IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 19/1996, Seite 93 ff.
UNTERNEHMENSFÜHRUNG
Krisenmanagement
Der Handwerksbetrieb in der wirtschaftlichen Krise seines Vertragspartners
Dr. Norbert Vogelsang Teil 1
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahre 1994 in den alten Bundesländern insgesamt 20092 Insolvenzfälle verzeichnet. Dies bedeutet einenZuwachs von ca. 10% gegenüber dem Vorjahr. In den neuen Bundesländern waren 4836 Betriebe von einem Gesamtvollstreckungsverfahren betroffen. Die Zahlen für 1995 und das laufende Jahr sehen nicht besser, eher schlechter aus.
Bemerkenswert ist, daß die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die sich auch in Handwerkerkreisen großer Beliebtheit erfreut, sehr insolvenzanfällig ist. Auf diese Gesellschaftsform entfallen mehr als 11000 Insolvenzverfahren, wobei in über 70% der Fälle die Eröffnung des Konkursverfahrens mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse abgelehnt werden mußte. Dies dürfte insbesondere mit dem Umstand zu erklären sein, daß nach den Erfahrungen der Praxis etwa 80% der neugegründeten GmbH’s lediglich über ein Stammkapital von 50000 DM verfügen. Diese Unternehmen geraten daher oft sehr schnell in wirtschaftliche Schwierigkeiten und auch in die Insolvenz. Verschärft wird diese Situation dadurch, daß die an sich schon äußerst schwache Kapitalausstattung in vielen Fällen nur auf dem Papier existiert, da die Gesellschafter weder bei Gründung und Handelsregister-Eintragung noch in der Folgezeit wirtschaftlich in der Lage sind, das erforderliche Kapital in Form von Geld- oder Sachmitteln aufzubringen.
Der Handwerker (nachfolgend auch Gläubiger genannt) ist daher gut beraten, vor Vertragsschluß entsprechende Informationen über seinen Vertragspartner (nachfolgend auch Schuldner genannt) einzuholen (z.B. Kreditreform, Schuldnerverzeichnis bei den Amtsgerichten). Zur Absicherung der Forderung kommen insbesondere bei Großaufträgen als Personalsicherheiten eine (Bank-) Bürgschaft, Garantieerklärung, Schuldmitübernahme in Betracht. Darüber hinaus sind Pfandrechte, Sicherungsübereignungen, Sicherungsabtretungen, Eigentumsvorbehalte, Grundpfandrechte (Hypothek bzw. Grundschuld mit Unterwerfungsklausel, Bauhandwerkersicherungshypothek) als Sicherheiten geeignet, die Forderungen des Handwerkers zu sichern. Schließlich sollte ab einer bestimmten Größenordnung an die Versicherung der Vertragsforderung (Auftragssumme) gedacht werden.
Gleichwohl verbleibt bei jeder Auftragsvergabe und -durchführung für den Gläubiger ein (Rest-)Risiko: Die oben angeführten Sicherheiten konnten oder können nicht oder nicht in der erforderlichen Höhe von dem Vertragspartner oder einem Dritten gestellt werden oder die Versicherung war bzw. ist wegen der mangelnden Bonität des Auftragnehmers lediglich bereit, einen Teil der Vertragssumme zu versichern. Der Gläubiger, der aus wirtschaftlichen Gründen gleichwohl auf die Auftragserteilung bzw. -durchführung angewiesen ist, muß daher versuchen, das verbliebene Restrisiko zu minimieren. Gänzlich ausschließen kann er es nicht.
Krisensituation
Die eigene wirtschaftliche Situation des Handwerkers kann zu dem Zeitpunkt kritisch werden, wenn der anfangs als zuverlässig dargestellte Schuldner, verschuldet oder nicht, zahlungsschwach wird. Die nachfolgend dargestellten Indizien können einzeln oder zusammen auf eine entsprechende Krisensituation des Vertragspartners hindeuten, die zu einem möglichen Forderungsausfall auf seiten des Gläubigers führen kann:
- der Schuldner verlangt erstmalig die Abrechnung auf Wechselbasis;
- der Schuldner bietet in einem Rundschreiben (Fotokopien, aber auch anwaltlich verfaßte Schreiben) seinen Gläubigern einen außergerichtlichen Vergleich mit einer völlig unzureichenden Quote an;
- der Schuldner verlangt in einem Rundschreiben von seinen Gläubigern eine langfristige Stundung, wobei eine Abschlagszahlung und die Tilgungsraten nicht angeboten werden;
- der Schuldner bestreitet den Zugang der Rechnungen (Abhilfe: die Rechnungen sind mit Einschreiben und Rückschein oder persönlich gegen Empfangsbekenntnis zu erteilen);
- die Bankverbindungen des Vertragspartners ändern sich ständig;
- im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts ist der Erlaß eines Haftbefehls zwecks Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eingetragen worden.
Darüber hinaus sollten folgende Umstände den Handwerker aufhorchen lassen:
- Es kommt mehrfach zu Scheckretouren;
- der Betrieb des Vertragspartners wird nur unregelmäßig geöffnet;
- es werden häufig Räumungsverkäufe durchgeführt;
- auf dem Betriebsgelände des Vertragspartners stehen wiederholt Fahrzeuge ohne Kennzeichen (mögliche Erklärung: die Bank, das Finanzamt oder ein anderer Gläubiger haben die Fahrzeuge gepfändet und die Kennzeichen an sich genommen).
Sollte der Vertragspartner die gestellte Rechnung nicht zahlen und Hinweise auf eine akute wirtschaftliche Schieflage vorliegen, stellt sich für den Handwerker die Frage, auf welche Weise er am zweckmäßigsten, erfolgversprechendsten und billigsten an sein Geld kommt. Sieht man einmal von der Aufrechnungssituation (der Handwerker schuldet dem Vertragspartner gleichfalls einen bestimmten Geldbetrag aus einem Vertragsverhältnis) ab, wird der Handwerker im Regelfall den Klageweg beschreiten, um sein Recht durchzusetzen. Hat er nun nach mehreren Instanzen (die Prozeßdauer beträgt dann in der Regel mehrere Monate, wenn nicht Jahre!) glücklich einen Titel erstritten, ist er berechtigt, die Einzelzwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners zu betreiben.
In dem sich anschließenden Einzelzwangsvollstreckungsverfahren wird er jedoch in vielen Fällen sehr schnell erkennen müssen, daß "Recht haben" nicht immer mit "Recht bekommen" gleichgesetzt werden kann. Im allgemeinen wird er sich in einem Wettlauf mit anderen Gläubigern wiederfinden, so daß Vollstreckungsversuche gegen den Schuldner vielfach fehlschlagen:
Viele Schuldner wissen sich in einer wirtschaftlichen Krisensituation nicht anders zu helfen, als zu Lasten der übrigen Gläubiger Vermögensgegenstände zur Befriedigung oder Sicherung der am stärksten drängenden Gläubiger herzugeben. Darüber hinaus werden die letzten Vermögensgegenstände des Unternehmens bei nahen Angehörigen "untergebracht", um sie vor dem Zugriff der Gläubiger "zu retten". Das der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen verringert sich auf diese Art und Weise mehr und mehr.
Um ein weiteres Auszehren der Vermögensmasse zu verhindern, sollte der Gläubiger überlegen, ob er in einer offensichtlich akuten Krisensituation des Schuldners auf das Klageverfahren und das sich anschließende Einzelzwangsvollstreckungsverfahren verzichtet und statt dessen sofort einen Konkursantrag stellt, muß doch für das Konkursverfahren die Forderung nicht tituliert (eingeklagt) sein (es genügen z.B. Rechnungen). Da die Einleitung des Konkursverfahrens nicht nur mit Vor-, sondern auch mit Nachteilen verbunden sein kann, bedarf er anwaltlicher Hilfe.
Konkursverfahren
Gleichwohl ist es für den einzelnen Handwerker von Vorteil, wenn er über bestimmte Grundinformationen des Konkursverfahrens verfügt. Nur so kann er im Vorfeld entscheiden, ob ein Konkursantrag grundsätzlich in Erwägung gezogen werden soll. Darüber hinaus wird er in die Lage versetzt, das Vorgehen seines Anwalts kritisch zu begleiten.
Sollte ein solcher Antrag in Betracht gezogen werden, muß er aus verständlichen Gründen frühzeitig gestellt werden. Denn der Gläubiger erzielt mit der Konkurseröffnung zumindest drei (!), für seine eigene wirtschaftliche Situation vorteilhafte Ergebnisse.
- Es ist dem Schuldner nun nicht mehr möglich, einzelne Gläubiger, die ihm persönlich näherstehen oder die ihm wichtiger erscheinen, bevorzugt zu befriedigen.
- Darüber hinaus kann der Schuldner keine neuen Verbindlichkeiten zu Lasten der Konkursmasse eingehen.
- Konkurrierende Gläubiger, die eine bessere Übersicht über das Vermögen des Schuldners haben (z.B. die Bank oder das Finanzamt), können das verbliebene verwertbare Vermögen im Wege der Einzelzwangsvollstreckung nicht mehr in Beschlag nehmen und auf diese Weise Befriedigung erlangen.
Damit es aber zur Konkurseröffnung kommt, müssen sowohl auf seiten des Schuldners, als auch auf seiten des Gläubigers bestimmte Voraussetzungen gegeben sein:
Der Schuldner muß überhaupt konkursfähig sein.
Konkursfähig sind:
- jede natürliche Person, nicht nur Kaufleute, auch Kinder, Geisteskranke und Betreute;
- die AG;
- die GmbH;
- die KG;
- die OHG;
- die eingetragene Genossenschaft;
- der rechtsfähige Verein;
- der nichtrechtsfähige Verein;
- der Nachlaß.
Nicht konkursfähig sind:
- der Bund, die Länder und Gemeinden;
- die Kirchen;
- die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Achtung: ARGE!), in den neuen Bundesländern kann jedoch das Gesamtvollstreckungsverfahren beantragt werden;
- die stille Gesellschaft.
Das Konkursverfahren wird niemals von Amts wegen, sondern immer nur auf einen Antrag hin eröffnet. Da der Gläubiger mit der Erbringung seiner Werkleistung bzw. dem Verkauf der Ware eine Forderung begründet hat, ergibt sich seine Antragsberechtigung aus ß 103 Abs. 2 KO.
Der Gläubiger hat gegenüber dem Gericht mit allen präsenten Beweismitteln zunächst seine Forderung glaubhaft zu machen. Hierzu gehört nicht nur die genaue Bezeichnung des Vertragspartners (in der Gerichtssprache auch Antragsgegner genannt) einschließlich der Angabe der ladungsfähigen Anschrift, sondern auch die Vorlage von Buchungsbelegen, Schuldscheinen, Wechseln, Urteilen oder Rechnungen über Werksleistungen oder Warenlieferungen bzw. sonstige Unterlagen, aus denen sich der Entstehungsgrund für die Forderung ergibt. Notfalls hat der Gläubiger die dem Antrag zugrundeliegende Forderung durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft zu machen.
Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Ferner muß der Gläubiger den Konkursgrund seines Vertragspartners glaubhaft machen. Materielle Voraussetzung der Konkurseröffnung (Konkursgrund) ist die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung.
Zahlungsunfähigkeit ist Konkursgrund bei
- natürlichen Personen (z.B. dem Einzelunternehmen)
- der OHG
- der KG
Überschuldung der Zahlungsunfähigkeit ist Konkursgrund bei
- der AG
- der GmbH
- der GmbH & Co. KG (OHG)
- sonstigen juristischen Personen.
Die Überschuldung liegt dann vor, wenn die Passiven (= die Schulden) die Aktiven (= das Vermögen) überwiegen. Diesen Konkursgrund wird der Gläubiger wohl in keinem Fall darlegen können, da ihm der Einblick in das Zahlenwerk (Bilanz) des Schuldners fehlt. Von daher verdient der Konkursgrund der Zahlungsunfähigkeit die uneingeschränkte Beachtung.
Unter Zahlungsunfähigkeit des Schuldners versteht man das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners, seine sofort zu erfüllenden und ernsthaft angeforderten Geldschulden im wesentlichen zu erfüllen.
Für den Handwerker stellt sich in der Regel das Problem, wie er dem Konkursgericht (Amtsgericht) gegenüber die Zahlungsunfähigkeit glaubhaft machen kann. In der Praxis sind viele Indizien, insbesondere die Zahlungseinstellung, zu beobachten, die allein oder im Zusammenspiel den Konkursgrund der Zahlungsunfähigkeit dokumentieren können:
- die Bescheinigung des Gerichtsvollziehers, daß der Schuldner pfändbare, interventionsfreie bewegliche Sachen nicht besitzt (sog. Fruchtlosigkeitszeugnis), wobei die Bescheinigung nicht älter als 6 Monate sein sollte (Ausnahme: lange Verfahrensdauer);
- die mehrfache Erfolglosigkeit von Einzelvollstreckungsmaßnahmen (z.B. Forderungspfändungen gehen ins Leere);
- die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (Anfrage bei dem Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts!);
- mehrere Haftbefehle zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung (Anfrage bei dem Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts!);
- der dauernd schleppende Zahlungseingang bei ständiger Erhöhung der Schulden;
- die wiederholte Nichteinhaltung von Stundungs- und Tilgungsvereinbarungen (selbst angebotene Abschlagszahlungen werden nicht geleistet);
- die wesentlichen Schulden können nach den eigenen Angaben des Schuldners in absehbarer Zeit weder aus seinem Einkommen, seinem Vermögen noch aus Kreditmitteln getilgt werden; als in diesem Sinne absehbare Zeit kann u.U. ein Zeitraum bis sechs Monate angesehen werden;
- der Schuldner tilgt wesentliche Verbindlichkeiten nicht mehr, wobei sich diese Verbindlichkeiten in einer Größenordnung von ca. 10% der Gesamtschulden bewegen (auf die Informationen von Geschäftsfreunden über deren fruchtlose Pfändungsversuche achten!);
- die Auszahlung von Gewährleistungseinbehalten wird mit fadenscheinigen Argumenten immer wieder hinausgezögert; die wiederkehrende Hingabe ungedeckter Schecks;
- der mehrfache Wechselprotest;
- das Schließen des Geschäfts ohne erkennbaren Grund;
- die Erklärung des Schuldners, er sei am Ende und habe die Zahlungen eingestellt;
- die Nichtzahlung der Löhne und Gehälter (spricht sich unter Arbeitskollegen schnell herum!);
- die Flucht des Schuldners;
- die Verhaftung des Schuldners.
In jedem Fall sollte der Gläubiger entsprechende Unterlagen zum Beleg aufbewahren. Nur so kann er dem Konkursgericht den Eindruck der Zahlungsunfähigkeit seines Vertragspartners hinreichend deutlich vortragen.
Von der Zahlungsunfähigkeit ist die sog. Zahlungsstockung zu unterscheiden. Diese liegt dann vor, wenn der Schuldner erwarten kann, innerhalb eines kurzen Zeitraums die Forderungen seiner Gläubiger erfüllen zu können. In einem solchen Fall, daß der Liquiditätsengpaß nur kurzfristig andauern wird, liegt ein Konkursgrund nicht vor.
Auch die böswillige Verweigerung von Zahlungen durch einen zahlungsfähigen Schuldner reicht nicht aus für die Verfahrensauslösung.
Der Handwerker muß darauf achten, daß er das Gericht nicht mißbräuchlich in Anspruch nehmen darf. D.h., auf seiten des Gläubigers muß ein schutzwürdiges Interesse an einem Konkursverfahren bestehen. An diesem fehlt es, wenn mit dem Konkursantrag
- der Vertragspartner als Konkurrent aus dem Wettbewerb ausgeschaltet werden soll;
- die schnelle und günstige Abwicklung bzw. Beendigung eines lästigen Vertragsverhältnises erstrebt wird;
- eine Ratenzahlung durchgeführt werden soll;
- die Anerkennung einer zweifelhaften Forderung bezweckt wird;
- die Durchsetzung einer verjährten oder gestundeten Forderung erstrebt wird.
Somit macht die Verfolgung dieser verfahrensfremden Zwecke den Konkursantrag unzulässig.
Sollte der Handwerker im Schuldnervermögen oder im Vermögen eines Dritten ausreichend abgesichert sein (Bank-Bürgschaft, Sicherungsübereignung, Sicherungsabtretung, Grundschuld, Hypothek etc.), kann er seine Forderung auf einfachere und billigere Art und Weise als durch einen Konkurs durchsetzen. Der gleichwohl gestellte Konkursantrag müßte dann als unzulässig zurückgewiesen werden.
Etwas gilt nur dann, wenn der Gläubiger glaubhaft machen kann, daß die bislang bestellten Sicherheiten mehr oder weniger wertlos geworden sind (z.B. die zur Sicherheit abgetretene Forderung erweist sich später als wertlos, der zur Sicherheit übereignete Gegenstand ist beschädigt etc.).
(Fortsetzung folgt)
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