„Es müsste noch mehr sein“
Jens J. Wischmann, Geschäftsführer der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft e.V., im Interview mit der IKZ
Es ist kaum zu fassen: Im vergangenen Jahr reichte der Fördertopf des KfW-Zuschussprogramms 455-B „Altersgerecht Umbauen“ gerade einmal für das erste Halbjahr. Eine nachträgliche Aufstockung gab es nicht. Jens J. Wischmann, Geschäftsführer der Vereinigung Deutsche Sanitärindustrie (VDS), fordert schon lange eine Verstetigung der Förderung. IKZ-Chefredakteur Markus Sironi sprach mit ihm über den aktuellen Status quo in Sachen KfW-Förderung, den Stellenwert des Bades und die Akzeptanz barrierefreier Bäder hierzulande.
IKZ-HAUSTECHNIK: Der Investitionszuschuss der KfW-Bankengruppe für Maßnahmen zur Barrierereduzierung erfreut sich seit Jahren schon großer Nachfrage. Doch die Fördergelder reichen regelmäßig nicht, um die Nachfrage zu decken. Im vergangenen Jahr war der Fördertopf bereits im Juni leer. Wie schaut es in diesem Jahr aus?
Jens J. Wischmann: Mit großer Irritation haben wir zur Kenntnis genommen, dass sich im Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 2022 – trotz des hohen Bedarfs an altersgerecht umgebauten Wohnungen – keine Mittel zur KfW-Zuschussförderung des altersgerechten Umbaus von Wohnhäusern und Wohnungen mehr fanden. Dies widersprach auch dem Koalitionsvertrag, der zurecht einen noch weiter verstärkten Einsatz für altersgerechtes Wohnen, Barriereabbau und die Aufstockung der entsprechenden Mittel für das KfW-Programm vorsieht.
Wir waren der Auffassung, dass bei allem Verständnis für die fiskalischen Herausforderungen durch eine forcierte Energiewende andere zukunftssichernde und gesellschaftlich relevante Investitionen nicht unter den Tisch fallen dürfen, denn Inklusion funktioniert nicht ohne Barrierefreiheit. Betroffen von dieser Mittelstreichung wären ausgerechnet die Schwächsten in unserer Gesellschaft, ältere Menschen und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen gewesen.
Den drohenden Wegfall und den damit verbundenen Wortbruch der Bundesregierung im laufenden Haushaltsjahr wollten wir daher nicht einfach hinnehmen. Die Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft e. V. (VDS), der Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) und Interessenvertretungen von Wohneigentümern und Wohneigentümerinnen, Seniorinnen und Senioren appellieren daher in einer gemeinsamen Pressemitteilung für die Fortführung des Zuschussprogramms.
Darüber hinaus verliehen VDS und ZVSHK in einem Brief an die Politik dieser Forderung Nachdruck und forderten die Fortführung des KfW-Zuschussprogramms und dessen Ausstattung mit einem Fördervolumen von mindestens 150 Mio Euro im Haushaltsjahr 2022.
Erfreut haben wir jetzt vernommen, dass unsere Bemühungen hinsichtlich einer Weiterführung des KfW-Programms 455-B „Altersgerecht Umbauen“ Früchte tragen: Mit Inkrafttreten des Bundeshaushaltes Ende Juni stehen für dieses Jahr insgesamt 75 Mio Euro zur Verfügung.
Wichtig ist jetzt allerdings, dass das Förderprogramm verstetigt und, wie im Koalitionsvertrag vereinbart sowie von uns gefordert, mit deutlich mehr Mitteln ausgestattet wird. Wir werden diesbezüglich also auf jeden Fall am Ball bleiben.
IKZ-HAUSTECHNIK: Hat sich an den Modalitäten oder am Förderzuschuss etwas geändert?
Jens J. Wischmann: Bei den Modalitäten hat es im Vergleich zu den Vorjahren keine Veränderungen ergeben. Die KfW übernimmt bis zu 10 % der förderfähigen Kosten. Damit sind maximal 5000,-Euro Zuschuss pro Wohneinheit erreichbar. Werden mehrere Maßnahmen zur Barriere-Reduzierung durchgeführt, sind bis zu 12,5 % Zuschuss möglich – maximal also 6250,-Euro. Der Mindest-Invest pro Wohneinheit beträgt 2000,-Euro.
IKZ-HAUSTECHNIK: Wie wichtig ist das Thema Barrierefrei-Förderung überhaupt für den privaten Verbraucher oder – im größeren Maßstab – für Investoren? Steht aktuell nicht eher der Handwerkermangel im Fokus? Es dauert bisweilen Monate, ein Angebot zu bekommen – egal ob SHK, Elektro oder Dachdecker.
Jens J. Wischmann: Richtig, Fachkräfte sind momentan Mangelware, aber genau deshalb sollte eine frühzeitige Planung und Beauftragung durch den Verbraucher durch eine Förderung unterstützt werden. Die in den vergangenen Jahren rege Beantragung dieser KfW-Mittel – es war das bestlaufendste Programm in diesem Bereich – zeigt, dass die Menschen ein stärkeres Bewusstsein für die Reduzierung von Barrieren entwickelt haben. Dies bestätigte auch eine von der KfW in Auftrag gegebene Studie des Instituts für Wohnen und Umwelt, die diesem Programm eine hohe Wirksamkeit für altersgerechtes Umbauen und darüber hinaus positive volkswirtschaftliche Effekte zuschrieb: Durch den barrierereduzierten Umbau und die Möglichkeit des Verbleibs in der eigenen Wohnung würden stationäre Pflegekosten von jährlich ca. 100 Millionen Euro gespart.
IKZ-HAUSTECHNIK: Bleiben wir im Sanierungsmarkt. Aktuell sollen nur 1,5 % der Wohnungen in Deutschland altersgerecht ausgestattet sein. Bis 2035 werden einer Studie des Instituts für Wohnen und Umwelt zufolge rund zwei Mio. altersgerechte Wohnungen fehlen. Wenn Handwerker überall knapp sind, wer bitte soll die Gebäude sanieren?
Jens J. Wischmann: Da benennen Sie in der Tat die größte Herausforderung für die Branche, übrigens angesichts der gleichzeitigen ambitionierten Klimaziele nicht nur im Sanitärbereich. Der Zentralverband Sanitär Heizung Klima hat ja bereits den Bedarf von 60 000 zusätzlichen Monteuren pro Jahr errechnet, um bis 2030 alle Ziele umzusetzen. Es geht also nur mit einerseits mehr Beschäftigten, anderseits setzen wir auch sehr auf Rationalisierungsmaßnahmen wie Vorfertigung, Modulelemente, Digitalisierung des Badprozesses und neue Montagetechniken. Hier liegen durchaus noch ungenutzte Potenziale, wie mir auch Praktiker in der Branche immer wieder berichten.
IKZ-HAUSTECHNIK: Wo wir gerade bei Zahlen sind. Wie hoch schätzen Sie das Bad-Renovierungspotenzial in Deutschland?
Jens J. Wischmann: Hier muss ich auf unsere leider immer noch aktuelle Badstudie von 2017 verweisen. Danach wurden 17,7 Mio. „Erstbäder“ seit dem Bau bzw. Bezug des Hauses noch nicht renoviert. Ihr Durchschnittsalter liegt bei fast zwei Jahrzehnten – 19,5 Jahre – und das sind nur die Angaben der Verbraucher, die ihr Bad meistens deutlich jünger schätzen, als es in der Realität der Fall ist. Wir gehen eher von einem Durchschnittsalter von 20 Jahren plus x aus! Das trifft besonders auf die über 2 Mio. Bäder zu, die sogar seit mehr als 30 Jahren laut befragter Endkunden „unberührt“ sind.
Und auch bei der Frage der Alterstauglichkeit bzw. Barrierefreiheit hat sich leider nicht viel verändert. Danach waren 2017 lediglich 17 % der Bäder „voll und ganz“ für ältere Menschen bequem nutzbar. Demzufolge wären nur in etwa 6 Mio. der insgesamt 36 Mio. bewohnten Wohnungen in Deutschland ein Bad vorhanden gewesen, das die Bezeichnung „altersgerecht“ ohne Abstriche verdient. Von denjenigen, die über kein altersgerechtes Bad verfügen, gaben 11 % an, einen entsprechenden Umbau definitiv oder vielleicht zu planen. Allein das entsprach einem realen Bedarf an etwa 1,8 Mio. (neuen) Bädern – und das sieht heute immer noch so aus, siehe die von Ihnen bereits genannte IWU-Studie.
Einen weiteren wichtigen Aspekt, der erst in den letzten Jahren in den Fokus gerückt ist, möchte ich ebenfalls erwähnen: das Thema Pflegebad! Auch wenn wir natürlich möglichst lange autonom unser Bad nutzen wollen – und dies dank altersgerechter Ausstattung auch tun können. Irgendwann bedarf es doch der – dann hoffentlich weiterhin häuslichen – Pflege. Wie sehen die Anforderungen an das Bad dann aus, ist es nicht auch ein Arbeitsplatz mit entsprechendem Raum- und Ausstattungsbedarf? All diesen Fragen nimmt sich gerade ein Projekt des ZVSHK an, inklusive der Marktchancen, die sich daraus ergeben. Über Potenzial und Arbeitsmangel kann sich die Sanitärbranche daher auch künftig nicht beklagen.
IKZ-HAUSTECHNIK: Das klingt nach jahrzehntelanger zukünftiger Arbeit fürs Handwerk. Die Frage lautet also: Wie lässt sich eine Badsanierung schneller und dennoch individuell realisieren?
Jens J. Wischmann: Ich erwähnte ja bereits die Rationalisierungspotenziale im Badprozess, wie Digitalisierung der Bauakte, Vorfertigung, Modultechnik etc. Hier ist schon eine ganze Menge passiert und muss auch noch weiter passieren. Auf der diesjährigen Fachmesse IFH/Intherm konnte man im Forum sehr interessante Präsentationen von jungen Start-up Unternehmen gerade zu diesem Bereich sehen. Ich glaube eine neue Inhabergeneration in den Handwerks-aber auch Handelsunternehmen steht diesen Dingen aufgeschlossener gegenüber, zumal die Industrie rationelle Montagetechnik und einbaufreundliche Produkte immer mehr berücksichtigt. Ich hoff e, auf der nächsten ISH in Frankfurt werden wir hierzu eine Menge an Innovationen sehen.
IKZ-HAUSTECHNIK: Bleiben wir beim Handwerk. Was das Thema Barrierefreies Bad angeht, so wird dem Flaschenhals Handwerk gern eine Mitschuld an diesem Dilemma gegeben. Sehen Sie einen Mangel an geschulten SHK-Betrieben oder macht aufgrund der hohen Energiepreise aktuell die Heizung das Rennen im Sanierungsmarkt? Für die Heizungssanierung stehen überdies ausreichend Fördergelder zur Verfügung. Und es ist kein Geheimnis, dass sich über diese Fördertöpfe auch einträgliche Geschäft e generieren lassen. Leidet der Stellenwert des Bads vielleicht darunter?
Jens J. Wischmann: Nein, eine „Schuld“ des SHK-Handwerks sehe ich nun wirklich nicht, ganz im Gegenteil. Denn ohne all die aktiven Betriebe, die sich seit Jahren vor Ort um individuelle barrierefreie Lösungen bemühen und die die ganzen beantragten Förderungen ja auch erst umgesetzt haben, sähe es deutlich schlechter aus. Ich behaupte, dass wir im internationalen Vergleich sogar auch und vor allem dank des SHK-Handwerks beim privaten Barrierefreien Bad einen Spitzenplatz besetzen. Aber klar, es müsste noch mehr sein!
Die großzügige Förderkulisse bei der Heizung und das Thema Energie überhaupt bergen natürlich die Gefahr, dass zurzeit Sanitär und damit auch barrierefreie Umbauten in den Hintergrund gedrängt werden. Aber ich bin überzeugt, dass das SHK-Handwerk durchaus die Kraft hat, auch weiterhin beides zu stemmen. Wir als Sanitärbranche wollen in jedem Fall weiterhin proaktiv unseren Beitrag zur nachhaltigen Schaffung von altersgerechtem Wohnraum schaffen.
IKZ-HAUSTECHNIK: Angesichts der Rahmenbedingungen stellt sich durchaus die Frage, wie sich mehr SHK-Handwerksbetriebe für barrierefreie Bäder gewinnen lassen?
Jens J. Wischmann: Ich glaube, dass es darum gehen muss, etwaige Schwellenängste bei dem Thema zu überwinden. Beim Handwerk, das zu viele zu beachtende Vorschrift en und Probleme im Kundenkontakt befürchtet und beim Verbraucher, der Angst hat, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich einem Fachmann (oder Fachfrau!) anzuvertrauen.
Die von VDS und ZVSHK ins Leben gerufenen Initiative „Aktion Barrierefreies Bad“ (ABB) leistet hier einen immens wichtigen Beitrag. Im Rahmen ihrer produkt- und herstellerneutralen Aufklärungsarbeit wollen wir zunächst auf das Thema überhaupt aufmerksam machen und es in die Öffentlichkeit bringen. Neben Studien und Projekten stehen im Mittelpunkt unserer Aktivitäten aktuelle Informationen über Anforderungen und Ausstattungen von barrierefreien Bädern.
Und dann wollen wir natürlich bei der Umsetzung allen helfen. Dazu gibt die ABB verschiedene Informationsmaterialien sowohl für Fachleute als auch Endverbraucher heraus, die kostenlos abrufbar sind. An der Spitze steht der Ratgeber für vorausschauende Badplanung mit dem Titel „DAS MODERNE BAD: Komfortabel. Sicher. Barrierefrei.“ Auf 40 Seiten liefert die Broschüre einen detaillierten Überblick über die relevanten Punkte barrierefreier Bäder inklusive vieler Checklisten und Tipps. Auch unsere Webseite bietet viele Informationen und Hilfestellungen, z. B. bei den Fördermaßnahmen, die ein interessierter Handwerksbetrieb nutzen kann.
IKZ-HAUSTECHNIK: Barrierefreie Bäder dürft en ein durchaus lukratives Geschäftsfeld für globale Anbieter sein. Sehen Sie mittelfristig die Gefahr, dass externe Anbieter dieses Geschäftsfeld entdecken und dann in Konkurrenz zum Handwerk gehen könnten?
Jens J. Wischmann: Eher weniger, wenn es um wirklich durchdachte, fachgerechte Komplettlösungen geht, die förderfähig sind. Zusammen mit dem ZVSHK haben wir gegenüber der Politik sehr drauf gedrungen und werden dies weiterhin tun, dass es eines Qualifizierungsnachweises für den Einbau gerade beim sensiblen Thema Barrierefreiheit und Altersgerechtheit bedarf. Die Verbraucher vertrauen uns, es geht um Sicherheit!
Was allerdings zu befürchten ist, ist dass im niederschwelligen Bereich von einzelnen Hilfsprodukten Dritte auf den Markt drängen. Wettbewerb begrüßen wir natürlich, aber Fachkompetenz und Sicherheit spielen auch hier eine Rolle. Die SHK-Branche und vor allem das SHK-Handwerk sollten daher den Schulterschluss mit den entsprechenden Wohnberatungs- und ähnlichen Informationsstellen suchen und sich den Verbrauchern als Ratgeber und Umsetzer empfehlen. Denn auch das er gab die Bad-Studie: Bei denen, die einen Umbau planen, genießen die Bad-Profis einen großen Kompetenzvorsprung. 68 % wollen sich über altersgerechte Bäder bei Sanitär-Fachbetrieben und 45 % in Bad-Fachausstellungen informieren.
IKZ-HAUSTECHNIK: Welche Möglichkeiten haben Fachbetriebe, sich in Sachen barrierefreie Bäder nachhaltig und neutral zu qualifizieren?
Jens J. Wischmann: Neben den einschlägigen Weiterbildungskursen, die die Hersteller anbieten und die aus unserer Erfahrung alle sehr praxisnah und kompetent das Thema behandeln, gibt es auch die Möglichkeit der Spezialisierung. Mehrere tausend Innungsbetriebe haben sich bereits zum „Fachbetrieb Barrierefreies Bad“ qualifizieren lassen. Diese Auszeichnung garantiert dem Kunden, dass er im Bereich Barrierefreiheit mit besonderer Kompetenz rechnen darf. Dazu gehört die individuelle Beratung aus einer Hand, die Planungskompetenz, professionelles Handwerk, umfassendes Produktwissen, Wartungskompetenz und die fachliche Qualifikation mittels des Haus- und Gebäude-Checks „Barrierefreies Bad“ zu jeder Zeit, detailliert Auskunft über den aktuellen Stand der Barrierefreiheit des eigenen Bades zu geben. Weitere Infos und Auskünfte – auch über das E-Learning dazu – gibt es über die SHK-Fachverbände und den ZVSHK.
IKZ-HAUSTECHNIK: Für die abschließende Frage entfernen wir uns ein wenig vom bisherigen Kernthema und blicken auf die experimentelle Plattform Pop up my Bathroom. Die gemeinsame Initiative der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft und der Messe Frankfurt war in den vergangenen Jahren stets ein belebender, inspirierender Bestandteil der ISH, die ja bekanntlich im kommenden Jahr stattfinden wird. Ist eine Fortsetzung geplant?
Jens J. Wischmann: Pop up my Bathroom wird auch zur ISH 2023 die zentrale Event-Plattform für Handwerker, Badplaner und Architekten sein, und wir werden auch wieder wichtige Trends und Entwicklungen zum Diskurs beisteuern. Eins kann ich heute schon verraten: Das Thema Nachhaltigkeit wird wieder eine wichtige Rolle spielen. Immer mehr Bauherren fordern aktiv eine nachhaltige Badplanung. An das Handwerk werden zu diesem Thema ganz neue Anforderungen gestellt. Unser Trendforum Pop up my Bathroom hat dies schon lange vorausgesagt, und nun scheint das Thema auch in breiten Kundenkreisen angekommen zu sein. Die gute Nachricht ist, dass unsere Branche beim Thema Green Bathroom große Ausrufezeichen setzen kann. Nur haben wir bislang das Thema Nachhaltigkeit im Verkaufsprozess nicht sehr prominent eingesetzt. Wir stellen im Verlauf des Jahres weitere Trends für das Badezimmer vor – es wird definitiv spannend zur ISH 2023.
www.aktion-barrierefreies-bad.de