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Mehrwertsteuersatz auf Handwerkerleistungen 7%?

PRO/CONTRA

 

Ende letzten Jahres wurde das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom Bundestag verabschiedet. Zwei Wochen später beriet die Länderkammer (Bundesrat) darüber und stimmte ebenfalls zu - nach tagelangen Querelen. Damit setzen Union und FDP ihr erstes Steuersenkungspaket um. Die Entlastungen von jährlich bis zu 8,4 Mrd. Euro sollen ab Januar 2010 greifen. Familien und Unternehmen profitieren davon - und das Hotel und Gaststättengewerbe: Denn seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt für Übernachtungen nur noch der verringerte Mehrwertsteuersatz von 7% (statt bisher 19%). Ein Steuergeschenk - nur für das Gastgewerbe - von fast 1 Mrd. Euro. Und da Steuergeschenke immer und von jedem gerne angenommen werden, weckt die Mehrwertsteuerdiskussion erneut zu Begehrlichkeiten - auch im Handwerk. Doch in Deutschland tut sich nichts. Und das, obwohl selbst die EU bereits im Sommer 2008 (also vor etwa eineinhalb Jahren) vorgeschlagen hat, die Mehrwertsteuer auf arbeitsintensive Dienstleistungen zu senken. Etliche Mitgliedsstaaten wenden die Regelung bereits an. Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) befürwortet die mögliche Mehrwertsteuerreduzierung. Aber die derzeitige deutsche Regierungskoalition (CDU und FDP) ist nicht zu bewegen. Ein Grund genauer hinzusehen: Was spricht für eine Mehrwertsteuersenkung, was spricht dagegen?

 


Das Handwerk in Deutschland ist wesentlicher Teil unseres Mittelstandes und der Mittelstand ist nach wie vor das Rückgrat unserer Wirtschaft. Im Jahr 60 der Bundesrepublik Deutschland kann man sagen, dass dies unser Land stark gemacht hat, und die Politik, auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene, gut daran tut, nicht nur auf die Wünsche der Großen zu schauen, sondern die Rahmenbedingungen gerade für das Handwerk und die Mittelständler vernünftig zu gestalten.
Im Mai letzten Jahres hat der Europäische Rat, meiner Meinung nach zu Recht, eine Richtlinie angenommen, nach der allen Mitgliedstaaten die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf bestimmte, lokal erbrachte arbeitsintensive Dienstleistungen gestattet wird. Damit hat Deutschland nun die Möglichkeit, einen reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7% für eben solche Leistungen einzuführen.
Ich halte das für sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll, ja sogar für notwendig. Wir befinden uns nach wie vor in der größten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Ein reduzierter Mehrwertsteuersatz würde zusätzliche Nachfrage schaffen - und damit Arbeitsplätze sichern, neue entstehen lassen und zu einer Reduzierung der Schwarzarbeit beitragen. Der Anteil der Schwarzarbeit liegt nach Berechnungen von Experten bei 14,6% des Bruttoinlandsprodukts. Die Wirtschaftskrise wird diese Zahlen wohl weiter steigen lassen. 38% des illegal erwirtschafteten Umsatzes entfallen auf die Bereiche Baugewerbe und Handwerk. Eine Mehrwertsteuerreduzierung hätte insbesondere in diesen Bereichen eine hohe Wirkung und würde Wachstumskräfte freisetzen.
Wachstum schafft Arbeit. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sind der Schlüssel zu vernünftigen und bezahlbaren Sozialsystemen, geringen Lohnzusatzkosten und Steuereinnahmen für den Staat. Eine Senkung des Mehrwertssteuersatzes führt zwar zwangsläufig zu Steuerausfällen, die jedoch in Form von Zusatzeinnamen durch Steuern und Sozialabgaben sowie durch eine Verringerung der Transferleistungen für weniger Arbeitslose kompensiert werden könnten.
Die größte Herausforderung unserer Zeit stellt der Klimawandel dar. Wir müssen es schaffen, unsere Emissionen signifikant zurückzufahren, um den nachfolgenden Generation einen lebenswerten Planeten zu überlassen. Ein ungebremster Klimawandel würde zu dramatischen Folgen und zu Kosten ungekannten Ausmaßes führen. Daher haben wir sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene ambitionierte Klimaschutzziele vereinbart. An der energetischen Sanierung von Gebäuden führt daher kein Weg vorbei. Und durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz müssen wir gerade diese Leistungen dringend verbilligen, um Anreize zur Durchführung zu schaffen.
Durch fachgerechtes Sanieren und moderne Gebäudetechnik können bis zu 80% des Energiebedarfs (und damit gleichzeitig Emissionen und Nebenkosten) eingespart werden. Ein reduzierter Mehrwertsteuersatz macht insbesondere deshalb Sinn, weil wir durch die Gebäudesanierung wesentliche Teile unserer Klimaschutzziele erreichen können.


Mit der Umsatzsteuerermäßigung für Beherbergungsleistungen lösen CDU/CSU und FDP ein Wahlkampfversprechen gegenüber der Hotellerie ein. Diese Förderung von Einzelinteressen zum Nachteil anderer Branchen ruft zu Recht eine öffentliche Diskussion über Ziele und Folgen derartiger Steuersenkungen hervor.
Da die Absenkung des Steuersatzes für die Unternehmer kostenmindernd wirkt, ist das Eigeninteresse der jeweiligen Branchen gut nachvollziehbar. Ihre Wünsche werden aber auch von Bürgerinnen und Bürgern unterstützt, die unmittelbare Preissenkungen als Folge einer ermäßigten Umsatzbesteuerung erwarten. Diese Hoffnungen wurden verstärkt durch die jüngste Ausdehnung des Anwendungsbereichs ermäßigter Steuersätze in der Europäischen Union. Seit Juni 2009 können die Mitgliedstaaten ausgewählte, lokal erbrachte Dienstleistungen unbefristet steuerlich begünstigen.
Volkswirtschaftliche Untersuchungen belegen aber, dass die Preise selbst bei direkter Anbieter-Kunden-Beziehung in Relation zur steuerlichen Entlastung allenfalls mäßig und immer nur vorübergehend sinken. Weil Verbraucherinnen und Verbraucher von einer solchen Steuerpolitik tatsächlich nicht profitieren, führt sie weder zu einem anhaltenden zusätzlichen Wachstumsimpuls, noch einem spürbaren Rückgang der Schwarzarbeit. Aktuell ist dies in Frankreich zu beobachten, wo - ebenfalls ein Wahlkampfversprechen - der Steuersatz für die Gastronomie gesenkt wurde. Die im Gegenzug von den Verbänden bereitwillig zugesagten Preissenkungen, Lohn­erhöhungen und neuen Arbeitsplätze bleiben aus.
Für das Baugewerbe ist die mögliche Steuersenkung begrenzt auf die "Renovierung und Reparatur von Privatwohnungen mit Ausnahme von Materialien, die einen bedeutenden Teil des Wertes der Dienstleistung ausmachen". Eine solche Ermäßigung wäre zwangsläufig nicht nur äußerst bürokratisch, sondern auch gestaltungs- und damit streitanfällig. Anders als bei der einkommensteuerlichen Begünstigung der Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen nach §35a EStG wäre jedoch der Unternehmer für die korrekte Rechnungsstellung gegenüber der Finanzverwaltung beweispflichtig.
Zweifelsohne verkompliziert jede neue Umsatzsteuerermäßigung das deutsche Steuerrecht. Vor allem aber stellt sie eine willkürliche branchenspezifische Subvention dar. Die schwarz-gelbe Koalition blieb eine Antwort auf die Frage schuldig, warum sie Hoteliers, Campingplatzunternehmer und Landwirte, die "Ferien auf dem Bauernhof" anbieten, für förderungswürdiger hält als etwa das SHK-Handwerk. Deshalb wird die Kritik am Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes in Deutschland bis zu einer öffentlich diskutierten Neukonzeption nicht verstummen. Wer zwecks Gegenfinanzierung dabei allerdings sozialpolitisch begründete Steuerermäßigungen streichen will, wird auf den erbitterten Widerstand der SPD treffen.
In ihrer Regierungszeit hat die SPD gezeigt, dass eine erfolgreiche Mittelstandspolitik nicht auf das unzureichende Instrument der ermäßigten Umsatzbesteuerung angewiesen ist. Zielgenauer, nachhaltiger und damit für die öffentlichen Kassen kostengünstiger sind unsere Maßnahmen, die die Nachfrage nach Handwerksleistungen erhöhen wie §35a EStG oder das zweite Konjunkturpaket. Und die Anhebung der Umsatzgrenze für die Ist-Besteuerung stärkt bundesweit und insbesondere branchenunabhängig die Liquidität kleiner und mittlerer Unternehmen.

 

 


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