viren. Auf der Grundlage der Literaturrecherche fanden acht Bakterien (Enterococcus, Enterobacter, Escherichia coli, Salmonella, Yersinia, Klebsiella, Staphylococcus aureus und Serratia) sowie drei Viren (Adenoviren, Enteroviren und Hepatitis A) im Forschungsdesign Berücksichtigung. Die genannten Bakterien und Viren können vor allem Durchfallerkrankungen und die verschiedensten, teilweise fiebrig verlaufenden, Infektionen verursachen.

Um ein möglichst genaues und vollständiges Gesamtbild zu erhalten, wurde der Oberbegriff öffentlich-gewerbliche Sanitärräume aufgesplittet in die Untersuchungskategorien:

  • Sanitäranlagen in Gaststätten, Restaurants, Veranstaltungszentren (Kategorie A)
  • Sanitäranlagen in Autobahnraststätten, Bahnhöfen (Kategorie B)
  • Sanitäranlagen in Schwimmbädern (Kategorie C)
  • Sanitäranlagen in Sportzentren (Kategorie D)
  • öffentliche Sanitäranlagen in Stadtzentren (Kategorie E)
  • und betriebliche Sanitärräume in Unternehmen (Kategorie F).
  • Verteilt auf das gesamte Bundesgebiet wurden 202 Sanitäranlagen, je 101 für Männer und Frauen, untersucht. Die Probenahmen erfolgten zu Zeiten starker Frequentierung der Einrichtungen. Bei allen Sanitäranlagen wurden jeweils folgende Probenahmestellen berücksichtigt:
  • Urinal-Spülknopf
  • Toilettensitz
  • Toiletten-Spülknopf
  • Kabinentürgriff (innen)
  • Waschtischarmaturen
  • Seifenspenderknopf
  • Händetrockner
  • Zwischentürgriff (innen)
  • und der Haupttürgriff (innen).

IKZ-HAUSTECHNIK: Gibt es Möglichkeiten für die SHK-Branche bei Planung, Ausführung und Materialauswahl öffentlicher Sanitäranlagen das Infektionsrisiko der Nutzer herabzusetzen?

Dr. Steinmetz: Durchaus. Es gilt dabei die Anzahl der Kontaktpunkte möglichst gering zu halten. Vollautomatisch öffnende und schließende Türen, berührungslose Armaturen, Seifenspender und Händetrockner minimieren das Risiko. Was bleibt ist der Toilettensitz als Hauptkontaktzone. Doch auch hier gibt es bereits Lösungsmöglichkeiten durch selbstreinigende Toilettensitzkonstruktionen.

Prof. Platen: Man sollte dieses Thema nicht isoliert betrachten. Nur in der Gesamtheit, also durch richtige Planung, Installation, Reinigung und Nutzung entsteht ein relativ unbedenkliches hygienisches Umfeld. Neben der Planung öffentlicher Sanitäranlagen spielen die Putzgewohnheiten und die Nutzungsgewohnheiten eine wesentliche Rolle. Nur mit der Technik ist es also keinesfalls getan. Ebenso wichtig: Hygieneschulungen des Putzpersonals und der Bevölkerung!

Soweit Armaturen oder andere Bedienelemente berührungslos funktionierten, unterblieb eine Beprobung. Die Probenahme erfolgte mittels Wattetupfer, die in Nährlösungen transportiert wurden. Insgesamt gelangten rund 1.500 Einzelproben zur Auswertung. Die Untersuchung der Proben im Labor erfolgte mit der PCR-Methode. Diese beruht auf dem DNA-Nachweis der gemäß Literaturstudie ausgewählten Bakterien und Viren. Positivbefunde von Bakterien wurden mit der Anzüchtung auf Nährmedien bestätigt. Die so gefundenen Ergebnisse stellen sicher, daß es sich bei den bakteriellen Erregern um lebende (pathogene) Organismen handelt.

Zentrale Untersuchungsergebnisse im Überblick

Für Prof. Dr. Harald Platen (links) und Dr. Heino Steinmetz steht fest: "Putzen will gelernt sein" und "Geeignete Technik minimiert das Infektionsrisiko auf öffentlichen Sanitäranlagen."

Die Wahrscheinlichkeit, daß man bei Nutzung öffentlicher Sanitäranlagen in Kontakt mit den in der Studie ausgewählten Keimen kommt, liegt, je nach Typ bzw. Kategorie der Anlage, zwischen 50 und 80 Prozent. Die Belastung in Sanitäranlagen von Schwimmbädern (Kategorie C) fiel mit 80 Prozent und bei Autobahnraststätten / Bahnhöfen (Kategorie B) und in Sportzentren (Kategorie D) mit jeweils rund 70 Prozent am höchsten aus. Sanitäranlagen in Gaststätten, Restaurants und Veranstaltungszentren (Kategorie A) und öffentliche Sanitäranlagen in Stadtzentren (Kategorie E) waren zu ca. 50 Prozent mit Keimen belastet.

Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Keimbelastung aller Kategorien zusammengenommen von rund 60 Prozent. Signifikant ist sicher auch die Tatsache, daß in 53 Prozent aller Fälle der Nachweis von Fäkalkeimen erbracht wurde. Übertragen auf die beprobten Berührungspunkte innerhalb der Sanitäranlagen ergibt dies eine fäkale Verunreinigung jeder sechsten bis siebten Kontaktstelle.

Am schwerwiegendsten war die Verunreinigung der Toilettensitze mit rund 40 Prozent und der Waschtischarmaturen mit rund 25 Prozent, gefolgt von den Betätigungsknöpfen im Urinal- und WC-Bereich mit je ca. 12 Prozent. Ein Unterschied in der Keimbelastung zwischen Sanitärräumen für Männer und Frauen konnte nicht ermittelt werden. Ebenso konnte in keiner der untersuchten Sanitäranlagen der Nachweis für die Verbreitung von Viren erbracht werden.


* Bilder: DAL - Sanitär-Armaturen GmbH, Porta Westfalica / IKZ-HAUSTECHNIK


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