IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 21/1996, Seite 22 ff.


INTERVIEW


ZDH-Präsidium:
Nachfolge noch offen

Vollversammlung im November entscheidet

Die Diskussion um die Nachfolge des ZDH-Präsidenten Heribert Späth geht unvermindert weiter. Den vier Bewerbern, Dieter Blaese, Präsident der Handwerkskammer Berlin, Dieter Geiler, Vorsitzender des Umweltausschusses ZDH und Kammerpräsident von Braunschweig, der Koblenzer Kammerpräsident Karl-Heinz Scherhag (MdB), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses ZDH und Dieter Philipp, Präsident der Handwerkskammer Aachen, bleiben nur noch einige Wochen, ihre Wahlchancen um das höchste Amt des deutschen Handwerks zu steigern.

Karl-Heinz Scherhag (MdB)

Nach Dieter Philipp, Gesprächspartner der IKZ-HAUSTECHNIK, Heft 17/96, führte die Redaktion ein Interview mit Kammerpräsident Karl-Heinz Scherhag durch. Nachfolgend seine differenzierten Antworten zu aktuellen handwerksrelevanten Fragen.

IKZ-HAUSTECHNIK: Herr Scherhag, Sie haben sich für eine Kandidatur als ZDH-Präsident entschlossen. Wo liegen Ihre Möglichkeiten dieses doch auch politisch geprägte Amt zu formen und wo sehen Sie Ihre persönlichen Herausforderungen?

Scherhag: Es geht darum, die Interessen des Handwerks unter erheblich veränderten gesamtwirtschaftlichen und politischen Bedingungen durch den ZDH wirksam zu vertreten. Dies erfordert Geschlossenheit des Handwerks nach außen bei mehr innerhandwerklicher Demokratie und Mitsprache. Konkret: Ich möchte beispielsweise die Fachverbände stärker in die Willensbildung des ZDH einbeziehen. Die Unternehmerfrauen sollten im ZDH-Präsidium zu Wort kommen. Nur ein Arbeitskreis und ein jährliches Gespräch sind mir zu wenig. Wirksame Interessenvertretung erfordert weiter, daß der neue ZDH-Präsident intensiv und wo nötig massiv in der Öffentlichkeit agiert und nicht nur von außen Kontakt zur Politik hat. Dabei kommt es weniger auf Public Relations an als vielmehr darauf, die Voraussetzungen, unter denen das Handwerk seine volle Leistungsfähigkeit entfalten kann, deutlich zu machen. Hier hat das Handwerk gute Argumente. Nicht zuletzt: Die Arbeit des ZDH muß stärker bei den Betrieben ankommen. Die Frage: Was tun die oben eigentlich für uns? sollte bald der Vergangenheit angehören.

IKZ-HAUSTECHNIK: Wie schätzen Sie Ihre Wahlchancen ein?

Scherhag: Die Frage stellt sich mir so nicht. Ich bin Unternehmer, der seinen Betrieb gegründet hat und heute 60 Mitarbeiter beschäftigt. Ich bin ausgewiesen durch langjährige erfolgreiche ehrenamtliche Tätigkeit für das Handwerk in vielen Führungspositionen. Dem ZDH-Präsidium gehöre ich seit 1994 an. Und ich bin politisch erfahren. In den Deutschen Bundestag haben mich meine Wähler entsandt, nicht eine Partei. Wirtschaftlich und politisch bin ich unabhängig. Die mögliche Verbindung von Bundestagsmandat und ZDH-Präsidentschaft wäre ein großer Vorteil für das Handwerk. Sie würde auch die tägliche Arbeit des ZDH erleichtern. Mit diesen Leistungen und Fähigkeiten und einem fest umrissenen Programm stelle ich mich zur Wahl.

IKZ-HAUSTECHNIK: Das Handwerk sieht sich zunehmender Konkurrenz durch ausländische Anbieter ausgesetzt und das soziale Klima ist von weiteren Spannungen geprägt. Wo sehen Sie die politisch notwendigen Initiativen von seiten des ZDH, um die Interessen des Handwerks gegenüber der Regierung und den Industrieverbänden zu vertreten?

Scherhag: Wir brauchen generell eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im politischen Bereich. Das betrifft insbesondere die Arbeits-, Lohnzusatz- und Sozialkosten. Die vom Gesetzgeber beschlossene Absenkung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall muß von den Tarifparteien umgesetzt werden. Die Steuerbelastung muß insgesamt und mittelstandsfreundlich gesenkt werden. Wir brauchen darüber hinaus ein leistungsförderndes Steuerrecht, das der Bürger versteht und akzeptiert. Darin sehe ich auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Die gegenwärtige Auseinandersetzung über die Mindestlohnregelung für aus dem Ausland auf deutsche Baustellen entsandte Arbeiter ist ein Trauerspiel. Während der Tarifausschuß beim Bundesarbeitsminister verhandelt, werden immer mehr Bauunternehmer insolvent und Bauhandwerker arbeitslos. Das ist auch gesamthandwerklich und volkswirtschaftlich nicht akzeptabel.

IKZ-HAUSTECHNIK: Durch die weltweite Öffnung der Märkte und die europaweite Angleichung ist das Handwerk in besonderer Weise gefordert. Halten Sie die traditionellen Strukturen des Handwerks da noch für tragfähig?

Scherhag: Die Handwerksbetriebe haben sich den Veränderungen der Märkte angepaßt. Sie sind innovativ, beweglich und nutzen die modernen technischen Möglichkeiten. Aber Handwerk wird auch in der Zukunft nicht ausschließlich High-Tech sein. Es wird auch weiter das traditionelle Handwerk geben, und das finde ich gut. Beide Gruppen verbindet die Meisterprüfung als unverzichtbare Grundlage und Qualitätsmaßstab des Handwerks. Demgegenüber hat die Handwerksorganisation Nachholbedarf, sich den neuen Herausforderungen anzupassen. Die Handwerksorganisation erscheint mir insgesamt noch zu schwerfällig. Daher muß die eingeleitete Organisationsreform auf allen Ebenen mit Nachdruck realisiert werden. Im übrigen verstehe ich Organisationsreform als Daueraufgabe. Der einzelne Betrieb und seine Unterstützung im Wettbewerb sind der Maßstab für die Existenzberechtigung jeder Handwerksorganisation.

IKZ-HAUSTECHNIK: Kommen wir zur Ausbildungsproblematik. Das Handwerk hat bisher nahezu 50 Prozent der Ausbildungsplätze gestellt und erfüllte damit eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Obwohl das Handwerk über seine Zusagen hinaus dieser Verantwortung gerecht wurde, beginnt die Front zu bröckeln und Ausbildungsplätze stehen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Wo liegen nach Ihrer Meinung die Ursachen und wie müßten die notwendigen Rahmenbedingungen verändert werden?

Scherhag: Die Ursachen liegen in der gegenwärtigen, vielfach noch instabilen Konjunktur. Wer um seine Existenz kämpft, wird kaum bereit sein, auszubilden. Sie liegen auch in Strukturveränderungen, etwa in der Industrie sowie in kurzfristigem und schon deshalb kurzsichtigem Kostendenken. Um so höher ist die Ausbildungsleistung des Handwerks zu bewerten und um so mehr erhalten die vom Handwerk genannten Ausbildungshemmnisse Gewicht. Die Klagen der Betriebe, daß die Lehrlinge bei immer kürzerer Arbeitszeit immer weniger im Betrieb sind, sind ernst zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist sowohl über Inhalt und Form des zweiten Berufsschultages als auch über eine Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes nachzudenken. Auch steuerliche Erleichterungen für Ausbildungsbetriebe kommen in Betracht.

"Mit Ausbildungsabschlüssen, die nur bei uns anerkannt werden, ist niemandem gedient"

IKZ-HAUSTECHNIK: Ist nach Ihrer Meinung die geplante Ausbildungsabgabe ein Allheilmittel?

Scherhag: Staatliche Strafgebühren für nicht ausbildende Betriebe - bereits die Diskussion darüber ist kontraproduktiv, weil demotivierend. Eine Ausbildungsabgabe bringt keine einzige Lehrstelle mehr, nur mehr teure Bürokratie. Wer eine Ausbildungsabgabe will, will im Ergebnis eine von der Wirtschaft zu bezahlende andere Berufsausbildung.

IKZ-HAUSTECHNIK: Hat das duale System für die Handwerksausbildung in der heutigen Form noch eine Zukunft?

Scherhag: Mehr denn je. Es ist die nach wie vor beste und effizienteste Form, qualifizierten Berufsnachwuchs für das Handwerk heranzubilden. Das heißt nicht, daß wir uns auf erreichten Lorbeeren ausruhen könnten. Wir müssen auch hier mit der Zeit gehen. Es gibt Jugendliche, die eine Gesellenprüfung nicht schaffen. Sollen wir vor ihnen die Türe zuschlagen? Andere, wie gute Realschüler oder Abiturienten, sind teilweise unterfordert. Haben wir ihnen nicht mehr zu bieten? Dazu verweise ich beispielhaft auf das Betriebsassistentenmodell im Handwerk. Generell und auch aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit der Berufsausbildung im Handwerk mit der in anderen Wirtschaftszweigen sollten wir stärker an aufeinander aufbauende Module denken, dabei aber auch die europäische Komponente beachten. Mit Ausbildungsabschlüssen, die nur bei uns anerkannt werden, ist niemandem gedient.

IKZ-HAUSTECHNIK: Die sehr kontrovers diskutierte Novellierung der Handwerksordnung ist ein Thema, das in der nächsten Amtszeit zum Abschluß kommen wird. Technikveränderungen und neue innovative Berufe sind unter anderem in diese Neuordnung mit einzubinden. Welche Meinung vertreten Sie in dieser Umstrukturierungsfrage?

Scherhag: Die Antwort wird letztlich der Markt geben. Er verlangt Angebote und damit Berufe, die seinen Anforderungen und der Nachfrage entsprechen. Ob es sich dabei um einen Handwerksberuf handelt, ist aus Kunden- und Verbrauchersicht eher zweitrangig. Wenn sich Handwerksorganisationen mit der Akzeptanz zusätzlicher Vollhandwerke in von ihnen bisher in Teilen abgedeckten Bereichen schwertun sollten - andere Organisationen außerhalb des Handwerks übernehmen und betreuen solche neuen Berufe gerne. Für eine Reihe bestehender Handwerksberufe ist die Zusammenlegung unter neuer Bezeichnung Konsequenz der technischen Entwicklung und der Marktnachfrage gleichermaßen. So etwa in meiner Branche die geplante Zusammenlegung der Berufe Kfz-Mechaniker und Kfz-Elektriker zum Kfz-Techniker. Oder die handwerksähnlichen Berufe. Viele von ihnen haben das Potential zum Vollhandwerk mit qualifizierter Meister- und Lehrlingsausbildung. Sollen wir sie als Vollhandwerk ablehnen? Die anstehende Novellierung der Handwerksordnung wird für lange Zeit das Gesicht des Handwerks bestimmen. Erkennen und nutzen wir diese Chance! Die Novellierung der Handwerksordnung ist auch ein gutes Beispiel der Verbindung von Handwerk und Politik. An diesem Vorhaben bin ich auch als Abgeordneter wesentlich beteiligt.

IKZ-HAUSTECHNIK: Spezielle Fragen zum SHK-Handwerk. Wie Sie wissen, ist eine Zusammenlegung der traditionellen Gewerke der SHK-Branche geplant. Diese Umgruppierung wird sowohl bei den Verbänden als auch unter den Handwerkern sehr unterschiedlich beurteilt. Ein Argument dafür ist sicherlich die veränderte Technik. Darüber hinaus würde es dem Kundenwunsch "Alles aus einer Hand" entgegenkommen. Teilen Sie diese Meinung oder schätzen Sie die bewährten, traditionellen Strukturen als sinnvoller ein?

"Zusammenlegung Konsequenz der Entwicklung"

Scherhag: Als langjähriger Kreishandwerksmeister und Kammerpräsident kenne ich die unendliche Geschichte der Abgrenzung der Handwerke Gas- und Wasserinstallateure und Zentralheizungs- und Lüftungsbauer. Ich kenne auch die engagierte aktuelle Zusammenlegungsdiskussion. Es ist mir auch bekannt, daß von einem hohen Prozentsatz der Betriebe beide Handwerke ausgeübt werden. Insofern ist der Kundenwunsch "Alles aus einer Hand" in vielen Fällen bereits Realität. Als Kfz-Mechanikermeister bin ich zur Beantwortung dieser Frage fachlich nicht kompetent. Als Kandidat für die ZDH-Präsidentschaft empfehle ich: Dies muß innerhalb der Branche ausdiskutiert und entschieden werden. Die Entscheidung sollte nach Möglichkeit bald fallen und sie sollte mit Blick auf die Zukunft getroffen werden in dem Wissen, daß sie für lange Zeit gelten wird.


* Fußnote


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