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Ein Meilenstein für nachhaltiges Bauen - Die Normierung von Lehmbaustoffen

Einer der ältesten und traditionsreichsten Baustoffe der Welt wurde nach 42-jähriger Abstinenz in Deutschland wieder in den erlauchten Kreis der DIN-Normen aufgenommen. Somit sind seit fast einem Jahr wieder verbindliche Baunormen für den Lehmbau in Deutschland in Kraft.

Wohnraumgestaltung mit Stampflehmwänden und Stampflehm-Fußboden.

Integrierter Pellet-Primärofen in einer Wand mit grobem Lehmputz.

Erste Lehmputzlage auf einer Wandflächenheizung auf einen Untergrund aus Vollziegelmauerwerk im Rahmen einer Wohnraumerneuerung.

Wassergeführter Kaminofen in einer Stampflehmwand.

Lehmputz mit Leinölfirnis im Spritzbereich eines Handwaschbeckens.

Ausbildung: Fachkraft für Lehmbau

 

Diese neue, dreiteilige Normenreihe gilt für Lehmsteine, Lehmmauer- und Lehmputzmörtel. Damit ist der älteste Baustoff der Menschheit, Lehm, endlich wieder  im zeitgenössischen Bauen angelangt und wird dieses absehbar mannigfach bereichern. Die praktische Erfahrung im Umgang mit dem Baustoff Lehm in Ausführung und Nutzung, insbesondere im Bereich der Denkmalsanierung und des ökologischen Bauens, schlängelt sich als roter Faden durch die Baugeschichte. Man denke nur an die Fachwerkkultur und historische Gebäude, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas, wie auch in der Welt.
Der Fachwerkbau war in Mitteleuropa nie ausgestorben, sondern hat sich in der heutigen Zeit z.B. im Holz-Leichtbau weiterentwickelt. Die kongeniale Baustoffverbindung Holz und Lehm kann nunmehr ohne die zwischenzeitlich bestehenden baurechtlichen Hürden nicht nur in privaten, sondern auch in öffentlichen Bauten nachhaltig umgesetzt werden.
Im ökologisch orientierten Bauen hat Lehm aus vielerlei Gründen traditionell eine breite Nutzung erfahren. Nicht nur wegen der absoluten Recyclingfähigkeit, seinen hygro-thermischen Eigenschaften für das Wohnklima, den niedrigsten aller Primärenergiefaktoren, sondern ebenso ob seiner umfassenden Unbedenklichkeit und Verfügbarkeit, wurde Lehm von der Baubiologie stets als Premium-Baustoff postuliert. Jedoch konnte die Skepsis der Anwender neuzeitlich etablierter Baustoffe kaum umfassend beseitigt werden. Und für viele konventionelle Handwerker, die dem ausschließlichen Diktum der Bauwirtschaft hörig sind, ist es immer noch „Dreck“, der an die Wand geschmiert werden soll.
Innovative und in ihrer fachlichen wie handwerklichen Kompetenz autonome Handwerker haben sich besonders in den letzten Dekaden einen Innovationsvorteil erarbeitet, der nun seine Früchte tragen wird, da für den Baustoff Lehm die Grundlage geschaffen wurde, sich aus einem Nischenmarkt in der umfassenden Bauwerksgestaltung frei zu entwickeln. Mit der DIN-Normierung wird nun ein Großteil der Vorbehalte überwunden werden. Der Lehmbau wird damit vollständig und unumkehrbar in die Struktur des heutigen Baugewerbes integriert, auch wenn es vereinzelt noch Akteure mit ihrer ganz eigenen Definition von „Dreck“ geben mag. Auf höchster staatlicher Ebene – quasi amtlich – wird der Baustoff Lehm nun mit der gleichen Ernsthaftigkeit, Seriosität und Gleichberechtigung behandelt wie andere Baustoffe, die sich als ungleich weniger nachhaltig erweisen.
Durch die DIN-Normierung wurden auch die Grundlagen geschaffen, um diesen Baustoff unbedingt auch in die Ausbildung des ausführenden Handwerks nachhaltig zu integrieren. „Um diese Anerkennung und bauaufsichtliche Legitimation wird Deutschland von so manchem Lehmbau-Praktizierenden aus europäischen Nachbarländern beneidet, denn die Normierung des Lehmbaus ist nicht die Bürokratisierung des Lehmbaus, sondern das Ende von Ignoranz und Willkür und eine entscheidende Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit“, kommentiert der Dachverband Lehm (DVL) e.V. Über die Wettbewerbsfähigkeit hinaus untermauert dieses Faktum auch die Zukunftsfähigkeit des Bauens im Sinne der Nachhaltigkeit überhaupt.

Geschichte des modernen Lehmbaus

In der zweiten Hälfte des vorherigen Jahrhunderts gab es in den geteilten deutschen Staaten BRD und DDR Standards zu Lehmbaustoffen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde im Januar 1951 die DIN 18951 „Lehmbauten Vorschriften für die Ausführung” eingeführt. Zu dieser Zeit war man froh um jeglichen Baustoff und mochte auf Lehmbaustoffe nicht verzichten. Zunächst wurden diese Regelwerke in der Deutschen Demokratischen Republik anerkannt, jedoch setzten sich bald eigene Regularien durch.  
Als zwanzig Jahre später in der Nachkriegszeit – vom Wirtschaftswunder beflügelt – die Jahrtausende alten und traditionsreichen Lehmbaustoffe 1971 durch die Rückziehung der DIN 18951 „Lehmbauten Vorschriften für die Ausführung” recht rüde aus unserer Baukultur verbannt wurden, begann keineswegs eine glorreiche Zeit des Bauens. Die Negativ-Ergebnisse wurden bald schon als „Gifthäuser“ bezeichnet, was sich bis hin zum „Sick-Building-Syndrom“ auswucherte. Manche Baustoffwunder aus dieser Zeit sind heute als Sondermüll und als massiv gesundheitsgefährdend entlarvt. Selbstbestimmte Bauherren und einige wenige Handwerker suchten allerdings damals schon nach Alternativen, dabei spielten natürliche Baustoffe wie Lehm von alters her eine bedeutende Rolle.
Freilich war es jene Gegenbewegung dieser Zeit, allen voran die Baubiologie, die nachhaltige Alternativen zum ökologischen Bauen und Siedeln entwickelte und voranbrachte. Dennoch  verlief die in diesen Jahren einsetzende Wiederentdeckung des Lehmbaus auf streng baurechtlich unklaren Grundlagen. Naturgemäß entwickelten sich die Anwendungen vor allem im Privatbau und der Sanierung von Bestandsgebäude nicht nur in Denkmälern weiter fort. Alte Traditionen wurden durch die Möglichkeiten technischer Innovationen weiterentwickelt. Bald schon wurde aus dem Baustoff, der ausschließlich auf der Baustelle zubereitet wurde, ein in vielfältiger Weise industriell vorgefertigter Baustoff, wie z.B. verschiedene Lehmputze, Lehmsteine, Trockenbauplatten usw.
Aus diesem Grund ist es – unter Betrachtung der enormen Bedeutung von Normen in unserem Land nicht nur im baurechtlichen Sinne – in der Tat von großer Reichweite, dass diesem in Sachen Nachhaltigkeit fürwahr unschlagbaren Baustoff die grundlegende Gleichberechtigung für die bauliche Anwendung nun zukommt!  Grundlage dafür waren zweifellos die Lehmbauregeln, die 1998 vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) zur bauaufsichtlichen Einführung in den Bundesländern empfohlen wurden, nachdem diese vom 1992 in Weimar gegründeten Dachverband Lehm e.V. (DVL) als aktuelle bauaufsichtliche Grundlage formuliert wurden.

Die Lehmbauregeln als Prolog

Für den Denkmalschutz und die Sanierung von alten, erhaltenswerten Gebäuden, war der Lehmbau immer präsent. Umso wichtiger waren hierfür auch die Lehmbauregeln, die aus dem Sammelsurium der verschiedenartigsten Bau- und Herstellungsweisen, inkl. regionaler Unterschiede in der Ausführung, eine zeitgemäße Grundlage zum Stand der Technik im modernen Lehmbau lieferten. Somit umfassten die Lehmbauregeln, die im Jahre 2005 ihre dritte Überarbeitung erfuhren, eine allgemeine Einführung nach Anwendungsbereichen und Begriffen, sowie Hinweisen zur Planung, Bauleitung und Herstellung. Das Material Baulehm wird aus seinen geologischen Grundlagen, den Lehmarten und Lehmlagerstätten über die Gewinnung und Prüfungsverfahren von Baulehm beschrieben und definiert. Die Prüfverfahren reichen hierbei von den traditionellen „einfachen Versuchen“ – wie sie über Jahrhunderte sich bewährt hatten – bis hin zu modernen Prüfverfahren in bautechnischen Laboren.
In der Abteilung „Lehmbaustoffe“ wurden Begriffe, Kennzeichnungen (Deklaration), Zusammensetzungen und Baustoffbezeichnungen wie Stampflehm (STL), Wellerlehm (WL), Faserlehm (FL), Strohlehm (SL), als auch Leichtlehm (LL), Lehmschüttungen (LT), Lehmsteine (LS), Lehmplatten (LP) und Lehmmörtel (LM) definiert. Ebenso wird die Verwendung, Zusammensetzung, Herstellung bzw. Aufbereitung sowie die Prüfung beschrieben.
Die Abteilung „Lehmbauteile“ umfasst tragende Wände, Gewölbe, nichttragende Wände und Ausfachungen (insbesondere für Fachwerkhäuser), Balkendecken und Ausfachung von Dachschrägen, Lehmputze, Stampflehmfußböden, Bekleidung im Trockenbau und sonstige Bauteile. Die Abteilung „Baustoff- und Bauteilwerte“ widmet sich der Rohdichte, der Druckfestigkeit und den thermischen, als auch hygrischen Eigenschaften, dem Brandverhalten sowie dem Schallschutz und schließt mit der Abteilung „Vertragsbedingungen für Lehmbauleistungen“.
Mit der Überarbeitung der „Lehmbau Regeln 2005“ und der darin vorgeschriebenen Deklaration der wichtigsten Eigenschaften von im Werk hergestellten Lehmbaustoffen war der Weg zur Normierung von Lehmbauprodukten beschritten. Zwischen 2011 und 2013 wurden an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) die fachlichen Grundlagen der jetzt neuen Normen entwickelt. Hierzu wurden neue Materialprüfverfahren entwickelt und eingeführte Verfahren angepasst. Ferner wurden Verfahren zur Bewertung von Umwelteigenschaften und raumklimatischer Wirksamkeit (Feuchtesorption) definiert.
Für die Verarbeitung der normierten Baustoffe bleiben die seit 1998 gültigen Lehmbauregeln verbindlich, die auch den Umgang mit nicht genormten Lehmbaustoffen regeln.

Die drei Lehmbau-Normen 2013

Diese inhaltlich weit gediehene Vorarbeit bildete die Grundlage für den im Jahr 2011 vom DVL am Deutschen Institut für Normung (DIN) initiierten Arbeitsausschuss Lehmbau. Sie trug mit dazu bei, dass die nunmehr veröffentlichte Norm in bemerkenswert kurzer Vorlaufzeit von nur 20 Monaten auf den Weg gebracht werden konnte. Seit dem 1. August 2013 sind die folgenden nationalen Normen für im Werk hergestellte Lehmbaustoffe veröffentlicht:

  • DIN 18945 „Lehmsteine – Begriffe, Anforderungen, Prüfverfahren”,
  • DIN 18946 „Lehmmauermörtel – Begriffe, Anforderungen, Prüfverfahren”,
  • DIN 18947 „Lehmputzmörtel – Begriffe, Anforderungen, Prüfverfahren”.

Darüber hinaus werden in der Anwendungsnorm DIN 18550 Lehmmörtel zukünftig ebenso wie Zement-, Kalk- und Gipsmörtel behandelt. Ähnliches ist für die entsprechende Europäische EN 13914-2 geplant. Ulrich Röhlen, Vertreter des DVL im Normungsausschuss sagt hierzu: „Zukünftig können Lehmputzarbeiten ganz Norm-konform und offiziell ausgeschrieben werden. Damit wird ein echter Wettbewerb mit den etablierten Putzsorten möglich und gibt dem Verarbeiter wie dem Bauherren Sicherheit.”
Die Lehmbau-Normen ermöglichen dem nun gleichberechtigten Baustoff, all seine Vorteile auszuspielen. Die detaillierten Inhalte der neuen Lehmbau-Normen sind auf der Webseite des Normenausschusses Bauwesen kostenpflichtig abrufbar. Tipp: Die für Planer und Anwender relevanten Informationen sind in der zweiten Auflage des Fachbuches „Lehmbau Praxis“ von Prof. Dr. Christof Ziegert und Ulrich Röhlen zu finden. Beide saßen als Obmann und Stellvertreter dem Normausschuss vor. Veröffentlicht wird es vom Beuth-Verlag, der auch alle Normen des DIN herausbringt.

Thermischer Ausgleich mit Lehmmassen

Schon lange haben sich massive Lehmbauwände besonders im Holz-Leichtbau als wärmespeichernde Massen herumgesprochen, nicht nur, um durch thermische Regulation im umbauten Raum das thermische Verhalten zum Wohle der thermischen Behaglichkeit für die Bewohner und Nutzer, sondern ebenso die passive Solarnutzung zu optimieren. Um die thermische Regulationsfähigkeit von Lehm weiß von alters her jeder Besitzer eines Lehmkellers. Dafür eigenen sich Wände und Mauern aus Lehmsteinen der unterschiedlichsten Rohdichten (DIN 18945 und DIN 18946) oder Stampflehm.

Thermisch aktivierte Lehmbauteile

Auf Grundlage der hervorragenden Eignung von Lehmputzen für Wandflächenheizungen bietet der Markt bereits industriell hergestellte Lehmbauplatten für den Trockenbau, aber auch mit integrierten Heizungsrohren in verschiedenen Ausführungen und Standard-Maßen für eine Wandflächentemperierung, die sich besonders auch in der Modernisierung eignen. Im Zusammenhang mit einer aktiven Bauteiltemperierung werden die Normen die praktische Umsetzung und Weiterentwicklung erleichtern.
Thermische aktivierte Bauteile, wie sie im Forum Wohnenergie seit einigen Jahren (Wohnwärmeskulpturen, solare Bauteiltemperierung, usw.) schon entwickelt werden, könnten nun auch den Weg aus der Manufaktur zu einer Serienherstellung finden. Dabei sind die wohnklimatischen und thermischen Eigenschaften von Lehm besonders wirksam umsetzbar. In reversibler Betriebsweise können solche Bauteile, ob als Trennwand, Raumteiler, oder Wärmeskulptur, auch für eine passive Kühlung im Sommer genutzt werden.
In der Hauptsache eignen sich Lehmsteine für die Herstellung von thermisch aktivierten Bauteilen, in deren Kern ein Wärmeübertrager integriert wird. Der Materialaufbau und die Art der Zuschläge bestimmen dabei die zeitliche Dauer (Phasenverschiebung) des Wärmestroms. Somit kann ein solches Bauteil so ausgebildet werden, dass beispielsweise solare Wärmeerträge über den Tag in das Bauteil eingespeist werden, um gegen Abend, wenn vor allem in der Übergangszeit gern schon Heizwärmebedarf besteht, den Wärmestrom an die Oberfläche des Bauteils zu bringen und somit den Innenraum zu temperieren. Stampflehmwände oder Lehm-Schalenwände eigenen sich ebenso für eine thermische Aktivierung des Baustoffes Lehm.

Oberflächengestaltung mit Lehmbaustoffen

Für die Gestaltung von Oberflächen und deren Aufbauten ist die DIN 18947 für Lehmputzmörtel relevant. Sie verbessern auch in Kombination mit anderen mineralischen Baustoffen wesentlich das Raumklima, nicht nur wegen des thermischen Ausgleichs, sondern auch ob des Vermögens zur Feuchtepufferung und der Absorption von Gerüchen. Diese Eigenschaften werden nicht nur in privaten Wohnräumen, sondern zusehends auch in anderen Räumen wie Büro- und Verwaltungsgebäuden, Kindertagesstätten und Schulen umgesetzt.

Fazit

Die Veröffentlichung der ersten Lehmbaunormen ist ein großer Schritt zum nachhaltigen Bauen. Relevante Vorteile sind dabei der absolut niedrige Primär­energieaufwand zur Herstellung, die regionale Verfügbarkeit, die Schadstofffreiheit und die umfassende Recyclingfähigkeit und Wiederverwendbarkeit. Weitere Aspekte sind die wohnklimatischen Vorteile und thermischen Eigenschaften, ebenso wie das Feuchtepuffervermögen. Die unzähligen Vorteile dieses Baustoffes können nun umfassend auf Grundlage dieser baurechtlichen Stärkung vollkommen gleichberechtigt neben anderen Baustoffen weiter entwickelt werden.

Autor:
Frank Hartmann

Regelwerke:

Lehmbau Regeln; Dachverband Lehm e.V. (Hrsg.);
Vieweg +Teubner Verlag, Wiesbaden
DIN-Normenreihe DIN 18945 - DIN 18946?-?DIN 18947, (DIN) Beuth Verlag, Berlin

Literaturhinweise:

Lehmbau-Praxis; Röhlen, U., Ziegert, C., Beuth Verlag, Berlin
Handbuch Lehmbau; Minke, G.; Ökobuchverlag, Staufen bei Freiburg
Bauen mit Leichtlehm; Volhard, F.; Springer-Verlag, Wien
Lehmbau; Schroeder, H.; Vieweg + Teubner Verlag, Wiesbaden
Lehm im Innenraum; Pilz, A. (Hrsg.); Fraunhofer IRB-Verlag, Stuttgart
Lehm- und Kalkputze; Fromme I./Herz U.; Ökobuchverlag, Staufen bei Freiburg
Baubiologische Haustechnik; Hartmann F.; VDE-Verlag, Berlin


Links im Internet
Dachverband Lehm (DVL) e.V., www.dachverband-lehm.de
Deutsches Institut für Normung (DIN), www.din.de
Institut für Baubiologie und Ökologie (IBN), www.baubiologie.de

 


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