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VDI 6023 Blatt 2: Empfehlung oder das Maß aller Dinge?

Eine Stellungnahme des Fachverbandes SHK NRW

Aus Sicht des Fachverbandes SHK NRW handelt es sich bei der VDI 6023 Blatt 2 zumindest aktuell um eine private Richtlinie mit Empfehlungscharakter – nicht mehr und nicht weniger. Entspricht eine Gefährdungsanalyse nicht allen Anforderungen der VDI 6023 Blatt 2, wohl aber den Vorgaben der Trinkwasserverordnung, so ist die Gefährdungsanalyse als ordnungsgemäß zu betrachten. Bild: VDI

„Allein die Beteiligung interessierter/betroffener Kreise an ihrer Entwicklung verleiht der Empfehlung nicht den Status von allgemein anerkannten Regeln der Technik“, stellt Felicitas Flossdorf, Referentin Recht im Fachverband SHK NRW, klar. Bild: Fachverband SHK NRW

 

Mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung von Gefährdungsanalysen ist im Januar 2018 die VDI 6023 Blatt 2 im Weißdruck erschienen. Das Papier macht konkrete Vorgaben zu Struktur und Aufbau einer Gefährdungsanalyse. Grundsätzlich ist die Richtlinie zu begrüßen, denn sie bietet eine Hilfestellung für den Praktiker und kann Leitplanken für eine bundesweit einheitliche Struktur von Gefährdungsanalysen schaffen. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die VDI 6023 Blatt 2 zumindest derzeit noch keine allgemein anerkannte Regel der Technik sein kann, auch wenn mit Erscheinen der Richtlinie deren „Gültigkeit als allgemein anerkannte Regel der Technik“ mitgeteilt wurde.

Zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „allgemein anerkannte Regeln der Technik“ wird in der Praxis häufig auf technische Regelwerke zurückgegriffen. Hierbei ist aber zu beachten, dass weder VDI-Richtlinien noch DIN-Normen Rechtsnormen sind, sondern lediglich private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Solchen Technischen Normen kann somit keine zwingende „Bindungswirkung“ im Hinblick auf die Konkretisierung der „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ zukommen. Sie können die „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ zwar wiedergeben, jedoch auch hinter diesen zurückbleiben.
Ungeachtet dessen haben technische Regelwerke in der Praxis eine besondere Relevanz, weil eine widerlegbare Vermutung dafür spricht, dass diese Normen die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Um diese (widerlegbare) Vermutung für sich beanspruchen zu können, müssen aber bestimmte Voraussetzungen gegeben sein.
Nach der Rechtsprechung ist eine technische Regel erst dann als allgemein anerkannt zu bezeichnen, wenn sie sich

  • in der Wissenschaft als (theoretisch) richtig durchgesetzt hat
  • und darüber hinaus auch in der (Bau-)Praxis erprobt ist und sich dort überwiegend bewährt hat.

Erfüllt die VDI 6023 Blatt 2 die Voraussetzung für eine allgemein anerkannte Regel der Technik?
Zunächst muss es sich überhaupt um eine technische Regel handeln. Bei den durch die VDI 6023 Blatt 2 vorgegebenen formalen Anforderungen an die Erstellung eines Gutachtens dürfte schon zweifelhaft sein, ob es sich um technische Sachverhalte handelt, die den Charakter einer allgemein anerkannten Regel der Technik erlangen können. Hinzu kommt, dass mit der Richtlinie nicht etwa der unbestimmte Rechtsbegriff „allgemein anerkannte Regel der Technik“ ausgefüllt wird, wie er sich in vielen Gesetzen und Verordnungen befindet, beispielsweise in § 17 Abs. 1 Trinkwasserverordnung (TrinkwV). Vielmehr wird die Gefährdungsanalyse selbst sowie ihr Ablauf, Aufbau und Mindestinhalt beschrieben. Dabei hat schon der Verordnungsgeber in § 3 Nr. 13 der TrinkwV die Gefährdungsanalyse definiert, sodass eigentlich ein Bedürfnis für die Formulierung weiterer Voraussetzungen fehlt. Die Auslegung solcher Definitionen obliegt den Gerichten und nicht privaten Organisationen, wie etwa dem DIN oder eben dem VDI.
Unabhängig von diesen Bedenken sind aber jedenfalls die in der Rechtsprechung verlangten und oben dargestellten Voraussetzungen für eine allgemein anerkannte Regel der Technik nicht erfüllt. Denn der VDI 6023 Blatt 2 fehlt es bis dato schlicht an der praktischen Bewährung. Es genügt nicht, wenn eine Regel im Fachschrifttum oder in einem Expertenkreis vertreten wird. Sie muss auch Eingang in die Praxis gefunden haben und sich dort überwiegend bewährt haben. Allein die Beteiligung interessierter/betroffener Kreise an ihrer Entwicklung verleiht der Empfehlung nicht den Status von allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Zusammenfassung
Aus Sicht des Fachverbandes SHK NRW handelt es sich bei der VDI 6023 Blatt 2 zumindest aktuell um eine private Richtlinie mit Empfehlungscharakter – nicht mehr und nicht weniger. Sie bietet eine praktische Hilfe zur fachgerechten Durchführung und Dokumentation einer Gefährdungsanalyse und stellt damit ein hilfreiches Instrument dar.
Entspricht eine Gefährdungsanalyse nicht allen Anforderungen der VDI 6023 Blatt 2, wohl aber den Vorgaben der Trinkwasserverordnung, so ist die Gefährdungsanalyse als ordnungsgemäß zu betrachten. Nach § 3 Nr. 13 TrinkwV ist eine Gefährdungsanalyse die systematische Ermittlung von Gefährdungen der menschlichen Gesundheit sowie von Ereignissen oder Situationen, die zum Auftreten einer Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch eine Wasserversorgungsanlage führen können. Der Fachkundige schuldet dem Auftraggeber daher eine belastbare und vollständige Bewertung der Trinkwasser-Installation. Diese Feststellungen sind jedoch nicht an eine besondere Form oder gar Reihenfolge gebunden. Ebenso wenig werden durch die Trinkwasserverordnung bestimmte Vorgaben im Hinblick auf die Qualifikation des Erstellers von Gefährdungsanalysen gemacht. Es dürfte sich aber bereits etabliert haben, dass eine fachliche Qualifikation in Sachen Trinkwasserhygiene erforderlich ist, die im Zweifel durch entsprechende Nachweise dargelegt werden muss. Eine spezielle Zertifizierung, quasi als „Gefährdungsanalyst“ nach VDI 6023 Blatt 2, ist nach Auffassung des nordrhein-westfälischen SHK-Fachverbandes nicht erforderlich, wenn der Fachkundige seine Qualifikation auf anderem Wege nachweisen kann.

Autorin: RA’in Felicitas Flossdorf, Referentin Recht, Fachverband SHK NRW

www.shk-nrw.de

 


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