IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 8/1996, Seite 37 f.


AUSSTELLUNG


 

Kompaß für den Mittelstand

48. Internationale Handwerksmesse München 1996

Mit einem Besucherplus von 5% schloß in diesen Tagen die 48. Int. Handwerksmesse nach neun Tagen in München. 264.000 Gäste, davon 64% Fachbesucher, sahen die diesjährige Leitmesse der Handwerkswirtschaft. Internationale Handwerksmesse München, das ist auch in dem Jahr der Dialog mit dem Bundeswirtschaftsminister und den Spitzenverbänden der Industrie.

IHM München - Das Handwerk in einem Jahr der Bewährung?

Zunächst ist festzuhalten, daß das deutsche Handwerk wesentlich größeres gesamtwirtschaftliches und gesellschaftliches Gewicht hat, als alle bisherigen offiziellen Statistiken ausgewiesen haben.

Die Handwerkszählung 1995 hat ergeben, daß es in den 127 Berufen des Vollhandwerks 563.000 selbständige Unternehmer mit 6,2 Mio. Beschäftigten, davon 118.000 mit 1,4 Mio. Beschäftigten in den neuen und 445.000 mit 4,8 Mio. Beschäftigten in den alten Ländern gibt, in den bislang von 3,8 Mio. Beschäftigten ausgegangen wurde. Das sind im alten Bundesgebiet ein Drittel (33%) mehr Beschäftigte als vor 18 Jahren und immerhin 28% mehr Beschäftigte, als aufgrund der seit 1977 praktizierten Hochrechnungen.

In den neuen Bundesländern arbeiten im Handwerk 200.000 Menschen mehr als bisher angenommen. In den alten Bundesländern sind rd. 17%, in den neuen Bundesländern sogar über 22% der Erwerbstätigen in den Vollhandwerken tätig.

Per Saldo: Die Wirtschaftsgruppe Handwerk ist heute mit rund 700.000 Unternehmen und ca. 7 Mio. Beschäftigten ein "starkes Stück Deutschland". Das bedeutet, daß im Handwerk etwa ebenso viele Menschen tätig sind wie in der Industrie. Dabei lag das Beschäftigungsverhältnis Handwerk/Industrie 1967 in den alten Ländern noch bei rd. 1 zu 2.

Die von der Handwerkszählung erfaßten Unternehmen haben im Jahre 1994 einen Umsatz von 810 Mrd. DM erreicht und damit einen Umsatz pro Beschäftigten von ca. 132.000,- DM (Durchschnittsumsatz eines Beschäftigten in den SHK-Handwerken NRW 180.000,- DM).

So zeigt sich wieder einmal: Die kleinen und mittleren Unternehmen des Handwerks sind eine Stärke und nicht eine Schwäche der deutschen Wirtschaft. Sie sind Stabilisator auf dem Arbeitsmarkt. Handwerksbetriebe sichern nicht nur bestehende Arbeitsplätze, sondern auch, wenn auch immer eingeschränkter, neue Arbeits- und Ausbildungsplätze (Späth). Bundeswirtschaftsminister Rexroth wurde nicht müde, immer wieder zu betonen: "Der Schlüssel für neue Arbeitsplätze liegt beim Aufbau neuer Betriebe im Handwerk und im Mittelstand". Wichtig sei deshalb eine Gründerwelle bei den Handwerksunternehmen, denn jede Existenzgründung schafft in den ersten Jahren vier bis fünf neue Arbeitsplätze.

Der Bundeswirtschaftsminister werde alle Anstrengungen unternehmen, um für das Handwerk die Wachstumschancen weiter zu verbessern. Dabei setzt Rexroth auf die bewährten Instrumente der Mittelstandsförderung sowie auf eine offensive Strategie zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Unternehmensgründung. Es soll unter anderem für Existenzgründer der Zugang zu Risikokapital verbessert werden. Dies ist nur ein Beispiel der von der Bundesregierung im Rahmen ihres Aktionsprogramms für Investitionen und Arbeitsplätze beschlossenen Maßnahmen.

Die deutsche Wirtschaft befinde sich derzeit zwar in einer Wachstumsphase. Aufgrund günstigerer Entwicklungen im zweiten und dritten Quartal sei 1996 jedoch mit einem realen Wachstum von 1,5% zu rechnen, erklärte Rexroth in der Eröffnungsveranstaltung, von lauten Buh-Rufen unterbrochen.

Stimmung auf dem Tiefpunkt

Pessimistisch zeigte sich dagegen der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) Heribert Späth. Die deutsche Wirtschaft stecke mitten in einer Rezession. Die Stimmung der Unternehmen befinde sich derzeit auf dem Tiefpunkt, beklagte Späth.

Allein in der mittelständischen Bauwirtschaft zeichne sich für die nahe Zukunft der Zusammenbruch von 20.000 Unternehmen ab. Als Folge dieser gefährlichen Entwicklung gerate die mittelständische Wirtschaft insgesamt in den Strudel. Übereinstimmend plädierten Späth und Rexroth für einen raschen Abbau der Steuer- und Abgabenlast.

Während Rexroth auf eine Entlastung des Arbeitsmarktes durch die kürzlich getroffenen Vereinbarungen zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern setzt, gab Späth zu bedenken, vollmundigen Absichtserklärungen seien bisher nur weitere Belastungen gefolgt. Auch das "Bündnis für Arbeit" habe bei seiner ersten Bewährungsprobe - der Kontroverse um die Abschaffung der sogenannten Frühverrentung - versagt.

Deutschland - ein guter Standort

Handwerkspräsident Späth belegte seine Skepsis auch mit Hinweisen auf jüngste Forderungen von Gewerkschaften nach Lohnerhöhungen von bis zu 6%. Zu einer mittelstandsfreundlichen Politik gehörten niedrige Steuersätze und Arbeitskosten sowie vereinfachte Verwaltungsverfahren.

Späth forderte auch, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu verringern und den Kündigungsschutz zu lockern sowie die Schwellenwerte für die Bildung eines Betriebsrates und die Einstellung eines Datenschutzbeauftragten von derzeit fünf auf 20 Mitarbeiter heraufzusetzen. Daß es Arbeit in Deutschland gebe, beweise die Zunahme der Schwarzarbeit, so Späth.

Wirtschaftsminister Rexroth hielt den negativen Einschätzungen Späths entgegen, daß das Handwerk in Deutschland mit seinen fast 700.000 Unternehmen und ca. 7 Mio. Beschäftigten im Keim weiterhin gesund sei. Es sei auch besser als Großunternehmen in der Lage, die Herausforderungen in einer stärker verflochtenen Weltwirtschaft zu meistern. Deutschland sei im internationalen Vergleich "alles in allem auch ein guter Standort". Gefordert sei jedoch nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft.

Rexroth warnte davor, das Bündnis für Arbeit zu zerreden. Auch wenn sich die Gleichung "Lohnzurückhaltung gegen Arbeitsplätze" nicht generell anwenden lasse, seien durch zahlreiche Einzelvereinbarungen jedoch Erfolge zu erwarten.

Entlastung der sozialen Sicherungssysteme

Die Entlastung der sozialen Sicherungssysteme von versicherungsfremden Leistungen, so Späth, ist über die völlig unzureichende Frühverrentung hinaus eine Aufgabe von vorrangiger Bedeutung. Die Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen über die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist nach den Worten von Späth verfassungswidrig.

Versicherungsfremde Leistungen - der Name sagt es - haben in der Beitragsfinanzierung nichts verloren und sollten in die Steuerfinanzierung überführt werden. Die jeweils von den Beitragszahlern aufzubringenden Mittel für die vorgezogenen Altersrenten, auch die Kriegsfolgekosten, die angerechneten Ausbildungszeiten für Schule oder Studium, die angerechneten Babyjahre oder vereinigungsbedingte Ausgleichszahlungen Ost-Rentner (um nur die wichtigsten zu nennen) summieren sich heute schon auf rund 120 Mrd. DM.

Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag könnte theoretisch schon über 8%-Punkte auf rd. 32% gesenkt werden, wenn die Sozialversicherungsbeiträge von diesen Fremdlasten befreit würden. Der Krankenversicherungsbeitrag könnte um 3,4%, der Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 2,8% und der Rentenversicherungsbeitrag um 2% abgesenkt werden.

Deshalb gehörten alle versicherungsfremden Leistungen auf den Prüfstand. Sie sind auf ihre Notwendigkeit hin zu untersuchen und unter phantasievoller Ausschöpfung aller sich bietenden Möglichkeiten einzuschränken. Durch die Einführung von versicherungsmathematischen Abschlägen bei vorgezogenen Altersrenten ebenso wie etwa durch Konzentration von Fördermaßnahmen auf den ersten, den regulären Arbeitsmarkt unter gleichzeitiger Rückführung der Subventionierung des zweiten Arbeitsmarktes.

Das verbleibende Volumen sollte schrittweise in die Steuerfinanzierung überführt werden und dies im Rahmen der Konsolidierung der Staatsfinanzen, etwa durch konsequente Rückführung des völlig überhöhten Subventionsvolumens von heute noch 116 Mrd. DM. Dr. G. 


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