Wärmeverbrauch um mehr als 40 % gesunken
Virtueller Stromspeicher wird mittels effizienter Gebäudeautomationstechnik gesteuert
Im Rahmen eines Sonderprogrammes zur energetischen Sanierung und Modernisierung von Gebäuden und Einrichtungen hat das Land Baden-Württemberg in Kooperation mit der Südwestdeutschen Stromhandelsgesellschaft GmbH (SüdWestStrom) von 2014 bis 2015 an der Hochschule für Polizei in Biberach ein Pilotprojekt durchgeführt, bei dem ein neues Energiekonzept zur Strom- und Wärmeerzeugung zum Einsatz kam: Es wurde ein virtueller Stromspeicher eingerichtet, der zum Ausgleich saisonaler Schwankungen in der Stromerzeugung beiträgt und eine flexible Reaktion auf die Marktverhältnisse erlaubt. Neben der Ausgleichswirkung für das öffentliche Netz reduziert die Anlage den Energieverbrauch für die Wärmebereitstellung im Vergleich zur früheren Lösung mit zwei Gaskesseln um über 40 %.
Der im Zuge der Energiewende notwendige Umbau des deutschen Energiesystems mit dem langfristigen Ziel einer nachhaltigen Versorgung möglichst ohne CO2-Emissionen erfordert u. a. eine verstärkte Investition in Forschung und Entwicklung. Das Land Baden-Württemberg realisiert in diesem Zusammenhang in seinen Liegenschaften innovative Energiekonzepte und -modelle, beispielsweise auch an der Polizeihochschule in Biberach: Der „Virtuelle Stromspeicher“ ist ein Pilotprojekt, das im Rahmen eines Sonderprogramms zur energetischen Sanierung und Modernisierung von Gebäuden und Einrichtungen durchgeführt wird, und geht auf eine Initiative von SüdWestStrom zurück. Das rund 2,3 Mio. Euro teure Projekt setzt sich mit der Problematik auseinander, dass dem schwankenden Bedarf der Verbraucher zunehmend eine regenerative Energieversorgung mittels Wind- und Solarstrom gegenüberstehen wird, die naturgemäß nicht planbar ist. Künftig werden sich Zeiten mit regenerativen Stromüberschüssen mit Phasen abwechseln, in denen fast der gesamte Bedarf aus Speichern oder konventionellen Anlagen gedeckt werden muss. Die Entwicklung von Speichertechnologien ist deshalb eine der großen Herausforderungen der heutigen Zeit.
Flexible Nutzung und Orientierung am Strompreis
Für Biberach wurde nun ein neues Energiekonzept entwickelt, das eine stärkere Flexibilisierung des Stromverbrauchs, Stromspeicherung und intelligente Verknüpfung verschiedener Energieverbrauchssektoren miteinander verbindet. Es leistet somit einen wichtigen Beitrag dazu, langfristig eine ausgeglichene Balance zwischen Stromerzeugung und Verbrauch zu erzielen: Grundlage des virtuellen Stromspeichers ist eine Kombination aus zwei BHKWs, elektrischen Wärmeerzeugern (Wärmepumpe und Elektrokessel), Solarabsorber und Warmwasserwärmespeichern, die intelligent gesteuert werden. Neben der flexiblen Nutzung des Stroms ist auch ein neuartiges Stromeinkaufsmanagement Bestandteil des Projekts: In Zeiten mit teurer Energie werden die eigenen BHKWs über Gas betrieben und der erzeugte Strom direkt in der Liegenschaft genutzt. Überschüsse lassen sich ins Netz einspeisen. Sobald im Markt günstiger Strom verfügbar ist, kann damit über eine Wärmepumpe und/oder einen Elektrokessel Wärme erzeugt werden. So wird Erdgas gespart und im öffentlichen Erdgasnetz bis zum Einsatz der BHKWs zur Stromerzeugung „zwischengespeichert“. Durch die intelligente Steuerung der Anlage kann flexibel auf die jeweiligen Marktverhältnisse reagiert werden.
Effiziente Mess-, Steuer- und Regelungstechnik
Eine entscheidende Grundlage für den effizienten Einsatz beziehungsweise Betrieb der Systeme bildet die Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, die in der gesamten Anlage installiert wurde. Für eine webbasierte Visualisierung des Heizkraftwerks mit Wärmeerzeugern, Pumpen und Stellgliedern sorgt außerdem eine Gebäudemanagementsoftware. „Die Wärmeerzeuger sind dabei über Modbus RTU-Schnittstellen eingebunden“, erklärt Thomas Schleher, Leiter Planung und Vertrieb Systems bei der Sauter-Niederlassung Stuttgart, verantwortlich für die Mess-, Steuer- und Regeltechnik. Die Steuerung des virtuellen Stromspeichers erfolgt durch SüdWestStrom in Kooperation mit Vermögen und Bau sowie dem Nutzer vor Ort.
Die Einsatzzeiten der einzelnen Aggregate und die Bewirtschaftung des Wärmespeichers werden dabei durch eine übergeordnete Regelungsstrategie festgelegt. Grundlagen der täglich neu zu erstellenden Fahrpläne sind u. a. die Witterungsdaten und das spezifische Nutzerverhalten. Diese Informationen werden in der Gebäudemanagementsoftware dargestellt. Zudem fließen die prognostizierten Stundenpreise an der Strombörse mit ein: Dieses Vorgehen führt zu günstigen wirtschaftlichen Ergebnissen und sorgt gleichzeitig für einen Ausgleich im öffentlichen Stromnetz, da die Stundenpreise an der Börse die Nachfrage- und Erzeugungssituation sehr gut widerspiegeln.
Schnittstelle für Optimierungsfunktionen
Für die Optimierung über das preisorientierte Lastmanagement wurde eigens eine Schnittstelle zur Steuerung des virtuellen Kraftwerks von SüdWestStrom implementiert. „Werden die Optimierungsfunktionen freigegeben, fordert diese Steuerung die einzelnen Wärmeerzeuger mittels Lastprognosen an“, erklärt Schleher. Unabhängig von diesen Anforderungen soll die Versorgungssicherheit der Polizeihochschule durch eine BHKW-Automationsstation sichergestellt werden. Reicht die durch Vorgaben des virtuellen Kraftwerks erzeugte Wärme nicht aus, werden zusätzliche Erzeugereinheiten zugeschaltet.
Ist die Optimierungsfunktion deaktiviert, tritt für die Liegenschaft eine Nullbezugsregelung in Kraft. D.h., es wird nur so viel Strom mit den BHKWs produziert, wie die gesamte Liegenschaft verbraucht. „Steigt der Strombezug der Anlage über einen einstellbaren Grenzwert EIN (in kW), so wird das BHKW angefordert und regelt den Strombezug der Anlage auf null aus“, so Schleher. „Ist der Strombezug geringer als die Grundlast des BHKWs, wird es abgeschaltet.“ Wenn der Strombezug der Anlage einen einstellbaren Grenzwert AUS (in kW) unterschreitet, wird es ebenfalls abgeschaltet. Reicht die Abwärme der BHKWs nicht für die Wärmeversorgung aller Gebäude aus, wird der Gaskessel zugeschaltet.
Bilder, sofern nicht anders angegeben:
Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Ulm
Deutliche Reduktion des Wärmeverbrauchs
Mit dem hier vorgestellten Konzept konnte nicht nur eine Ausgleichswirkung für das öffentliche Stromnetz erzielt werden, auch der Energieverbrauch für die Wärmebereitstellung der Liegenschaft ließ sich im Vergleich zur früheren, konventionellen Wärmeerzeugung durch zwei Gas-Heizkessel um über 40 % reduzieren. In den nächsten Jahren wird das Pilotprojekt an der Polizeihochschule und dieses spezielle Versorgungsprinzip von der Fachhochschule Biberach weiter wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Zu diesem Zweck wurde eine eigene ModbusSchnittstelle im System angelegt, über die die Wissenschaftler alle relevanten Daten auslesen können.