IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 6/1997, Seite 224 ff.
KLEMPNERTECHNIK
Aktuelle Klempnertechnik und avantgardistische Architektur
Die Zeit, wo sich Klempnerarbeiten in Metall lediglich auf Dachrinnen, Regenfallrohre und Verwahrungen beschränkten - allenfalls mal ein Türmchen, ein Vordach oder ein paar Quadratmeter Stehfalzfläche zwischendurch - ist längst Vergangenheit. Das Klempnerhandwerk hat neue, zusätzliche Aufgaben übernommen. Zu den bemerkenswertesten Aufträgen zählen heute besonders gestaltete Metalldächer und -fassaden. Das heißt, Arbeiten, die durch ihren Schwierigkeitsgrad und hohen fachlichen Anspruch den Rahmen des üblichen durchbrechen und herkömmliche Alltagsaufträge weit hinter sich lassen. Einige derartige Beispiele werden in diesem Beitrag vorgestellt.
Klempnertechnik in "Future World" oder wie der kalifornische Architekt Gehry Titanzink einsetzt: Objekt EMR-Energie-Forum in Bad Oeynhausen. RZ-Großrauten für Fassaden und Dächer. |
Ausführendes Handwerk und Werkstoffhersteller als Partner des Architekten
Als Partner des Architekten ist der Bauklempner und Metallverarbeiter auch für die fachlich fundierte Umsetzung ausgefallener Planerideen in Metall zuständig. Und er ist gefragt als Spezialist: Zusammen mit dem Architekten sollte er - bereits am Reißbrett, oder auf dem Bildschirm, wenn die Grundidee Gestalt annimmt - die regelkonforme Machbarkeit, zum Beispiel bei der Gestaltung von Metalldächern und -Fassaden, durchsprechen. Erfolgreiche Planer mit einem ausgeprägten Sinn für metallische Bekleidungen und Dachgestaltungen in Klempnertechnik praktizieren diese fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Handwerk schon länger. Und fortschrittliche Fachbetriebe, mit Selbstbewußtsein und ohne Berührungsängste, stellen durch diese Kooperation ihre Arbeit auch längerfristig auf eine sichere Basis.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die (übergeordnete) Rolle des Werkstoffherstellers, der durch seine Anwendungstechnik Architekten und ausführende Fachbetriebe aktiv unterstützt. Ganz besonders, wenn es um die Realisierung neuer Ideen geht, ist für den Planer der frühzeitige Kontakt zum Materialhersteller sinnvoll. Technische Hilfestellung, Erfahrungsaustausch und natürlich die individuelle, objektbezogene Beratung sind entscheidende Fakten für Planung, Detaillierung und erfolgreiche Durchführung eines Bauwerks. Im folgenden wird eine Auswahl verschiedener Bauten vorgestellt, die insgesamt das Ergebnis einer frühzeitigen Zusammenarbeit zwischen Architekten, Handwerkern und Werkstoffhersteller dokumentieren.
Architektur aus Kalifornien - Klempnertechnik aus Garbsen
Unser erstes Beispiel ist das neuerrichtete Energie-Forum des Elektrizitätswerkes Minden-Ravensberg (EMR) in Bad Oeynhausen. Es liegt an der Mindener Straße im Bereich des nordöstlichen Stadtrandes und dient als Veranstaltungsstätte, Zentrale für Energiekonzepte und Leitstelle des gesamten EMR-Versorgungsnetzes.
Die Vielfalt der Funktionen läßt sich aus der skulpturähnlichen, lebhaften Gliederung der Gebäudeteile ablesen. Der Architekt Frank O. Gehry, aus Kalifornien, zeigt auch bei diesem Gebäude wieder seine Vorliebe für metallische Außenbekleidungen und Gebäudehüllen. Rund 5000 mē Außenwände, Untersichten, geneigte und gewölbte Dachflächen und anderes wurden klempnertechnisch mit Titanzink - "Groß-Rauten" (600 x 1200 x 1,00 mm) bekleidet bzw. gedeckt. Die ausführende Klempnerfirma, Otto Hartmann aus Garbsen, erledigte den handwerklichen Part in enger Zusammenarbeit mit der Planung und der Anwendungstechnik des Herstellerwerkes. Im harmonischen Zusammenspiel mit den hellen Außenflächen und verglasten Fensterfeldern bieten die mit walzblanken Titanzink-Elementen bekleideten Flächen einen reizvollen Kontrast. Die Verlegung erfolgte regelkonform auf Trennlage und Holzschalung. Flachgeneigte Bereiche wurden unterhalb der Deckelemente wasserdicht ausgeführt.
Mit Titanzink bekleideter Mehrzwecksaal der Karmeliter-Klosterschule in Graz-Eggenberg, geplant von Architekt G. Domenig. Aus der Vogelschau wird der Umfang dieser außergewöhnlichen Klempnerarbeit deutlich. |
Doppelt gefalzte, metallische Wetterhaut für Mehrzwecksaal einer Klosterschule
Gegen Mitte der 70er Jahre wurde für die Schulschwestern der Karmeliter-Klosterschule in Graz-Eggenberg ein moderner Mehrzwecksaal in Torkret-Bauweise errichtet. Unzureichende Abdichtungsmaßnahmen führten im Laufe der Zeit zu Undichtigkeiten und Reparaturen an dem kompliziert geformten Spritzbetonbaukörper. Letztlich wurde seine komplette Sanierung notwendig.
Wie eine gewachsene Haut überzieht die maßgeschneiderte, gefalzte Titanzink-Gebäudehülle die wechselnden Konturen des erneuerten Mehrzwecksaales (vergl. Bild 2). |
Nach dem Vergleich verschiedener Renovierungsmöglichkeiten entschied man sich für eine vollflächige Metalldachhaut in Doppelstehfalztechnik. Die in Pöllau ansässige Spenglerei G. und A. Pichler wurde mit der Ausführung beauftragt und verlegte in sorgfältiger Handwerksarbeit auf einer zusätzlich aufgebrachten, hölzernen, durchlüfteten Unterkonstruktion die neue Titanzink-Wetterhaut. Betrachtet man die unregelmäßige Bauform mit ihren zahllosen Richtungsänderungen, Durchdringungen und Versprüngen, wird der enorme Schwierigkeitsgrad dieser Arbeit deutlich. Auch bei dieser komplizierten Aufgabenstellung trug die gemeinsam erarbeitete Lösung dazu bei, die neue Gebäudehülle fachtechnisch einwandfrei und formal überzeugend zu verwirklichen.
Das Vitra Center in Birsfelden: Verwaltungsneubau oder begehbare Bauskulptur?
Birsfelden, im Südosten von Basel, ist der Standort des neuen Vitra Centers, geplant von den Architekten Gehry, Santa Monica und Pfeifer, Lörrach.
Rundungen, Schwünge und Schrägen bestimmen die formalen Akzente der "Villa", für die wiederum Architekt Frank O. Gehry beim Neubau des Vitra-Centers in Birsfelden seinen Lieblingswerkstoff Titanzink einsetzte. |
Wie bereits unsere vorherigen Beispiele, fällt dieses Bauwerk durch seine ungewöhnliche architektonische Gestaltung besonders auf. Es basiert auf einem modernen Bürotrakt, der mit der sogenannten "Villa", einem futuristisch geformten Mehrzweckgebäude direkt verbunden ist. Den absoluten Blickfang des Ensembles bildet das vielfach abgestufte, vor- und zurückspringende Bauteil-Konglomerat der Villa. Es beinhaltet Eingangs- und Erschließungsbereiche, Empfang, Cafeteria, Konferenzräume und Audiovisionssaal.
Detail zu Bild 4; reduziert auf wenige Form- und Strukturelemente zeigen avantgardistische Architektur und zeitgemäße Klempnertechnik unverwechselbar die Handschrift der beteiligten Planer und Handwerker. |
Aus klempnertechnischer Sicht findet die handwerklich ausgeführte Titanzink-Außenbekleidung besondere Beachtung. Sie ist als klassische Doppelstehfalzbekleidung auf Vollholzschalung verlegt; ausführende Spenglerbetriebe waren Morath AG, Basel und Jauslin AG, Muttenz. Auf Wunsch von Architekt Gehry wurde ausschließlich walzblankes Bandmaterial eingesetzt.
Der "Buckelwal" von Budapest
Wie eine Vielzahl älterer Prachtgebäude in Budapest, wurde das ehemalige Gerichtsgebäude an der Allee der Paläste, 1882-84 erbaut, inzwischen renoviert und dient heute der ING-Bank als stilgerechtes Domizil. In seiner jetzigen Form ist das Bauwerk eine reizvolle Mischung aus Klassik und Moderne. Der Architekt, Erick van Egeraat, von der niederländischen Planergruppe Mecanoo, konzipierte den oberen Teil des Baues als großzügig verglasten Dachbereich mit einem zentralen Konferenzraum. Dieser Konferenzraum hat die äußere Form eines mächtigen Walfisches, der in der vorderen Hälfte des oberen Gebäudevolumens - wie zwischen Himmel und Erde - "schwebt".
Architekt van Egeraat konzipierte bei der Umgestaltung eines älteren Gebäudes in Budapest im Dachbereich einen walfischförmigen Versammlungsraum, eingehüllt in eine feingliedrige und geschmeidig wirkende, metallische Außenhaut. Zahlreiche, äußerst komplizierte Detaillösungen machen diesen "Raum im Raum" zu einem Meisterstück der handwerklichen Metallverarbeitung. |
Als konstruktiven Aufbau für diesen "abgehobenen" Konferenzraum wählte van Egeraat eine aus Rippen und Spanten zusammengefügte, schiffsrumpfähnliche Raumschale aus Sperrholz. Ihre Außenhülle wurde mit unterschiedlich breiten und langen, "vorbewitterten" Titanzink-Tafeln sowohl über Dach, als auch raumseitig in Doppelstehfalz und zum Teil in Winkelstehfalztechnik bekleidet.
Aus der Vogelperspektive wird die gestalterische Extravaganz des "Buckelwals" (vergl. Beschreibung im Text) sichtbar. Die geschwungene Umhüllung setzt sich unterhalb des Daches im Inneren fort. |
Die verarbeitungstechnischen Schwierigkeiten und extremen Anforderungen an Dichtheit, Oberflächenqualität und Optik, die die ausführenden Handwerker und Planer zu bewältigen hatten, können hier auch nicht annähernd wiedergegeben werden. Aber das Arbeitsergebnis bescheinigt den Bauklempnern des Budapester Unternehmens Narva ebenso wie der anwendungstechnischen Abteilung von Rheinzink ein erfolgreiches Engagement. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß weitere Bereiche wie Dach- und Wandflächen und die gesamte Dachentwässerung durch die Klempnerfirma in Titanzink ausgeführt wurden.
Visionäres "Wohnzelt" wettersicher und energieorientiert
Das letzte Beispiel für ungewöhnliche Klempnerarbeiten ist dieses dänische Wohnhaus in Taastrup bei Kopenhagen. Es zeigt, wie besonders ökologische Bauweise, wirtschaftliche Forderungen und zugleich größtmögliche Energieeinsparung buchstäblich unter ein Dach gebracht wurden.
Die "Villa Vision" der dänischen Architekten Skude und Moltke erhielt ein futuristisches Zeltdach, im Zentrum durchdrungen von einer großen Metall-Glas-Pyramide. Vorbewittertes Titanzink in langen, durchlaufenden Scharen dient als Dachhaut; zusätzlich sind alle Falze mit Ilmod-Dichtband gesichert. |
Das zeltartige, weit überstehende Dach grenzt mittig an eine zentrale Metall-Glas-Pyramide. Es ist mit zum Teil überlangen, durchlaufenden Scharen aus "vorbewittertem" Titanzink in Doppelstehfalztechnik ausgeführt. Um die Dichtigkeit der Metalldeckung auch in den Zonen kritischer (geringer) Dachneigungen zu gewährleisten, erhielten alle Falzverbindungen zusätzlich elastische Dichteinlagen. Die Architekten, Flemming Skude, Kopenhagen und Ivar Moltke, Taastrup, trafen ihre Entscheidung für Titanzink, weil es sicher für die Umwelt, nicht toxisch und vollständig recycelbar ist.
Resümee
Mit ungewöhnlichen und zukunftsweisenden Entwürfen haben Architekten und progressiv orientierte Bauklempner abseits ausgetretener Pfade faszinierende Beispiele ihres Könnens gegeben. Die Ergebnisse dieser Gemeinschaftsarbeit dokumentieren den Erfolg einer frühzeitigen Kooperation. Nicht minder zum Gelingen beigetragen haben anwendungstechnische Hilfe und Beratung des engagierten Werkstoffherstellers. Die Konstellation Planer, Handwerker und Hersteller hat sich einmal mehr als nützlich erwiesen. - TPP -
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