Werbung

„Blockchains sind existenziell für den Umbau auf Erneuerbare“

Interview mit Karl-Heinz Remmers, CEO der Solarpraxis AG (Berlin), zum Thema Blockchains in der Energiewirtschaft

„Die Blockchain-Technologie wird den Energiemarkt revolutionieren, weil über sie ein Direkthandel von Energie abseits traditioneller Finanz- und Konzernstrukturen möglich ist.“ (Remmers) Bild: Pixabay

„Bis der Toaster seinen Strom direkt bei der PV-Anlage nebenan bestellt – so das überhaupt sinnvoll ist und real wird – gibt es viele technische Hürden und vor allem eine völlige Umstellung der Gesetzeswelt zu überwinden.“ (Remmers) Bild: Pixabay

„Sonnen oder auch andere Communities orientieren sich an der Regulierungswelt und bauen ihre Modelle darum herum. Damit ist aber (noch) kein Geld zu verdienen – es geht derzeit darum zu zeigen, was man machen kann.“ (Remmers) Bild: Sonnen

„Der strombasierte Energiesektor wird zu 100 % digitalisiert, von der Messung bis zur Abrechnung von Leistungen aller Art. Es wird eine Steuerung der Systeme in Echtzeit entstehen, die zusammen mit künstlicher Intelligenz die x-Mio. Erzeuger mit den x-Mio. Verbrauchern vernetzt und die fluktuierenden Erzeuger Wind und Sonne zur Geltung bringt.“ (Remmers) Bild: Fotolia

„Bitcoin hat auf dem Weg einer globalen Währung auf Basis des ,Weltcomputers‘ – also der Computer der Benutzer, bereits viel erreicht. Noch ist Bitcoin brutal volatil und daher noch nicht massentauglich.“ (Remmers) Bild: Pixabay

Bild: Solarpraxis, Tom Baerwald

 

Eine jüngste Umfrage zum Thema Blockchains unter Energie-Experten am Rande eines Fachkongresses ergab, dass eine deutliche Mehrheit diese für „wichtig bis sehr wichtig“ hielten. In der Tat können Blockchains die Energieversorgung revolutionieren. Über die Möglichkeiten, die sich mit ihnen bieten, sprach IKZ-ENERGY-Redakteur Dittmar Koop mit dem Blockchain- und Bitcoin-Experten Karl-Heinz Remmers, Vorstand der Solarpraxis AG aus Berlin. Am Anfang steht die Frage, die wohl die meisten immer noch umtreibt: Was sind Blockchains überhaupt?

IKZ-Energy: Herr Remmers, alle Welt redet von Blockchains und dass sie immer wichtiger werden. Doch die wenigsten wissen, was eine Blockchain ist. Und die, die es wissen, können es oft nicht verständlich erklären, weil die Erklärungen wiederum mit Fachbegriffen vollgespickt sind, die keiner versteht. Können Sie uns erklären, was eine Blockchain ist und warum sie so vorteilhaft gegenüber allem Bisherigen ist?
Karl-Heinz Remmers: Im Grunde kann man Blockchains als öffentliche Bankkonten verstehen, die je nach Aufbau der jeweiligen Blockchain durchaus auf Tausenden von Rechnern weltweit verteilt sein können. Auch wenn das ein grober Vergleich ist: Es wäre so, als würden alle Ihre privaten Kontoauszüge z. B. 6000 Mal verteilt als Kopie vorliegen und jeder neue würde wiederum als solche Massen-Kopie vorliegen. Der Clou: Fallen 5999 Kopien aus, so kann man mit Kopie 6000 das gesamte System wiederherstellen.
Die Sicherheit ist aber noch eine andere: Ein rückwirkendes Umschreiben der digitalen Kopien würde bei der Blockchain auch mit den größten Rechenleis­tungen von außen nicht möglich sein. Das Ganze ist also kaum fälschbar, es ist nicht zu vernichten und jeder Mensch kann weltweit alle Transaktionen einsehen, denn es ist öffentlich.

IKZ-Energy: Aber wie bleibt dann die Anonymität der Teilnehmer und ihrer Handlungen gewahrt, wenn alles öffentlich ist?
Karl-Heinz Remmers: Die großen Blockchains sind fast immer eng mit Verschlüsselung der Nutzerdaten verknüpft. Ich kann also alle jemals getätigten Aktionen, z. B. Zahlungen, jederzeit ansehen, weiß aber nicht, wer hinter den Schlüsseln steckt.

IKZ-Energy: Wo kommen die Blockchains ursprünglich her?
Karl-Heinz Remmers: Die Grundidee ist recht alt und reicht mindestens in die 90er-Jahre zurück. Aber erst mit der Bitcoin-Blockchain beginnt 2008 das Ganze richtig. Es ist nach wie vor unklar, welche Programmierer die Kryptowährung Bitcoin damals als Antwort auf die zerstörerische Wirkung der globalen Finanzindustrie kreiert haben, aber mit der Bitcoin-Blockchain beginnt die Ära der Blockchains dort. Es ist wichtig festzuhalten, dass mit Bitcoin die erste globale Währung „von unten“ entstanden ist, mit der bereits jetzt ein Transfer und Werthaltung (bei brutalen Kursschwankungen allerdings) möglich ist. Mit dem Beginn der Etherum-Blockchain beginnt dann 2015 eine Blockchain, die breitere Anwendungen bietet – man kann sie ein bisschen mit einem Betriebssystem wie Linux vergleichen. 

IKZ-Energy: Was kann man sich vorstellen, mit Blockchains so alles zu tun?
Karl-Heinz Remmers: Damit kann man sich sehr viele Dinge vorstellen, die rund um Bewegungen, z. B. Stromkauf und -verkauf oder natürlich auch Währungstausch oder anderen Tauschformaten für beliebige Leistungen möglich sind. Zu den Blockchains gesellen sich meist die sogenannten „Smart Contracts“. Das sind keine Verträge im klassischen Sinn. Es handelt sich im Grunde genommen um Programmzeilen, die diese Bewegungen auf einer Blockchain automatisch ausführen, z. B. wenn der Strom von meinem Dach an den Kühlschrank des Nachbarn geliefert wird. In diesem Fall geschieht dann eine Bezahlung des Stroms.

IKZ-Energy:
Welche Möglichkeiten eröffnen Blockchains dem Energiesektor vor dem Hintergrund des Umbaus der Energieversorgung auf Erneuerbare?
Karl-Heinz Remmers: Diese Bausteine sind existentiell für ein System auf 100 % Erneuerbare Energien. Der strombasierte Energiesektor wird zu 100 % digitalisiert, von der Messung bis zur Abrechnung von Leistungen aller Art. Es wird eine Steuerung der Systeme in Echtzeit entstehen, die zusammen mit künstlicher Intelligenz die x-Mio. Erzeuger mit den x-Mio. Verbrauchern vernetzt und die fluktuierenden Erzeuger Wind und Sonne zur Geltung bringt. Jedes Stück Stromleitung wird im System bekannt sein und der Transport dieser Energien kann dann wie bei einer Art „Autobahnmaut“ abgerechnet werden. Diese Abrechnung kann mit Blockchains – je nach Entwicklung ganz oder teilweise in Hand der Nutzer – transparent für alle und ebenfalls in Echtzeit erfolgen. Wobei das möglicherweise kein europäisches Verbundnetz mehr ist: Je billiger Wind und Sonne in der Erzeugung werden und je billiger auch Langzeitspeicher, umso mehr werden Landkreise oder ganze Länder billiger (und auch sicherer) in der eigenen Region agieren, sich also vom teureren europäischen Verbundnetz abkoppeln. Schlicht auch, weil dieses anfälliger für Hacker-Angriffe ist. Doch auch die Regionalnetze werden eine digitale Steuerung und Abrechnung benötigen – vielleicht dann in Hand der Bürger vor Ort – wenn diese es wollen!

IKZ-Energy: Wie ist der Zusammenhang zwischen den Blockchains und den Energiecommunities, z. B. das Geschäftsmodell von Sonnen. Sind Communities bereits eine Ausprägung einer Blockchain oder nicht und falls nicht, warum nicht?
Karl-Heinz Remmers: Alle bisherigen Modelle sind im Prototypen-Stadium oder werden, aus meiner Sicht richtigerweise, aus dem Marketingbudget co-finanziert. Denn direkter Handel im klassischen Sinn „ich verkaufe den Strom an meinen Nachbarn“, wie es z. B. bei Solshare in Asien zwischen mehreren Solar-Home-Systems möglich ist, ist in Deutschland illegal. Wenn man das tut, wird man zum Energieversorger und dann gehen viele Probleme erst los. Sonnen oder auch andere Communities orientieren sich an der Regulierungswelt und bauen ihre Modelle darum herum. Damit ist aber (noch) kein Geld zu verdienen – es geht derzeit darum zu zeigen, was man machen kann und auch aufzuzeigen, dass die Rahmenbedingungen dringend schneller an die technischen Entwicklungen angepasst werden müssen.

IKZ-Energy: Ein weiteres Thema der Blockchains, Kryptowährung. Was bedeuten Bitcoins für die Energiewelt?
Karl-Heinz Remmers: Bitcoin hat auf dem Weg einer globalen Währung auf Basis des „Weltcomputers“ – also der Computer der Benutzer, bereits viel erreicht. Noch ist Bitcoin brutal volatil und daher noch nicht massentauglich. Vor allem kleine Transaktionen sind damit schwierig. Bitcoin wird sich sicher aber gerade ca. Sommer 2018 deutlich weiterentwickeln und ist bereits zur Referenzwährung bei der Ausgabe von anderen „Coins“ zur Unternehmensfinanzierung geworden, auch im Ener­giesektor. Um damit den Strom für den Toaster des Nachbarn abzurechen – also „Minimini“-Bezahlungen abzurechnen, dafür wird Bitcoin nicht das Richtige sein. Andere artverwandte Techniken können dafür besser passen. Der Technikwettlauf für diese Art Anwendung ist offen. Bitcoin ist aber der Beweis, dass „peer to peer“-Zusammenarbeit, also von Rechner zu Rechner, ein Tranfer, so wie einst Skype in der Telekommunikation, in der Lage ist, das gesamte Wirtschaftssystem zu verändern. Die Nutzer können die Kontrolle übernehmen – wenn sie es wollen.

IKZ-Energy:
Wer treibt die Blockchains im Energiesektor voran? Sind das die grauen Männer im Hintergrund? Blockchains fallen ja nicht vom Himmel...
Karl-Heinz Remmers: Wie schon beschrieben kann diese Technologie sowohl im Finanzwesen als auch in vielen anderen Bereichen, u. a. Energie von den Nutzern der Computer ohne zentrale Instanz funktionieren. Ihre Rechenleistung bezieht die Chain aus den ohnehin vorhandenen Rechnern der Nutzer, und je nach Ausgestaltung ist eine Blockchain dann immer eine demokratische Abrechnungseinheit in den Händen der Nutzer. Keine Zentralbank kann z. B. Bitcoin regulieren, auch regionale Währungen können zu 100 % transparent von Bürgern vor Ort gerechnet werden. So wie sie ihre Energie selbst erzeugen und austauschen. Dies entsteht bereits heute in netzfernen Gebieten. Große Teile der globalen Computer-Elite übrigens verrechnen ihre Leistungen bereits in Bitcoin und Co. Die grauen Männer hingegen erzählen allen erstmal, wie kriminell und gefährlich Bitcoin ist: „Sie können all ihr Geld verlieren“. Sie wollen bereits zu Beginn der Technik alles regulieren. Deutschland hat sogar Bitcoin-Geldautomaten, welche in diversen Ländern der EU völlig legal sind, verboten. Was für ein dummer Blödsinn. Denn wen sollte das schädigen? Und klar: Wer auf steigende Bitcoin zockt, kann all sein Geld verlieren. Wie mit allen Solaraktien aus den Nullerjahren. Also verbieten oder besser nochmal allen Klarmachen: Plötzlicher Reichtum ohne krasse Risiken ist auch mit Bitcoin und Co. nicht zu machen. Und dann ausnahmsweise mal auf mündige Bürger setzen. Inwieweit „alte“ Akteure die Technik besetzen wird sich zeigen – die Finanzindustrie kann nicht wirklich damit umgehen bisher und so wird manche Bank verschwinden. Was im Energiemarkt passiert, ist offen.

IKZ-Energy: Wenn schon eine Art OpenSource... Nennen Sie uns doch bitte ein paar Namen, z. B. von Start-Ups, die an vielversprechenden Blockchain-Geschäfts­modellen zur Energieverteilung arbeiten?
Karl-Heinz Remmers: Mal einige Unternehmen/Projekte und Personen im deutschsprachigen „Energie-Raum“, deren Entwicklung ich mir ansehe, aber nicht investiert bin: StromDAO, Gridsingularity, Slockit, Enerchain, Freeelio/Adapteve.

IKZ-Energy:
Wie bekommen die ihr Geld, um die Projekte zur Marktreife zu bringen? Stichwort ICO... Wie verändert das im Kontext von Blockchain und Kryptowährung zu sehende Initial Coin Offering (ICO) das Feld für Risikokapital und wie wird es den Energiesektor verändern – ICO eine neue Form des Crowdfundings, also das Sammeln von Geld für eine Geschäftsidee?
Karl-Heinz Remmers: Die ICO sind eine junge Finanzierungsform, die in ihrer Ausprägung Aktien ähneln kann, aber meist davon völlig unabhängig ist. Die angebotenen Volumina werden in der Regel mit Bitcoin oder Ether (der Währungseinheit im Ethereum-Netzwerk) aufgelegt und reichen von totalem Betrug auf einem weißen Blatt Papier bis zu hochspannenden Angeboten. Es wird in Kürze auch ICO unter deutscher Regulierung geben. ICO’s sind wie alles in der Blockchain grenzenlos – es gibt im Cyber Space halt keine Landesgrenzen. Es sei denn, diktatorische Regime riegeln das Internet ganz oder teilweise ab. Binnen kürzester Zeit (2017) konnte diese wilde Form der Finanzierung von Unternehmen oder Projekten über 2,7 Mrd. Dollar aufbringen und hat so bereits Teile des Risikokapitalmarktes „disrupted“, wie es auf Neudenglisch heißt. Der Hintergrund ist eben der internationale Zugriff auf internationale Mittel abseits von Börsen und deren Fressketten.

IKZ-Energy: Schlussfrage! In welchem Entwicklungsstadium befinden sich Blockchains im Energiesektor – sind wir noch im Labor oder bereits in den Feldversuchen? Wagen Sie eine Prognose, wann Blockchains mainstream sein werden?
Karl-Heinz Remmers: Wir sind in einer sehr frühen Phase der Technik. Bereits jetzt können ICO’s zur Finanzierung von guten Ideen wirkungsvoll international Kapital einbringen. Bis der Toaster seinen Strom direkt bei der PV-Anlage nebenan bestellt – so das überhaupt sinnvoll ist und real wird – gilt es viele technische Hürden und vor allem eine völlige Umstellung der Gesetzeswelt zu überwinden. Mir erscheinen derzeit die gesetzlichen Hürden und das Beharrungsvermögen dort das größere Problem für den direkten, automatisierten Stromhandel im privaten Raum. Blockchains wie das Projekt Enerchain können aber sehr schnell die Strombörse in Leipzig ablösen – hier gibt es sehr große Anreize auch für große Marktteilnehmer, dies neu oder eben parallel zu organisieren und in weiteren Schritten an die Handelsplattform auch alle Berichtspflichten zu automatisieren und die Transparenz auch für alle Überprüfungen zu nutzen.

IKZ-Energy: Herr Remmers, vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person:
Der 1968 geborene Karl-Heinz Remmers ist eine der schillerndsten Figuren in der Erneuerbare-Energien-Branche. Mit 15 verdiente er sein erstes Geld mit einer Software (100 DM) – nach eigenem Bekunden daher auch heute noch immer das Interesse an IT/Blockchain.
Remmers studierte von 1990 – 1998 Energietechnik in Berlin. Weitere Stationen sind: Von 1994 – 1997 Minderheitsgesellschafter und technischer Leiter bei UFE Solar, Produktion von Solarthermiekollektoren.
Ab 1996 schreibt Remmers unter dem legendären Pseudonym „Dr. Sonne“ viele Fachartikel im Forum Solarpraxis des Fachmagazins Sonne, Wind & Wärme.
1998 gründet er die Solarpraxis als Ingenieurbüro & Kommunikationsdienstleister, 1999 gibt er das Buch „Große Solaranlagen“ im Eigenverlag heraus – damals das erste Fachbuch der Solarbranche.
Zwischen 1999 – 2009 folgten dann ingesamt 50 Titel in 10 Sprachen in der eigenen Verlagssparte der Solarpraxis, die 2009 an den Beuth Verlag (DIN Normen) verkauft wird. 2000 – 2015 Herausgabe diverser Zeitschriften, zuletzt pv magazine, das seit 2015 als eigenständiges Unternehmen agiert.
Seit 2001 betreibt er mit dem Forum Solarpraxis die derzeit drittgrößte Energiekonferenz (aktuell: Forum Neue Ener­giewelt), die er allerdings Anfang dieses Jahres an die Conexio GmbH (Veranstalterin u. a. der Intersolar Europe) verkaufte.

 


Artikel teilen:
Weitere Tags zu diesem Thema: