Fernwärme – teuer und wenig effizient
Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studie „Dezentrale vs. zentrale Wärmeversorgung im deutschen Wärmemarkt“
In ihrem Energiekonzept hat sich die Bundesregierung vorgenommen, bis zum Jahr 2050 im Gebäudesektor 80 % Primärenergie einzusparen. Das Ziel ist ehrgeizig – und der richtige Weg dorthin wird von Vertretern der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ebenso kontrovers diskutiert wie von den Verbrauchern. Eines jedoch ist klar: Energieeinsparungen bei der Gebäudeheizung und Warmwasserversorgung werden hier von großer Bedeutung sein. Denn immerhin entfallen rund 30 % des Primärenergiebedarfs in Deutschland auf diesen Sektor.
Vor allem im Hinblick auf die Vor- und Nachteile eines Ausbaus der zentralen Wärmeversorgung durch Nah- und Fernwärmenetze besteht Dissens. Dies gilt insbesondere im Vergleich dieses Ausbaus mit der Erneuerung dezentraler Einzelheizungen wie zum Beispiel Öl-, Pellet- oder Gasheizungen. Um bislang offene Fragen zu beantworten, Argumente zu prüfen und einen konstruktiven Beitrag zur aktuellen Diskussion zu liefern, hat das Institut für Wärme und Oeltechnik (IWO) gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH), dem Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK), dem Deutschen Energieholz- und Pellet-Verband (DEPV), dem Industrieverband Haus-, Heiz und Küchentechnik (HKI) sowie der Initiative Pro Schornstein (IPS) eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse Mitte September in Berlin öffentlich vorgestellt wurden.
Autoren und Grundlagen der Studie
Die Untersuchung „Dezentrale vs. zentrale Wärmeversorgung im deutschen Wärmemarkt. Vergleichende Studie aus energetischer und ökonomischer Sicht“ wurde von wissenschaftlichen Teams um Prof. Dr.-Ing. Bert Oschatz vom Institut für Technische Gebäudeausrüstung Dresden Forschung und Anwendung GmbH (ITG) sowie um Prof. Dr. Andreas Pfnür, Leiter des Fachgebiets Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre an der TU Darmstadt, erstellt. Ziel der Arbeit ist es, eine aussagekräftige Grundlage zur Bewertung der unterschiedlichen Versorgungssysteme zu bieten.
Vorausgegangene Studien zu alternativen Sanierungskonzepten für Wohngebäude hatten bereits gezeigt, dass die Erreichung der Klimaschutzziele nicht mehr allein ein ingenieurwissenschaftliches Problem ist. Rein technisch betrachtet ist es bereits eine große Herausforderung, den deutschen Wohnbestand nahezu klimaneutral mit Hauswärme zu versorgen. Die Engpässe der Umsetzung haben aber vor allem ökonomische und strukturelle Ursachen. Eine umfassende Analyse des Klimaschutzpotenzials von Konzepten der Wärmeversorgung müsse deshalb immer auf der Schnittstelle zwischen technischer Realisierbarkeit und wirtschaftlichem Erfolg für die handelnden Akteure stattfinden, so die Autoren der neuen Studie.
Als Grundlage für die wissenschaftliche Untersuchung wurden unterschiedliche, praxisrelevante Siedlungsstrukturen und Gebäudetypen herangezogen. Neben den allgemeinen ökologischen und ökonomischen Unterschieden werden dabei auch die Auswirkungen der unterschiedlichen Modernisierungsoptionen auf die betroffenen Mieter, Selbstnutzer und Vermieter betrachtet. Dabei wird auch ersichtlich, warum es unterschiedliche Einschätzungen im Hinblick auf eine dezentrale beziehungsweise zentrale Wärmeversorgung gibt. Die vollständige Studie kann auf der IWO-Website unter www.zukunftsheizen.de/Fernwärmestudie heruntergeladen werden.
Politische Bevorzugung von Wärmenetzen nicht gerechtfertigt
Zu welchen Ergebnissen kommt nun die Studie? Auf den Punkt gebracht: Mit sanierten Einzelheizungen lassen sich die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung einfacher erreichen als mit Nah- und Fernwärmenetzen. Zugleich ist die Fernwärme für die Verbraucher in der Regel mit höheren Heizkosten verbunden. Eine generelle, politische Bevorzugung von Wärmenetzen ist daher aus Sicht der Autoren nicht gerechtfertigt. Derzeit wird der Wärmenetzausbau jährlich mit 250 Mio. Euro gefördert. Der Ausbau von Wärmenetzen ist zwar in bestimmten Fällen sinnvoll, bezogen auf den deutschen Gebäudebestand ist er aber weder aus Sicht des Klimaschutzes noch aus finanziellen Erwägungen eine massentaugliche Lösung. „Eine Sanierung mit dezentralen Heizungssystemen bietet in allen untersuchten Gebäudevarianten und Versorgungsgebieten wirtschaftliche Vorteile gegenüber einer Sanierung mit zentralen, wärmenetzgebundenen Versorgungssystemen“, heißt es in der Untersuchung. Gesamtwirtschaftlich betrachtet wäre die netzgebundene Wärmeversorgung aller Bestandsgebäude über einen Zeitraum von 20 Jahren um 250 Mrd. Euro teurer als bei einer Erneuerung durch dezentrale Heizungen. Auch im Neubau sind dezentrale Heizungen laut Studie in der Regel günstiger.
Klimaschutzaspekte
Der ökologische Vorteil, so die Studienautoren, ist von der Anlageneffizienz und der Primärenergie abhängig. Je nach Art der eingesetzten Primärenergie haben zentrale oder dezentrale Systeme einen Vorteil hinsichtlich der CO2-Emissionen und des Primärenergieeinsatzes. Da jedoch bei der zentralen Wärmeversorgung aufgrund des notwendigen Transportnetzes immer Wärmeverluste auftreten, wird tendenziell mehr Primärenergie benötigt als bei dezentralen Einzelheizungen. Wird zur Wärmeerzeugung ausschließlich ein fossiler Brennstoff eingesetzt, ergeben sich in allen der untersuchten Fälle höhere Primärenergieverbräuche und CO2-Emissionen als bei einer dezentralen Versorgung. Wird jedoch im beträchtlichen Maße Abwärme oder Energie aus regenerativen Quellen ins Wärmenetz eingebunden, stößt die zentrale Versorgung über Netze weniger CO2 aus. Ein pauschales Ergebnis der ökologischen Betrachtung kann demnach laut Studie nicht gefällt werden. Hier seien Einzelfallberechnungen im Vorfeld der Gebäudemodernisierungen notwendig.
Festgestellt wird allerdings: Ein abnehmender Wärmebedarf verschlechtert die Voraussetzungen für Wärmenetze. Der Hintergrund: Im Zuge der politisch avisierten Gebäudesanierung sinkt perspektivisch der Wärmebedarf der Häuser durch verbesserte Dämmung. Durch die somit kontinuierlich abnehmende Leistungsdichte der Wärmenetze erhöhe sich der Anteil der Netzverluste auch in zentralen Systemen mit Einbindung Erneuerbarer Energien, so die Studie. Des Weiteren zeigt die Untersuchung, dass Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) zunehmend grünen Strom verdrängt: Wenn die bei der Stromerzeugung anfallende Abwärme zur Wärmeversorgung genutzt wird, erhöht sich die Effizienz der Kraftwerke und der Ausstoß von Schadstoffen je erzeugter Kilowattstunde wird reduziert. Dieser Vorteil der KWK werde jedoch zunehmend geringer. Bisher profitieren KWK-Anlagen durch die Stromgutschrift für den „verdrängten“ Strom aus Kohlekraftwerken. Der Strommix wird durch zunehmende Effizienz der konventionellen Erzeugung und die vermehrte Einspeisung erneuerbar erzeugter Energie jedoch immer „besser und grüner“. Dies verringert den Vorteil von KWK-Strom, respektive kehrt den Vorteil sogar in einen Nachteil um, sobald künftig zum Beispiel Strom aus Erdgas-KWK-Anlagen Wind- oder Photovoltaik-Strom verdrängt. Selbst wenn ein Wärmenetz zum Zeitpunkt der Installation sinnvoll ist, besteht daher die Gefahr, dass es aufgrund der angesprochenen Entwicklung bereits nach relativ kurzer Zeit seinen Vorteil verliert.
Vergleich der Wirtschaftlichkeit
Gesamtwirtschaftlich gesehen führt die Umstellung von einer dezentralen auf eine zentrale Versorgung mit Wärmenetzen zu Preissteigerungen. Die Erneuerung von Einzelheizungen spart hingegen Kosten ein. Im Vergleich wäre die netzgebundene Wärmeversorgung aller Bestandsgebäude über 20 Jahre, wie oben bereits erwähnt, etwa 250 Mrd. Euro teurer als bei einer Erneuerung durch dezentrale Systeme. In allen von den Studienautoren untersuchten Gebäudetypen und Versorgungsgebieten bot eine Sanierung mit dezentraler Heiztechnik wirtschaftliche Vorteile im Vergleich zu einer Sanierung mit zentralen, netzgebundenen Versorgungssystemen. Auch wenn die Unterschiede zwischen Netzanschluss und gebäudeweiser Heizung im Bestand deutlich größer ausfallen, sind dezentrale Heizungen in der Regel auch im Neubau günstiger. Die Berechnungen der Studie stützen auch die Ergebnisse des Kartellamts und der Verbraucherschutzzentralen, die zu dem Ergebnis kamen, dass die monopolistischen Marktstrukturen in der Fernwärme die Wärmeversorgung spürbar verteuern.
Energieeinsparungen werden mittels dezentraler Modernisierung günstiger erreicht als bei einer Versorgung über Wärmenetze. Die Investition in dezentrale Modernisierung der Wärmesysteme spart daher erheblich mehr Primärenergie, Endenergie und Treibhausgasemissionen ein, als bei der Investition der gleichen Summe in die zentrale Versorgung über Wärmenetze, so das Ergebnis der Studie. Das durchschnittliche dezentrale Wärmesystem ist beispielsweise im Falle eines unsanierten Einfamilienhauses über einen 20-Jahres-Zeitraum um 14 757 Euro günstiger als die Fernwärme-Variante. Wäre die Modernisierungsförderung dezentraler Systeme genauso hoch wie die 250 Mio. Euro Förderung des Wärmenetzausbaus, würde dies jährlich zur Einsparung von 1,7 Mrd. kWh Primärenergie führen!
Sozialverträglichkeit: Geringverdiener durch Fernwärme belastet
Da die unterschiedlichen Kosten sich auch auf die betroffenen Einzelhaushalte auswirken, untersucht die Studie auch die Sozialverträglichkeit zentraler und dezentraler Systeme. Dabei zeigen sich unterschiedliche Resultate: Selbstnutzer von Immobilien spüren die Auswirkungen der jeweiligen Modernisierungsvariante unvermittelt, da sie persönlich die Investitionen tragen und die resultierenden Wärmekosten zahlen. Sie können ihre Wärmekosten aktiv durch Modernisierungen oder den Wechsel des Heizsystems beeinflussen und profitieren bei niedrigen Zinsniveaus doppelt von der dezentralen Erneuerung ihres Wärmesystems. Hingegen würde ein Anschluss an ein Wärmenetz die Wärmekosten gegenüber dem Status quo der alten Heizung deutlich erhöhen. Mieter hingegen sind nur sehr eingeschränkt in der Lage, ihr Heizsystem selbst zu wählen. Beim Anschluss an ein Wärmenetz sind sie finanziell im Nachteil, da die Wärmekosten im Vergleich zu einer dezentralen Versorgung in den meisten Fällen steigen. Zudem kann ein Teil der Sanierungskosten durch eine Mieterhöhung auf die Mieter umgelegt werden. Sind die Mieter Geringverdiener, werden diese Mehrkosten in Miet- und Nebenkosten über staatliche Transfers ausgeglichen und belasten damit den öffentlichen Haushalt. Vermieter sind dagegen eher Nutznießer eines Fernwärmeanschlusses.
Schlussfolgerungen
Technologieoffenheit sowie die freie Wahl des Energieträgers seien unabdingbar, um die im Energiekonzept der Bundesregierung formulierten Ziele zu erreichen. Die Autoren der Studie empfehlen einen marktwirtschaftlichen Ansatz, der kosteneffiziente und sozialverträgliche Lösungen sicherstellt. Von übermäßigen Regulierungen und technologischen Einschränkungen für Gebäudeheizungen sollte abgesehen werden. Die Studie zeigt, dass die bisherige öffentliche Förderung von Wärmenetzen vergleichsweise unwirtschaftlich ist. Zudem wird deutlich, dass diese Förderung mit Blick auf die Primärenergie- und Emissionseinsparungen auch keinen optimalen Beitrag zur Auflösung des bestehenden Sanierungsstaus bei alten Heizungen leistet. Die Ziele der Förderung von Wärmenetzen sollten bezüglich ihrer Wirksamkeit überprüft und zumindest ergänzt werden. Die Hauseigentümer benötigen zudem weitere aktive Hilfestellungen durch fachliche Beratung und Begleitung in der Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen. Des Weiteren sind attraktive, technologieoffene Förderangebote unerlässlich. Im vermieteten Wohnraum müssen sich Modernisierungen für Mieter und Vermieter positiv auszahlen. Hier sollte privatwirtschaftliches Kapital, beispielsweise durch eine steuerliche Förderung für Modernisierungsinvestitionen, mobilisiert werden.
Autoren: Dipl.-Ing. Adrian Willig, Dr. Ernst-Moritz Bellingen, Dipl.-Ing. Rainer Stangl,
alle Institut für Wärme und Oeltechnik (IWO)
Bilder: Institut für Wärme und Oeltechnik, Hamburg