IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 6/1999, Seite 130 ff
HAUS DER TECHNIK
Kontrollierte Wohnungslüftung: Im Niedrigenergiehaus unentbehrlich
Dipl.-Ing. Rolf Waldschmidt*
Das Thema Energieeinsparung hat in den vergangenen Jahren aufgrund der Notwendigkeit eines schonenderen Umgangs mit Umwelt und Ressourcen vor allem in den Industrieländern einen sehr hohen Stellenwert eingenommen. Dabei hat die Energieeinsparung aufgrund volkswirtschaftlicher und energiepolitischer Herausforderungen auch in der Gebäudetechnik erste Priorität. Da auf die Raumwärme annähernd 75% des gesamten Endenergieverbrauches entfallen, bergen im Wohnbereich insbesondere die Lüftungswärmeverluste ein großes Einsparpotential, das nur durch die kontrollierte mechanische Lüftung erschlossen werden kann.
Die Bundesregierung ist 1995 die Verpflichtung eingegangen, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um 25% zu verringern (bezogen auf die Emissionswerte von 1987). Um dieses hochgesteckte Ziel zumindest annähernd zu erreichen, ist die Ausschöpfung der Einsparpotentiale sowohl im Neubaubereich als auch im Gebäudebestand besonders wichtig. Immerhin entfallen etwa 25 bis 30% des in Deutschland jährlich emittierten CO2 auf diesen Bereich (Gesamtausstoß ca. 850 bis 900 Mio. t CO2).
Bild 1: Vergleich von spezifischen Energiebedarfswerten. |
Der Niedrigenergiehausstandard kommt
Die seit 1995 gültige Wärmeschutzverordnung (WSVO) legt spezifische Höchstwerte für den Jahresheizwärmebedarf von Gebäuden fest. Kalkulatorisch liegen diese Werte im Verhältnis zur WSVO vom Jahre 1984 um ca. 30% niedriger (z. B. maximaler Jahresheizwärmebedarf von 100 kWh/(m2 · a) für Einfamilienhäuser mit einem Verhältnis A/V>1,05 m-1). Die derzeit diskutierte Energiesparverordnung (ESVO 2000) sieht eine weitere Absenkung um 25 - 30% vor, womit ein echter Niedrigenergiehausstandard festgeschrieben wird.
Charakteristisch für Niedrigenergiehäuser (NEH) ist ein "dynamischer" Wärmeschutz, in dessen Rahmen nicht nur die Gebäudehülle, sondern auch die gesamte Anlagentechnik zur Warmwasserbereitung, Heizung etc. energetisch betrachtet wird. Darüber hinaus wird auch die Nutzung passiver innerer und äußerer Wärmequellen berücksichtigt (solare und interne Wärmegewinne).
Bild 2: Zusammenhang zwischen relativer Luftfeuchtigkeit und dem Vorkommen von Schadstoffen und Krankheiten. |
Wärmeverluste im Gebäude
Im Niedrigenergiehaus sind die Transmissionswärmeverluste (Wärmeverluste durch die Gebäudehülle) durch gute Wärmedämmung der Außenbauteile, Vermeidung von Kältebrücken und hohe Dichtheit der Bauteilkonstruktion auf ein Minimum reduziert. Dies muß nicht zwangsläufig mit sehr hohen Baukosten einhergehen; heutzutage ist eine dichte, gut gedämmte Gebäudehülle bei finanziell vertretbarem Aufwand realisierbar.
Aufgrund der stark verminderten Verluste durch Außenwände und Fenster kommt dem Anteil der Lüftungswärmeverluste konsequenterweise eine größere Bedeutung zu. Dieser Anteil kann am Gesamtwärmeverlust eines NEH bis zu 50 % betragen. Neben dieser energetischen Betrachtung hat die effiziente Lüftung eines NEH auch aus hygienischer Sicht einen hohen Stellenwert. Ein nach WSVO dicht gebautes Haus läßt einen natürlichen Luftwechsel durch Fugen und Ritzen kaum noch zu, so daß die Raumluftqualität einem "Käseglockeneffekt" gleichkommt: Neben der Wärme bleibt auch die verbrauchte, feuchte Luft im Haus. Wie sollte vor diesem Hintergrund energetisch und hygienisch richtig gelüftet werden? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst zu klären, wie hoch der Außenluftbedarf zur Einstellung eines behaglichen Raumluftzustandes ist. Ein Blick in die allgemein anerkannten Regeln der Technik ergibt folgende Werte:
- pro Person notwendige Außenluftrate: 30 m3/h;
- Luftwechsel Lw = 0,4 - 0,6 (je nach Wohnungsgröße und Personenbelegung).
Bei Einhaltung dieser Werte im NEH kann davon ausgegangen werden, daß hygienische Raumluftverhältnisse durch ausreichende Lufterneuerung bei gleichzeitig rationellem Energieeinsatz sichergestellt ist.
Bild 3: Anstieg der CO2-Konzentration in einem fugendichten Raum, 30 m3, 2 Personen (z.B. Schlafzimmer). |
Fensterlüftung für NEH ungeeignet
Beim Versuch, die genannten Richtwerte mittels Fensterlüftung zu erreichen, stößt selbst der disziplinierteste Bewohner schnell an seine Grenzen. Tatsache ist, daß das unkontrollierte Lüftungsverhalten der Bewohner die theoretisch gute Energiebilanz eines NEH bereits in der ersten Heizperiode auf den Kopf stellt. Eine Untersuchung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) zu dieser Thematik zeigt auf, daß alle Anstrengungen zur Absenkung der Wärmeverluste zunichte gemacht werden, da in erheblichem Maße falsch gelüftet wird. Folgende Probleme treten auf:
- zu wenig Lüftung: Verschlechterung der Raumluftqualität und hygienische Probleme durch unzureichende Abfuhr der Feuchte;
- zu viel Lüftung: Eintrag von zu feuchter oder zu trockener Außenluft sowie steigender Heizenergieverbrauch durch hohe Lüftungswärmeverluste.
Bild 4: Prinzipdarstellung eines reinen Entlüftungssystems. Durch selbstregelnde Öffnungen in Fenstern, Türen oder Mauerwerk strömt Zuluft nach. |
Kontrollierte Wohnungslüftung hat Tradition
Diese Fragestellungen und Erkenntnisse sind nicht neu. Sie haben vielmehr bereits vor 20 Jahren vor allem in skandinavischen Ländern zum Einzug mechanischer Lüftungssysteme im Wohnungsbau geführt. Diese sorgen dort für den hygienisch erforderlichen und energetisch vertretbaren Luftwechsel.
Bauherren verfügen zumeist über einen begrenzten Etat, mit dem möglichst viel Komfort erkauft werden soll. Es ist für den Fachbetrieb daher wichtig, insbesondere den Nutzen moderner Lüftungssysteme und weniger die einzelnen Produktmerkmale zu vermitteln (siehe separater Kasten).
Darüber hinaus sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen, um einen effektiven Einsatz von Lüftungsanlagen in NEH zu gewährleisten:
- hohe Gebäudedichtheit: n50 < 2;
- Zentralgeräte mit geringem Stromverbrauch und hohem Wärmerückgewinnungsgrad;
- fachmännische Planung und Installation;
- sinnvolle Regelungsmöglichkeiten: Stufenschaltung, ggf. feuchtigkeits- oder CO2-geführte Lüftung;
- regelmäßige Wartung (Filterwechsel) und Reinigung der Anlage;
- korrekte Nutzung der Anlage: während der Betriebszeit auf Fensterlüftung möglichst verzichten.
Bild 5: Be- und Entlüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die Außenluft wird zentral angesaugt und über den Kreuzstromwärmetauscher vorerwärmt. |
Hoher Beratungs- und Aufklärungsbedarf
Mit dem Einzug des NEH-Standards werden sich Anlagen zur kontrollierten Lüftung sowohl im Geschoßwohnungsbau als auch in Reihen- bzw. Einfamilienhäusern etablieren. Nach wie vor ist der Bauherr bzw. der Investor jedoch unsicher in bezug auf Kosten, Nutzen, Funktion und Aufwand solcher Systeme. Darüber hinaus bestehen mitunter ungerechtfertigte gesundheitliche Vorbehalte, da der Einzug von Legionellen und anderen gefährlichen Keimen befürchtet wird. Hier besteht noch ein erheblicher Beratungs- und Aufklärungsbedarf.
Mit Blick auf einige in diesem Gebiet an Erfahrungen reichere europäische Nachbarländer und unter Berücksichtigung der für die ESVO 2000 festgelegten Eckwerte, können aus heutiger Sicht folgende Feststellungen gemacht werden:
- ein neu errichtetes NEH ohne Anlage zur kontrollierten Lüftung ist in der Praxis nicht als NEH zu betreiben;
- die kontrollierte, mechanische Wohnungslüftung stellt eine sinnvolle und moderne haustechnische Anlage mit hohem Mehrfachnutzen dar, die guten Gewissens zur Installation empfohlen werden kann.
Fensterlüftung | Mechanische Komfortlüftung |
undefinierter, zu hoher oder zu niedriger Luftaustausch | exakt bemessener Luftwechsel: so wenig wie möglich, soviel wie nötig |
nutzerabhängige, unstetige Luftwechselrate | kontinuierliche Querdurchlüftung der gesamten Wohnung bzw. des Hauses |
Anreicherung von CO2 und Schadstoffen (Tabakrauch, Formaldehyd etc.), zu hohe oder zu niedrige Luftfeuchte | Konstant hohe Luftqualität und gesicherte Feuchteabfuhr |
je nach Standort Eindringen von Pollen, verschmutzter Außenluft, Straßenlärm u. a. | Luftfilterung (verschiedene Filterklassen möglich), daher reduzierter Eintrag von Verunreinigungen und Allergenen |
Zugluft | optimale Verteilung vortemperierter Luft in den Räumen |
winddruck- und temperaturabhängige Luftverteilung in der Wohnung | kontrollierte Luftführung: verbrauchte Luft wird zu den Abluftbereichen Küche, Bad, WC geführt und von dort abgeführt; frische Luft wird Wohn-, Schlaf- und Arbeitsräumen zugeführt |
je nach Lüftungsdauer und Außentemperatur erhebliche Heizenergieverluste | durch kontrollierten Luftaustausch (Abluftanlagen) kein überproportionaler Anstieg der Lüftungswärmeverluste; durch Wärmerückgewinnung (Anlagen mit Wärmeaustauscher) weitere Absenkung der Heizkosten um bis zu 30% möglich |
keine Investitionskosten, dafür verminderter Komfort und höhere Heizkosten | Erhöhung der Baukosten, Mehrausgaben werden jedoch dort investiert, wo der größte Nutzen zu erzielen ist |
Hausstaubmilben, Bauschäden durch Schimmelpilzwachstum vor allem im Geschoßwohnungsbau | Entschärfung des Hausstaubmilbenproblems, beschleunigtes Entfeuchten und Austrocknen des Baukörpers (bei konventionellen Wohnungen und Wohnhäusern) |
höherer Immobilienwert |
*) Dipl.-Ing. Rolf Waldschmidt, Vertriebsleiter Wohnungslüftung der ABB Fläkt Produkte GmbH, Butzbach
B i l d e r : ABB Fläkt Produkte GmbH, Butzbach
[Zurück] [Übersicht] [www.ikz.de]