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„Haushalte stehen im Zentrum des Energiesystems, nicht mehr am Ende“

Intelligente Messsysteme sind die Infrastrukturkomponente der Energiewende – Interview mit André Seifert (TMZ)

André Seifert ist Fachgebietsleiter Vertrieb und Produktentwicklung bei der TMZ Thüringer Mess- und Zählerwesen Service GmbH. Er ist Energiefachwirt (IHK) und besitzt einen Bachelor Prof. of Energy Industry Management (CCI). (TMZ)

Einbau eines intelligenten Messsystems (iMSys). Der Gesetzgeber verlangt den Einbau solcher noch nicht, doch sie sind die Voraussetzung z. B. zur Verknüpfung dezentraler Energieerzeugungsanlagen zu virtuellen Kraftwerken und sie ermöglichen perspektivisch eine Vielzahl weiterer Anwendungen, die digitale Zähler nicht bieten. (TMZ)

TMZ hat das erste intelligente Messsystem in Sonnen’s Community installiert. (Sonnen)

Intelligente Messsysteme werden in Zukunft Teil der Steuerung von Smart-Home-Komponenten sein oder auch zentrales Instrument für Post-EEG-Anlagen sowie Mieterstrom-Modelle. (Berliner Energieagentur)

 

Sonnen hat im Mai dieses Jahres gemeinsam mit der Thüringer Mess- und Zählerwesen Service GmbH (TMZ) das erste intelligente Messsystem in einer Community installiert. Wir haben das zum Anlass genommen, Fragen zum Thema Messsysteme zu stellen, was im Rahmen der Energiewende eingesetzt werden kann bzw. seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende verbaut werden muss. Im Interview sprachen wir mit André Seifert, Leiter Vertrieb und Produktenwicklung bei der TMZ darüber, was dann digital ist und ab wo Intelligenz beginnt.

IKZ-ENERGY: Herr Seifert, das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende schreibt vor, dass in allen Haushalten bis 2032 analoge Zähler durch digitale ersetzt werden. Was ist dann noch der Unterschied zwischen digitalen Messsystemen und den intelligenten?

André Seifert: Wir sollten an dieser Stelle zwischen moderner Messeinrichtung (mME) und einem intelligenten Messsystem (iMSys) unterscheiden. Eine mME ist ein Sensor mit einem elektronischen Zählwerk, der den Stromverbrauch digital auf dem Gerät anzeigt. Moderne Messeinrichtungen können nicht fernausgelesen werden. Ein iMSys besteht aus einer mME erweitert um eine intelligente Kommunikationseinrichtung, einem Smart Meter Gateway (SMGW). Dieses Kommunikationsmodul ermöglicht die datenschutz- und datensicherheitskonforme Einbindung des Zählers in das digitale Kommunikationsnetz.

IKZ-ENERGY: Wer ist verpflichtet, dass bei ihm statt ein digitales ein intelligentes Messsystem eingebaut wird, und ggf. ab wann?

André Seifert: Verpflichtend ist der Einbau eines iMSys für alle Kunden, welche zwischen 6000 kWh und 100 000 kWh verbrauchen sowie alle Erzeugungsanlagen mit über 7 kW pro Jahr installierter Leistung.

IKZ-ENERGY: Kann er dieses selbst einzubauen beauftragen oder muss er es einbauen lassen – von wem ggf. dann?

André Seifert: In der Regel ist der grundzuständige Messstellenbetreiber dafür zuständig. Dieser entscheidet, ob und wann ein iMSys eingebaut wird. Wenn ein Kunde eigenständig entscheidet, dass er eines möchte, kann er es bei diesem beantragen oder einen wettbewerblichen Messstellenbetreiber beauftragen.

IKZ-ENERGY: Was kann ein iMSys praktisch alles und ggf. auch theoretisch noch?

André Seifert: Praktisch kann ein iMSys Messwerte über eine Telekommunikationsverbindung kommunizieren oder eine Verbindung zur lokalen Messstelle für eventuelle Schalthandlungen herstellen. Darüber hinaus gibt es theoretisch eine Vielzahl an Möglichkeiten. Denkbar ist die Einbindung von Messeinrichtungen anderer Sparten (z. B. Gas, Wasser, Wärme) sowie im Submetering (z. B. digitale Heizkostenabrechnung). Außerdem kommen Mehrwertanwendungen zum Einsatz: Variable Stromtarife ermöglichen mehr Flexibilität; mit Blick auf die Wohnungswirtschaft ist der Aufbau eines effektives Leerstandsmanagements bis hin zu Leckageerkennung oder Schimmelprävention durch intelligente Fenster- und Lüftungssteuerung umsetzbar. Die Grenzen des Möglichen sind somit weit gefasst.

IKZ-ENERGY: Wie werden die Systeme vor unbefugtem Zugriff geschützt?

André Seifert: Administriert werden die intelligenten Messsysteme von einem zertifizierten Smart-Meter-Gateway-Administrator. Dieser legt fest, wer in welchem Umfang Zugriff bekommt, sowohl innerhalb des Home Area Network (HAN) als auch im Wide Area Network (WAN). Die Administratoren sitzen in speziell dafür hergerichteten Räumlichkeiten, sogenannten Kritis-Umgebungen und haben ein besonders geschütztes Virtual Private Network (VPN) zu einem ebenfalls zertifizierten Rechenzentrum. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) stellt darüber hinaus besondere Anforderungen an die Hardware, diese müssen ebenfalls BSI zertifiziert sein.

IKZ-ENERGY: Gibt es Qualitätsunterschiede unter den am Markt angebotenen intelligenten Messsystemen? Woran lassen sich gute erkennen und von welchen raten Sie ab?

André Seifert: An dieser Stelle muss erneut zwischen iMSys und mME unterschieden werden. In eben genannten existieren Qualitätsunterschiede. Wohingegen es bei einem SMGW als Kommunikationsinstrument keine gibt. Die Herausforderung für die TMZ liegt in der Interoperabilität, vereinfacht ausgedrückt: es muss herausgefunden werden, welches Gateway mit welcher mME kann.

IKZ-ENERGY: Die von TMZ eingebauten Messsysteme stammen aus eigener Produktion oder von wem bezieht TMZ die Hard- und Software?

André Seifert: Die TMZ ist als ganzheitlicher Ansprechpartner entlang der kompletten Wertschöpfungskette im Bereich Messwesen zu sehen. Wir beschaffen die entsprechende Messtechnik und sind für eine ganzheitliche Administration und Steuerung zuständig. Dabei treten wir nicht als Produzent auf, sondern bedienen uns bei einem weitreichenden Netzwerk von Herstellern.

IKZ-ENERGY: Das BSI, das für die Zulassung von Hard- und Software zuständig ist, hat ziemlich lange gebraucht, bevor es grünes Licht gab. Woran lag das?

André Seifert: Die Verzögerung liegt lediglich im Bereich der Gateway-Hardware. Ursprünglich sollten die ersten Geräte bereits seit dem Jahr 2017 eingebaut werden. Die Anforderungen der deutschen Verbraucher und die des BSI waren jedoch so hoch, dass die Hersteller die Gateways nicht liefern konnten. Aufgrund der gestellten Anforderung mussten die Geräte weiterentwickelt und im Anschluss zur Zertifizierung angemeldet werden und diese bestehen. Mit der Markterklärung wurde festgestellt, dass drei voneinander unabhängige Unternehmen intelligente Messsysteme am Markt anbieten. Diese müssen den Voraussetzungen nach § 24 Abs. 1 des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) genügen. Andere europäische Länder zeigen sich mit mehr Flexibilität, bspw. rollt Schweden bereits die zweite Generation aus.

IKZ-ENERGY: Sind die BSI-Anforderungen als der nunmehr geforderte Standard lückenlos gut?

André Seifert: Aus unserer Sicht ist die BSI-Anforderung das, was man heute als höchstmöglichen Sicherheitsstandard erwarten kann.

IKZ-ENERGY: Die neue Energiewelt ist äußerst komplex. Welche Rolle spielen die intelligenten Messsysteme bei der Vernetzung von vielen kleinen Strom-Einzelanbietern zu virtuellen Kraftwerken, wie das z. B. bei Sonnen praktiziert wird – TMZ hat hier die ersten in Thüringen installiert. Können Sie uns den Zusammenhang zwischen dezentraler Stromerzeugung, lokaler Speicher über Batterien, die zu Einheiten zusammengefasst werden und dann am Strommarkt auftreten, einmal erläutern – und welche Schlüsselrolle spielen die Messsysteme darin?

André Seifert: Die iMSys bilden die notwendige, zentrale Infrastrukturkomponente, welche einen Zugriff auf die Erzeugungsanlage über einen gesicherten Datenkanal ermöglicht. Ein Haushalt steht somit im Zentrum des Energiesystems und nicht mehr am Ende. Dort ist er auf Augenhöhe mit industriellen Erzeugern und kann damit auch von Vorteilen profitieren, die bisher außerhalb seiner Reichweite lagen

Durch den Verbau intelligenter Messtechnik bei Mitgliedern der Sonnen-Community hat die TMZ die Bereiche der Verteilnetze und Photovoltaik-Prosumer erfolgreich miteinander verbunden. Dieser technologische Schritt hilft der gesamten Energiebranche, zukünftig Photovoltaikspeicher intelligent betreiben zu können sowie Flexibilitätsmanagement im Netz umzusetzen. Darüber hinaus ist es möglich, dezentrale Erzeugungsanlagen intelligent vernetzen und steuern zu können und eine Kommunikation mit intelligenten Verbrauchsanlagen zu ermöglichen. Ein iMSys stellt die einzig technische Voraussetzung dar, die es ermöglicht, auf dem Regelenergiemarkt, innerhalb des Bereichs der Prosumer zu agieren.

IKZ-ENERGY: Wem würden Sie zum Einbau eines intelligenten Messsystems heute schon raten, auch wenn er nicht dazu verpflichtet ist? Unter welchen Voraussetzungen macht das Sinn?

André Seifert: Der Gedanke eines Vollrollouts ist aus meiner Sicht am charmantesten, da nur so die Lücke zwischen dezentralen Erzeugungsanlagen und Verbrauchern geschlossen wird. Außerdem kann das Lastmanagement zukunftsorientiert und in Gänze gestaltet werden.

IKZ-ENERGY: Welche weiteren Entwicklungen sind im Bereich der intelligenten Messsysteme in Zukunft zu erwarten?

André Seifert: Mit Blick in die Zukunft sollte hier an dieser Stelle wieder zwischen Anwendungsfällen und technischer Weiterentwicklungen unterschieden werden. Konkrete Anwendungsfälle finden sich innerhalb der Wohnungswirtschaft wieder, welche zuvor bereits erläutert wurden. Außerdem sind noch folgende Entwicklungen zu erwarten: spartenübergreifender Messstellenbetrieb, Primärenergieregelleistungen, intelligentes Lagemanagement, Steuerung von Smart-Home-Komponenten, zentrales Instrument für Post-EEG-Anlagen sowie Mieterstrom-Modelle.

Hinsichtlich der technischen Weiterentwicklung können SMGW gewisse standardisierte Anwendungsfälle unterstützen. Perspektivisch werden alle Tarifanwendungsfälle durch diese unterstützt. Die iMSys sollen Daten direkt an die Marktteilnehmer übersenden und nicht mehr über das Backend des Messstellenbetreibers.

Die Fragen stellte Dittmar Koop, Journalist für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

 


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