Herstellerkennwerte versus Standardwerte
Pelletkessel im Nachteil: DIN V 4701-10 enthält veraltete Standardwerte
Planer und auch Installateure errechnen den Energiebedarf eines Gebäudes meist über die DIN V 4701-10. Wenn sie bei ihren Berechnungen Standardwerte verwenden, rücken sie Biomassefeuerungen in ein schlechtes Licht. Sie müssen das nicht – und sie sollen es auch nicht.
„Wenn-Dann“-Beziehungen sind dazu da, Vorgehensweisen zu beschreiben: „Wenn“ etwas so ist, „dann“ tue das. Es gibt einen Wenn-Dann-Passus in der DIN V 4701-10, der von manchem Architekten, Energieberater, TGA-Planer und auch Installateur in seiner Aussage gerne überlesen wird. Mithilfe der DIN V 4701-10 werden Energiebedarfsrechnungen für Gebäude angestellt, zum Beispiel zur Bestimmung der Energieeffizienz oder für Energiebedarfsrechnungen nach den Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) oder für KfW-Häuser. Auf Seite 93 der Norm heißt es: „Wenn die Kenngrößen eines konkreten Produktes nicht bekannt sind, kann vereinfachend mit den in Tabelle 5.3-13 angegebenen Standard-Kenngrößen die Erzeuger-Aufwandszahl und der Hilfsenergiebedarf eines Biomasse-Wärmeerzeugers berechnet werden.“ In dieser „Wenn-dann“-Beziehung bietet die DIN V 4701-10 ihre Standard-Kenngrößen quasi nur als Lückenfüller an. Es ist nicht daraus zu lesen, sie für jede Energiebedarfsrechnung von Biomassefeuerungen zu nehmen, sondern nur im Ausnahmefall: „Wenn-dann“.
Zwischen Unwissen und Bequemlichkeit
In einem Aufsatz listete Klaus Lambrecht, EnEV-Experte und Partner der Econsult Lambrecht Jungmann Partner, einmal auf, warum manche Akteure diesen Passus nicht richtig lesen und sie doch glauben, das Richtige zu tun, manchmal aber auch bewusst nicht tun – eine Mischung aus Fehlinterpretation, Wirtschaftlichkeitsdenken, Routine und Bequemlichkeit: „Nicht jeder weiß, dass die Standardkennwerte verändert werden dürfen“, schreibt Lambrecht. Zwar dürften die Randbedingungen für EnEV- und KfW-Nachweise tatsächlich auf keinen Fall verändert werden – allerdings stelle sich die Frage, warum etliche Nachweise auch mit unveränderten Standardkenngrößen durchgeführt würden. Mögliche Gründe laut Lambrecht neben dem Unwissen: Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sollen die Berechnungen wenig Zeit in Anspruch nehmen, die Recherche nach Herstellerkennwerten würde als zu zeitaufwendig gesehen – und manchen sei auch schlichtweg nicht bewusst, wie falsch sie mit ihren Berechnungen liegen.
4701er-Standardwerte völlig veraltet
Das Problem: Die Standardwerte in der DIN V 4701-10 zur Energiebedarfsberechnung von Biomassefeuerungen sind veraltet. Das gilt insbesondere für die aktuell am Markt befindlichen Pelletkessel und wassergeführten Pelletöfen. Die Norm stammt aus dem Jahr 2003. Tatsächlich ist die DIN V 4701-10 ein Auslaufmodell. Eine Überarbeitung der veralteten Standardwerte der veralteten Norm ist laut Jens Dörschel, Fachreferent beim Deutschen Energieholz- und Pellet-Verband (DEPV), nicht mehr zu erwarten. „Der zuständige DIN-Normungsausschuss hat darüber bereits mehrfach beraten und eine Überarbeitung abgelehnt“, sagt er. Stattdessen werde an einem Tabellenverfahren auf Basis der DIN V 18599 gearbeitet, nach dessen Einführung die DIN V 4701-10 dann auslaufen soll: „Die DIN 4701-10 soll vor diesem Hintergrund nicht mehr weiterentwickelt werden“, berichtet Dörschel. Auch eine Anpassung von Standardwerten solle es nicht mehr geben, weil diese dann bei vielen Technologien angepasst werden müssten.
Es kann also durchaus von Nachteil sein, wenn mit den Werten der DIN V 4701-10 weitergearbeitet wird. Tückisch ist dabei, dass bei den notwendigen Energiebedarfs-Berechnungen nach EnEV und für die KfW-Häuser vor allem der Primärenergiebedarf relevant ist – und der liegt beim Einsatz eines Pelletkessels in aller Regel locker unter der vorgegebenen Grenze, da bei diesen Feuerungen der (mit Standardwerten fälschlich zu hoch berechnete) Endenergiebedarf ja mit dem sehr niedrigen Primärenergiefaktor von 0,2 multipliziert wird. Somit fällt unter EnEV- und KfW-Gesichtspunkten ein zuvor zu hoch ausgerechneter Endenergiebedarf scheinbar nicht so stark ins Gewicht, weil der Primärenergiefaktor diesen dann weitgehend ausbügelt.
Doch der Endenergiebedarf ist eine zentrale Größe der Betriebskosten, damit bestimmender Faktor in der Wirtschaftlichkeitsberechnung und somit schlussendlich von großer Bedeutung für die Wahl des Heizsystems. Durch den unbedachten Einsatz von Standardwerten statt Herstellerkennwerten entsteht Pelletfeuerungen gegenüber anderen Heizsystemen ein Wettbewerbsnachteil. Bei zu hoch errechneten Endenergiebedarfen kann selbst ein deutlich niedriger Heizkostenpreis gegebenenfalls die höheren Anschaffungskosten einer Pelletfeuerung nicht mehr kompensieren. Mögliche Folge: Der Hausbesitzer entscheidet sich für ein anderes Heizsystem. Tückisch dann auch, wenn man sich als Handwerker oder Planer über den hohen Wert zwar wundert, die Fehlerquelle aber nicht in den verwendeten Standardwerten der DIN V 4701-10 sieht und man das seinem Kunden folglich nicht richtig erklären kann.
Es wird in den Berechnungen oft auch nicht berücksichtigt, dass Pelletkessel mit Pufferspeichern arbeiten. Ohne Pufferspeicher in der Rechnung erhöht sich in den Berechnungen die Zahl der Grundzyklen und damit der ermittelte Hilfsenergiebedarf – der sich auch dadurch erhöht, dass auch beim Hilfsenergiebedarf die DIN V 4701-10 mit veralteten Werten arbeitet. Laut DEPV liegen ihre Standardwerte im Durchschnitt um mehr als das Sechsfache über den Herstellerwerten. Außerdem nehmen die Anlagenverluste zu, weil der Kessel im Grundzyklus einen schlechteren Wirkungsgrad hat. Der Grundzyklus ist die Anlaufzeit für den Verbrennungsprozess. Der DEPV setzt den Wirkungsgradwert des Grundzyklus’ mit durchschnittlich 0,9 des Werts im stationären Betrieb an.
Kennwerte leicht zu haben
Umso dringlicher ist es für die, die bis zum Auslaufen der DIN V 4701-10 weiter mit ihr arbeiten, der Aufforderung der alten DIN-Dame von Seite 93 nachzukommen: statt mit Standardwerten mit den Herstellerkennwerten zu arbeiten und außerdem Pufferspeichervolumen in den Berechnungen zu berücksichtigen. Das ist heute auch sehr viel leichter in die Tat umzusetzen als noch vor Jahren. Der DEPV führt seit längerer Zeit eigene Listen, in denen der Verband die Herstellerkennwerte von Anlagen seiner Mitglieder führt und regelmäßig aktualisiert. Stand September 2016 konnten für die DIN V 4701-10 die Kennwerte von 214 Pelletkesseln und wasserführenden Pelletkaminöfen mit Nennwärmeleistungen von 6 bis 550 kW
auf der Internetseite des DEPV abgerufen werden. Allerdings sind hier nur die 14 Kessel- und Ofenhersteller vertreten, die im DEPV Mitglied sind. Die Anlagen-Kennwerte von Herstellern (DEPV-Nichtmitglieder) wie ETA, Hargassner, Windhager oder Guntamatic finden sich hier nicht. Ein Grund, die Kennwerte dieser Hersteller nicht zu verwenden, ist das nicht. Zwar kommt man nur über direkte Anfrage bei den Herstellern zu den Werten, aber dies ist mittlerweile gängige Praxis. „Kunden, Planer und Interessenten erhalten die Wertetabelle mit den geforderten Inhalten auf Anfrage“, berichtet beispielsweise Herbert Schwarz, Vertriebsleiter bei Hargassner; und ETA stellt die erforderlichen Kennwerte auf seiner Homepage zur Verfügung, bzw. übermittelt diese im Bedarfsfall und veranstaltet außerdem Seminare zu diesem Thema. Ähnlich ist es auch bei Windhager: „In speziell für Energieberater, TGA-Planer und auch Installateure aufbereiteten Unterlagen kommunizieren wir die Herstellerkennwerte“, berichtet Frank Geißer, Verkaufsleiter bei Windhager. Hinzu kommt, dass viele EnEV-Softwareprogramme die Werte vieler Hersteller mittlerweile zur Verfügung stellen.
Wachwechsel in Sicht
Was gilt in der Zeit nach dem Auslaufen der DIN V 4701-10? Dann wird die neuere (aus dem Jahr 2011 stammende) DIN V 18599 alleine gültig sein. Die Co-Existenz beider Normen für dieselbe Sache gestaltet sich laut Dörschel in der Praxis bisher so: „Bei Wohngebäuden, zum Beispiel bei der Erstellung von Energieausweisen nach EnEV und Nachweisen für die KfW-Förderung, ist es den Planern in der Regel freigestellt, ob sie mit der einen oder der anderen Norm rechnen“, erklärt er. Sofern jedoch neuere Techniken eingesetzt würden, die in der DIN V 4701-10 noch nicht berücksichtigt wären, könne es sein, dass die Planer an der DIN V 18599 nicht vorbeikämen. „In der Praxis wird jedoch bei Wohngebäuden meist mit der alten DIN 4701-10 gerechnet, unter anderem weil diese schon seit Längerem eingeführt ist und weil die Rechnungen mit der DIN V 18599 komplizierter sind“, so Dörschel weiter. Nur bei Nichtwohngebäuden komme man bereits heute an der DIN V 18599 nicht vorbei.
Auch bei „Neuen“ besser Individualwerte
Neben dem „Nachteil“, dass die Berechnungsverfahren in der DIN V 18599 komplizierter sind als die in der DIN V 4701-10 (aber deutlich realitätsnäher und differenzierter), hat die Norm den Vorteil, dass ihre Standardwerte deutlich jüngeren Datums sind: Die „alten“ Werte aus dem Jahr 2013 wurden auf Basis der Herstellerkennwerte jüngst überarbeitet und die Aktualisierung der Standardwerte der 18599 gerade erst vor ein paar Tagen Ende September veröffentlicht. Aber auch hier rät der DEPV, mit den Hersteller-Kennwerten der speziellen Produkte zu arbeiten. „Zwar sind die Standardwerte der DIN V 18599 im Gegensatz zu denen der DIN V 4701-10 aktuell“, schreibt der Verband in seinem Infoblatt „Heizenergiebedarfsberechnung mit Herstellerkennwerten“. Sie würden jedoch etwas ungünstiger ausgewiesen als der Durchschnitt der Herstellerwerte, sodass sich mit Herstellerwerten auch bei Berechnungen nach der 18599 in den meisten Fällen ein etwas günstigerer und vor allem realistischerer Energiebedarf ergäbe, so der Verband weiter.
Für die Verfügbarkeit von Herstellerkennwerten gilt für die DIN V 18599 dasselbe wie für die DIN V 4701-10: Auch für die 18599 führt der DEPV eine Liste, die laufend aktualisiert wird. Stand September 2016 waren hier 154 Kennwerte von Pelletkesseln und wasserführenden Pelletkaminöfen mit Nennwärmeleistungen von 6 bis 550 kW aufgeführt. Enthalten sind die Werte von 12 Kessel- und Ofenherstellern zum Download auf der Seite des DEPV. Aber auch an die Werte der DEPV-Nichtmitglieder kommt man für die DIN V 18599 genauso wie für die DIN V 4701-10: einfach anfragen.
Autor: Dittmar Koop
Nachgefragt
Im Interview äußert sich Frank Geißer, Leiter Verkauf bei der Windhager Zentralheizung GmbH, zum Thema Herstellerkennwerte versus Standardwerte.
IKZ-HAUSTECHNIK: Was ist der Unterschied zwischen DIN V 4701-10 und DIN V 18599?
Frank Geißer: Anders als bei der Bilanzierung nach DIN V 4701-10 wird für die Anlagenverluste nicht eine gesamte Heizperiode betrachtet, sondern diese werden monatsweise ermittelt. Für die Laufzeiten der einzelnen Anlagenteile wird dabei noch einmal in Nutzungs- und Nichtnutzungszeiten unterschieden. So lassen sich zum Beispiel rechnerisch auch unterschiedliche Betriebszeiten von Heizungsanlagen in Bezug auf Nachtabsenkung/Nachtabschaltung darstellen.
IKZ-HAUSTECHNIK: Wann können/müssen Berechnungen des Heizenergiebedarfs nach DIN V 4701-10 ausgeführt werden, in welchen Fällen nach DIN V 18599?
Frank Geißer: Für den öffentlich-rechtlichen Nachweis ist die tägliche Nutzungszeit in DIN V 18599-10, Tabelle 3, während der Heizperiode auf 17 Stunden festgeschrieben, wenn eine Heizungsanlage mit Nachtabsenkung/-abschaltung vorhanden ist. Zur Erstellung des EnEV-Ausweises kann entweder die DIN 4701-10 oder die DIN V 18599 herangezogen werden. Die Berechnung nach der DIN V 18599 ist detaillierter. Sie verwendet sowohl für die Berechnung des Transmissionswärmeverlustes als auch der Anlagentechnik das sogenannte Monatsbilanzverfahren. Die Einbeziehung von Kraft-Wärme-Kopplung oder Photovoltaik zur Berücksichtigung des eigenerzeugten Stroms ist nur mit dem Verfahren nach DIN V 18599 möglich. Im Gegensatz zur DIN 4701-10 ist die DIN V 18599 auch für gekühlte Häuser anwendbar.
IKZ-HAUSTECHNIK: Was sind die Besonderheiten der DIN V 18599?
Frank Geißer: Eine entscheidende Besonderheit ist die Tatsache, dass sich alle Wärmemengen, die durch Verbrennungsprozesse gewonnen werden, auf den Brennwert und nicht auf den Heizwert des jeweiligen Energieträgers beziehen. Auf diese Weise wird vermieden, dass sich bei der Beschreibung von Wärmeerzeugern mit Brennwertnutzung Wirkungsgrade von mehr als 100 % ergeben. Der ermittelte Endenergiebedarf ist somit brennwertbezogen.
IKZ-HAUSTECHNIK: Was ist denn der Unterschied zwischen brennwertbezogenem und heizwertbezogenem Wirkungsgrad und welche Vorsicht muss man walten lassen, damit man als Planer oder SHKler nicht irrtümlich den falschen Werten aufgesessen ist?
Frank Geißer: Der Brennwert berücksichtigt im Gegensatz zum Heizwert auch die Kondensationswärme des im Abgas vorhandenen Wasserdampfes. Dadurch ergibt sich eine andere Basis – abhängig vom Brennstoff ist der Brennwert ca. 6 bis 11 % höher als der Heizwert.
IKZ-HAUSTECHNIK: Ist das nicht von Nachteil gegenüber einer Berechnung, die den Endenergiebedarf über den Heizwert ermittelt?
Frank Geißer: Nein, es ist nur die Basis geändert. Mit der Betrachtung nach dem Brennwert wird erreicht, dass man keine Wirkungsgrade über 100 % ausweisen muss.
IKZ-HAUSTECHNIK: Woran kann man erkennen, dass in eine Berechnung nach DIN V 18599 die falschen Kennwerte eingesetzt wurden?
Frank Geißer: Ein Problem aus meiner Sicht ist, dass die Berechnungen sehr komplex sind und praktisch nur über eigene Software-Programme in einem vernünftigen Zeitrahmen machbar sind. Das Problem damit ist aber, dass man dann dem Ergebnis blind vertraut.
IKZ-HAUSTECHNIK: Wie komme ich dann zum Primärenergiebedarf, der ist doch heizwertbezogen?
Frank Geißer: Für die Bestimmung des heizwertbezogenen Primärenergiebedarfs wird der ermittelte Endenergiebedarf wieder auf den Heizwert umgerechnet und mit den bekannten Primärenergiefaktoren multipliziert. Die Umrechnung von Brennwert zu Heizwert erfolgt nach DIN V 18599-1, Tabelle B1. Bei einer Berechnung nach DIN V 18599 kann deshalb zum Beispiel bei Einsatz von Gasbrennwerttechnik der Endenergiebedarf (brennwertbezogen) höher als der Primärenergiebedarf (heizwertbezogen) liegen.
IKZ-HAUSTECHNIK: Die DIN V 4701-10 ist ein Auslaufmodell. In Zukunft wird es nur noch die DIN 18599 geben. Wird sich das auf den Heizungsmarkt auswirken, zum Beispiel, dass dann Biomassefeuerungen stärker nachgefragt werden, weil sie besser dastehen?
Frank Geißer: Ich denke, dass das Umschwenken von der DIN 4701-10 auf die DIN V 18599 keine Auswirkung auf den Heizungsmarkt hat. Beide Normen haben im Zusammenhang mit der EnEV das Ziel, den Anteil der Primärenergie am Endenergiebedarf sichtbar zu machen und damit regenerative Energieformen zu fördern. An diesem Ziel ändert sich durch eine Änderung des Berechnungsverfahrens nichts.
Die Fragen stellte Dittmar Koop.
Sorgfalt bei der Software
Nicht jedes EnEV-Software-Programm ermöglicht die Eingabe der Herstellerkennwerte. Der DEPV hat eine Übersicht erstellt, welche Programme für Energiebedarfsberechnungen nach DIN V 4701-10 dies ermöglichen bzw. ob Herstellerkennwerte bereitgestellt werden. Mithilfe der Übersicht können Energieberater, Architekten, SHK-Betriebe und TGA-Planer geeignete Softwareprogramme für die Planung mit Pelletfeuerungen auswählen. Die Übersicht kann kostenlos von der Homepage des DEPV heruntergeladen werden (www.depv.de → Holzpellets → Pelletheizsysteme → Energetische Kennwerte).