IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 9/1996, Seite 144 ff.
WEITERBILDUNG
Lernen im Kundenauftrag
Ein erstes praktisches Beispiel aus dem Wirtschaftsmodellversuch "Handeln und Lernen im Betrieb"1)
Michael Sander, Arnold Pfau*
Seit Mai 1995 läuft in Bremen der Wirtschaftsmodellversuch "Handeln und Lernen im Betrieb" in Zusammenarbeit zwischen dem Fachverband Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik Bremen und dem Institut Technik und Bildung (ITB) der Universität Bremen. Am Modellversuch sind eine Reihe SHK-Handwerksbetriebe und überbetrieblicher Ausbildungsstätten sowie berufsbildender Schulen aus Bremen und Bremerhaven beteiligt. Die Laufzeit des Modellversuchs beträgt drei Jahre.
Lernchancen im Kundenauftrag nutzen
Die Erstausbildung hat im Handwerk eine lange Tradition und einen immer noch hohen Stellenwert. Die Art und Weise des betrieblichen Lernens und Lehrens ist ebenso traditionell geprägt: Der Auszubildende lernt vom Gesellen oder Meister durch seine Mithilfe im konkreten Kundenauftrag.
Ein Eingriff in die betriebliche Ausbildungspraxis bedeutet zugleich einen Eingriff in den sensiblen ökonomischen Betriebsablauf. Hier setzt unser Modellversuch an: Wir wollen die Lernchancen, die sich durch die Mitwirkung eines Auszubildenden im Kundenauftrag ergeben, näher untersuchen. Ziel ist es, den Auszubildenden frühzeitig mit ganzheitlichen, real im Kundenauftrag vorkommenden Arbeiten zu betrauen, um ihn möglichst zügig zu einem selbständig arbeitenden Handwerker auszubilden.
Handwerksbetriebe machen mit
Die Voraussetzung für eine fruchtbare Zusammenarbeit im Modellversuch ist, daß die Partner ein abgestimmtes und vertrauensvolles Verhältnis aufbauen können. Dies gilt für den Wirtschaftsmodellversuch "Handeln und Lernen im Betrieb" insbesondere für eine Kooperation zwischen Handwerksbetrieben, Berufsschulen und Universität. Durch zwei vorangegangene schulische Modellversuche konnten stabile Vertrauensverhältnisse entwickelt werden. Darüber hinaus gelang es, den langjährigen Lehrlingswart Dieter Drücker, für eine ergänzende Projektbetreuung zu gewinnen. Zusammen mit der Durchführung von zwei Workshops konnten acht SHK-Betriebe zur Mitarbeit und Unterstützung angeregt werden.
Die konkreten Arbeitsaufgaben auf Baustellen bzw. im Kundenauftrag sind versicherungstechnisch mit Werkverträgen abgesichert, die auch Regelungen der Gewährleistung und des Versicherungsschutzes der Auszubildenden beinhalten. Ferner werden den Betrieben die Kosten für ihren Mehraufwand an Zeit und Material entgolten.
Der Kunde ist König
Kunde und Handwerker sind Partner in einem Geschäft auf Gegenseitigkeit; ist der Kunde mit dem "Handwerk" zufrieden, wird er beim nächsten Mal dem gleichen Betrieb sein Vertrauen schenken und der Handwerker hat wieder einen Auftrag "in der Tasche". Erfolgreich gestaltete Kundenaufträge sind folglich die Grundlage für das Überleben vieler Unternehmen. Ebenso entscheidend für den Fortbestand eines Unternehmens ist eine gute und fundierte betriebliche Ausbildung. So betont auch der Zentralverband Sanitär-Heizung-Klima (ZVSHK), daß "die Sicherstellung eines ausreichenden Fachkräftepotentials für unsere Handwerke nach wie vor eine Existenzfrage ist."2)
In gleicher Weise argumentiert der Hauptabteilungsleiter des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), F. Kath: "Die Konkurrenzfähigkeit des Handwerks wird sich auf dem Feld der Aus-, Fort- und Weiterbildung, genauer gesagt, bei der Qualifizierung des Fachkräftenachwuchses entscheiden".3)
Reicht jedoch die traditionelle Ausbildungspraxis noch aus, um auf die komplexen und vielfältigen Anforderungen, die sich aus dem Arbeiten im Kundenauftrag ergeben (vgl. Bild 1), vorzubereiten?
Für die vier Auszubildenden der "Praxisgruppe" ging es zeitweise zwar recht eng zu ... |
... aber dennoch konnte der zuständige Lehrmeister der Gewerblichen Lehranstalten Bremerhavens, Adolph Junge, eine sach- und fachgerechte Ausführung aller Aufgaben attestieren. |
Auszubildende werden in der Regel einem Gesellen für die Bearbeitung von Kundenaufträgen zugeteilt. In dieser Situation "vor Ort" werden die Auszubildenden in unterschiedlicher Weise vom Gesellen in die Erledigung der anfallenden Arbeiten einbezogen. Die Lernprozesse verlaufen, je nach Auftragsstruktur, Zeit- und Arbeitsdruck sowie dem "pädagogischen Geschick" des Gesellen, eher unsystematisch.
Die Einbindung von Auszubildenden in Entscheidungssituationen, die systematische Förderung von Selbständigkeit, Verantwortungsbereitschaft sowie die eigenständige Planung, Durchführung und Kontrolle von Arbeits- und Lernprozessen sind selten. Als weitere Erschwernis kommt hinzu, daß die theoretischen Lerninhalte in der Berufsschule zumeist losgelöst von ihrem betrieblichen Arbeitshandeln vemittelt werden. Es bleibt den Auszubildenden zumeist selbst überlassen, Zusammenhänge zwischen betrieblichem und schulischem Lernen zu erkennen.4)
Bild 1: Übersicht der Phasen eines Kundenauftrags.
Der Kundenauftrag ...
In einer Etagenwohnung eines Mehrfamilienhauses soll ein Austausch des vorhandenen Gaswandheizkessels durch ein Modell neuerer Bauart vorgenommen werden. Grund für den Austausch sind die vom Schornsteinfeger festgestellten erhöhten Emissionswerte des Gerätes, die nicht mehr den erforderlichen Richtlinien entsprechen. Als kostengünstige Alternative steht ein gebrauchtes Gerät neuerer Bauart zum Austausch zur Verfügung.
... aus Sicht des Betriebes
Der Meister der ausführenden Firma ist im Gesellen- und Meisterprüfungsausschuß tätig. Obwohl kein Auszubildender seines Betriebes die für die Arbeitsaufgabe ausgewählte Berufsschulklasse besucht, erklärte er seine Mitarbeit und Unterstützung. Die notwendigen Vorbereitungen wie Anmeldung beim Schornsteinfeger und bei den Stadtwerken, wurden vom Betrieb in der üblichen Weise ausgeführt. Die Materialbestellung erfolgte durch den Betrieb, allerdings hatten die Auszubildenden diesmal selbst die Materialliste erstellt.
Bei der Durchführung des Auftrags ließ der Meister den Auszubildenden ausreichend Spielraum für eigene Entscheidungen hinsichtlich der Planung und Ausführung. Da sich für die "Durchführungsgruppe" Auszubildende mit relativ guten praktischen Fähigkeiten und Erfahrungen gemeldet hatten, waren sie den Anforderungen gewachsen. Die Auszubildenden gingen mit Begeisterung und großem Engagement ans Werk und führten die Installationsarbeiten weitgehend selbständig und ohne Mängel durch.
... aus Sicht der Berufsschule
In Absprache mit der Kundin, der Projektleitung und dem Betrieb wurde der zeitliche Rahmen für das Projekt vereinbart. Dabei ergab sich, daß nur eine Woche (die Klasse hat einwöchigen Blockunterricht mit zwei Wochen anschließender Praxis) als Vorbereitungszeit zur Verfügung stand. Die Ausführung der praktischen Arbeiten erfolgte zwei Wochen später in der nächsten Schulwoche.
Die Information über das Vorhaben löste bei der Klasse spontane Begeisterung aus! Die Vorbereitungswoche wurde voll genutzt:
- Anschauen der Wohnung mit der ganzen Klasse, Ausmessen, Aufnahme aller für den Auftrag wichtigen Daten (wo sind Lüftungsöffnungen, wieviel Thermostatventile, wohin mit dem Gaszähler usw.).
- Einteilung in Gruppen [vier Schüler für die praktische Arbeit, vier Schüler für die Dokumentation, der Rest der Klasse (acht Schüler) bearbeitete die Bedingungen für die Aufstellung von Gasgeräten].
- Selbständiges Erstellen der Werkzeugliste, Materialliste und eine Skizze der Wohnung als Unterlage für den Nachweis der Verbrennungsluft.
- Die Schutzziele 1 (Aufstellraum) und 2 (Verbrennungsluftraum) waren inhaltlich Hauptgegenstand des Unterrichts.
Es fiel auf, daß die Schüler im Gegensatz zum "normalen" Unterricht mit diesem konkreten Arbeitsauftrag vor Augen wesentlich interessierter und wißbegieriger waren, weil ihnen nicht nur ein abstrakter sondern der reale Verbrennungsluft-Nachweis abverlangt wurde.
Über die Art der Heizungsregelung wurde im Klassenverband diskutiert. Das auszutauschende Kombigerät war über einen Raumthermostaten geregelt worden. Jetzt entschied sich die Klasse - vor allem aus Kostengründen - für die gesetzliche Mindestanforderung eines Raumthermostaten mit Zeitschaltuhr und Thermostatventilen an allen Heizkörpern. In einem Beratungsgespräch zwischen Projektleitung, Installateur und Kundin konnte diese von den Vorteilen einer witterungsgeführten Regelung überzeugt werden.
In der unterrichtsfreien Zeit zwischen den Schulblöcken (zwei Wochen) wurden die Stadtwerke eingeschaltet. Sie bestanden auf einer (von uns schon erwarteten) Verlegung des Gaszählers (zusätzlich mit Zählerplatte) an eine besser ablesbare Stelle. In der Durchführungswoche gingen fünf Schüler unter der Obhut des Lehrmeisters statt zur Berufsschule, auf die Baustelle:
Zwei Schüler tauschten das Kombigerät aus, zwei montierten die erforderlichen Thermostatventile und ein Auszubildender sammelte Materialien (Fotos, Skizzen, Aufzeichnungen) für die Dokumentation des Kundenauftrags. Der Rest der Klasse erhielt normalen Unterricht laut Stundenplan, selbstverständlich mit Bezug zur "Baustellenaktion".
Das Lerngebiet war mit der Auftragsausführung natürlich nicht abgeschlossen, die fehlenden Inhalte bestimmten den Gang des Unterrichts für die nächsten fünf bis sechs Schulwochen. Auffällig war das Engagement und berufliche Interesse der ganzen Klasse an diesem konkreten Arbeitsauftrag. Daß aufgrund der engen Wohnungsverhältnisse nicht alle an der praktischen Arbeit beteiligt werden konnten, war allen Schülern einsichtig.
... aus Sicht der Schüler/Auszubildenden
Am positivsten äußerten sich die vier für die praktische Arbeit eingesetzten Auszubildenden: Bei dieser Arbeit hätten sie selbständig planen, durchführen und überprüfen können, ob ihre Vorstellungen auch realisierbar sind. Dies habe ihnen besonders gut gefallen
Die nicht aktiv beteiligten Schüler äußerten sich ebenfalls positiv, da wegen der kleineren Schülerzahl ein intensiveres Eingehen auf individuelle Stärken und Schwächen im Unterricht möglich war, zumal der Unterrichtsinhalt stärker nachvollzogen werden konnte.
Kritisiert wurde, daß nicht alle bestellten Teile pünktlich geliefert worden waren. Geklagt wurde auch über die engen Räumlichkeiten, die das Arbeiten doch erschwerten. Allerdings schwang in dieser Kritik eine gehörige Portion Stolz darauf mit, daß sie es auch unter diesen Schwierigkeiten geschafft hatten, den Kundenauftrag sach- und fachgerecht abzuwickeln.
Leistungsunterschiede untereinander wurden deutlicher. Das führte aber nicht zum Ausgrenzen Einzelner, sondern zu gegenseitiger "Nachhilfe". Positiv vermerkt wurde, daß der Lehrmeister und Meister ihnen weitgehend freie Hand gelassen hatten, nachdem die zu erledigenden Arbeiten abgesprochen waren.
Resümee
Der Kundenauftrag ist das zentrale Element der betrieblichen Erstausbildung im SHK-Handwerk. Aufgrund zu erwartender struktureller Umbrüche in der Versorgungstechnik gilt es, frühzeitig Wege und Mittel auszuloten, die eine zukunftsträchtige Erstausbildung ermöglichen. In ihr müssen die nach der Neuordnung der Bau- und Metallberufe festgeschriebenen Ausbildungspräambeln, wie z.B. "selbständiges Planen, Ausführen und Kontrollieren", nicht nur bloße Postulate bleiben. Vielmehr sollten Auszubildende zeitig an komplexe Aufgaben herangeführt werden, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, ganzheitliche Aufgabenstellungen selbständig durchzuführen.
Abschließend sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das hier beschriebene Beispiel als ein Versuch anzusehen ist, einen ersten Zugang zur betrieblichen Ausbildungspraxis zu gewinnen, um sie sowohl für die Auszubildenden als auch für den Betrieb fruchtbarer zu machen.
* Michael Sander, wiss. Mitarbeiter im Institut Technik und Bildung der Universität Bremen, Grazer Str. 2 B, 28359 Bremen,
Arnold Pfau, StD an den Gewerblichen Lehranstalten Bremerhavens, Georg-Büchner-Str. 7, 27574 Bremerhaven
1) Der Modellversuch "Handeln und Lernen im Betrieb - Entwicklung und Erprobung eines Konzepts betrieblicher Berufsbildung für Klein- und Mittelbetriebe des Sanitär-, Heizungs- und Klima-Handwerks" wird vom Bundesinstitut für Berufsbildung aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie gefördert.
2) report - ’95: Aktuelle Fachinformationen für das SHK-Handwerk. Zentralverband Sanitär-Heizung-Klima (ZVSHK) (Hrsg.), S. 52 Rheinbach: Moser 1995.
3) Kath, F.: Moderne Handwerksberufe - braucht die Berufsbildung im Handwerk eine Strukturreform? In: Dokumentation der Handwerkstagung "Zukunft Handwerk" am 20. Januar 1995 in Bremen.
4) Enggruber, R.: Arbeitsprojekte: Ein Beispiel für auftragsorientiertes Lernen im Handwerk. In: K. Albert, Ch. Buchholz, B. Buck, G. Zinke (Hrsg.). Auftragsorientiertes Lernen im Handwerk. BIBB, Tagungen und Expertengespräche zur beruflichen Bildung, Heft 15, S. 97-116. Berlin.
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