Strom und Wärme wachsen zusammen
Das neue große Thema der Energiewende heißt Sektorkopplung – Teil 21)
Durch die Verflechtung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr will die Bundesregierung den endgültigen Abschied von den fossilen Energieträgern einläuten. Doch wie soll dieses Ziel umgesetzt werden? Wer sind die Gewinner und wer die Verlierer? Darüber ist eine Diskussion entbrannt. Heizungshersteller, die sich breit aufgestellt haben oder auf Wärmepumpen konzentrieren, sehen jedenfalls optimistisch in die Zukunft.
Als Beitrag zum internationalen Klimaschutzübereinkommen von Paris will die Bundesregierung bis zum Jahr 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 % bis 95 % gegenüber 1990 reduzieren. Das bedeutet das Ende der Nutzung fossiler Energieträger wie Erdgas, Erdöl und Kohle, bei deren Verbrennung klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) entsteht.
Alle drei Sektoren der Energiewirtschaft – Strom, Wärme und Verkehr – müssen komplett auf Erneuerbare Energien umgestellt werden. Dies lässt sich nur bewerkstelligen, wenn die Sektoren technologisch und wirtschaftlich zusammenwachsen, wie das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) im 5. Monitoringbericht zur Energiewende vom Dezember 2016 erneut betont hat. Im Rahmen der Sektorkopplung sollen Überkapazitäten bei erneuerbarem Strom für den Wärme- und Verkehrsbereich nutzbar gemacht werden. Erneuerbarer Strom wird damit laut BMWI künftig der wichtigste Energieträger im Energiesystem.
Plädoyer für Technologieoffenheit
Interessant sind die Ergebnisse einer im Mai 2016 veröffentlichten Studie, bei der 350 Energieexperten zur Zukunft der Energieversorgung im Jahr 2040 interviewt wurden. Danach erwarten drei Viertel der Befragten eine „All-Electric-Society“: Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzen die Energieträger Erdöl und Erdgas in der Wärmeproduktion, Mobilität und Industrie.
Die Umsetzung der Sektorkopplung im Sinne einer Vollelektrifizierung der Sektoren Wärme und Verkehr ist jedoch umstritten. Während die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrsbereichs in erste Linie durch die Stromerzeuger angestrebt wird, definiert die traditionelle Wärmewirtschaft den Begriff der Sektorkopplung als ein verstärktes Zusammenspiel von Strom- und Wärmetechnologien, wie es z. B. schon heute in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und Hybridheizungen der Fall ist. Auch die Energieträger Gas und Öl finden darin weiterhin ihren Platz, obgleich ihre Bedeutung langfristig abnimmt.
So spricht sich der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) für eine technologieoffene Sektorkopplung aus, die parallel zum Erneuerbare-Energien-Strom (EES) auch andere Energieträger berücksichtigt. Aus BDH-Sicht könnte ein sinnvoller Energiemix künftig aus einem höheren Anteil an EES, ergänzt durch gasförmige und flüssige Brennstoffe sowie einem hohen Anteil an direkten Erneuerbaren Energien, z. B. Biomasse und Solarthermie, bestehen.
Das Gasnetz, mit seinen beträchtlichen Transport- und Speicherkapazitäten, sollte als bewährte Infrastruktur weitergenutzt werden. Es könnte in Zukunft Biogas oder EE-Gas (Methan, Wasserstoff) transportieren, das über Power-to-Gas-Technologien aus EES erzeugt wurde. An Tagen mit geringem Stromaufkommen könnte das grün produzierte Gas genutzt werden, um Nachfragespitzen abzudecken.
Hier besteht Einigkeit mit der Gaswirtschaft, die im Oktober 2016 einen von zehn Verbänden unterzeichneten Appell zum Klimaschutzplan 2050 veröffentlichte. Er wehrt sich gegen das „Setzen von Jahreszahlen, ab wann die Gastechnologie nicht mehr eingesetzt werden soll“. Die Verbände sehen dies als massiven Eingriff in den Markt, durch den die Entwicklung innovativer Gastechnologien, die den Klimaschutz voranbringen könnten, bereits zum heutigen Zeitpunkt verhindert werde.
Absage an „All-Electric“-Strategie
Auch der Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) sieht „mit Sorge, dass an entscheidender Stelle der Klima- und Ressourcenschutzpolitik eine ‚All-electric-Strategie‘ angestrebt wird“. Wer bei der Sektorkopplung „all electric“ wolle, setze auf eine Strategie mit hohen Risiken für die Versorgungssicherheit, die Bezahlbarkeit der Energieversorgung und den Standort Deutschland insgesamt, kritisiert der Verband. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sollten laut ZVSHK auch andere lastfähige und speicherbare Energien zur Verfügung stehen. Das bedeute den Verzicht auf planwirtschaftliche Zwänge im Wärmemarkt, die einzelne
Energieformen und Technologien ausschließen. „Die Politik muss daher verstärkt auch die Forschung bei flüssigen und gasförmigen Power-to-X-Technologien sowie die vorhandenen dezentralen Energieformen wie Holz, Solarthermie und selbst genutzter PV-Strom zu Wärmezwecken unterstützen“, fordert der Verband. Mit diesem breit aufgestellten Energiemix könne auch in Zeiten der sogenannten „kalten, dunklen Flaute“ (niedrige Temperaturen, keine Sonne, kein Wind) das entstehende Missverhältnis zwischen hoher Energienachfachfrage und ausbleibendem Aufkommen an Erneuerbare-Energien-Strom ausgeglichen werden.
Die Bioenergiebranche, die durch eine Vollelektrifizierung verlieren würde, geht davon aus, dass Biomasse auch künftig für ein breites Spektrum von Einsatzfeldern nötig sein wird. Noch leistet die Bioenergie den größten Beitrag zur Energiewende in Deutschland und das über alle drei Sektoren hinweg. Knapp 60 % der Energiebereitstellung aus Erneuerbaren Energien geht auf ihr Konto. Der Deutsche Energieholz- und Pellet-Verband (DEPV) sieht den Einsatz von EES im Rahmen der Sektorkopplung vor allem im Verkehrsbereich. „Bei der Wärmegewinnung darf man über das Ausmaß diskutieren. Die Sektorkopplung kann hier einen begrenzten, eher geringen Teil der benötigten Wärmeenergie liefern. Sie wird kein Patentrezept zur Umsetzung der Energiewende am Wärmemarkt sein“, sagt DEPV-Geschäftsführer Martin Bentele.
Rosige Zukunft für Wärmepumpen
Gewinner einer zunehmenden Elektrifizierung des Wärmesektors könnte die Wärmepumpe sein. Die Strategiepapiere des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) und aktuelle Studien zur Sektorkopplung weisen ihr eine Schlüsselrolle bei der Integration von EES in den Wärmesektor zu. In der Studie „Was kostet die Energiewende?“ des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) und dem Hintergrundpapier „Sektorenkoppelung“ der Deutschen Umwelthilfe sind elektrische Wärmepumpen im Jahr 2050 die wichtigste Technik zur Wärmebereitstellung in Einzelgebäuden.
Die Sektorkopplung als Dekarbonisierungsstrategie für den Wärmebereich wird vom Bundesverband Wärmepumpe (BWP) folglich unterstützt: „Während bereits jede dritte Kilowattstunde Strom aus Erneuerbaren Energien stammt, hinkt die ‚Erneuerung‘ des Verkehrs- und Wärmesektors hinterher. Wir unterstützen deshalb die Schlussfolgerungen [...], den Wärmesektor zu elektrifizieren“, sagt BWP-Geschäftsführer Martin Sabel.
Dabei gelte es, durch den Einsatz hocheffizienter Technologien, wie eben der Wärmepumpe, sicherzustellen, dass der Stromverbrauch nicht unnötig steige. In welchem Umfang Strom in den einzelnen Sektoren künftig die Versorgung gewährleistet, sollte laut einer BWP-Stellungnahme zum „Grünbuch Energie-
effizienz“ des BMWI vornehmlich dem Markt überlassen werden. Der Verband sieht elektrische Wärmepumpen als Teil eines für die vollständige Dekarbonisierung des Wärmemarkts notwendigen Energie- und Technologie-Mix, bestehend aus allen erneuerbaren Wärmetechnologien wie Solarthermie, Tiefengeothermie und Bioenergie.
„Wir werden immer mehr sauberen Strom außerhalb der Elektrizitätsversorgung einsetzen müssen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen“, sagt auch Carsten Körnig. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar) verweist auf das Beispiel Dänemark: Dort werden viele Nahwärmenetze erfolgreich mit Windstrom nachgeheizt. Weil in den stürmischen Wintermonaten viel Windenergie erzeugt wird, hilft die Sektorkopplung durch zusätzliche Abnahme von Elektrizität für den Wärmebereich dabei, die Stromnetze zu entlasten.
Heizungshersteller optimistisch
Während nach wie vor um die Deutung der Sektorkopplung gerungen wird, sehen sich Haustechnikhersteller, die entweder ein breites Segment von Heiztechniken abdecken oder sich auf Wärmepumpentechnik fokussieren, bereits heute gut aufgestellt. Auf dem Markt findet sich eine große Palette an Systemen, die mehrere Energieträger nutzen und flexibel auf die fluktuierende Einspeisung von erneuerbaren Strom reagieren können. Dazu zählen Smart-Grid-fähige Wärmepumpen, Hybridgeräte mit Einbezug von Wärmepumpen oder von PV-Strom, KWK-Systeme und Brennstoffzellenheizgeräte, Strom- und Wärmespeicher, Ladestationen für Elektrofahrzeuge sowie digitale Technologien und Smart-Home-Anwendungen, die die Einbindung von erneuerbarem Strom ermöglichen und steuern.
„Wir bieten schon lange klassische Sektorkopplungsprodukte an: Wärmepumpen, Klimawärmepumpen, Kälteanlagen. Das heißt, die Produkte waren bei uns schon verfügbar, bevor es den Begriff der Sektorkopplung überhaupt gab“, sagt beispielsweise Volker Weinmann, Beauftragter Politik, Umwelt und Verbände bei Daikin Germany. Das Unternehmen sieht daher im Zusammenhang mit der Sektorkopplung sehr großes Potenzial für seine Heiz- und Kältelösungen. Ein Beispiel ist die Luft/Wasser-Wärmepumpe „HPSU compact“ mit Solar-Schichtspeicher, die das Daikin-Tochterunternehmen Rotex im Programm hat. Neben Solarthermie lässt sich die Wärmepumpe auch durch einen Öl- oder Gas-Brennwertkessel, Pelletkessel oder Kaminofen mit Wassertasche bei der Heizung und Trinkwassererwärmung unterstützten.
Sektorkopplung ist auch für Vaillant wichtig. Das Unternehmen arbeitet in 150 laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten an der Heiztechnik von morgen. Dazu zählen KWK-Systeme und die Nutzung von Brennstoffzellen.
Bosch Thermotechnik setzt mit der Marke Buderus auf Produkte, die sich multivalent miteinander kombinieren lassen. Auf der ISH 2017 stellte Buderus sein komplettes Wärmepumpenprogramm vor. Dazu zählt z. B. ein System für Neubauten, das neben der Wärmepumpe eine PV-Anlage, einen Batteriespeicher und ein Energiemanagementsystem zur Einbindung weiterer Geräte wie Waschmaschinen oder Trockner beinhaltet. Ziel ist die maximale Eigennutzung des PV-Ertrages und die Erhöhung der Gebäudeautarkie. Das Energiemanagementsystem ist eine Bosch-Eigenentwicklung. Neben der Kopplung von PV und Wärmepumpe steuert das System den kompletten Energiefluss aller daran angeschlossenen Verbraucher.
Eine vollkommene Veränderung des Heizungsmarkts durch die Sektorkopplung erwartet Buderus nicht, da technische Lösungen zur Verbindung der einzelnen Sektoren heute schon angeboten würden. Welche Technologien profitieren werden, hängt nach Ansicht des Unternehmens im Wesentlichen von der Energiepreisentwicklung ab.
„Für uns ist die Sektorkopplung ein großes Thema, speziell in unserem Segment der Wärmepumpen. Entsprechend spielt es eine tragende Rolle bei unseren Produktentwicklungen“, heißt es bei Kermi. Das Unternehmen bietet z. B. mit der Regelung „x-center x40“ für seine Luft/Wasser-Wärmepumpe „x-change dynamic“ eine digitale Regelung, die ein Lastmanagement für Smart-Grid-Funktionen ermöglicht und die Nutzung von überschüssigem PV-Strom im Sinne von Power-to-Heat erlaubt.
Sektorkopplung bereits umgesetzt
Die steigende Nutzung von Erneuerbare-Energien-Strom (EES) in den Bereichen Wärme und Verkehr wird in Kombination mit der zunehmenden Digitalisierung zu neuen Geschäftsmodellen führen. Für Viessmann sind Geschäftsbereiche, in denen sich Strom, Wärme und Mobilität überschneiden, bereits heute Realität. Auf dem eigenen Firmengelände in Allendorf/Eder betreibt das Unternehmen im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Power-to-Gas-Anlage zur Herstellung von Methan. Während in herkömmlichen Power-to-Gas-Konzepten die Methanisierung auf chemisch-katalytischem Weg erfolgt, hat das Viessmann-Unternehmen MicrobEnergy dafür ein biologisches Verfahren entwickelt. Überschüssiger EES wird dabei in einem Elektrolyseur genutzt, um aus Wasser Wasserstoff zu gewinnen. In einem weiteren Schritt wird der Wasserstoff anschließend mit CO2 aus einer Biogasanlage auf mikrobiologischem Weg in Methan umgewandelt. Das Methangas kann über lange Zeit im Gasnetz gespeichert und transportiert werden. Es lässt sich unabhängig vom Ort der Erzeugung zur Stromproduktion, zur Wärmeversorgung oder in Erdgasautos als klimafreundlicher Kraftstoff verwenden. In diesem Zusammenhang ist Viessmann eine Kooperation mit Audi eingegangen und vermarktet Biokraftstoff an den Automobilhersteller.
Ein weiteres Beispiel ist das Unternehmen Digital Energy Solutions, ein Joint Venture der Viessmann Group und der BMW Group, das Energielösungen für die Märkte der Zukunft entwickelt. In Kooperation mit Viessmann und Stiebel Eltron bietet Digital Energy Solutions seit Kurzem Ökowärmestromtarife an. Kunden der beiden Heizungshersteller können als Ergänzungsangebot zu ihren Wärmepumpen oder Wärmespeicherheizungen die günstigen Tarifangebote „Grundgrüner Wärmestrom“ (Viessmann) oder „Umweltstrom Plus“ (Stiebel Eltron) nutzen.
Rahmenbedingungen noch schwierig
Weniger zufrieden mit dem Stand der Dinge sind die Energieversorgungsunternehmen (EVU). Nach einer aktuellen Studie des Marktforschungsinstituts Trend Research sind 80 % der befragten EVU der Meinung, dass der derzeitige rechtliche Rahmen mit den zahlreichen Umlagen, Steuern und Abgaben auf Strom für die Realisierung der Sektorkopplung nicht geeignet ist. Die Abgaben beim Strom schränken die Wirtschaftlichkeit neuer Geschäftsmodelle ein und lassen den Versorgern zu wenig Spielraum. Dennoch halten 70 % der EVU die Sektorkopplung für notwendig und suchen Kooperationspartner, um sich in einem als attraktiv eingeschätzten Wachstumsmarkt frühzeitig positionieren zu können.
Autorin: Almut Bruschke-Reimer, freie Energiejournalistin
1) Teil 1 des Artikels befasste sich mit den Grundlagen der Sektorkopplung. Er ist in der IKZ-HAUSTECHNIK 4/2017 erschienen und trägt den Titel „Mit Ökostrom die Wärmewende ankurbeln“. Dieser Teil 2 zeigt die Positionen der unterschiedlichen Akteure in der Strom- und Wärmebranche.