Interaktive Gebäudehüllen - Interaktives Glas verschmilzt Informationstechnologie und Architektur
Touch-Displays, LED-Technologie, ultradünne Gläser: Die Multifunktionalität von Glas in der Informationstechnologie und der Architektur führt langfristig zu einer Verbindung von beiden. Gebäude, Häuser und öffentliche Straßen werden zu Informationsträgern und Steuerungselementen. Gebäude zeigen auf ihrer Fassade, was in ihrem Inneren vorgeht. Straßen machen selbstständig auf Gefahren aufmerksam, zeigen individuelle Schilder oder Hinweise und versorgen überdies noch Haushalte mit Strom? Und: Bei bekannten Eigenschaften soll es möglich sein, Glas in Dicken von zehn Mikrometern herzustellen? Einige der spannendsten Beispiele finden sich hier und im September auf der Weltleitmesse der Glasbranche, der glasstec 2016 in Düsseldorf.
Interaktivität (lat.: inter „zwischen“ und agere „treiben“ und „betreiben“), so Wikipedia, weist allgemein auf eine Wechselbeziehung zwischen zwei oder mehreren beliebigen Größen hin, bei der implizit Informationen ausgetauscht werden.
Von der Vision zur Realität
Gläserne Fassaden, die zu Projektionswänden werden und sowohl dem Bewohner innen als auch dem Passanten außen interessante Informationen liefern können, sind keine Vision, sondern technisch bereits machbar. Architekten von Repräsentationsbauten beziehen die Fassade nicht mehr nur als verhüllendes Gestaltungselement in ihre Modelle ein, sondern geben ihr eine interaktive Funktion. Dabei spielen nicht mehr nur Energieeffizienz und Nachhaltigkeit eine Rolle, sondern auch der Nutzen von Glas als Teil einer Informationstechnologie. James Law, Architekt aus Hongkong, nennt diese neue Architektur „Cybertecture“. Aktuell im Bau befindet sich sein Projekt „Parinee I“ in Mumbai, Indien. Ein Bürozentrum, in Zukunft vorrangig genutzt von den kreativen Köpfen der indischen Filmindustrie. Das fertige Gebäude wird dank LED-Technologie zum Werbeträger dessen, was innen erdacht wird. Das internationale Ingenieurbüro Arup liefert die Fassadentechnik zu diesem einzigartigen, 160 m hohen Turm. Mehr als 3700 m² Fläche dienen als Multimedia-Displays und LED-Bildschirme und haben verschiedene Lichtfunktionen. Dabei können Flächen miteinander in Kombination zu einer größeren zusammengefügt werden oder unabhängig voneinander unterschiedliche Inhalte anzeigen. Und damit der Passant ohne Einladung auf der Straße trotzdem mitbekommt, wer drinnen bei einer Premierenfeier dabei ist, können in Echtzeit Bilder der prominenten Gäste auf der Außenfassade gezeigt werden.
Selbstverständlich erlaubt das transparente Glas auch die Sonneneinstrahlung in die Räumlichkeiten und wird zentral gesteuert, sodass der Lichteinfall der Tageszeit angepasst wird, der Energieverbrauch und die CO2-Emission klein gehalten werden.
Solarer Bodenbelag
Ein Parkplatz in den USA. Optisch erinnert die Fläche an einen Bienenstock. Der Bodenbelag besteht aus wabenförmigen Panels aus Panzerglas mit einer Tragfähigkeit von jeweils 1500 Tonnen. Die Fahrbahnmarkierungen leuchten deutlich erkennbar, zeigen Richtungspfeile, Sperrzonen und Fußgängerübergänge an, bei Tage wie bei Nacht. In der Dunkelheit zeigen die Panels, was in ihnen steckt: Eingelassene Solarzellen, die sich durch das Tageslicht aufgeladen haben, geben nun ihre
Energie wieder ab und versorgen die im Glas eingebauten LEDs, die Fahrbahnmarkierung bleibt sehr gut sichtbar, kann je nach Bedarf die Farbe wechseln oder aufblicken, um z.B. Gefahrenstellen anzuzeigen. Außerdem können die Solarmodule die gespeicherte Energie auch als Wärme an die Panels weiter geben, um die Fläche im Winter eis- und schneefrei zu halten.
So erstaunlich das auch klingt, diesen Parkplatz gibt es bereits. Er ist die Testfläche von Solar Roadways, das Projekt, welches von Juli und Scott Brusaw in Idaho/USA vorangetrieben wird. Nach Aussage des Ehepaars würde ein Kilometer Straße mit Solar Roadway-Belag ausreichen, um 1000 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Mit der enormen Tragfähigkeit stünde auch einem Einsatz als Rollfeld auf dem Flughafengelände technisch nichts entgegen. Und mit dem erzeugten Strom könnten die elektronischen Flughafenfahrzeuge betrieben werden.
Zurzeit läuft das Projekt zielstrebig mit immer größerer Unterstützung der US-amerikanischen Regierung. Außerdem kann sich jeder über Crowdfunding finanziell beteiligen.
Klare Sicht im Automobil
Mit weniger Fläche, aber dafür nicht weniger sinnvoll kommt das aus, was ein Forscherteam vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA entwickelt. Dass Glas auf Sonneneinstrahlung reagiert, automatisch abschattet oder sich erhellt, das eintretende Licht in Strom umwandelt – alles bekannt. Etwas völlig Neues soll zukünftig dafür sorgen, dass auch Autobesitzer ohne Garagenstellplatz im Winter eine Viertelstunde länger schlafen können.
Der bayerische Automobilhersteller BMW engagiert sich finanziell stark bei der Entwicklung eines transparenten und flexiblen Trägermaterials, das lästiges Eiskratzen überflüssig machen soll. Das Projekt läuft beim MIT in den USA unter der Leitung von Professor Jeffrey Grossman.
Das Trägermaterial soll nach Angaben des Forscherteams weniger als einen Millimeter dick sein. Außerdem besteht es aus chemischen Substanzen, die Energie aufnehmen können und diese auf einen gewünschten Impuls hin (elektronisch, akustisch oder taktil) auch wieder abgeben.
In der Zukunft könnte dieses Material als Schicht auf Autoscheiben dafür sorgen, dass Tageslicht eingefangen und erst auf Abruf als Wärme wieder freigegeben wird. Dabei wird das aktivierte Glas um 10°C wärmer als die Umgebung.
Nach Aussage von Prof. Grossman soll das Material aber leistungsfähiger werden und die aufgenommene Energie auch zur Erhöhung der Reichweite von Elektroautos genutzt werden können.
Technologie Displayglas
Jeder hat es täglich unter den Fingerkuppen, wenn er sein Smartphone bedient – Displayglas. Alleine in Deutschland sind das 44 Mio. Bundesbürger 1) – Tendenz weiter steigend.
Offensichtlich begleitet uns ultradünnes Displayglas auf Schritt und Tritt: Dabei soll es besonders schlagfest und kratzbeständig sein, um den üblichen Beanspruchungen standzuhalten. Es soll sich gut anfühlen und gut reinigen lassen. Und es darf nur wenig Gewicht haben. Ein echter Drahtseilakt in der Produktion.
Trotzdem bleibt Glas als Material konkurrenzlos. Auch wenn es in Zukunft so sein wird, dass ein immer größeres Leistungsangebot auf immer weniger Quadratzentimetern Platz finden soll. Das hat nämlich zur Folge, dass die Gerätewärme durch die immer kleineren und leistungsfähigeren Elektronikbauteile ansteigt. Ultradünnes Displayglas ist hier die Lösung. Denn nur Glas als Material behält seine Stabilität auch bei ansteigenden Temperaturen bei und bleibt somit in Form.
Das Geheimnis von Dünnglas liegt im Material. In der Branche hat sich Aluminium-Silicatglas durchgesetzt, ein stark beanspruchbares Material, dass zudem die Eigenschaft hat, Reflexionen zu verringern. Das mittels Ionenaustausch chemisch vorgespannte Floatglas wird zum Multitouch-Screen, indem eine Halbleiterschicht darauf angebracht wird. Dadurch erhält es seine optisch-kapazitiven Eigenschaften.
Dünnglas – Glas von der Rolle
Noch filigraner wird es bei der Beobachtung der fortschreitenden Entwicklung im Sektor Ultradünn-Glas. Unter dem Namen „Konfekt“ haben sich die drei Branchengrößen Schott AG, Tesa SE und Von Ardenne GmbH mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung an die Arbeit gemacht, ultradünnes Glas für den Einsatz in organischer Elektronik und für OLED-Anwendungen zu entwickeln. Die Ziele sind ambitioniert, denn es geht darum, Fertigungs- und Weiterverarbeitungsprozesse rund um Glas-auf-der-Rolle zu erforschen, und zwar so, das Glas für den Einsatz in der organischen Elektronik, wie die OLED-Technologie, zu funktionalisieren. Dabei wird die Ursprungseigenschaft, nämlich der Schutz von empfindlichen Bauteilen gegen Feuchtigkeit und Sauerstoff, von den Anwendern geschätzt.
Das Verfahren dahinter
Beim Down-Draw-Verfahren des deutschen Glasherstellers Schott wird das Glasband durch eine Kühlstrecke nach unten gezogen. Durch präzise Prozesskontrolle können engste Fertigungstoleranzen wie zum Beispiel Gleichmäßigkeit der Dicke über große Flächen auch bei geringsten Glasdicken erreicht werden. Auf diese Art entstehen Dünngläser mit einer Dicke bis auf 25 Mikrometer. Damit sind sie dünner als ein menschliches Haar (50 Mikrometer). Anwendung finden sie bereits heute in der Biotechnologie und für Sensoranwendungen. Lieferbar ist das Glasmaterial in Sheets, Wafern oder von der Rolle.
Die Vorstellung vom biegsamen LED-Bildschirm, der sich wie eine Folie auf jedes beliebige Trägermaterial anbringen lässt, macht einen neugierig auf das, was in Silicon Valley – und nicht nur dort – daraus entsteht.
1) Digitalverband BITKOM, Berlin, Stand März 2015
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