IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 6/1999, Seite 192 ff.


HEIZUNGSTECHNIK


Kritische Bewertung von prozentualen Aussagen in der Heizungstechnik

In der Heizungstechnik kommen Prozentzahlen eine große Bedeutung zu. Vom weiten Feld der Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen bis hin zu den mit dem Niedrigenergiehaus sich verschiebenden Relationen geht das Spektrum. Was besagen Prozentgrößen und welche Wirkung haben sie in der Praxis. Die Redaktion der IKZ-HAUSTECHNIK hat Dipl.-Ing. Gerd Böhm*, der sich schon in verschiedenen Veröffentlichungen mit dem Thema Nutzungsgrad befaßt hat, um einen Beitrag zu dem Thema "Prozentuale Aussagen in der Heizungstechnik und deren kritische Bewertung" gebeten.

Prozentgrößen spielen in der heutigen Heiztechnik eine nicht nur große, sondern, wie es den Anschein hat, sogar überragende Rolle. So bestimmt ihr wohl prominentester Vertreter - der Nutzungsgrad - fast schon diktatorisch die Vorstellung von dem, was als wirtschaftlich zu gelten hat. Auch die Produktlandschaft wird von Prozentgrößen massiv beeinflußt.

Nirgendwo wird intensiver über energiesparende Heiztechnik nachgedacht als beim Niedrigenergiehaus. Jeder kleinste noch verbleibende Energieverlust erscheint ja als optisch beeindruckende Prozentzahl. Weiterhin besteht die Gefahr von Mißverständnissen, wenn gleichartig erscheinende Prozentgrößen nicht vergleichbar sind oder wenn sie die "falsche Physik" suggerieren. Schließlich bieten Prozentgrößen häufig auch ausgezeichnete Manipulationsmöglichkeiten. Mit geschickt gewählten Randbedingungen ist es oft möglich, das Ergebnis quasi nach Wunsch zu steuern.

Sicher ist es nun angebracht, diese keineswegs vollständige Aufzählung von Eigenschaften und Wirkungen in der Heiztechnik anzutreffender Prozentgrößen mit entsprechenden Beispielen zu belegen. Es geht dabei um

Die Fragwürdigkeit von Kesselnutzungsgraden zur wirtschaftlichen Bewertung

Nutzungsgrade beschreiben das Verhältnis von genutzter und aufgewendeter Energie. Der Aufwand deckt die Nutzenlieferung sowie die Systemverluste ab. Verringert sich der Nutzbedarf bei gleichbleibenden Systemverlusten, fällt der Nutzungsgrad. Er ist als Zahlenwert in seiner Größe nur zu halten, wenn die Verluste in gleichem Maß wie der Nutzbedarf verringert werden. Beispiel in Bild 1.

Bild 1: Beispiel für Fehlbewertungen über den Nutzungsgrad.

Handelt es sich bei den vier Nutzungsgraden in Bild 1 um einen jeweils anderen Kessel, so würde die ausschließlich auf diesen Nutzungsgraden basierende energetische Bewertung folgendes Bild ergeben:

Kessel (2) ist energetisch schlechter als Kessel (1)

Objektiv falsche Aussage, denn beide Kessel haben identische Verluste und sind deshalb gleichwertig.

Kessel (3) ist energetisch gleich gut wie Kessel (1)

Die Aussage ist falsch, denn Kessel (3) ist mit einem Zehntel der Verluste von Kessel (1) um den Faktor 10 besser.

Kessel (4) ist energetisch schlechter als Kessel (1)

Ebenfalls falsche Aussage, denn Kessel (4) ist mit der Hälfte der Verluste von Kessel (1) um den Faktor 2 besser.

Von diesen Fehlbewertungen ist die letzte die gravierendste. Denn sie stellt den Sachverhalt auf den Kopf und begünstigt den schlechteren Kessel. Daß dies nicht praxisfern ist, zeigen Nutzungsgradmessungen, die Brennwertkessel in Niedrigenergiehäusern schlechter aussehen lassen als Niedertemperaturkessel auf Normnutzungsgrad bezogen (vorausgesetzt, daß auch richtig gemessen wurde). Fehlbewertungen dieser Art führen schnell zu "Verbesserungsempfehlungen", schlimmstenfalls gar zu dem Verdacht der "Nicht-Niedrigenergiehaus-Eignung".

Es liegt auf der Hand, daß mit dem Nutzungsgrad krasse Fehlbewertungen möglich sind. Vergleichbar sind nur "Normnutzungsgrade". Im Grunde geht es aber sehr viel einfacher - und vor allem unmißverständlich - über die absoluten Verlustgrößen. Diese wären auch mit andersartigen Systembedarfen, wie z.B. elektrische Energieaufwendungen für Pumpen oder sonstige Energieaufwendungen im Haushalt, vergleichbar und daher in einem weiteren Rahmen zu bewerten. Dabei wird auch schnell klar, um welche Größenordnung von Verlusten es überhaupt geht.

Bild 2: Beispiel für die "optische Wirkung" von Prozentgrößen.

Die "optische Wirkung" von Prozentgrößen

Mit dem Niedrigenergiehaus sind viele als Prozentzahl ausdrückbare Relationen verschoben worden, denn der Transmissionswärmebedarf ist eine vielbenutzte Bezugsbasis. Demgegenüber erscheinen mehr oder weniger unverändert gebliebene Vergleichsgrößen wie Warmwasser- und Lüftungsbedarfe nun gewichtiger und finden entsprechend mehr Interesse. Mittels grafischer Darstellung ist dies noch eindrucksvoll zu untermauern (Bild 2). In der Prozentversion scheint der Lüftungsbedarf anzusteigen.

Das Beispiel hätte genauso gut mit dem Warmwasserbedarf oder irgendwelcher gegenüber dem Transmissionsbedarf unveränderter Verlustgrößen durchgeführt werden können. Es soll nicht die Beschäftigung mit Lüftungsverlusten oder der Einsatz von Lüftungsanlagen kritisiert werden. Auffällig ist die besondere Interessenkonzentration auf das Niedrigenergiehaus. Schlechte Fenster und untragbar veraltete Heiztechnik in Altbauten, in öffentlichen Verwaltungsgebäuden usw. wecken vergleichsweise sehr viel weniger Anteilnahme als der letzte mit der akademischen Pinzette noch greifbare Verlust eines Brennwertkessels im Niedrigenergiehaus. Häufige Folge: Je niedriger der Wärmebedarf, um so aufgeblähter die Anforderungen an Systemtechnik, Nutzerverhalten usw.

Nicht vergleichbare Prozentgrößen

Als Prozentgrößen ausgewiesene Verluste lassen nicht immer erkennen, welche physikalischen Einheiten dahinter stehen, ob es sich z.B. um Energieströme (kW) oder Energiemengen (kWh) handelt. Mitunter sorgen Bezeichnungen für Klarheit, wie der auf Energieströme bezogene Wirkungsgrad und der auf Energiemengen bezogene Nutzungsgrad. Völlig mißverständlich sind aber z.B. die beiden Kesselverlustgrößen Abgasverlust und Auskühlverlust (hier als Sammelbezeichnung für Strahlungs- und Bereitschaftsverlust verstanden). Sie erscheinen als Prozentgrößen vergleichbar, sind es aber nicht.

Der Abgasverlust

Der Abgasverlust wirkt immer gleichzeitig mit dem Brennstoffdurchsatz. Er kann deshalb in gleicher Weise als Verlustwärmestrom wie auch als Verlustwärmemenge verstanden werden. 12% Abgasverlust eines Kessels mit 35 kW Feuerungsleistung bei 4000 Liter Heizölverbrauch stehen somit für

0,12 · 35 kW = 4,2 kW Verlustwärmestrom

und

0,12 · 4000 l = 480 l Heizölverlust

Der Auskühlverlust

Für den Auskühlverlust gilt dies nicht in gleicher Weise, denn er ist nicht nur während der Brennerlaufzeiten, sondern während der gesamten Betriebsdauer wirksam. Hat der 35 kW-Kessel 3,5% Auskühlverluste, so sind diese nur als Verlustwärmestrom zu verstehen.

0,035 · 35 kW = 1,2 kW

Für die Verlustwärmemenge, die als Brennstoffmenge verstanden werden kann, ist die Wirkdauer, z.B. 8000 Stunden/Jahr, zugrunde zu legen und ein weiterer Rechengang durchzuführen.

1,2 kW · 8000 h/a = 9600 kWh/a bzw.

Die 3,5% Verlustwärmestrom entsprechen 24% brennstoffbezogener Verlustwärmemenge. Der Auskühlverlust ist in diesem Beispiel wesentlich gewichtiger als der Abgasverlust, obwohl er als auf die Feuerungsleistung bezogene Prozentgröße kleiner erscheint. Beide Prozentgrößen sind deshalb nicht direkt vergleichbar.

Der hier verwendete Begriff "Auskühlverlust" ist nach der mathematischen Definition des Jahresnutzungsgrades (VDI 2067) in die Komponenten Strahlungsverlust (Auskühlverlust während der Brennerlaufzeiten) und Bereitschaftsverlust (Auskühlverlust während der Brenner-Aus-Zeiten) unterteilt. Bezogen auf diese Definition sind somit die Prozentgrößen und direkt vergleichbar. Der Bereitschaftsverlust muß über die "Bereitschaftszeit" hochgerechnet werden, um vergleichbar zu sein.

"Falsche Physik" durch Prozentgrößen

Die für den Auskühlverlust nach Normdefinition verantwortlichen Größen Strahlung () und Bereitschaft () täuschen durch ihren Bezug auf die Feuerungsleistung eine "falsche Physik" vor. Hierzu folgende Angaben aus Herstellerunterlagen als Beispiel:

Kesselleistung

25 kW = 0,65%

Kesselleistung

63 kW = 0,41%

Der Verlust des 25 kW-Kessels erscheint somit größer als der des 63 kW-Kessels. Erst die Weiterrechnung zur absoluten Verlustgröße zeigt den wirklichen Sachverhalt.

25 kW = 0,0065 · 25 kW = 0,163 kW

63 kW = 0,0041 · 63 kW = 0,258 kW

Bild 3: Kessel-Auskühlverluste sind nicht mit der Feuerungsleistung verknüpft, sondern mit der wärmeabgebenden Oberfläche.

Noch wesentlich gravierender für ein falsches physikalisches Verständnis ist überhaupt die funktionale Verknüpfung der prozentualen Verlustgrößen und mit der Feuerungsleistung. Hierauf beruht die nicht mehr ausrottbare Ansicht einer Verknüpfung von Kesselleistung und Kesselwirtschaftlichkeit, die es physikalisch gar nicht gibt (Bild 3).

Strahlungs- und Bereitschaftsverlust unterliegen allein der Beziehung

k · A · DJ · Dt

k = Wärmedurchgangszahl

A = wärmeabgebende Kesseloberfläche

DJ = Temperaturdifferenz Oberfläche zum Raum

Dt = Dauer der Temperaturhaltung

bzw. der ähnlich aufgebauten physikalischen Beziehung für die Wärmeabstrahlung.

Allenfalls über den Einfluß der Oberflächengröße (A) ist ein Zusammenhang zur Leistung theoretisch herzustellen. Praktisch ist das jedoch nicht haltbar, da leistungsstärkere Kessel nicht zwangsläufig eine größere Oberfläche aufweisen müssen als leistungsschwächere Kessel (man vergleiche nur Wandkessel mit bodenstehenden Kesseln über die Wasserinhalte).

Außerdem kann zumindest über die k-Zahl der Oberflächeneinfluß jederzeit kompensiert werden. Es ist in diesem Zusammenhang schon fast tragisch zu nennen, wenn geglaubt wird, im Interesse der Kesselwirtschaftlichkeit minimalste Kesselleistungen kombiniert mit großen separaten Puffervolumen einsetzen zu müssen. Aus physikalischer Sicht geschieht damit genau das Falsche: Die wärmeabgebende Oberfläche wird vergrößert (zusätzlich noch über Rohrleitungen, Armaturen usw.).

Man stelle sich vor, wie einfach und unmißverständlich alles wäre, würden statt Prozentzahlen die absoluten Verlustgrößen angegeben. Mit Sicherheit wäre dann nicht der leistungsschwächste Kessel der Favorit, sondern der am besten wärmegedämmte. Die Bereitschaftsverluste von Warmwasserspeichern werden schon seit langem in absoluter Größe angegeben. Niemand kommt hier auf die Idee, den Wärmeverlust als Prozentgröße auf die Übertragungsleistung des eingebauten Wärmetauschers zu beziehen.

Wie weitgehend das Mißverständnis Kesselleistung - Kesselwirtschaftlichkeit geht, zeigt die HeizAnlV. Niedertemperatur- und Brennwertkessel sind da zwar vom Zwang nach einer gebäudebezogenen Leistungsdimensionierung ausgenommen. Aber gerade damit wird der falsche physikalische Ansatz bestätigt, denn auch für den sogenannten Standardkessel gilt die gleiche Physik. Unmißverständlich wäre z.B. die Vorgabe von maximalen absoluten Kesselverlusten, die sich auf den Nenn-Leistungsbedarf beziehen.

Tabelle 1: Beispiel für Ergebnis-Veränderungen bei Abweichung von der Gesamtjahresbetrachtung.

Einfluß von Randbedingungen

Ein weites Feld sind die Beeinflussungsmöglichkeiten von Prozentgrößen und Nutzung deren optischer Wirkung. Zu dieser Kategorie gehören z.B. "Sommerwirkungsgrade", die hin und wieder beim Vergleich von Warmwassersystemen angeführt werden. Den Mechanismus zeigt Tabelle 1. Im Beispiel wird von 8 kWh täglichem Warmwasserbedarf ausgegangen.

System 1 Das System besteht aus einem indirekt beheizten Speicher mit 1,3 kWh und einem Heizkessel mit 3 kWh täglichem Wärmeverlust. Während der 275 Heiztage ist der Kesselverlust der Heizung und nicht dem Warmwasser zuzuordnen.

System 2 Das System besteht aus einem direkt beheizten Warmwasserspeicher mit 2,5 kWh täglichem Wärmeverlust.

Ein Wirtschaftlichkeitsvergleich kann in aller Regel nur über das Gesamtjahr gehen. Die zeitliche Eingrenzung auf den Sommer würde den Sachverhalt umkehren und System 2 begünstigen. Die Eingrenzung allein auf die Heizperiode würde System 1 als zu vorteilhaft erscheinen lassen.

Die Methode gezielter zeitlicher Eingrenzungen (mit nicht immer lauteren Absichten) ist weit verbreitet. Es geht von "Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen" der gezeigten Art bis hin zur Beurteilung und "Bewertung" ausgesuchter, zeitweise auftretender Betriebssituationen.

Fazit

Wie die wenigen Beispiele zeigen, muß mit Prozentgrößen in der Heiztechnik prinzipiell kritisch umgegangen werden. Nur z.B. Normnutzungsgrade sind vergleichbar. Aber auch sie sagen nichts darüber aus, ob die dahinterstehenden Verluste akzeptabel sind oder nicht. 10% Brennstoffverluste sind bei 500 m3 Gasverbrauch sicher eher zu verschmerzen als 5% bei 10.000 m3. Allerdings zeigt die Praxis häufig das genaue Gegenteil: Daß die 10% mehr Aufmerksamkeit finden, als die 5%. Offensichtlich liegt das im Wesen von Prozentgrößen.


*) Dipl.-Ing. Gerd Böhm, Buderus Heiztechnik GmbH, Wetzlar


B i l d e r :   Buderus Heiztechnik GmbH, Wetzlar


[Zurück]   [Übersicht]   [www.ikz.de]