IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 19/1998, Seite 73 f.


RECHT-ECK


Privates Baurecht

Die Entwicklung des privaten Bauvertragsrechts in bezug auf die VOB - Teil A

RA F.-W. Stohlmann

Die Entwicklung des privaten Bauvertragsrechts zur VOB Teil A ist bestimmt durch eine Vielzahl von Entscheidungen zum Vergaberecht. Dabei ist die Einführung des sogenannten Vergaberechtsänderungsgesetzes, das von der Bundesregierung als Gesetzentwurf vorgelegt worden ist von Bedeutung, nachdem der Bundestag und der Bundesrat am 29. Mai 1998 einer Kompromißlösung zugestimmt haben. Das Vergaberechtsänderungsgesetz wird damit im Rahmen einer Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) am 1.1.1999 in Kraft treten.

Nach diesem demnächst in Kraft tretenden neuen Gesetz wird die Vergabe öffentlicher Aufträge als sechster Teil (neu) in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen aufgenommen. Es enthält die Unterabschnitte "Vergabeverfahren, Nachprüfungsverfahren, sonstige Regelungen" und wird sich in den §§ 106-138 in dieses vorhandene Gesetz einfügen. Das Gesetz enthält eine Neuregelung der Vergabe öffentlicher Aufträge oberhalb der sog. EU-Schwellenwerte, für Bauaufträge 5 Mio. ECU. Kern der Neuregelung ist neben der Schaffung eines Rechtsanspruchs der Bieter auf Einhaltung der Vergabebestimmungen die Neuregelung des Nachprüfungsverfahrens. Hiernach soll künftig ein zweistufiges Nachprüfungsverfahren durchgeführt werden. In erster Instanz werden sogenannte Vergabekammern eingerichtet, in zweiter Instanz sind dann spezielle Vergabesenate der Oberlandesgerichte als Beschwerdeinstanz zuständig.

Antragsbefugt für die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens ist jedes Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, daß dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Von wesentlicher Bedeutung ist dabei, daß nach Zustellung des Nachprüfungsantrags an den Auftraggeber der Zuschlag vor eine Entscheidung der Vergabekammer und dem nachfolgenden Ablauf der Beschwerdefrist (zwei Wochen seit Zustellung der Vergabekammerentscheidung) nicht erteilt werden darf (Suspensiveffekt).

Gegen die Vergabekammerentscheidung ist sodann eine sofortige Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht zulässig. Diese hat wiederum aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde darf der Auftraggeber damit den Zuschlag nicht erteilen. Der Suspensiveffekt erlischt zwar zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist, spätestens also vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer.

Der beschwerdeführende Bieter kann allerdings beantragen, den Suspensiveffekt bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern. Da im Verfahren vor dem OLG keine Entscheidungsfrist vorgesehen ist, wird der Beschwerdeführer möglichst umgehend nach Zugang der erstinstanzlichen Entscheidung Beschwerde einlegen und zugleich einen Antrag auf Verlängerung des Suspensiveffektes stellen müssen, damit er die Entscheidung des OLG über den letzten Antrag möglichst noch vor Erlöschen des Suspensiveffektes erhält. Mit seiner Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung hat das OLG die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu berücksichtigen. Der Antrag ist hiernach abzulehnen, wenn die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde, die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Hat die erstinstanzliche Vergabekammer hingegen dem Antrag des Bieters stattgegeben und den Zuschlag untersagt, darf der Auftrag, solange nicht vergeben werden, bis das OLG die Entscheidung der Vergabekammern aufhebt.

Achtung: Das Gesetz sieht eine Schadensersatzpflicht bei rechtsmißbräuchlicher Nutzung des Antrags- oder Beschwerderechts vor. Hiermit soll einem Rechtsmißbrauch des neuen Gesetzes Vorschub geleistet werden. Ein solcher Rechtsmißbrauch wird insbesondere angenommen, wenn die Aussetzung des Vergabeverfahrens durch vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgetragene falsche Angaben erwirkt oder die Überprüfung mit dem Ziel beantragt wird, daß Vergabeverfahren zu behindern oder Konkurrenten zu schädigen oder der Antrag in der Absicht gestellt wurde, ihn später gegen Geld oder andere Vorteile zurückzunehmen.

Entgegen der Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums und der Wirtschaftsverbände, daß bei der Auftragsvergabe allein die Wirtschaftlichkeit eines Angebotes für den Zuschlag entscheidend sein soll, ist nunmehr im Gesetz die Berücksichtigung sog. vergabefremder Aspekte unter gewissen Voraussetzungen vorgesehen. Neben Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Unternehmens dürfen andere oder weitergehende Anforderungen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundesgesetz oder Landesgesetz vorgesehen ist. Damit ist künftig die Berücksichtigung von vergabefremden Aspekten (z.B. Tariftreue, Ausbildungsverhalten, Frauenförderung) auf der Grundlage bloßer Verwaltungsvorschriften und -erlasse ausgeschlossen.

Dies zu dem neuen Gesetz, das am 1. Januar 1999 in Kraft tritt.

VOB Teil A

Weiterhin sollen verschiedene Entscheidungen in der Entwicklung zur VOB Teil A vorgestellt werden.

Unzulässigkeit des Angebotes einer nicht aufgeforderten Bietergemeinschaft im nichtoffenen Verfahren.

Nach einer Entscheidung des Vergabeüberwachungsausschusses des Bundes ist es mit Sinn und Zweck des Wettbewerbs im nichtoffenen Verfahren gem. § 8 a Nr. 2 VOB/A unvereinbar, wenn die Vergabestelle das Angebot einer von ihr nicht aufgeforderten Bietergemeinschaft zuläßt, die sich aus dem Kreis der Unternehmer gebildet hat, die von der Vergabestelle zur Angebotsabgabe aufgefordert worden ist. Das Angebot eines solchen Bieters darf nicht gewertet werden.

Beschreibung der Leistung im Sinn des § 9 VOB/A

Kann ein Leistungsverzeichnis, das einer Ausschreibung nach VOB/A zugrunde liegt, auch so ausgelegt werden, daß es den Anforderungen von § 9 VOB/A entspricht, so darf nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes der Bieter das Leistungsverzeichnis in diesem VOB/A-konformen Sinn verstehen und ein entsprechendes "Auslegungsvertrauen" in Anspruch nehmen. Dabei kommt dem Wortlaut vergleichsweise große Bedeutung zu. Für fachliche Texte ist der fachliche Sprachgebrauch entscheidend, wie ihn die beteiligten Fachkreise üblicherweise einheitlich in dem speziellen fachlichen Sinne verstehen.

Risikoverlagerung bei funktionaler Leistungsbeschreibung

Hierzu hat der BGH im Falle einer "Zweikammer-Doppelschleuse" entschieden, daß eine mit § 9 VOB/A unvereinbare Ausschreibungstechnik nicht dazu führt, daß anstelle der ausgeschriebenen Leistung eine mit § 9 VOB/A übereinstimmende Ausschreibungstechnik Vertragsinhalt wird. Denn § 9 VOB/A enthalte kein zwingendes Vertragsrecht. Eine Ausschreibung, die neben bestimmten formulierten Mindestanforderungen festlegt, daß weitere Leistungen der Tragwerksplanung zu entsprechen haben, die vom Auftragnehmer ebenfalls als Vertragsleistung übernommen wird, legt den Vertragsinhalt hinreichend bestimmbar fest. Für die Wirksamkeit eines Vertragsschlusses ist es auch nicht von Bedeutung, ob die übernommenen Verpflichtungen für den Auftragnehmer kalkulierbar seien. Ein sachkundiger Auftragnehmer könne sich nicht darauf berufen, er habe die mit einer funktionalen Leistungsbeschreibung verbundenen Risikoverlagerungen nicht erkennen können oder nicht zu erkennen brauchen.

Herausnahme einzelner LV-Positionen

Der Auftraggeber, der eine Leistung auf der Grundlage der VOB/A ausschreibt, hat nach Auffassung des BGH die vorvertragliche Pflicht, auch bei der Beschreibung der Leistung die Bewerber gleich zu behandeln. Dazu gehört unter anderem, jedem der beteiligten oder interessierten Unternehmer wesentliche Änderungen der Angebotsunterlagen (hier: den Vorbehalt, einzelne Leistungen herauszunehmen) unverzüglich bekanntzugeben. Eine vorvertragliche Pflichtverletzung gegenüber einem anderen Bewerber/Bieter kann die Rechtsposition des übergangenen Bieters aber nur berühren, wenn der andere Bieter ohne den Verstoß wenig günstig geboten hätte.

Angebotsprüfung (§ 23 VOB/A) - Kalkulationsirrtum eines Bieters

Nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg darf der Ausschreibende sich nicht darauf verlassen, daß der Bieter nach einer von ihm für zutreffend erachteten Berechnungsweise seinen Preis ordnungsgemäß kalkuliert hat. Denn der Bieter trägt das alleinige Risiko richtiger Kalkulation. Kalkulationsfehler durch vergessen des Hinzurechnens von Zwischenergebnissen muß ein Bieter sich im Sinne von Fahrlässigkeit zurechnen und vorwerfen lassen. Er hat deshalb für die hieraus dem Auftraggeber entstandenen Schäden einzustehen. Der Bieter, der wegen eines von ihm nach Angebotseröffnung behaupteten Kalkulationsirrtums Entlassung aus der Bindung an das Angebot begehrt, muß auch ohne Aufforderung sämtliche Unterlagen, aus denen sich der Kalkulationsfehler ableiten läßt, dem Ausschreibenden übermitteln, da dieser nur bei positiver Kenntnis des Irrtums gehalten sein kann, den Bieter nach Treu und Glauben aus seinem Angebot zu entlassen.

Unzulässig Nachverhandlung von Angeboten (§ 24 Nr. 3 VOB/A)

Die Verhandlung des öffentlichen Auftraggebers über Pauschalfestpreise nach Eröffnung von Einheitspreisangeboten verstößt laut OLG Celle gegen § 24 Nr. 3 VOB/A. Hätte der hierdurch benachteiligte Bieter bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vergabeverfahrens den Zuschlag erhalten müssen, kann er im Rahmen eines auf "culpa in contrahendo" (Verschulden bei Vertragsschluß) gestützten Schadensersatzanspruchs auch das positive Interesse verlangen, also seinen gesamten entgangenen Gewinn. Für die erfolgreiche Geltendmachung des genannten Schadensersatzanspruches besteht nicht das Erfordernis, daß der Zuschlag "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" erteilt worden wäre.


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