125 Jahre IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 21/1997, Seite 54 ff.
REPORT
Zentrum für Gerontotechnik in Iserlohn eingeweiht
Drehscheibe für wichtigen Wachstumsmarkt
Die Verbreitung seniorenfreundlicher Technik ist eine Voraussetzung dafür, daß immer mehr Menschen immer länger und komfortabler in den eigenen vier Wänden alt werden können. Mit dem Zentrum für Gerontotechnik haben richtungsweisende Kräfte aus Politik und Wirtschaft einen Meilenstein gesetzt zur Erleichterung und Verbesserung des Lebens alter Menschen.
Gerontotechnik ist ein Beitrag zur Verwirklichung der Forderung "Im Alter leben statt dem Alter nur Jahre zu geben", wie Dr. Karl Bisa, der Senior in der Geschäftsführung der GGT Gesellschaft für Gerontotechnik, in seiner Begrüßungsansprache anläßlich der Eröffnung des Zentrums für Gerontotechnik am 9. September 1997 in Iserlohn betonte: "Die soziale, ethische und politische Einbeziehung des Alters ist ein hohes Ziel."
Am Anfang habe eine Idee, eine Vision gestanden, die sich bald zu einem Konzept hilfreicher Technik für Senioren entwickelte. Die Gründung des Fördervereins und 1993 die der Gesellschaft für Gerontotechnik sei die logische Konsequenz gewesen. Die wegweisende Führung und Förderung durch das Wirtschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen habe schließlich die Realisierung des Zentrums für Gerontotechnik in Iserlohn möglich gemacht.
Die neue, repräsentative Heimstatt der GGT: 5000 Quadratmeter für die Gerontotechnik. Im Zentrum für Gerontotechnik ist eine 1000 Quadratmeter große Dauerausstellung für seniorenrelevante Produkte sowie ein modernes Schulungszentrum entstanden. Rund 3000 Quadratmeter Bürofläche stehen innovativen Jungunternehmern zur Verfügung.
Der Schwerpunkt der GGT-Arbeit ist, seniorengerechte Produkte zu erproben, zu begutachten, zu optimieren oder zu entwickeln.
Im Mittelpunkt der Öffentlichkeitsarbeit steht die Ausstellung "Forum für Gerontotechnik", eine bundesweit bisher einmalige Einrichtung: Auf rund 1000 Quadratmetern wird eine Dauerpäsentation gerontotechnischer Produkte gezeigt. Dahinter stehe die Erkenntnis aus mehrjähriger Arbeit, daß es im Bereich der Senioren und ihrer Angehörigen ein erhebliches Informationsdefizit gebe.
Ergänzend zur Ausstellung bietet das Schulungs- und Tagungszentrum auf etwa 700 Quadratmetern mit moderner Schulungs- und Konferenztechnik ausgestattete Räume unterschiedlicher Größe. Hier werden von der GGT und ihren Partnerunternehmen Lehrgänge, Seminare, Tagungen, Workshops und Präsentationen angeboten. In der Planung sind Zusatzqualifikationen für Dienstleister - Ingenieure, Designer oder Architekten, beispielsweise zu Themen des barrierefreien Bauens und Gestaltens. Aber auch Handwerker aus den Bereichen Elektro- und Sanitärinstallation sollen mehr über seniorengerechte Produkte und ihren Einsatz, über DIN-Normen oder spezielle Bedürfnisse älterer Menschen, ihre Mentalitäten, altersbedingte Einschränkungen und servicebezogene Notwendigkeiten im Umgang mit Senioren lernen.
Kludi-GGT-Symposium
Den Markt der jungen Alten entdecken
"Agil statt senil, der Markt der jungen Alten", lautete das Motto eines Symposiums am 12. September 1997, zu dem Deutschlands drittgrößter Sanitärarmaturenhersteller Kludi rund 25 Partner aus dem Fachgroßhandel in das neue Zentrum für Gerontotechnik nach Iserlohn eingeladen hatte. Themen des Symposiums waren: Das wachsende Marktpotential, die steigenden Ansprüche und die zunehmende Kaufkraft älterer Menschen über 60 und die Antworten in der Dienstleistung, den Produkten und der Kundenansprache, die ein Produzent wie Kludi, ein Institut wie die Gesellschaft für Gerontotechnik (GGT) und der Sanitärfachgroßhandel auf die Anforderungen der "jungen Alten" geben können. Der Bevölkerungsanteil der Menschen über 60 Jahre steigt in Deutschland von 26,6% im Jahre 1992 auf 42% im Jahre 2030. Ihre Anforderungen an die zentralen Wohnbereiche Küche und Bad im Hinblick auf Komfort, Sicherheit, leichte Bedienbarkeit und Design wachsen.
Gemeinsam erörterten die Teilnehmer auf dem Kludi-GGT-Symposium mit den Fachreferenten Julia Middelhauve von der GGT, Prof. Philippen vom Institut Technische Lebensplanung für behinderte und ältere Menschen (T.L.P.), Peter Maywald von der Gerotronik und Rolf Joska von der GGT, wie der Sanitärfachgroßhandel die Marktchancen wahrnehmen könnte: Erkennen der Verbrauchererwartungen, veränderte architektonische, ergonomische und personelle Voraussetzungen in den Ausstellungen, problemorientierte Sortimentspräsentation und sensible, kundenorientierte Ansprache der älteren Menschen.
Sicher und komfortabel nicht nur für ältere Menschen
"GGT-gerechte Produkte kommen nicht nur älteren und behinderten Menschen zugute", erläuterte Wolfgang Semnet, Kludi-Direktor Marketing und Vertrieb. "Gerontologie" sei zwar die "Lehre vom Altern" und Gerontotechnik entsprechend Technik für Ältere. Grundsätzlich gehe es der GGT und Kludi jedoch um leichte und komfortable Bedienbarkeit, sich selbst erklärende Funktionen und Sicherheit. Kriterien, die nicht erst für Menschen über 60 immer wichtiger würden. Brausenwandstangen und Griffe für Dusche und Wanne müssen Halt geben. Armaturen sollen spielend leicht bedient werden können, das Wasser mit konstanter Temperatur spenden und gegen Verbrühungen schützen. Diese Erwartungen und Forderungen haben nicht nur ältere und behinderte Menschen an das Bad oder die Küche.
Zum ersten Symposium "Agil statt senil, der Markt der jungen Alten" im Iserlohner Zentrum für Gerontotechnik konnte Kludi-Direktor Wolfgang Semnet (rechts) 25 Partner aus dem Fachgroßhandel begrüßen. |
"Junge Alte" mit viel Lebensgefühl
Die körperliche Pflege (87%) und eine geschmackvolle Wohnung (78%) stehen nach einer Verbraucheranalyse der GfK Marktforschung aus dem Jahre 1993 ganz oben auf der Hitliste der Erlebniskomponenten, die für Menschen über 50 Jahre wichtig sind. Und 81% der über 50jährigen stimmen laut Infratest dem Satz zu: "Bei den meisten Produkten kommt es mir mehr auf die Qualität an als auf den Preis." Das kann sich diese Gruppe auch leisten: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Haushaltsnettoeinkommen beträgt 1730 DM gegenüber 1300 DM bei den Jüngeren. Das durchschnittliche Brutto-Geldvermögen pro Haushalt liegt bei über 45jährigen bei 302000 DM (beide Quellen: best age report 1997). Den Rentnerhaushalten geht es noch besser: Von 1972 (Index 100) bis 1992 stiegen die Einkommen auf einen Index von 420, wogegen die Arbeitnehmerhaushalte nur auf 282 zulegten. "Diese begüterte, unternehmungslustige und genußorientierte Gruppe sollten unsere Großhandelspartner noch intensiver ansprechen", appellierte Semnet im Symposium.
Die richtigen Produkte sind da
Das Sortiment für den wachsenden Markt hätten die Hersteller schon entwickelt, und es wachse ständig, betonte Semnet. Die Gesellschaft für Gerontotechnik mbH (GGT), Iserlohn, zeichnete bis Juni 1997 allein fünf Armaturen und drei Systeme für Brausen, Stangen und Griffe des Mendener Sanitärarmaturenherstellers Kludi mit ihrem begehrten Prüfzeichen aus. "Unser Prüfverfahren liefert den Nachweis, daß ein Produkt besonders geeignet ist für ältere Menschen oder Menschen mit Handicaps", erläuterte GGT-Geschäftsführer Prof. Heinrich Reents die Aufgabe des Instituts. Das GGT-Prüfzeichen bedeute auch, daß sich die Produkte besonders leicht, sicher und selbsterklärend bedienen lassen und damit auch für jeden Nutzer Sicherheits- und Komfortvorteile böten. "Mit acht Produktlinien auf einen Streich ist Kludi gegenwärtig unter den Armaturenherstellern Vorreiter auf diesem Gebiet", betonte Reents.
Zahlen und Stichworte zum Zentrum für Gerontotechnik | |
Betreiber | GGT Gesellschaft für Gerontotechnik mbH |
Rechtsform | Gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung |
Gesellschafter | Förderverein für Gerontotechnik alleiniger Gesellschafter |
Geschäftsführer | Dr. Wolfgang Besler; Dr. Karl Bisa; Prof. Dr. Ing. Heinrich Reents; Friedhelm Kowalski |
Mitarbeiter | 11 (vier Ingenieure, Sozialpädagogin Designerin, PR-Referent, Zentrumsmanagement |
Gesamtaufwendungen | 17,1 Mio. DM (bis 1999) |
Gesamtförderung | 11,9 Mio. DM Landesmittel bis 1999 aus TPW (Technologieprogramm Wirtschaft), RWP (Regionales Wirtschaftsförderprogramm) und KONVER (Konversion militärischer Liegenschaften) |
Gesamtfläche | 5000 Quadratmeter Nutzungsfläche |
Bürofläche | 3000 Quadratmeter (zur Vermietung an innovative Jungunternehmen) |
Forum für Gerontotechnik | 1000 Quadratmeter (GGT-Ausstellung) |
Schulungszentrum | 700 Quadratmeter |
Büros GGT | 300 Quadratmeter |
Was ist Gerontotechnik? | Senioren-/Altengerechte technische Mittel. Dazu gehört jedes Gerät, jede Vorrichtung oder Technologie für das Alltagsmanagement oder die Betreuung und Pflege von alten Menschen. Dabei wird besonderes Augenmerk gelenkt auf Bedienungskomfort und Sicherheit. |
Die Aufgabe der GGT? | Technologietransfer zwischen Anwender, Industrie und Wissenschaft Erprobung, Begutachtung und Optimierung seniorenrelevanter Produkte bzw. Entwicklung von Produktneuheiten |
Mit wem arbeitet die GGT? | Senioren erproben und begutachten Produkte bzw. machen Verbesserungsvorschläge, die in enger Zusammenarbeit der Spezialisten und der Partner in der Industrie zur Marktreife geführt werden. |
Seniorenpanel | Über 400 Haushalte in der ganzen Bundesrepublik, die sich an der Produkterprobung und -begutachtung beteiligen |
Wohnlabor | Die GGT ist Eigentümerin von fünf Wohneinheiten in der Seniorenwohnanlage "Altes Stadtbad" in Iserlohn und ist berechtigt in allen Wohneinheiten der Anlage Probeinstallationen vorzunehmen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser mit ca. 12.000 Plätzen |
Forum für Gerontotechnik? | Große permanente Ausstellung seniorenrelevanter Produkte auf rund 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche |
Dabei geht es der 1993 gegründeten GGT nicht um die Entwicklung spezifischer Produkte für Alte, erklärte Entwicklungsleiter Rolf Joska im Symposium. "Wer für die Jugend konstruiert, schließt das Alter aus. Wer für das Alter konstruiert, schließt die Jugend ein." Testmarkt ist das einzige "Wohnlabor" Europas in Iserlohn. Dort werden in 60 Wohnungen die Produkte getestet von ihren Bewohnern zwischen 60 und 85 Jahren, die alle noch selbständig ihre eigenen Haushalte führen. Begleitet von Wissenschaftlern und Ingenieuren müssen sich die Produkte im Alltag bewähren und werden einer kritischen Analyse unterzogen durch Tests und in Arbeitsgruppen. Ergänzend nutzt die GGT ein bundesweites Seniorenpanel aus rund 400 Senioren, die für Befragungen, Erhebungen und Tests von Produkten zur Verfügung stehen.
Ein neuer Markt entsteht
Die demographische Entwicklung, die Bedürfnisorientierung und der Wertewandel führen zur Entstehung einer neuen Käuferschicht, zu einem neuen Markt. Entgegen dem Vorurteil, sie hätten feste Gewohnheiten, probiert die Hälfte der Menschen über 50 Jahre beim täglichen Einkauf neue Produkte aus. Allerdings: Senioren wollen in der Werbung nicht als "Alte" oder "Senioren" angesprochen werden. Sie erwarten einen klaren Nutzen, wollen beim Kauf beraten werden, benötigen für die Kaufentscheidung mehr Zeit und haben ihre eigene Produktphilosophie. Senioren erfolgreich ansprechen und erreichen erfordert: ein kundengerechtes und kundenfreundliches Angebot, eine klare und übersichtliche Sortiments- und Preisgestaltung, eine ansprechende Warenpräsentation und gute Beratungsqualität.
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