Der Mieterstrom-Marathon
Das Potenzial im Mieterstrom wird bei Weitem nicht gehoben – ein Update
Es ist das große Ziel von Mieterstrom, dass auch die Bewohner von Mehrparteienhäusern an der Energiewende teilhaben und von ihr profitieren. Doch die Entwicklung des Mieterstrommarktes gleicht einem Marathonlauf: Es braucht einen langen Atem zur Durchsetzung. Dennoch, mit einer guten Vorbereitung und Weitblick können schon heute erfolgreich Projekte umgesetzt werden.
2019 ist der Photovoltaikmarkt laut Bundesverband Solarwirtschaft um fast ein Drittel gewachsen. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 2 Mio. Photovoltaik- (PV)-Anlagen. Kaum erkennbar ist aber der Anteil im Mieterstrom. Laut Bundesnetzagentur gab es zum Stand Februar 2020 bundesweit gerade einmal 1575 PV-Mieterstromanlagen. Dass Maßnahmen zu Anlagen-Förderungen, das Gebäudeenergiegesetz und das Klimapaket sowie die Nachfrage nach Ladelösungen für Elektroautos das Mieterstrom-Interesse nicht stärker beflügeln, liegt vor allem an politisch verursachten Unsicherheiten. Immer wieder werden Förderungen und Gesetze nachjustiert oder der Ausbau großer PV-Anlagen verhindert. Es ist ein Hin und Her zwischen Fördern und Bremsen, das den Mieterstrommarkt auf der Stelle treten lässt.
Die größte Hürde ist die Politik
Energieversorger und Installationsbetriebe sind zunehmend erfahren in der Umsetzung mit Mieterstromprojekten. Die Zusammenarbeit mit Netzbetreibern und die Genehmigungen von Messkonzepten laufen besser. Noch vor einem Jahr war es bspw. schwer, Wärmepumpen in die Kundenanlage zu integrieren und so den Betrieb im Eigenverbrauch zu steigern und gleichzeitig mit einem speziellen Wärmepumpentarif auf Basis eines unterbrechbaren Zählers den Reststrombedarf zu decken. Das ist heute anders und macht Mieterstrom immer attraktiver.
Politisch zeigt sich ein widersprüchliches Bild: Einerseits werden die KfW40- und die KfW40-Plus-Förderung verdoppelt, im Gebäudeenergiegesetz soll die Sektorenkopplung unterstützt werden und über die ab 2021 geltende CO2-Bepreisung wird der Einsatz fossiler Energieträger benachteiligt. Andererseits droht mit dem 52-GW-Solardeckel eine schwere Förderlücke, die auch Mieterstromprojekte verzögert.
Ähnlich verhält es sich mit der Nachjustierung der Mieterstromförderung. Sie wurde 2017 ins Leben gerufen, um Mieterstrom zu unterstützen, hat jedoch die gewünschte Wirkung bislang verfehlt. Basierend auf dem Mieterstrombericht des Bundeswirtschaftsministeriums im Herbst 2019 sollten bis zum Jahresende konkrete Maßnahmen abgeleitet werden. Was aber nicht geschah.
Auf Länder- und auf lokaler Ebene wird der Mieterstromausbau vielerorts konsequenter unterstützt. In Baden-Württemberg und in Berlin etwa wird über eine Pflicht diskutiert, auf Neubauten Solaranlagen zu errichten. In einzelnen Städten wie Tübingen gibt es das schon. Auch die verpflichtende Errichtung von Ladesäulen ist ein Thema.
Weitere Hürden im Mieterstrom
Die offizielle Anerkennung eines Lieferkettenmodells kann in einigen Fällen die Umsetzung von Mieterstrom unterstützen. Eine unmittelbare Lieferbeziehung zwischen Erzeuger und Letztverbraucher darf nicht länger Fördervoraussetzung sein. Schließlich will und kann nicht jeder, der eine PV-Anlage betreibt, zum Stromversorger werden.
Auch herrscht oft Unklarheit darüber, was genau eine Kundenanlage ist. In der Folge werden teilweise PV-Anlagen auf unterschiedlichen Gebäuden automatisch zusammengefasst, obwohl sie technisch nicht zusammenhängen. Das hat zur Folge, dass beispielsweise fünf Anlagen mit je 20 kWp aggregiert werden können und damit in die ab 100 kWp geltende, verpflichtende Direktvermarktung fallen. Das macht einzelne, kleinere Mieterstromanlagen unwirtschaftlich.
Vernetzte, ganzheitliche Mieterstromprojekte
Unabhängig von der politisch verursachten Unsicherheit bieten vernetzte, dezentralen Strom, Wärme und Mobilität umfassende Energiekonzepte schon heute viele Vorteile im Mieterstrom – für Bewohner, Immobilienbesitzer und Städte und Gemeinden.
Wird die erzeugte Solarenergie in verschiedenen Sektoren genutzt, steigert das den Direktverbrauch. Angesichts der ab 2021 geltenden CO2-Bepreisung in Wärme und Mobilität macht sich das in den kom-menden Jahren für Immobilienbesitzer und ihre Bewohner finanziell deutlich bemerkbar. Das Delta zum öffentlichen Strompreis und zu fossilen Brennstoffen wächst. Hier können Vermieter die Attraktivität ihrer Immobilie über die Nebenkos ten neu definieren, z. B. über die kombinierte Energieversorgung. Dazu zwei Anregungen.
Zwei Beispiele aus der Praxis
Florian Henle hat bereits Anfang 2019 in der IKZ-Energy 1/2 zum Thema Mieterstrom einen Beitrag geschrieben. Damals lag der Schwerpunkt auf der Technik: Kombination von PV mit Wärmepumpen. Diese dürfte nur noch attraktiver werden – auch im Mieterstrom. Was hemmt, sind die wechsellaunigen Rahmenbedingungen. Das hält aber nicht davon ab, kreative Vorzeige-Projekte zu schaffen, zwei Beispiele aus der Praxis:
Beispiel I: Sozialer Wohnungsbau. Mit einer kombinierten Mieterstromversorgung wurde eine neue Immobilie im geförderten Wohnungsbau in Karlsfeld bei München für die Zukunft gerüstet. Eine 99,84 kWp-Anlage versorgt 59 Haushalte und eine Gewerbeeinheit mit Haushaltsstrom sowie zusätzlich zwei Wärmepumpen. Ein Speicher mit einer Leistung von 126 kWh unterstützt die Stromautarkie. Die Mieter profitieren von geringen Energiekosten – sowohl bei der Strom-, als auch bei der Wärmeversorgung. Verglichen zum Grundversorgertarif sinken die Stromkosten im Mittel um 80 Euro je Haushalt und Jahr. Die Wärmekosten liegen um rund 70 % niedriger als bei einem Standardgebäude nach EnEV.
Beispiel II: Passivhaus-Wohnanlage im neuen Stadtquartier. Im Münchner Prinz- Eugen-Park entstehen derzeit 7 Gebäude nach KfW40 Plus-Standard mit insgesamt 65 Eigentums-Wohnungen. Versorgt werden sie mit Strom aus einer 110 kWp Solarstromanlage und einem 131 kWh Speicher. Zusätzlich werden Ladestationen in der Tiefgarage integriert. So laden die Bewohner ihre Elektroautos ebenfalls mit Sonnenenergie. Bild: Shutterstock
Erstens: Mehr Wärmepumpen statt BHKWs
Gerade bei energieeffizienten Gebäuden reicht die Wärmeerzeugung über Wärmepumpen immer öfter aus. Indem Wärmepumpen Solarstrom nutzen, statt dass dieser ins öffentliche Netz eingespeist wird, unterstützen sie eine effiziente Energieversorgung. Im neuen Gebäudeenergiegesetz soll die Nutzung von Photovoltaikstrom zum Betrieb von Wärmepumpen positiv auf den Primärenergiefaktor angerechnet werden. Dazu soll ein pauschaler Betrag vom Jahres-Primärenergie - bedarf abgezogen werden können, abhängig von der installierten Nennleistung. Er liegt mit PV-Anlage bei maximal 20 % des errechneten Primärenergiebedarfs und mit PV-Anlage und Stromspeicher bei maximal 25 %. Zusätzlich wird die Installation von Wärmepumpen über die BAFA-Förderungen zum Heizen mit Erneuerbaren Energien seit diesem Jahr stärker gefördert.
Zweitens: Mehr Ladestationen für Elektroautos
Ladestationen in ein Mieterstromkonzept einzubinden macht aus vielerlei Sicht Sinn: Zum einen steigern sie den Direktverbrauch der lokal erzeugten Energie, zum anderen eröffnen sie neue Serviceleistungen mit zusätzlichen Einnahmequellen für den Immobilienbesitzer und mit Preisvorteilen beim Laden für die Bewohner.
Bei der Integration von Ladestationen in das Energiekonzept gilt dem Lademanagement ein besonderes Augenmerk. Um die Anschlussleistung einzuhalten, bedarf es entweder eines statischen oder eines dynamischen Lastmanagements. Der Unterschied liegt darin, ob bei Erreichen einer gewissen Ladeleistung hart abgeriegelt wird oder ob multidimensionale Faktoren berücksichtigt werden. Letzteres macht die Steuerung naturgemäß effizienter, aber eben auch aufwendiger und teurer.
Ein Fazit und ein Ausblick
Die 2017 eingeführte Mieterstromförderung sollte die Nutzung vor Ort erzeugten Stroms fairer machen. Schließlich zahlen Haushalte, die Mieterstrom beziehen, die volle EEG-Umlage – Einfamilienhausbesitzer, die Photovoltaikstrom vom eigenen Dach nutzen, jedoch nicht. Indem die Mieterstromförderung an die Einspeisevergütung für Solarstrom gekoppelt ist und darauf einen einheitlichen Abschlag von 8,5 Ct bzw. 8,0 Ct für den Anlagenanteil größer 40 kWp pro kWh erhält, hat sich der finanzielle Vorteil inzwischen erübrigt. Dieser Umstand muss im Sinne des Mieterstrom-Ausbaus geändert werden.
Weitere Vorschläge der Energie- und Wohnungswirtschaft, um Mieterstromprojekte zu fördern, betreffen den Abbau von steuerlichen Hemmnissen. Die Änderung des Gewerbesteuergesetzes soll beispielsweise verhindern, dass Immobilienbesitzer durch Mieterstrom gewerbesteuerpflichtig werden.
Besonders die Umsetzung vernetzter Energiekonzepte mit Mieterstrom hat einen wichtigen Einfluss auf die Klimaschutzziele im Gebäudesektor. Gleichzeitig bieten sie viele Chancen, die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern und Wohnkosten zu senken. Obgleich eine fundierte Vorbereitung und Betreuung im Mieterstrom immer entscheidend sein wird, müssen die Rahmenbedingungen zügig erleichtert werden. Bleibt es beim Mieterstrom-Marathon, ist die Umsetzung weiterhin nur wenigen Leuchtturmprojekten vorbehalten.
Autor: Florian Henle, Geschäftsführer der Polarstern GmbH