IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 19/1998, Seite 15 f.


VERBÄNDE AKTUELL 


Nordrhein-Westfalen


Geht der Meisterbrief baden?

Abschaffung der Meisterprüfung gefährdet Wirtschaftsstandort Deutschland   Teil 2

Dr. Hans-Georg Geißdörfer

Ein Gutachten hatte es werden sollen - so jedenfalls der Auftrag der Bundesregierung an die aus fünf Mitgliedern bestehende Monopolkommission, sich zu zentralen Fragen der zukünftigen Wirtschaftsgestaltung in der Bundesrepublik zu äußern. Was den Bereich der Handwerkswirtschaft anbelangt, so ist allenfalls "wirtschaftsliberalistische Prosa" davon übrig geblieben. Mit einem tiefen Griff in die Mottenkiste verkündete die Monopolkommission ihre alleinseligmachende Botschaft: Der Meisterbrief muß weg!

Einmal abgesehen davon, daß sich der Anspruch eines Gutachtens nur aus einer eingehenden wissenschaftlichen und empirischen Befassung mit der Materie herleiten läßt - wovon in dieser Stellungnahme keine Rede sein kann - reiht sich vorliegend eine unbewiesene Behauptung an die nächste. Mit Rezepten absoluter Gewerbefreiheit, die in Deutschland bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts zu einer tiefen Verelendung großer Teile von Gewerbetreibenden und Handwerkern geführt hat, erhebt die Monopolkommission den Anspruch, zukunftsweisende Strategien ausgearbeitet zu haben.

Wer in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und gravierenden wirtschaftlichen Umbrüchen den großen Befähigungsnachweis im Handwerk zum Grund allen Übels abstempeln will, der hat ganz offensichtlich jeden Sinn für Realitäten verloren. Die Monopolkommission kann oder will die Bedeutung dieser Qualifikationsanforderung für die wirtschaftliche Prosperität in diesem Lande nicht sehen. Angesichts des Wegbrechens gewaltiger Potentiale an industriellen Arbeitsplätzen - allein in Nordrhein-Westfalen 500.000 in den letzten zehn Jahren - sind es allein die kleinen und mittelständischen Betriebe des Handwerks, die diese Einbrüche in der Vergangenheit abfangen konnten und unter den gegebenen Voraussetzungen auch zukünftig abfangen werden. Schon aus Gründen der Klarheit und Wahrheit lohnt es sich daher, die Behauptungen der Monopolkommission einmal im einzelnen zu betrachten.

Behauptung:

Der Meisterbrief im Handwerk führt zu weniger betrieblichen Neugründungen und im Ergebnis zu einer geringeren Anzahl von Arbeitsplätzen.

Fakt ist:

Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es rund 157.000 Handwerksbetriebe mit über 1,3 Mio. Beschäftigten. Nicht nur, daß damit das Handwerk der größte Arbeitgeber im Lande ist, vielmehr liegt diese Beschäftigungszahl um 26% über den Beschäftigtenzahlen von 1977. Übertragen auf das gesamte Bundesgebiet konnten im Handwerk in den letzten zehn Jahren gut 200.000 neue Arbeitsplätze gewonnen werden. Während also in allen anderen Branchen, vor allem in der Industrie, die Beschäftigtenzahlen stark rückläufig sind, konnten diese im Handwerk stetig ausgebaut werden. Hinzu kommen 110.000 Auszubildende in den Betrieben, die in ganz besonderer Weise auf die meisterliche Qualifikation der Betriebsinhaber angewiesen sind, da sie nur so die Kenntnisse und Fertigkeiten erhalten, die ihnen auf dem heutigen Arbeitsmarkt eine Zukunft garantieren.

Behauptung:

Im Vergleich zu konkurrierenden Anbietern aus dem europäischen Ausland ergibt sich für das deutsche Handwerk ein Nachteil, weil Handwerker aus anderen EU-Mitgliedsstaaten keinen Meisterbrief benötigen.

Fakt ist:

Die Zahl der registrierten EU-ausländischen Handwerksbetriebe in Nordrhein-Westfalen liegt unter 2% des Gesamtbetriebsbestandes. Gerade weil sie nicht über entsprechende Qualifikationen wie der deutsche Handwerksmeister verfügen, sind sie in weiten Bereichen keine echte Konkurrenz, da der hiesige Verbraucher auf die Qualität setzt, die ihm durch den Meisterbrief garantiert wird.

Behauptung:

Ein Abbau der Regulierung (Meisterbrief) ist notwendig, um die Handwerksmärkte für Neugründungen zu öffnen und das vorhandene Wachstums- und Beschäftigungspotential zu nutzen.

Fakt ist:

Bereits die dargelegten Betriebs- und Beschäftigtenzahlen führen diese Behauptung ad absurdum. Darüber hinaus verkennt die Monopolkommission, daß durch den hohen Qualifikationsstand im Handwerk infolge der Meisterprüfung die Handwerkswirtschaft nur die Hälfte der Insolvenzquote aufweist, die wir in der übrigen Wirtschaft finden. Eine optimale Qualifikation als Marktzugangsvoraussetzung ist noch immer die beste Versicherung gegen das drohende Konkurskreuz auf der Stirn. Warum, so müssen sich die Gutachter fragen lassen, finden wir gerade dort stets überproportionale Konkursausfälle, wo die selbständige Ausübung dieses Berufes mit keinerlei Qualifikationsanforderungen verbunden ist?

Behauptung:

Für sogenannte "Gefahrenhandwerke" könnten ergänzende Vorschriften zur Gefahrenabwehr vorgesehen werden. Die Monopolkommission hält dies jedoch nicht für zwingend erforderlich, da die allgemeine Gewerbeaufsicht, das gegenwärtige Haftungsrecht und bestehende präventive Schutzvorschriften als Verbraucherschutz ausreichen.

Fakt ist:

Die gesamte Systematik der beruflichen Qualifikation in der Bundesrepublik ist aus guten Gründen auf den Prinzipien der Präventation aufgebaut. Dieses Leitmotiv bundesdeutscher Berufsausbildung sorgt nicht nur für optimale Marktbedingungen der Selbständigen, sondern sorgt zudem auch für einen Verbraucherschutz auf höchstem Niveau, der mit dem finanziellen Risiko einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung nie erreicht werden kann. Im übrigen mutet es schon merkwürdig an, daß die Monopolkommission zwar die Qualifikationserfordernisse in den gewerblich-technischen Handwerksberufen abschaffen will, jedoch akademische Berufe wie die der Ärzte, Steuerberater, Apotheker, Ingenieure und Rechtsanwälte von diesem geforderten "Verdummungsprozeß" ausnimmt. Wer, so muß man wohl fragen, würde sich allen Ernstes von seinem Mitbürger den Blinddarm entfernen lassen, ohne sich vorher von dessen medizinischer Qualifikation überzeugt zu haben? Wer würde sich vor einem Verwaltungsgericht um die Erteilung einer Baugenehmigung streiten, ohne an seiner Seite einen Volljuristen mit zwei Staatsexamina zu wissen?

Behauptung:

Die absehbare Entwicklung, insbesondere die Osterweiterung der europäischen Union, wird die wirtschaftliche Situation des Handwerksstandortes Deutschland (weiter) verschlechtern.

Fakt ist:

Gerade die Staaten Mittel- und Osteuropas setzen zunehmend auf die Einführung des großen Befähigungsnachweises. So sind von den 220 Handwerksberufen in Ungarn allein 70 für die selbständige Ausübung meisterprüfungspflichtig, in weiteren 70 Berufen darf nur ausgebildet werden, wenn die Meisterprüfung abgelegt wurde. Damit übertreffen die Ungarn sogar noch die behauptete "Regelungsdichte" in der Bundesrepublik, in der nur bei 94 Handwerksberufen die Ablegung der Meisterprüfung zur selbständigen Ausübung verlangt wird. Die Staaten jenseits des ehemaligen eisernen Vorhangs wissen sehr genau, mit welchen Wirtschaftsbereichen und mit welchen Qualifikationen in diesen Zweigen die Aufholjagd gegenüber der westeuropäischen Wirtschaft erreicht werden kann.

Das Urteil über den Bericht der Monopolkommission kann somit nur vernichtend sein. Nicht die Meisterprüfung gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern vielmehr die selbsternannten Deregulierer der Monopolkommission, die Pseudo-Liberalisierung zum Dogma zukunftsweisender Wirtschaftspolitik machen. Aber auch durch Wiederholungen werden die Argumente nicht besser, zumal dann nicht, wenn sie sich nicht mit den wirtschaftlichen Realitäten im Lande auseinandersetzen.

 


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