IKZ-HAUSTECHNIK, Ausgabe 5/1996, Seite 144 ff.


BETRIEBSFÜHRUNG


Berufsbildung im Handwerk

Heute wichtiger denn je

Horst-Dieter Bunk

Der Erfolg oder Mißerfolg eines Unternehmens wird in der heutigen Zeit nicht mehr ausschließlich von seiner Technologisierung oder seines Kapitals, sondern in steigendem Maße von der Qualifikation seiner Mitarbeiter - das heißt von deren Können, Wissen und Wollen - bestimmt. Diese Erfahrung gilt auch für die mittleren und kleineren Handwerksbetriebe, deren Wettbewerbsfähigkeit größtenteils nur über gut ausgebildete und qualifizierte Mitarbeiter abgesichert werden kann. Dieser Beitrag soll den Führungskräften die Entwicklung der Anforderungen, die an sie gestellt werden, aufzeigen und eventuelle Bildungsdefizite verdeutlichen.

Der rapide verlaufende technische, politische und gesellschaftliche Wandel verlangt auch im Handwerk nach veränderten und höherwertigen Qualifikationen. Einmal in der beruflichen Aus- und Weiterbildung erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten entsprechen nicht mehr den aktuellen Anforderungen - sie reichen nicht mehr aus. Weiterbildung ist zu einer betrieblichen Notwendigkeit geworden! Das gilt sowohl für die Führungskräfte als auch für deren Mitarbeiter. Weiterbildung ist somit keine zufällige Persönlichkeitsentwicklung mehr, sie wird zu einem betriebswirtschaftlichen, zu einem Wettbewerbsfaktor. Unter diesen Gesichtspunkten wird deutlich, daß die betriebliche Aus- und Weiterbildung auch für das Handwerk einen ständig wachsenden Stellenwert innerhalb des betrieblichen Entscheidungsbereiches erhalten muß.

Die Bildungsarbeit des Handwerks im Wandel

Berufsbildung kann im Handwerk auf eine lange Tradition zurückblicken. Schon seit dem frühen Mittelalter steht für das Handwerk die betriebliche Bildungsarbeit im Mittelpunkt seines Handelns. Die Ausbildung der Lehrlinge unterstand direkt den jeweiligen Zünften. Sie legten die Bedingungen fest, unter denen der Lehrherr auszubilden hatte, bestimmten die Kriterien der Gesellenprüfung sowie die Dauer der sich anschließenden Wanderjahre. Die Meister führten ihre Lehrlinge auf den gleichen Weg, den sie selbst einmal gegangen waren und gaben die Vorstellungen der Zunft von Lehre und Leistung weiter. Ähnlich sah es bei der Meisterprüfung aus.

Erst mit Beginn unseres Jahrhunderts stieß diese Ausbildung, die keine Weiterbildung vorsah, an seine Grenzen. Der ständige technische und auch gesellschaftliche Wandel, der seinen Ursprung in der industriellen Revolution hat, zwang auch das Handwerk, sich den veränderten Techniken, Anforderungen und Arbeitsmethoden zu stellen. In der Folge mußte das einmal Erlernte ständig dem neuesten Stand der Technik angeglichen werden. Die Notwendigkeit der ständigen Anpassung des einmal Gelernten an die aktuellen Anforderungen wuchs. Ein Wandel im Bildungsbereich mußte erfolgen: Die betriebliche Weiter- und Fortbildung wurde geboren. Berufliche Bildung beschränkte seine Zuständigkeiten jetzt nicht mehr nur auf die Erstausbildung (Geselle) und Aufstiegsausbildung (Meister). Sie hat die Verantwortung, sämtliche Mitarbeiter in allen Hierarchieebenen eines Unternehmens so weiterzubilden, daß ihr Wissensstand den jeweiligen Anforderungen angepaßt wird.

Bild 1: Aufgaben im Wandel.

In der Zukunft wird es jedoch nicht das Endziel der Berufsbildung bleiben dürfen, Ausbildung defensiv zu betreiben, d.h. die gerade aktuellen Anforderungen als Maßstab der Bildungsbemühungen zu betrachten (Bild 1). Weiterbildung wird aktiv und präventiv erfolgen müssen. Ziel wird es sein, jeden Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, seine eigenen Defizite nicht nur zu erkennen, sondern sie auch eigenverantwortlich auszugleichen. Auf diese Weise entwickelt sich ein selbstgesteuerter Weiterbildungsprozeß, in dem sich die Qualifikation der Mitarbeiter aus den vorhandenen Problemen oder Anforderungen selbst entwickeln soll. "Lebenslanges Lernen" ist die Folge. Das Ziel der Berufsbildung muß also sein, den Grundstein der "Qualifikation für die Zukunft" schon heute zu legen. "Handlungskompetenz" und "Schlüsselqualifikationen" müssen als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die Vorteile für den Betrieb und auch für den Mitarbeiter liegen auf der Hand.

Somit wird deutlich, daß die Berufsbildung im Handwerk über seine traditionellen Aufgaben - der reinen Lehrlings- und Meisterausbildung - hinaus auch für deren Weiter- und Fortbildung zuständig sein muß.

Anforderungen an die Bildungsarbeit von morgen

Der unternehmerische Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Handwerksbetriebe hängt also maßgeblich von der Einsatzbereitschaft und der Qualifikation - das heißt vom Können, Wissen und Wollen - der Mitarbeiter ab. Die Arbeitswelt der Zukunft wird an alle Beschäftigten neue und höhere Anforderungen stellen. Besonders die Führungskräfte sind von den veränderten Bedingungen betroffen. Da sie sich direkt mit den neuen Situationen und Anforderungen auseinandersetzen müssen und die sich daraus ergebenden Aufgaben aktiv zu steuern haben, ist die Weiterqualifikation unabdingbar. Sehr viele Betriebe haben die Herausforderung bereits aufgenommen und ihre Aktivitäten zur beruflichen Weiterbildung verstärkt.

Von den zu erwartenden Veränderungen, die eine Weiterqualifikation unabdingbar machen, sollen die wichtigsten nachfolgend aufgezeigt werden:

Bild 2: Anforderungen im Wandel.

Zusammengefaßt kann festgestellt werden, daß sich die Anforderungen, die heutzutage an eine Führungskraft gestellt werden, in einem ständigen, immer stärker verlaufenden Wandel befinden. Tätigkeitsspezifisches Wissen ist zwar für Führungskräfte nach wie vor wichtig, tritt aber in seiner Bedeutung weit hinter das erforderliche Wissen um Menschen- und Unternehmensführung zurück (Bild 2).

Das Schaubild verdeutlicht eindrucksvoll die Notwendigkeit der Weiterbildung sowie die zu vermittelnden Inhalte. Weiterbildungsinhalte, die die Berufsbildung den Führungskräften vermitteln muß, werden insbesondere Inhalte von Wissen um Menschenführung und Unternehmensführung sein.

Unternehmensführung und Unternehmenserfolg

Die dargestellte Problematik verdeutlicht sehr eindrucksvoll, daß ein notwendiger Unternehmensgewinn (und die Wettbewerbsfähigkeit) heutzutage nicht mehr allein nur durch eine "gute" Kalkulation erwirtschaftet werden kann. Unternehmenserfolg ist somit auch das Ergebnis einer guten Unternehmensführung! Will die Berufsbildung das Unternehmensziel "Gewinnmaximierung" unterstützen, so müssen die Bildungsmaßnahmen und -inhalte aus den Anforderungen, die an eine qualifizierte Unternehmensführung gestellt werden, abgeleitet werden.

Anforderungen an eine qualifizierte Unternehmensführung

Die Unternehmensführung setzt sich aus einer Vielzahl von Aufgaben zusammen, die sich praxisbezogen in zwei Hauptbereiche unterscheiden lassen. Das sind:

Bild 3: Aufgaben der Unternehmensführung.

Die wirtschaftliche Unternehmensführung stellt betriebswirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund (Bild 3). Dieser Teil ist ohne weiteres als Faktenwissen zu erlernen und stellt somit für die Berufsbildung nicht den Schwerpunkt der Weiterbildungsbemühungen dar.

Menschenführung ist jedoch eine Verhaltenssache. Das Verhalten des "Führenden" und des "Geführten" steht hier im Mittelpunkt. Um das eigene Verhalten und das seiner Mitarbeiter richtig zu erkennen und dieses dann lenken zu können, bedarf in der Hauptsache sozialer und sozialpsychologischer Kenntnisse und Fähigkeiten. Diese lassen sich nicht als "Faktenwissen" aus der Literatur entnehmen, sondern sind nur mit geeigneten Methoden von Fachkräften der Weiterbildung als erlebte Erfahrung vermittelbar.

Bildungsmaßnahmen für das aktuelle Anforderungsprofil

Die Inhalte der Führungskräfteschulungen ergeben sich also, wie bereits dargestellt, aus den gesellschaftlichen und technischen Veränderungen, den betrieblichen Bedingungen sowie aus den Idealvorstellungen, von einer "erfolgreichen Führungskraft". Hieraus ergeben sich die wichtigsten Führungsanforderungen, die natürlich auch eine Führungskraft im Handwerksbereich erfüllen muß. Aufgabe der Berufsbildung ist es nun, diese Kenntnisse und Fähigkeiten den Führungskräften zu vermitteln. Entsprechend den aufgezeigten Anforderungen wird dies insbesondere in den folgend aufgeführten Bereichen geschehen müssen:

Flexibilität, Aufgeschlossenheit, Sensibilität

Die verkürzte Halbwertzeit des Wissens (in der Microelektronik z.B. sind 50% des Wissens nach zwei Jahren bereits überholt) verlangt nach lebenslangem Lernen. Fortbildung muß für Führungskräfte zur Selbstverständlichkeit werden. Weiterhin verlangt die zunehmende Internationalisierung der Mitarbeiter interkulturelles Verständnis und Sensibilität im Umgang mit ausländischen Mitarbeitern.

Teamarbeit

Die steigende Komplexibilität der Aufgaben erfordert ein fachübergreifendes Denken und Handeln. Das Arbeiten in Projektteams wird ansteigen. Teamarbeit bietet verschiedene Chancen und Vorteile. Bei einem guten Gruppenzusammenhalt identifizieren sich die einzelnen Gruppenmitglieder stärker mit den Ergebnissen. Dieses schlägt sich in niedrigeren Fehlzeiten, geringerer Fluktuation und höherer Arbeitsqualität nieder. Insgesamt ist Gruppenarbeit motivationsfördernd.

Motivation

Qualifizierte Mitarbeiter lassen sich langfristig nicht durch autoritäre Führung und Geldanreize motivieren. Wichtig ist es für den Vorgesetzten, die Motive (Bedürfnisse) seiner Mitarbeiter zu kennen. Durch die richtige Paarung von Bedürfnissen und Anreizen (Einbeziehung der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse), lassen sich beständige Leistungssteigerungen erzielen. Ebenso wichtig ist die Selbstmotivation, da gerade von Führungskräften eine Vorbildfunktion erwartet wird.

Kreativität

Nicht mehr das vorschriftsgemäße Handeln steht im Vordergrund, sondern das eigenständige kreative Problemlösen. Freiräume müssen zugelassen werden, um Neues ausprobieren zu können. "Reparaturmanagement" reicht nicht mehr aus. Innovation muß zur Führungsaufgabe werden.

Kommunikative Kompetenz

Die Führungskraft der Zukunft befiehlt nicht mehr, sondern motiviert und begeistert die Mitarbeiter durch die eigene Persönlichkeit. Damit Vorschläge und Hinweise auch aus der Ausführungsebene berücksichtigt werden können, ist Kommunikation, d.h. ein Informationsfluß nicht nur von oben nach unten, sondern insbesonders von unten nach oben notwendig. Das Feedback (Rückmeldung) der Mitarbeiter verbessert den Organisationsablauf und ist die Grundlage eines kooperativen Führungsstils.

Konfliktmanagement

Kommunikative Kompetenz wird zur "Ent-Störung" schwieriger Situationen benötigt. Konflikte, die zwischen Mitarbeitern, in der Arbeitsgruppe und zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern bestehen, stören das Betriebsklima, mindern die Arbeitsqualität sowie die Leistung und haben somit Einfluß auf das Betriebsergebnis. Die Aufgabe der Führungskraft besteht darin, Spannungen auszugleichen und Konflikte nicht nur zu beseitigen, sondern diese möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen.

Ethische Grundsätze

Diese zählen heute und zukünftig zu den wichtigen Managereigenschaften. Dazu gehört in immer stärkerem Maße die Berücksichtigung und Einbeziehung unserer Umwelt bei betrieblichen Entscheidungen.

Resümee

Aus dem Dargestellten wird das breite Feld, das die Berufsbildung heute und in naher Zukunft im Handwerksbereich abdecken muß, deutlich. Natürlich ist es nicht möglich, diese Themenbreite insgesamt und zusammenhängend zu vermitteln. Die hier dargestellte Ausführung sollte sich nur darauf beschränken, den Führungskräften die Entwicklung der Anforderungen, die an sie gestellt werden, aufzuzeigen und eventuelle Bildungsdefizite zu verdeutlichen.

Ebenfalls werden die in der Zukunft wohl verstärkt geforderten Fähigkeiten nicht alle gleichzeitig und immer gefordert. Im Sinne einer situationsorientierten Führung ist dies auch nicht notwendig. Weiterhin gibt es wohl auch nur wenige "Superführungskräfte", die dieses gesamte Profil für sich in Anspruch nehmen dürften.

Doch die Zukunft wird sicherlich hohe Anforderungen an die Persönlichkeit von Führungskräften und deren Fähigkeit zur Menschenführung stellen. Hier ist es Aufgabe der Berufsbildung, die Handwerksbetriebe in ihren Weiterbildungsbemühungen zu unterstützen und ihnen beratend zur Seite zu stehen. Handeln und entscheiden müssen diese dann jedoch selbst.


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